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7. Die Fensterlosigkeit der Monade

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Eine der hervorstechendsten Aussagen über das Wesen der Monade, die sich bei Leibniz finden, ist das bekannte Bild, daß die Monade „fensterlos“ sei. Dieses Bild hat der Leibniz-Interpretation manche Schwierigkeit bereitet und dazu geführt, daß man die Monade als eine Art solipsistisches Ich auslegte, das die Welt in sich erzeugt, ohne eine reale Beziehung zu etwas außer ihm Liegenden zu haben. Keine Fenster und Türen verbinden das Innere der Monade mit der Außenwelt – also, meinte man, muß dieses Innere, die repraesentatio mundi, auch ganz und gar das Produkt der monadischen Selbsttätigkeit sein. Zur Not ließe sich der appetitus derart als innersubjektives Vermögen ansprechen, die perceptio jedoch müßte bei solcher Auslegung ihren Sinn völlig verlieren, da sie ja gerade der Titel für das Hereinnehmen der Um- und Außenwelt in die Monade, für die Bestimmung der Monade durch die Welt war. Wir müssen uns also fragen (und greifen damit die am Ende des 5. Abschnittes dieses Kapitels gestellte Frage wieder auf): Wie verträgt sich die Welthaftigkeit der Monade, die unter dem Titel der repraesentatio mundi ausgearbeitet wurde, mit der These von der Fensterlosigkeit? Wie ist diese These auf dem Boden der repraesentatio mundi überhaupt möglich? Wird durch sie nicht der realistische Charakter der Leibnizschen Philosophie zugunsten einer idealistischen, geradewegs solipsistischen Weltlosigkeit aufgegeben?

Über die in diesen Fragen angeführte Schwierigkeit ist nichts ausgesagt, wenn wir die These der Fensterlosigkeit aus der von Leibniz verarbeiteten scholastischen Tradition herleiten, in der die Substanz durch die Aseitas charakterisiert wird. Wenn Leibniz hier die Begriffsbildungen eines philosophischen Weltbildes übernimmt, zu dessen Überwindung und Auflösung er selbst entscheidend beigetragen hat, so muß diese Übernahme im System selbst begründet sein und wiederum die typischen Begriffswandlungen erkennen lassen, die wir als charakteristisch für die neue Situation seines Denkens festgestellt haben. Die überlieferte Bestimmung der Substanz durch die Aseitas, die Leibniz als „Autarkie“ der Monade beibehält, muß also auf einen im Wesen der repraesentatio mundi liegenden Sachgrund zurückzuführen sein. Daß die These der Fensterlosigkeit nirgends bei Leibniz eine eigene, eingehendere Begründung findet, sondern als sozusagen selbstverständlich und aus dem Ganzen seines Systems einleuchtend verdeutlicht vorgetragen wird, muß zu denken geben; zeigt sich doch darin, daß eine eindeutige Herleitung der Fensterlosigkeit vom Wesen der repraesentatio mundi möglich sein muß und in Leibniz’ Sinn lag.

Verstehen wir die monadische Substanz schlicht als Seiendes, so bleibt die Aporie von Welthaftigkeit und Fensterlosigkeit unauflösbar; ist es doch nicht vereinbar, daß ein Seiendes inhaltlich bestimmt von der Welt und zugleich gegen diese abgeschlossen sein könnte. Alle Dialektik vermöchte die Widersprüchlichkeit dieser Bestimmungen eines Gegenstandes nicht aufzuheben. Um dialektisch die widersprüchlichen Momente in Einem und Demselben zu vereinigen, muß also ein anderer Begriff der monadischen Substanz zugrunde gelegt werden.

Wir haben gezeigt, wie die Monade als Substanz-Struktur zu denken ist, derart, daß die Substanz nur als Struktur, die Struktur nur als Substanz ist. Die monadische perceptio ist die Strukturbestimmung, dergemäß ein Seiendes das ist, was es ist; die entelechiale dynamis ist das Substrat des Seienden, das in der perceptio strukturiert wird. In beidem bildet sich die Substanz-Struktur-Einheit, als welche konkret die repraesentatio mundi verstanden wird. Diese Substanz-Struktur-Einheit ist in sich, das heißt als Ganzes, selbstgenügsam. Ihre Autarkie beruht darauf, daß sie in absoluter Weltimmanenz nichts anderes darstellt als die jeweils verwirklichte Einheit von Einzelnem und Ganzem. Die Weltlichkeit des Einzelnen besagt nämlich, daß dieses „in“ der Welt ist; das „In-Sein“ als kategorialer Tatbestand ist nun aber nicht ein beliebig-räumliches, wie wenn etwa ein Blumentopf im Zimmer steht (das erhellt schon daraus, daß wir ja nicht von der „Zimmerhaftigkeit“ oder „Zimmerlichkeit“ des Blumentopfs21 sprechen). Das Einzelseiende, das als welthaft durch die repraesentatio mundi gekennzeichnet ist, derart, daß das Ganze der Welt die notwendige und zureichende Bedingung seines einzelnen Seins ist, ist also in einem spezifischen Sinne „in“ der Welt: Nur indem es in der Welt ist, ist es in der Welt. Gerade darum braucht es aber kein Fenster nach „draußen“, es wird nicht durch etwas außer ihm Liegendes angestoßen und bedingt und beeinflußt, was dann auch außer der Welt liegen müßte, weil die Welt ja als repraesentatio mundi in ihm ist (wie das Bild im Spiegel). Vielmehr wird es allein durch die kraft seiner Welthaftigkeit in ihm selbst liegenden Tendenzialität bewegt, die als appetitus terminologisch fixiert worden war. Insofern die Monade als Individuelles nur ist, indem das Allgemeine, die Welt, in ihr punktuell-perspektivisch konzentriert ist und erscheint, gibt es keine inhaltliche Andersheit von Ganzem und Einzelnem. Das Einzelne ist ja immer schon die Manifestation des Ganzen. Folglich bedarf es keiner Fenster, um Anderes zur Monade in Beziehung zu setzen, sie ist ja selbst dieses Andere, wenn auch nur spiegelbildlich. Nur ein Außerweltliches brauchte ein Fenster, um in die Monade hineinzuschauen oder von ihr erschaut zu werden. Die These von der Fensterlosigkeit schließt also die Transzendenz aus der Monadenwelt aus, die Monaden werden rein weltimmanent gedacht. In diesem Sinne ist die These streng ontologisch, nicht etwa erkenntnistheoretisch zu verstehen, was Leibniz auch dadurch immer wieder zum Ausdruck bringen will, daß er sie als eine solche „à la rigeur métaphysique“ aufstellt.

Die „Fensterlosigkeit“ bezeichnet also die Weltimmanenz der Monade. Sie ist Element und Ausdruck des gleichen Säkularisierungsvorgangs am weltlich Seienden, als dessen extremste Formulierung die Deutung Gottes als monas monadum – als oberster Weltbegriff – auftritt und an dessen Ende die Autonomie des natürlichen und geschichtlichen Seins steht.

Diese auf die monas monadum als obersten Weltbegriff bezogene Auslegung der Fensterlosigkeit bedarf jedoch einer wichtigen Ergänzung. Fensterlosigkeit der Monade besagt Weltimmanenz der Monade nur unter einer bestimmten Voraussetzung. Diese Voraussetzung liegt bei der Behauptung einer dialektischen Identität von Einzelnem und Ganzem gerade in der Verschiedenheit beider. Das Einzelne als Einzelnes ist nicht nur Individuelles, sondern immer zugleich Allgemeines. Die Frage nach der Einzelheit des Seienden wird nämlich ursprünglicher angesetzt als in der traditionellen Metaphysik das Problem der Individuation. Sie führt auf den Modus des „In-Seins“ des weltlich Seienden in der Welt. Auf die Herausarbeitung der Konstitution des „in-esse“ ist die Problematik der Fensterlosigkeit angelegt. Die Substanz muß verstanden werden aus einer zweifachen Weise des in-esse. Einmal ist sie als Seiendes „in der Welt“, sie ist selbst also gekennzeichnet durch eine Lage in einem Umfassenden; sie ist In-Seiendes. Da sie ganz und ausschließlich, passiv und aktiv an allem teilhat, was „in“ der Totalität des Seienden umfaßt wird, meint Fensterlosigkeit die Weltimmanenz der Monade. Doch darüber hinaus ist die Substanz selbst ein Umfassendes, „in“ dem die Totalität des anderen Seienden als Spiegelbild umfaßt wird. Denn das Sein der Monade bestimmt sich durch die repraesentatio mundi, durch die Spiegelung der Welt in der Monade. Die Monade ist also nicht nur In-Seiendes, sondern selbst In-Sein alles Seienden, das „in“ ihr erscheint. Insofern sich derart die ganze Welt in der Monade spiegelt, also in die Monade hineingezogen ist, „stellt“ diese das In-Sein als Struktur der Welt „dar“ (Welt ist das, worin alles Einzelne ist). Als In-Sein des In-Seienden ist sie aber fensterlos zum anderen Seienden, weil dieses ja „in“ ihr beschlossen liegt.

Auch der Spiegel hat das Gespiegelte in sich, ohne daß er darum eines besonderen Organs, eines Fensters bedürfte, durch das er das zu Bespiegelnde als Gespiegeltes in sich aufnähme. Sein ganzes Sein ist Spiegelung, und ohne diese ist er nicht. Das gleiche gilt für die Monade: Sie ist nicht, wenn sie nicht die Welt ganz und gar in sich aufnimmt; dazu bedarf sie nicht eigens eines Fensters. Das „Fenster“ würde voraussetzen, daß die Monade auch ohne die repraesentatio mundi schon eine Substanz wäre und die Welt nachträglich erst in sie hineinkäme, eben durch ein Fenster. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Nur indem die Welt sich an einem bestimmten (metaphysischen) Punkt konzentriert spiegelt, ist dort eine Monade. Das Bild vom Fenster muß wörtlich genommen werden, genau wie das vom Spiegel. Das „In“ zeigt also hier keineswegs eine solipsistische, schon gar nicht eine bewußtseinsmäßige Aufhebung der Welt an, sondern ist Titel jener merkwürdigen dialektischen Struktur, derzufolge alles Seiende im Einzelnen auftritt, wie umgekehrt alles Einzelne im All des Seienden eingebettet ist.

Der inhaltliche Begriff der Monade bestimmt sich also durch das in-esse der Welt in der Substanz (als deren Strukturbestimmung). Weil der Standpunkt der Substanz zu ihrem inhaltlichen Begriff hinzugehört, ist die Monade einzigartig und unverwechselbar. Das besagt die These von der Perspektivität, die auf das In-Sein bezogen ist. Ihr entspringt die Lex identitatis indiscernibilium, das Gesetz der Identität des Ununterscheidbaren. Formallogisch formuliert: Da der Begriff der Monade durch die repraesentatio mundi definiert wird, können alle möglichen Prädikate zu diesem Begriff der Monade nur als schon enthalten in ihm gedacht werden. „Es ist wohl wahr, daß man, wenn mehrere Prädikate ein und demselben Subjekt zugeschrieben werden und wenn dieses Subjekt wiederum keinem anderen mehr zugeschrieben wird, dies eine individuelle Substanz nennt; das ist aber nicht ausreichend, und eine solche Erklärung ist nur nominal. Man muß also überlegen, was wahrhaft einem bestimmten Subjekt zugeschrieben wird. Nun steht fest, daß jede wahre Aussage eine Grundlage in der Natur der Sache hat, und wenn ein Satz nicht identisch ist, das heißt, wenn das Prädikat nicht ausdrücklich im Subjekt enthalten ist, so muß es darin virtuell enthalten sein, und das nennen die Philosophen in-esse (In-Sein), indem sie sagen, daß das Prädikat im Subjekt ist. So muß der Subjektbegriff immer den des Prädikats in sich schließen, derart, daß derjenige, der den Begriff des Subjekts vollkommen verstünde, auch urteilen würde, daß das Prädikat ihm zugehört. Da dies so ist, können wir sagen, daß die Natur einer individuellen Substanz oder eines vollständigen Wesens darin besteht, einen so erfüllten Begriff zu haben, daß er zureichend ist, um alle Prädikate des Subjekts, dem dieser Begriff zugeschrieben wird, zu verstehen und daraus abzuleiten.“ (Discours de Métaphysique, cap. 8, KS, S. 75)

Das logische in-esse wird auf die Natur der Dinge, also auf ein ontologisches in-esse, zurückgeführt. Die Natur der Dinge aber ist ihre in der repraesentatio mundi dargestellte spezifische Welthaftigkeit, so daß nicht etwa die Dinge sind und außerdem noch eine Welt wäre, die durch ein Fenster hineinschauen könnte, sondern vielmehr die Dinge sind, insoweit die Welt in ihnen (für sie) strukturbildend ist. Logisch schlägt sich dieses Verhältnis, demzufolge jedes Individuum eine unterste Art ist (siehe auch Discours de Métaphysique, cap. 9) in dem Satz nieder: praedicatum inest subiecto. Ontologisch ist es unter dem Strukturtitel Spiegel begriffen.

Das metaphysische Äquivalent dieser logisch-ontologischen Formel ist die Fensterlosigkeit. Diese bezeichnet die nur dialektisch zu begreifende Tatsache, daß die Monade zur Welt keinen Durchbruch besitzt, weil sie diesen Durchbruch als Aufbruch je schon leistet. Damit ist die These von der Weltverflochtenheit und -verschränktheit angezielt. Indem die Monade nur ist, wenn sie die Welt in sich spiegelnd aufnimmt, vermag sie diese nicht isoliert sich gegenüberzustellen (wie durch ein Fenster sie betrachtend), sondern sich nur wirkend und bewirkend mit ihr einzulassen (was als appetitus und perceptio bezeichnet wurde). Die Fensterlosigkeit besagt also dies: daß die Monade der Welt nur begegnet, wenn sie sie schon in sich aufgenommen hat. Kein Seiendes ist, wenn es nicht weltbaft ist. Dieser Ursprung von der These der Fensterlosigkeit aus der These von der Welthaftigkeit wird ausdrücklich betont: „Wir haben gesagt, daß alles, was der Seele und jeder Substanz zustößt, eine Folge ihres Begriffes ist; so beinhaltet die Idee selbst oder das Wesen der Seele, daß alle ihre Erscheinungen oder Perzeptionen ihr spontan aus ihrer eigenen Natur erwachsen müssen, und zwar gerade auf solche Weise, daß sie von sich aus dem entsprechen, was sich im ganzen Weltall, auf ganz besondere und vollkommene Weise aber dem, was sich im Körper, mit dem sie behaftet ist, ereignet, weil die Seele auf bestimmte Art und für eine bestimmte Zeit den Zustand des Weltalls gemäß den Beziehungen der anderen Körper zu ihrem eigenen ausdrückt.“ (Discours de Métaphysique, cap. 33, KS, S. 151/153)

Daraus geht zugleich hervor, wie die Perspektivität als Modus der Welthaftigkeit die metaphysische Fensterlosigkeit individuiert: Der Weltbezug der Monade ist ein je eigener, weil die Besonderheit einer sachhaltigen Verknüpfung darin zum Ausdruck kommt. Die Rede von der Fensterlosigkeit ist also zwar bildhaft-metaphorisch; aber – und das muß festgehalten werden – sie spricht vom Gegenstand ihrer Aussage, von der Monade, „mit metaphysischer Strenge“. Leibniz unterscheidet nämlich, wie wir wissen, stets zweierlei Weisen philosophischer Rede: eine esoterische, die sich im Sprachgebrauch nach der alltäglichen Erscheinung richtet (er vergleicht solche Redeweise mit der, daß die Sonne auf- und untergehe, was wir sagen, obwohl wir doch genau wissen, daß es sich faktisch anders verhält), und eine akroamatiscbe (NA, Vorwort, S. IX), die nur in wissenschaftlicher Untersuchung angängig und nur für den Gebrauch des Wissenschaftlers bestimmt ist und bei der nun der Sachverhalt streng begrifflich ausgesagt wird, selbst wenn damit der äußere Schein verletzt wird.

Die Rede von der Fensterlosigkeit der Monade meint nun (als akroamatisches Bild) streng die Tatsache, daß jede Monade in der Welt ist, indem die Welt in ihr ist. Das schließt nicht aus, daß man exoterisch sagen darf, daß etwas von außen in die Monade hineinkommt, nur eben unter der Voraussetzung, daß dieses von außen Hereinkommen nicht so gedacht wird, als ob die Monade erst dadurch von der Welt beeindruckt würde; sie trägt vielmehr die Welt als Ganzes immer schon spiegelbildlich in sich.

Leibniz

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