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8. Die universelle Harmonie
ОглавлениеWenn wir die Fensterlosigkeit als Titel für den komplexen dialektischen Sachverhalt ansehen, daß Seiendes nur ist, indem es die Welt in sich aufnimmt, darin aber die Welt als Gegenstand, als das Andere, als das Draußen aufhebt, so zeigt sich in dieser Ansicht die Ausarbeitung einer gegenüber Descartes völlig neuen, tieferen Einsicht in das Subjekt-Objekt-Verhältnis. Und wenn wir erkennen, wie neuartig diese Einsicht bei Leibniz ist, wie weit er damit über den Bereich der vorgedachten Denkfiguren seiner Zeit hinausgeht (eine philosophische Problemstellung, die ihn im übrigen mit dem deutschen Idealismus von Kant bis Hegel und von Herder bis Goethe verbindet), so werden wir verstehen, warum er terminologisch mit Schwierigkeiten zu ringen hatte und manches von ihm gebrauchte Bild zweideutig bleibt, wenn man nicht der exakten Beschreibung des Sachverhalts nachspürt.
Auf dem Boden der repraesentatio mundi ist die „fensterlose Monade“ zu verstehen als das Seiende, in dem die objektive reale Welt erscheint und das in diesem Erscheinen erst zum Sein kommt. Dieses Seiende ist nicht isoliert von der Welt als Selbst-Ständiges, sondern in sie eingelassen als Glied des substantiellen Weltganzen, sie zugleich umfassend als einfaches, einziges, einzelnes Inbild der ganzen Weltstruktur. Insofern kann Seiendes nur sein, indem es mit der Welt in Übereinstimmung ist, und diese prinzipielle Übereinstimmung ist seine Autarkie. Seine Struktur kann nicht dem gesetzlichen Aufbau der Welt zuwiderlaufen, sein Standort ist durch diesen gesetzlichen Aufbau bestimmt. Nur insofern ist die repraesentatio eine wirkliche repraesentatio mundi (und eine andere gibt es nicht). „Diese Verknüpfung nun oder diese Anpassung aller erschaffenen Dinge an jedes einzelne von ihnen und jedes einzelnen an alle anderen bewirkt, daß jede einfache Substanz in Beziehungen eingeht, die alle anderen ausdrücken, und daß sie folglich ein dauernder lebendiger Spiegel des Universums ist … Dies ist das Mittel, um so viel Mannigfaltigkeit wie möglich, jedoch verbunden mit der größtmöglichen Ordnung, zu erhalten, das heißt, es ist das Mittel, um so viel Vollkommenheit zu erhalten, wie es geben kann.“ (Mon., cap. 56 und 58, KS, S. 465)
Dieser Zusammenhang heißt bei Leibniz die „universelle Harmonie“. Sie zielt auf nichts anderes als auf die allgemeine und durchgängige Gesetzlichkeit der Welt, die deshalb allgemein und durchgängig sein kann, weil alles Seiende von vornherein miteinander in einer geordneten Beziehung steht, die konkret definiert ist als durch Gesetz formulierbare Übereinstimmung jedes Einzelnen mit der Notwendigkeit, die den Bauplan des Ganzen auszeichnet. Diese Annahme einer allgemeinen undurchbrechbaren Gesetzlichkeit ist ein ontologisches Apriori, das heißt, sie konstituiert das Sein des Seienden, denn Seiendes ist nur als das den Gesetzen Unterworfene. Es gibt kein Seiendes, das nicht der allgemeinen Weltgesetzlichkeit unterliegt. Diese universelle Übereinstimmung als Prinzip der Weltordnung drückt sich nun auch im Verhältnis von Leib und Seele aus, deren gattungsverschiedene Bewegungsformen einander entsprechen. „Unendlich viel vernünftiger und Gottes würdiger ist also die Annahme, daß Gott die Maschine der Welt gleich anfangs in der Weise geschaffen hat, daß es ohne ständige Durchbrechung der beiden großen Naturgesetze, nämlich des Gesetzes der Erhaltung der Kraft und der Bewegungsrichtung, vielmehr unter vollkommener Wahrung dieser Gesetze – den Fall des Wunders ausgenommen –, so zugeht, daß die Triebfedern der Körper gerade in dem Augenblick bereit sind, in der richtigen Weise von sich aus zu spielen, in dem die Seele den entsprechenden Willen und Gedanken hat, zu dem sie ihrerseits nur in Übereinstimmung mit den vorhergehenden Zuständen des Körpers gelangt ist.“22
So wird im Hinblick auf die Explikation des Leib-Seele-Problems die universelle zur prästabilierten Harmonie. Daß diese hier im Vordergrund steht, ergibt sich aus den in der Korrespondenz mit Arnauld aufgeworfenen Fragestellungen.23
Diese universale Übereinstimmung beruht auf der universalen Repräsentation alles Seienden in jedem Einzelnen. Sie sagt gar nichts aus über ontische Abhängigkeiten im Wechselspiel von Wirkung und Gegenwirkung, die den Kausalgesetzen unterliegen, sondern zielt auf die Tatsache, daß jedes Seiende ein Teil der Welt ist und nur welthaft verstanden werden kann; ebendiese Welthaftigkeit, die wir in der repraesentatio mundi als strukturbildend für jede einzelne Monade erkannt hatten, bedingt auch die Abstimmung aller Monaden aufeinander, da die repraesentatio mundi kraft der Gemeinsamkeit der Welt für alle Monaden zwar perspektivisch verschieden, aber in Rücksichtnahme von jedem Einzelnen auf jedes andere Einzelne zusammenklingend ist.24 Das Gleichnis von den getrennten Chören, mit dem Leibniz die Harmonie versinnlicht, macht die aus dem universalen Weltgesetz herstammende Autonomie der Welt deutlich, die ohne einen Dirigenten, also ohne einen lenkenden Gott, gedacht werden kann: „Wenn ich mich schließlich eines Vergleichs bedienen darf, so möchte ich sagen: Es ist mit der Zuordnung, die ich behaupte, etwa so wie mit verschiedenen Orchestern oder Chören, die jeder für sich ihren Part spielen, und die dabei so angeordnet sind, daß sie einander nicht sehen und nicht hören, die aber, indem sie einfach jeder ihren Noten folgen, trotzdem in vollkommener Weise zusammenspielen können, so daß jemand, der sich bei dem einen jener beiden Chöre befände, aus ihm entnehmen könnte, was der andere jeweils spielt, und er könnte sich daran so gewöhnen (besonders wenn man annähme, daß er seinen Chor hören könnte, ohne ihn zu sehen, den anderen aber sehen, ohne ihn zu hören), daß seine Phantasie das Ungehörte immer ergänzte, und daß er gar nicht mehr an den Chor dächte, bei dem er selbst steht, sondern an den anderen, beziehungsweise daß er den seinigen nur als Widerhall des anderen auffaßte und ihm selbst nur gewisse Intermezzi zuschriebe, bei denen gewisse Regeln der Symphonie, vermöge deren er auf den anderen Chor schließt, nicht ersichtlich sind; oder er könnte dem seinen auch gewisse musikalische Bewegungen zuschreiben, die er auf seiner Seite nach bestimmten Vorschriften ausführen läßt und bei denen er dann – wegen der inneren Beziehung in der Art der Melodie – glaubt, die anderen nähmen sie auf, weil er nicht weiß, daß die Musiker auf der anderen Seite auch hierbei nur darum etwas Entsprechendes spielen, weil sie nach ihren eigenen Noten gehen.“25
Diese „Noten“, das heißt das Gesetz, nach dem das Weltgeschehen abläuft, sind das Gemeinsame alles Seienden. Die innere Abgestimmtheit jedes Einzelseienden auf jedes andere beruht auf der Struktur (dem Bauplan) des Kosmos, innerhalb deren jedes Einzelseiende individuell, aber vom Ganzen bestimmt ist. Die universelle Harmonie gibt den kosmologischen Rahmen der repraesentatio mundi an.
In der universellen Harmonie wird Welt als monas monadum, als oberste Einheit aller unteren Einheiten gedacht. Und es wird nun deutlich, was „Welt“ als Gesamtzusammenhang überhaupt begründet: nämlich die auf alle ihre Glieder gleich anwendbare, sie aufeinander beziehende und abstimmende Gesetzlichkeit, die die Einheit dieser Teile konstituiert und die ihre Strukturformel in der repraesentatio mundi findet. Im weiteren Sinne wird also die universelle Harmonie zur forminhaltlichen Bestimmung des Begriffs Welt. Sie ist die ergänzende Bestimmung zur repraesentatio mundi und von ihr abhängig.26 Die repraesentatio mundi bestimmt die Einbezogenheit der Welt in die Monade, die universelle Harmonie bestimmt die Einbezogenheit der Monade in die Welt. Beide zusammen ergeben erst die volle dialektische Wirklichkeit, die die Wirklichkeit einer Beziehung der Welt auf sich selbst ist. Die Monade ist der Träger dieser Relation. Der Substanzgrund der Welt bringt so das Subjekt aus sich mit Notwendigkeit hervor. Es gibt keinen Gegensatz von Subjekt und Objekt, sondern nur die übergreifende Einheit von Substanz und Subjekt, in der die allgemeine gleichsam spinozistische Substanz (Welt) Gattung ihrer selbst und ihres Gegenteils, des individuellen Subjekts (Monade) ist. Hegels Programm aus der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes27 ist hier exakt vorgebildet. Denn dieses Einssein von Substanz und Subjekt ist nur denkbar, wenn die Substanz zugleich als spiegelnde und sich spiegelnde begriffen wird.