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Es ist dunkel, und der Schnee fällt — und meine Locken erbleichen — bald, o Welt! o du Heiland der Welt! — wird dich meine Seele erreichen —“

Die Worte wollten ihr nicht aus dem Sinn, der Müden, die an schwarzen Häusern der wenig erhellten Strasse im strengsten Frost der Januarnacht entlang schlich. Sie hatte den Vers irgendwo gelesen, in einem Buch oder in einem alten Journal, und sie sah den Namen, der darunter stand: Maria Dolorosa, die schmerzensreiche Maria ... eine Frau also ... und eine, die vielleicht ebenso unglücklich war wie sie selber.

Hella Eichholz blieb stehen, vor einem Schaufenster, dessen Auslagen im Finstern schatteten. Sie sah auch nicht da hinein, ihr Gesicht war ganz nach innen gekehrt, sie spähte in ihrer Seele umher und fand nichts als eine trostlose Öde, eine graue, von keinem Stern erhellte Wüste, auf der nichts mehr wachsen und gedeihen würde.

„Na, wie is es mit uns beede, Fräulein, heite abend, wat?“

Fuselatem stiess sie zurück, und zotige Worte liessen sie auf verklammten Füssen weitereilen ... Die Strasse schien mit Eisenspitzen besät, so schmerzten ihre Sohlen. Ihr junger Leib war wie zertreten, und im Rücken zwischen den Schultern hatte sie wütende Schmerzen. Der dünne Flauschmantel, für den Herbst gekauft, wärmte nicht, und ihre arme Brust fror, als wäre sie weit ausgeschnitten. Seit dem Morgen hatte sie nichts gegessen, und wenn nicht ein Wunder sie rettete — das fühlte sie —, würde sie irgendwo in der Finsternis umsinken und erfrieren.

„Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen?!“ wimmerte sie und ward sich nicht bewusst, dass es die Worte des am Kreuze sterbenden Erlösers waren, die sie in die erbarmungslose Nacht redete.

Aber der seit Minuten hinter der Leidenden herging, hatte diese Töne tiefster Menschenqual vernommen. Ein starker, breitschultriger Mensch, den weichen Hut auf dem vollen Haar, im Gehpelz, den Kopf ein wenig vorgeneigt und die Augen an dem Weibe hängend, dessen Weh sein Herz erregte.

Er hatte sie vor der Roheit des Betrunkenen flüchten sehen und war ihr gefolgt, in dem unklaren, aus Mitgefühl und Scheu gemischten Gefühl, das ein egoistisches Interesse nicht ausschloss. Nun er merkte, sie war in wirklicher Not des Leibes oder der Seele, schwand alles Trübe aus seinem Sinn, und nur die Güte blieb, die ihn an ihre Seite treten und sie anreden liess.

Sie zuckte zurück und wäre am liebsten wohl abermals entflohen. Aber war sie schon zu abgehetzt und ermattet oder klang etwas aus seiner Stimme in ihr Herz hinein, das sie vertrauen und zaghaft aufblicken liess in sein grosses, eckiges Gesicht, das im Schein der Strassenlaternen ernst und freundlich in das ihre sah?

„Sie dürfen glauben, dass ich nichts Böses will. Ich bin nicht mehr jung genug, um in jeder Frau den Gegenstand eines Abenteuers zu erblicken.“

Er nahm sanft ihren Arm und legte ihn in den seinen; fühlte, wie sie vor Kälte zitterte, und wollte aus Erbarmen sie fester an sich ziehen.

Da nahm sie den Arm schon wieder fort. Sagte aber gleich, wie um Verzeihung bittend:

„Ich glaube ja, dass Sie es gut meinen ... aber ich ... ich ...“ Nun fing sie so bitterlich an zu weinen, ihm wurde selber ganz elend.

„Vor allen Dingen kommen Sie irgendwo mit rein! Sie müssen ja krank werden, hier draussen in der Hundekälte!“

„Nein ... nein ...“ Sie wollte nicht. Doch da sie eben vor einer Tür standen, die eine Art Portier im Tressenrock öffnete, nahm er sie sanft um die Schultern und zog sie in die Wärme der Kneipe, die, dürftig möbliert, eine jener kleinen Frühstücksstuben schien, die hier im Norden der Stadt an jeder Strassenecke zu kurzer Rast einluden.

Er wollte sich eben mit dem verschüchterten Mädchen in der Nähe des eisernen Ofens niederlassen, als der Kellner in zweifelhaft weisser Jacke herantrat:

„Wollen die Herrschaften ins Kabarett? Das ist da hinten!“

Er zeigte nach dem Ende des Lokals, wo sich ein schmaler Gang auftat, in dem eine gelbe Ampel brannte. Musik setzte ein, durch eine aufgehende Klapptür flogen Fetzen einer Chansonettenstimme.

Martin Deinhardt hatte nur abweisend den Kopf bewegt. Dann sah er das Mädchen an, sah, dass es am Verschmachten war und rief dem Kellner nach:

„Etwas Warmes!“

Der kam zurück.

„Grog? ... von Rum oder von Arrak?“

„Nein, von Rotwein ... und ... haben Sie was zu essen?“

Vom Nebentisch nahm der Kellner die Speisekarte.

„Sehr schönen Kalbsbraten vielleicht?“

„Ja, meinetwegen ... zweimal, bitte ... und recht schnell!“

Er blickte das Mädchen an, das mit gesenktem Kopf am Tisch zusammensank. Es sah fast aus, als schliefe sie ... oder ... als wollte sie sterben ...

Eine grosse Angst überfiel den Mann, der dieses Opfer eines schlimmen Schicksals auf seine Schultern geladen hatte. Für Sekunden hatte Martin Deinhardt etwas wie ein Gesicht ... eine vage und erschreckende Ahnung durchrann ihn: er würde diese Bürde nicht mehr abwerfen können! Er, der vierzig Jahre lang frei geblieben, der nie mehr als den Schaum vom Becher der Liebe geschlürft hatte und allem Joch, aller Hörigkeit der Lust aus dem Wege gegangen war, er könnte hier, in diesem Spinneweb einer vergehenden Seele hängenbleiben, sich für ewig verfangen.

Da blickte sie auf. Er sah ihre im Fieber brennenden, mit einem fast erschreckenden Blick strahlenden Augen und hatte, vielleicht aus seiner romantischen Seele heraus, nur den Wunsch, zu verstehen, zu lernen, was in dem noch im letzten Elend süssen Gesicht dieses Kindes geschrieben stand, was in dem gemarterten und zerstörten Leben der wohl kaum Zwanzigjährigen Unerhörtes vorgegangen sein musste.

Er sprach aber nicht. Sie hing in dumpfer Apathie an ihrem Stuhl. Als das Essen kam, schien sie nicht imstande, etwas zu geniessen. Er schnitt ihr das Fleisch in Stücke und fütterte sie wie ein Kind, gab ihr auch kleine Schlucke von dem warmen Getränk. Sie nahm alles gehorsam, ohne Begier; doch als sie ein wenig gegessen hatte, erholte sie sich und sagte leise:

„Ich danke ... Sie geben sich solche Mühe mit mir ... ich weiss gar nicht ...“ Und die Tränen flossen von neuem über ihre Wangen.

Er streichelte ihre kleine Hand mit den ein wenig stumpfen Fingerchen. Und es war ihm, als sei wirklich nur ein müdes, krankes Kind in seine Obhut geflüchtet, das ihm vertraute. Ihre Wangen hatten sich ein wenig gerötet, die schweren, schwarzen Ringe um die Augen blichen ab, und selbst der erblasste Mund bekam ein wenig Farbe. Da sie ihn jetzt ansah, fand er sie schön, sehr schön ... aber diese Holdseligkeit hatte etwas, das nicht mehr dieser Erde gehörte. Und von neuem befiel ihn die Furcht, das gemarterte Herz dieser vom Schicksal Gezeichneten könne plötzlich zu schlagen aufhören.

Da bemühte er sich, einen frohen Ton zu finden:

„Na, nun sind wir doch wieder auf Deck, mein Fräulein ... ich glaube, jetzt ist das richtigste, man geht nach Hause!“

Sie erschrack sichtlich. Er merkte sogleich den Fehler, den er begangen hatte. War aber nicht geschickt, aus der Verfänglichkeit herauszukommen:

„Das heisst, ich meine ...“

„Ach nein!“ flehte sie, und ihre Augen verdunkelten sich.

Ein bisschen unwirsch schüttelte er seinen lockigen Kopf:

„Seh’ ich denn so aus?! Ich weiss nicht ... aber den Eindruck eines Wüstlings mach’ ich doch nun gerade nicht!“

„Bitte ... bitte!“ Jetzt griff sie nach seiner Hand, „ach, wenn Sie wüssten, was ich ..“

„Was Sie erduldet haben, ja? .. meine arme Kleine .. ich bitte Sie! .. ängstigen Sie sich doch nicht! Ich will Ihnen ja helfen, ohne dass ich dafür irgendeinen Dank beanspruche ..“

„Sie sind gut ..“

„Nein, das bin ich sonst gar nicht! .. Im Gegenteil, ich bin das, was man einen Egoisten nennen könnte .. ja doch, wahrhaftig! Mir ist es auch nicht immer so leicht geworden .. und ich seh’ nicht ein, die anderen können sich ja auch ein bisschen quälen .. Aber .. bei Ihnen .. na, mit einem Wort, Sie müssen jetzt schlafen, mein Fräulein. Sie können sich ja kaum noch aufrecht halten! Wenn Sie nicht zu mir kommen wollen, in meine Wohnung, so bring’ ich Sie in ein Hotel .. und hol’ Sie morgen früh von da ab ..“

„Allein? .. ich .. ins Hotel? .. nein .. nein!“ In ihren Augen flackerte die Angst: „ich will nicht .. ich will nicht allein sein! .. ich schlafe da doch nicht .. im Hotel ..“

„Na, und bei mir? Ich habe eine Zweizimmerwohnung ... ich gebe Ihnen mein Bett und schlafe nebenan auf dem Kanapee, Sie können die Tür abschliessen ..“

„Ach bitte, bitte! ..“ Sie nahm seine braune Rechte in ihre blassen Finger, „lassen Sie doch! ... Wir können ja lieber ins Kabarett gehen.“

Er sah sie gross an:

„Jetzt, in der Stimmung? Aber, wie Sie wollen .. ich mach’ alles mit! Sind Sie denn nun wenigstens satt?“

Sie dankte, ganz glücklich, dass er auf ihren Wunsch einging und dass sie noch nicht von hier fort brauchte.

Die flammende Nacht

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