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Die „blaue Laterne“ lag dicht bei den „Linden“. Unter der Lichtflut der Kugellampen, hoch oben über der breiten Strasse, glitten unablässig Automobile heran und pufften knatternd, hupend, pfeifend und gröhlend wieder davon, um noch mehr Vergnügungssüchtige heranzuholen. Es war in den Tagen jener rasenden Inflation, die das Land verelendete und die Taschen der Rücksichtslosen mit echtem Gold füllte. Im Taumel einer tollen Spekulation sahen diese Menschen kein Ende des goldenen Regens und schleuderten in unerhörter Verschwendung Millionen, Milliarden, Billionen in den gleissenden Strudel des Genusses.

Zu beiden Seiten der taghell erleuchteten Anfahrt standen in ihren goldgestickten Scharlachmänteln, mit dem bordierten Dreispitz über die anderen hinausragend, die beiden riesigen Schweizer. Und rechts und links von ihnen das hungernde Elend, blasse, frühverdorbene Kinder, verschminkte Weiber und vom Gram zerfressene Alte, die ihren Bettelkram anboten oder die frosterstarrten Hände gierig nach der Gabe reckten. Und zwischen ihnen gingen schöne, pelzverhüllte Frauen mit ihren Kavalieren hindurch, über die Läufer, die die Strasse deckten, hinauf in das Luxusrestaurant, das den Ruf genoss, Paris und selbst Amerika an Eleganz und sündenteuren Preisen hinter sich zu lassen. Die Grossstadt mit ihren grausamen Gegensätzen, mit ihrer Seelenkälte, ihrem hochmütigsten Glanz und ihrem tiefen Jammer konnte nicht bildhafter und deutlicher werden als vor diesem, im Gespensterlicht prunkenden Hause.

Im ersten Stockwerk wurde nur gespeist. Der Riesensaal in Weiss und Gold gehalten, dessen tiefe Teppiche den Schritt der Gäste unhörbar machten, glänzte in seiner Spiegelpracht, und die sanfte Musik einer unter Palmen und Blumen verborgenen Kapelle hüllte die Stimmen der Schmausenden ein, dass nur ein helles Frauenlachen oder der laute Ruf eines, der schon trunken wurde, hervorklang.

Hans von Hohenhausen durchschritt mit den Freunden den Saal, doch fanden sie hier nicht, den sie suchten. Zurückgehend und vom Lift höher getragen, betraten sie den in Blau und Silber strahlenden Tanzraum. Ein heiteres Barock mit schwelgerischen Seidenpolstern, das zarte Blau von versilberten Hölzern getragen, hoben sich die Estraden und Nischen auf koketten Treppchen zur Galerie, von der die, die nicht tanzen und weniger gesehen sein wollten, herabblickten auf die im Mittelrund schwingenden Paare. Licht kam von allen Seiten, aus der Höhe und schien aus dem glänzenden Parkett zurückzustrahlen. Tausend weisse, leuchtende Seidenblumen erhellten den Raum, den ein starkes Orchester mit einer leichtherzig träumerischen Musik erfüllte. Hier gab es keine Sorgen, keinen Gram, nur Freude und wollüstiges Vergessen glühte und glänzte, girrte und schmeichelte den erschlafften Herzen.

Aber die Menschen, die hier weilten, zeigten kein Erstaunen, nicht einmal rechten Frohsinn. Die sich im Tanz drehten und beinahe hüllenlos in seidener Nacktheit mit ihren Kavalieren beim Sekt sassen, waren Frauen, deren Erwerb die Ballnacht war, deren grell geschminktes Antlitz dem lächelte, der Geld hatte und zahlte ... Und von den Galerien, aus den Nischen schauten Fremde herab, Neugierige, die hierher kamen, um auch einmal hineinzublicken in den Strudel des grossen Babylon, das so viele seiner Kinder opfert auf den Altären der Lust.

In einer kleinen Loge, nahe dem grossen Orchester, sah Hans v. Hohenhausen die, die er suchte. Er verzog bitter den Mund:

„Sieh dir diesen Trassner an, Max, hat der Kerl nicht wirklich Galgen und Rad auf der Stirn?“

Max Levy grüsste nach der Loge und sagte, in seiner Art die schmalen Lippen schief ziehend:

„Er is mir immer noch lieber als Herr Wirucz, dieser Wasserpolacke! Aber wie gefällt dir der Herr Baron?“

Hohenhausen konnte nicht mehr antworten, sie traten in die Loge. Trassner stellte vor:

„Baron v. Sterkow — Herr v. Hohenhausen — Baron Battyany“ — Levys Namen verschluckte er.

Hohenhausen sah sich den „Freier“ an: ein sehr grosser, noch junger Mann, vielleicht vier- oder fünfundzwanzig. Der gutgewachsen war und zweifellos einen tüchtigen Schneider hatte; nur die Frische, der gesunde Ton der Haut, den Landleute immer haben, fehlte ihm. Möglich, dass er zu denen gehörte, die von den Revenüen ihrer Güter leben und die Grossstadt dem Landaufenhalt vorziehen ... Aber der gespannte Zug des starken Gesichts mit der langen, fleischigen Nase und der scharfbeobachtende Ausdruck des Auges, dem das Monokel nicht fehlte — nein, so der richtige Landadelige, das greenhorn, das sich ohne viel Mühe an den Bactisch schleifen liess, das war der Mann nicht!

Inzwischen ging die Unterhaltung ihren Gang. Hans v. Hohenhausen war angenehm enttäuscht von der sicheren Art, in der sich die beiden Schlepper, die doch einem viel tieferen Milieu entstammten, bewegten. Nur dass Trassner, der mit seinem bleichen Gesicht unangenehm schielte, so unzweideutig zum Aufbrechen drängte, das wirkte störend .. man hatte ja Zeit .. auch Max Levy sagte eben:

„Wo wollen wir nun zuerst hin? Herr v. Sterkow will gewiss noch etwas erleben .. oder wie meinen die Herren?“

Der Fremde schürzte die Lippe, dass man das Lächeln mehr ahnte.

Der Baron stand auf. Sie gingen aus der Loge. Wie sie hinter den Nischen hervor durch den Saal wollten, gebot ihnen das Tanzparkett, in dem ein neuer Step Frauen und Männer in bizarren Arabesken hüpfen und sich schütteln liess, einen Augenblick Halt. Da näherte sich eine brünette Frau in lachsrosa Seide, sichtlich mit der Absicht, Herrn v. Sterkow anzureden. Der machte keine Bewegung der Abwehr, kein Kopfschütteln, keine Miene verriet sein Denken. Er sah die Frau an. Aber das genügte, um die Hochgewachsene, deren Büste nur ein paar schillernde Seidenbänder hielten, in ihrem Willen zu erschüttern. Ihr Schritt ward ungewiss, tastend .. Sie wandte sich zur Seite, blickte mit ihrem schönen, leidenschaftlichen Gesicht noch einen Moment herüber und verschwand im Gewirr der Tänzer, das, wild und laut und lächerlich zugleich, um ein Haar dem lärmenden Gehaben bezahlter Spassmacher glich, die ihre Rolle schlecht studiert haben.

Diese Bemerkung machte Max Levy. Hohenhausen erkannte also, dass selbst der sonst so fein Aufmerkende von der stummen Szene zwischen dem Baron und der dunkelhaarigen Schönen nichts bemerkt hatte.

Als die Herren, in ihre Pelze gehüllt, auf die Strasse traten, gab es gerade vor dem Hause Lärm und Halloh! Schlugen sich welche, oder lachte man über irgendetwas Hässliches und Gemeines? Drüben auf dem gegenüberliegenden Trottoir schob sich wie ineinander gewachsen der johlende Menschenhaufe. Zwei Sipoleute kamen im Laufschritt, pfiffen, dass die nächtige Strasse gellte.

Autos fuhren, vom Schweizer herangewinkt, vor. In den ersten Wagen stiegen Herr v. Sterkow, Hohenhausen und Battyany. Im zweiten sollte Max Levy den Wirucz und Trassner zum Verlassen der Szene bringen. Das gelang ihm nicht.

Trassner lachte grunzend:

„Könnte Euch so passen! Wir kappen die Effchen, und Ihr nehmt sie aus und senkt die Mesummes! Aber das is alles bloss der Zweestöckige, der Hohenhausen! Wenn der noch viel macht, denn pfeifen wir ihm in de Chaluppe, dass er hochgeht wie’n Aeroplan!“

Und Herr Wirucz verstärkte die Apostrophe:

„Mit uns machen Sie solche Kokolores nich’, Mr. Levy! Wir sein’ ssu lange gewesen über die grosse Wasser! Damn’ your eyes! Wie meinen der Herr Generaldirektor? Wir sollen kriegen unsern Anteil nachher? Aoh no, sir! cash down on the table our nevermind!“

„Aber Herr v. Hohenhausen will nicht mit Ihnen spielen! Er liebt es, seine Gesellschaft nach seinem eigenen Geschmack zu wählen. Wir wollen doch verständig sein, meine Herren oder, wie man richtiger sagen könnte: wir wollen ‚tachles‘ reden. Sie beide, gewiss erprobte Gentlemen, haben das Pech gehabt, mehrfach in Moabit bei sogenannten Sensationsaffären an hervorragender Stelle zu glänzen. Die Zeitungen haben Ihnen volle Aufmerksamkeit geschenkt, Ihre werten Namen wurden wiederholt veröffentlicht, und ... und ...“

„Das passt dem sogenannten Herrn Baron nicht?“ Trassners grinsendes Antlitz ward im Schein der vorbeihuschenden Lichter wie eine Fratze sichtbar.

Max Levy nickte wiederholt. Seine Stimme, kalt und geschmeidig, hob sich ein bisschen:

„Nein, das ist nicht der richtige Ausdruck dafür. Herr v. Hohenhausen lehnt es einfach ab, mit Ihnen beiden zu hasardieren. Er lässt Sie sehr höflich bitten, sobald wir mit Herrn v. Sterkow am Bestimmungsort sind, unter einem Vorwand tunlichst bald zu verduften! Dafür steht er Ihnen morgen vormittag ab zwölf Uhr in seiner Wohnung zur Verfügung. Und er verpfändet, wiederum durch mich, sein Ehrenwort — — —“

Ein Gelächter, mehr ein Wiehern, lässt den Blassen innehalten.

„Ehrenwort! haste gehört, Bibi, Ehrenwort hat er gesagt!“ Herr Trassner grunzte und gurgelte von neuem.

Wirucz, dem jener zärtliche „Schemm“ galt, gab sich überlegener und blieb amerikanisch:

„Well, Mr. Levy! Sie sein eine Spassmacher! Aber wir wollen sein money-makers! .. Geld woll’n wir, vastehn Se, Geld woll’n wir haben, un kein Ehrenwort, ’s grosse nich und nich ’s kleine!“

Max Levy pfiff das Bananenlied. Aber Trassner griff das gar nicht ungeschickt auf und schrie fast:

„Wir auch nich! Stimmt! Wir auch nich! Aber wir woll’n die Bananen nicht runterholen vom Baum, damit sie ’n anderer auffrisst! Und wenn „Hänschen“ uns mevulwe machen will oder auf ’n Schmus nehmen, dann soll er sich seine Linkmichel wo anders suchen!“

Max Levy sah ein, es war nichts zu machen. Er zündete sich eine Zigarette an, reichte gefällig auch den beiden Gesellen das funkelnde Etui und atmete auf, da jetzt das Auto in der Bülowstrasse nahe dem Hochbahnhof hielt.

Die flammende Nacht

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