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Am anderen Morgen, so um zehn, klingelte Tessi Sommer bei dem Journalisten. Sie sah brillant aus in ihrem hellen, englischen Kostüm mit Waschbärbesatz. Ihr kräftiges, nicht unintelligentes Gesicht mit den vom klaren Wintertag geröteten Wangen und dem blauen, siegessicheren Augenpaar gefiel den Männern. Tessi hatte, wie stets, auch auf dem Wege hierher mehrfache Ansprache gehabt. Aber sie liess die Begehrlichen abblitzen, dass es eine Art hatte. Ihr Schwarm war nun mal dieser grosse, kräftige Zeitungsschreiber. Und es war noch nicht lange her, dass sie die Hoffnung nährte, Frau Deinhardt zu werden.

Sie hatte eine Weile warten müssen, als er sehr behutsam die Tür aufmachte.

„Pst! ... leise!“ Er liess das Mädchen, das ihn erstaunt ansah, eintreten, führte sie in sein Arbeitszimmer und flüsterte, auf das alte Ledersofa, das halb voll Zeitungen und Büchern lag, hinweisend:

„Setz dich .. da! .. aber recht leise .. sie hat die ganze Nacht Fieber gehabt und ist eben eingeschlafen!“

„Wer denn?“

„Na, du hast sie doch gesehen, gestern abend .. in der Lerche!“

„Ach so .. wo hast du denn .. ich meine ..“

„Was du meinst, kann ich mir denken!“

„Sprich vor allen Dingen ein bisschen mehr piano, Tessi! Du bist doch ’n guter Kerl und wirst nicht wollen, dass das arme Ding da nebenan wieder ihre Fieberdelirien kriegt! ... Nein, nicht wahr! Eher wirst du mir helfen, sie gesund zu machen!“

„Aber wo hast du sie denn bloss her?“

„Von der Strasse! ... aufgelesen wie ein armes, verhungertes, beinah’ schon totgefrorenes Kätzchen.“

„Und was willst du nun mit ihr, Martin?“

Er gab der hübschen, geraden Nase einen Tupp mit dem Finger:

„Heiraten will ich sie! Jawoll! Heiraten! Sowie sie gesund ist! Oder hast du was anderes erwartet, Tessi?“

Sie lächelte und sah lieb aus:

„Sei nicht böse, Martin, aber du weisst doch ...“

„Die Rivalin? — Na, natürlich! Wenn ich nur wüsste, womit ich soviel Liebe verdient habe!“

Sie erregte sich leicht, und das Weinen war ihr nahe:

„Altes Ekel, du!“

„Siehste, so gefällste mir besser! Aber hör’ mal, du könntest das, was ich hier auf den Zettel geschrieben habe, einkaufen gehn ... natürlich, für das arme kleine Tierchen! ... ich versteh’ mich doch auf sowas nicht besonders ... Hier haste Geld und halte dich nich auf! ’s is Medizin dabei, die sie dringend braucht!“

„Du barmherziger Samariter! ... Und was kriege ich dafür?“

„Einen Lobstrich im Himmel! Eigensüchtige Person du! Aber wenn du lieb bist, führ’ ich dich mal wieder in die Oper!“

„Au ja, fein!“ Sie stand an der Tür und hielt ihm den frischen Mund hin, den er gern küsste, dann ging er ins Nebenzimmer, wo er schlief.

In seinem grossen Bett lag Hella Eichholz. Ihre Brust rasselte, die geschlossenen Augen waren wie mit schwarzer Schminke umzogen, und zwischen den fieberroten Wangen stach die Nase hart und spitz hervor. Der kleine Mund darunter stiess zwischen feinen, trockenen, rissigen Lippen den Atem kurz und keuchend aus. Im Fiebersturm hatte sie sich das Hemd zerrissen, nun deckte ein Batisttuch den kindlichen Busen, der es eilig hob und senkte.

Mit tiefem Mitgefühl betrachtete Martin Deinhardt die Kranke. Er begriff jetzt nicht mehr, dass er auch nur einen Moment daran gedacht hatte, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Zum Tisch ging er hin, um wieder eine Kompresse auf die brennende Stirn des Mädchens zu legen. Und dabei fiel sein Blick auf das einfache Handtäschchen, das gestern abend im Kabarett vergessen worden wäre, wenn es nicht der Student mitgenommen hätte.

Martin Deinhardt besass eine für seinen Beruf nur sehr bedingt förderliche Eigenschaft: er war diskret. Die Neugier, die gerade dem Zeitungsmann oft seine besten Erfolge verschafft, ging ihm total ab, ja neugierige, zudringliche und taktlose Leute waren ihm im tiefsten Grunde zuwider. So sah er die billige Tasche aus imitiertem Krokodilleder an, wie etwas, das keinerlei Aufmerksamkeit verdient, was einem nicht gehört und das man daher nicht beachtet. Aber auf einmal kam ihm der Gedanke: sie könnte doch Eltern haben, Verwandte, die sich vielleicht ängstigten um sie, die sie suchten! Denen sie wegen irgendeiner Läpperei, die nur in einem Mädchenkopf bedeutsam aussah, davongelaufen war! ... War es nicht seine Pflicht, sich über ihre Herkunft zu vergewissern? Wie hiess sie denn? Wer war sie? Er hätte am Ende gar kein Recht, sie hier zu behalten! Und er nahm mit einem peinlichen und unbequemen Empfinden die Tasche vom Tisch, wog sie, die so leicht war, in der Hand und legte sie schliesslich wieder hin, noch immer unentschlossen und ohne den Mut, den Bügel zu öffnen. —

Dabei fiel ihm Tessi ein, die gleich wiederkommen musste mit ihrem Einkauf. Ein Nachthemd war dabei, das sie ihrer leidenden Mitschwester anziehen würde. Bei der Gelegenheit würde sie natürlich gleich die Tasche bemerken, und sie würde nicht einen Augenblick zögern, den Inhalt zu untersuchen. Wie’s bei Tessi Sommer mit der Diskretion aussah, darüber war sich der Journalist nicht so klar, im allgemeinen pflegen die Frauen von der Bühne keine Bücher mit sieben Siegeln zu sein ... Also ... schien’s ihm doch richtiger, er öffnete die Handtasche. Wenn wirklich ein Geheimnis sich hinter dem abgegriffenen Leder verbarg, so war es bei ihm sicher aufgehoben.

Er schob den Mittelriegel zurück und schüttete, was darin war, auf die Tischdecke. Heraus fiel ein kleines, gesticktes Taschentuch, ein Portemonnaie mit drei Lockennadeln Inhalt, ein Schlüssel, eine Nagelfeile und ein Kuvert, das nicht verklebt war. In diesem war ein Zeugnis für Fräulein Hella Eichholz, das als Gesellschafterin vom 1. Juli 1922 bis 1. Oktober 1923 in einer Kaufmannsfamilie im Westen in Stellung gewesen war — das war sie, die jetzt dort im Bett um ihr Leben rang. Und ausserdem — Martin Deinhardt hielt das kleine, mit Vordruck versehene Stück Papier ganz entsetzt lange in seiner Hand — ein Entlassungsschein aus dem Moabiter Untersuchungsgefängnis.

Es stand da gar nichts weiter, als dass die ledige Hella Eichholz, neunzehn Jahre alt, aus Neuenburg in der Mark gebürtig, vom 15. November an in Untersuchungshaft gesessen hatte und am 16. Januar, also vorgestern, entlassen worden war. Weshalb man sie eingesteckt, weswegen sie alsdann freigekommen war, von alledem verriet der karge Zettel nichts. Aber doch schien dem Manne, der erschüttert das Papier noch immer in der Hand hielt, ein furchtbares Geschick aus diesen toten Buchstaben emporzusteigen — eine solche Last von Leid und Schmerzen sich daraus zu erheben, dass es ihn schier unfassbar dünkte, wie ein so zartes Wesen sie hatte tragen können .. Freilich, sie war ja auch darunter zusammengebrochen, Seele und Leib zur gleichen Stunde.

Martin Deinhardt sah die Kranke an, deren bleiche Hände sich bebend auf dem weissen Laken bewegten, und Tränen traten in seine Augen. Aber er wischte sie rasch fort ... Was konnte er wissen? Sie konnte ja ihr Weh selbst verschuldet haben .. war vielleicht seines Mitempfindens gar nicht wert ..

Nein! er schüttelte energisch den Kopf, nein! Das arme Kind, das da in seinem Bett vielleicht sterben würde, hatte nichts getan, solchen Jammer zu verdienen! Er irrte sich nicht! Er sah durch das Gesicht hindurch, tief hinein in eine reine Seele.

Es klopfte da draussen. Tessi.

Rasch schob er den verhängnisvollen Zettel in seine Brieftasche und ging hinaus. Die Blonde kam herein, mit ihrem lebhaften Temperament nun schon ganz in der Rolle der Pflegerin und barmherzigen Schwester. Und sie bekam es fertig, die Kranke in frisches Linnen zu hüllen, ihr Arznei und selbst ein wenig Limonade einzuflössen. Dabei sah sie Deinhardt an, er merkte wohl, wieviel lieber sie ihn gepflegt haben würde.

Er lachte, klopfte ihr die Wange und sagte:

„Du bist ein Prachtmädel Tessi! Der Mann, der dich mal heiratet, wird’s gut haben!“

Die flammende Nacht

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