Читать книгу Die flammende Nacht - Hans Hyan - Страница 9
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ОглавлениеEine dunkle unheimliche Gegend, in die nur die hochoben vorbeigleitenden Züge flackernde Helle werfen.
Die drei Herren aus dem zweiten Wagen standen schon vor dem Hause. Aber Trassner hatte — absichtlich oder nicht — eine falsche Adresse gegeben. Man musste noch um die Ecke in die Querstrasse. Da war ein schmaler Laden mit matt erhelltem Schaufenster, auf das chinesische Schriftzeichen gemalt waren.
Liarrpe, ein kleiner, etwas verwachsener Chinese im langen, seidegestickten Rock, der nicht sauber war, begrüsste die Eintretenden mit der übertriebenen Höflichkeit, die seiner Rasse eigen. Seine Verbeugungen und gemurmelten Worte geleiteten die Herren durch den schmalen, fast leeren Laden in eine mässig grosse Hinterstube, wo kleine, niedliche Chinesenmädchen, fast noch Kinder, Tee servierten. Das heisst, sie boten auf Lackbrettern Tassen aus sehr durchsichtigem Porzellan und kleine braune Kannen mit Drachenemblemen, voll kochenden Wassers. Den Tee nahm der Besucher mit der Silberzange aus der Steinbüchse und bereitete das Getränk, das herrlich duftete, selbst in seiner Tasse. Dazu gab es eine Art von Konfekt, das fettig und zäh war, auch kleine, verschieden geformte Kuchen. Man sass auf ganz niederen Sitzen, die strohgeflochten und, wie alles andere, nicht sehr neu waren. Ein paar gestickte Lappen an den Wänden, eine kleine Porzellanpagode in der Ecke, ganz winzige, wie Hocker geformte Bambustischchen und die ziemlich dicken Rohrmatten auf den Dielen. All das in dem ungewissen Dämmer gelber, grüner und roter Lampions von bizarrer Form.
Es sassen schon etwa zwanzig Personen im Raum, als die sechs Herren hinzukamen. Nun war es fast zu voll. Der Dampf der wie kleine Blechkästen ausschauenden Wasserpfeifen wallte über den Köpfen unter der nicht hohen Zimmerdecke.
Die kleinen Chinesinnen in ihren hellen, mit Blumen und Gold bestickten Röcken, das glattanliegende, dunkle Haar mit Blüten, mit Zierrat besteckt, der aus dem blauschillernden Gefieder des Eisvogels geklebt war — die kleinen, anmutigen Geschöpfe gingen zwischen den Männern umher, voller Artigkeit und so dienstwillig, dass sie selbst das recht zudringliche Verhalten mancher Gäste nicht zu stören schien. Auf Männerknie gezogen, blieben sie einen Moment ruhig sitzen und baten lächelnd mit bittenden Gebärden um ihre Freiheit. Einmal musste Liarrpe intervenieren, doch auch da klang die Abwehr der kleinen Schlitzäugigen mehr wie ein erschrecktes Vogelzwitschern.
Nun tönten leichte Gongschläge — die Vorstellung begann. Der Chinese lief hin und her, die Lichter erloschen, und es verschwanden die kleinen Mädchen.
Dann ging an der Stirnwand des Raumes ein vorher kaum bemerkter Vorhang voneinander, und zu gleicher Zeit hörte man das Surren der Vorführungsmaschine — ein Kino also, ein chinesischer Film!
„Schade, ich hätte mir was anderes gedacht“, sagte Herr v. Sterkow; doch der eine der beiden Schlepper, der hinter ihm sass, meinte:
„Warten Sie man, das ist bloss das Vorspiel, das dicke Ende kommt nach!“
Wie von einer peinlichen Hand berührt, schob sich der Oberkörper des Kavaliers nach vorn, aus der Atmosphäre des Herrn Trassner.
Inzwischen rollte das Filmband:
Der „blaue Fluss“, der Jangtse mit seinen Wasserhäusern und Wohnschiffen, den Dschunken und dem Gewimmel der zopfigen Bewohner. Da war eine Bucht hinter Rohr und Dickicht. Das Boot eines Mandarinen, am Ehrenschirm kenntlich, flog flink in die schmale Schilfstrasse hinein. Nun kam die glimmernde Fläche eines Teichs oder Binnenwassers mit grossen, weissen Enten darauf und Söhnen des Himmels, die am Landungssteg eines grossen Kahns Wäsche schlugen und spülten. Der Mandarin sah sie nicht; sie, die Kulis, machten auf der schmalen Holzborde ihren Kotau.
Das grosse Boot, an dessen Heck die Schiffer des Mandarin soeben anlegten, war buntbemalt: das immer wiederkehrende Drachenmotiv wechselte mit seltsamen Vögeln und Menschengesichtern zwischen Blumen, die wie Tiere blickten und schnappten. Dazwischen erotische Szenen von nicht zu schildernder Deutlichkeit: ein Flowerboot! Eins jener merkwürdigen Freudenhäuser Chinas, die etwa den Teehäusern der Japaner entsprechen, aber an erotomanischen Exaltationen und Liebeskult alles, was da sonst auf der Welt existiert, mit echt chinesischer Nonchalance hinter sich lassen.
Drei kleine, blumige Mädchen, in den Händen triangelartige Schlaginstrumente, die wie schrille Glocken tönen, traten aus dem Rachen des feuerspeienden Wurmes, der die Pforte malte. Und der Mandarin, noch ein junger Mann, zog mit ihnen in das Haus der Lust.
Und nun kam die Bühne auf der Bühne. Fast ebensolch ein Gemach wie das, in dem der ehrenwerte Liarrpe seine „von den Göttern geleiteten“ Gäste mit Sensationen pfefferte, zeigte der Film. Die Schmalwand des Filmgemaches ging als Vorhang voneinander, und es erschien ein Paravent aus schwarzem Stoff — ganz ähnlich dem, vor welchem Hans v. Hohenhausen sass mit seinen Begleitern. In der Mitte des Stoffes stand der Helle Lichtbildfänger im Bildrahmen — — — aber das Surren der Maschine hatte aufgehört, der aus Trillionen unirdisch heller Fäden gewobene Lichtkegel stand nicht mehr auf dem Bilde ... das kein Film, überhaupt kein Bild mehr war .. man sah eine Fläche wie aus gebleichter Seide, die von hinten erhellt schien. Und in dem hellen Grunde erstanden Schatten, die näher kamen, sich verdichteten und zu Figuren wurden, zu Menschen .. die sich bewegten .. tanzten.
„Schattenspiele“, flüsterte Max Levy.
„Abwarten!“ echote Trassner unangenehm deutlich.
Es waren zwei der kleinen Chinesendamen, wenigstens ähnelten sie denen, die vorhin den Mandarin in das Flowerboot geführt hatten. Sie tanzten mit einer unnachahmlich stillen Grazie, sie trippelten wie kleine Bachstelzen, und schwebten wie Sonnenfalter um einen Krieger, der mit untergeschlagenen Beinen, ehern, unbeweglich, in Stein gehauen, wie Buddha selber, in der Mitte des Bildes sass.
Und Musik erklang. Vielleicht von den Triangeln, die vorhin die drei kleinen Liebesgöttinnen gerührt hatten. Ein Klingeln, Zittern und Zwitschern war im Raum von einer bebenden, ahnungsvollen Süsse ...
Die beiden Amoretten umtanzten den Krieger, sie umgaukelten ihn und brachten ihre zarten Leiber schnell wieder fort, wenn sie einmal zu nahe seiner starren Unbeweglichkeit gekommen waren. Da, plötzlich, schnellte seine Rechte, wie der Kopf einer Anakonda, vor, er hatte das Kleid des einen Mädchens gepackt, das entsetzt fliehen wollte .. Er riss ihr das Kleid ab und sie stand hüllenlos mit vor die Augen gehobenen Händen .. Dann tanzte sie weiter. Und ihrem Schwesterchen geschah ein paar Sekunden später das gleiche.
Aber die kleinen Chinesinnen waren — man sah und fühlte es — einem schrecklichen Zauber verfallen! Sie konnten nicht fort! Der waffengeschmückte Mann bannte sie mit den Ketten seiner Kraft, seines Mutes und seiner eisernen Willensstärke .. Sie tanzten und tanzten ..
Und wie vom Unheil selber emporgerissen, stand er auf seinen Füssen! Nun geschah Schreckliches! Die Tänzerinnen, in den Boden gewurzelt vor Angst und Grauen, schwankten, drehten und wanden sich, wie Blumen, die der Sturm schüttelt.
Da ergriff er die eine! Seine Waffen klirrten zu Boden, er packte das arme Kind und drehte sich mit ihr in rasendem Wirbel.
Die Figuren auf dem gelblichen, matterhellten Prospekt waren nur wie Puppen gross. Doch der Eindruck war der vollentwickelter, lebender Menschen. Und ob es nur Schatten waren, die man erblickte — man stand unter der grässlichen Illusion, die Gesichter zu sehen und die Körper in jeder Nuance und jeder Muskel zu fühlen, als jetzt der entfesselte Mann das kleine Weib in seinen Armen verdarb und erwürgte. .. Ja, das Geschrei, das schauervolle Röcheln und Wimmern der Vergehenden kam wie aus der Ferne deutlich von der gelben Fläche her, die dann in Finsternis fiel und nicht mehr da war.
Die seidenen Lampen an der Seite brannten wieder. Liarrpe war vorn bei dem Blendrahmen und entzündete ihn schnell mit einer Kerze. Der dünne Stoff verbrannte mit einem unbekannten Duft in heller Lohe. Man sah hindurch durch den Rahmen in einen schmalen leeren Raum, den ein Lampion erhellte.