Читать книгу Die flammende Nacht - Hans Hyan - Страница 4
2
ОглавлениеMan mag sich noch so oft im Küssen üben
Und in der Lieb’ verwechseln mein und dein
Nur einen einzigen kann man wirklich lieben
Und nur mit einem kann man glücklich sein!“
Die grosse Blonde, die den Refrain des Gassenhauers mit Inbrunst sang, stieg rasch, vom Conferencier bei der Hand genommen, die Stufen des Podiums hinab und musste durch den vollen Saal hindurch, um hinter der Klapptür zu verschwinden. Erst vom kleinen Gang aus ging’s in die im Keller gelegene Garderobe.
Der Kabarettraum war, wie ein Stall, zu ebener Erde gelegen. Ein alter Tanzsaal, in dem ehemals die Bäckergilde ihre Bälle abhielt. Dann ein Berliner „Schwoof“ übelster Sorte und nun — seltsamer Phönix! — das Kabarett „Zur schmetternden Lerche“.
Martin Deinhardt, der in der Elsässer Strasse wohnte, kam als Nachbar manchmal hierher und kannte alle Künstler. Als Journalist besass er genug Schwung, ein sangbares Lied und hier und da auch ein Couplet zu schmieden. Verschiedenes wurde hier von ihm gesungen. Auch das Walzerlied, das Tessi Sommer — die Blonde, die ihm nicht ganz fern stand — noch eben mit vielem Beifall und mit einer mehr kräftigen als melodischen Stimme gegeben hatte.
Sie war bei ihm stehengeblieben und hatte mit den Augen neugierig zu Hella Eichholz hingewinkt. Als aber der Journalist abweisend den Kopf schüttelte, hatte sie den blonden Haarknoten etwas energisch nach hinten geschoben und war grusslos gegangen. Ihr blaues Seidenkleid, das eng anschliessend und rechts geschlitzt, das vollkräftige Bein freigab, flog glänzend in dem Licht der grossen Deckenlampen, die eben wieder erloschen.
Der Scheinwerfer flirrte über die winzige Bühne und das darunter sitzende Orchestertrio. Dann war der Conferencier oben und schleuderte politische Bonmots ins Parterre, die nicht von allen dort unten begriffen wurden. Er empfahl sich mit dem Bemerken, dass er nicht zu seinem Vergnügen, sondern nur, das Publikum zu erfreuen, hier wäre.
Er werde dafür bezahlt, während die Herrschaften ihr mehr oder minder sauer erworbenes Geld dafür hingäben — eine Tatsache, die er in all den Jahren seiner Kabarettätigkeit nie habe begreifen können .. Und nun, da er die hier offenbar gewünschte Note schon aus reinen Geschlechtsgründen nicht treffen könne, wolle er die grössten Kanonen der „schmetternden Lerche“ ins Feuer schicken, in der sicheren Gewissheit, dass sich auch jetzt wieder der alte Satz bewähren würde: „Je weniger eine Frau anzieht, desto mehr zieht sie an!“
Dann formte er die Hände wie zum Fanfarenstoss vor seinem Munde und schmetterte den Namen der nächsten Programmnummer in den Saal:
„Lala Rokhs Nacktballett!“
Aber die Toilette der Lala-Damen schien noch nicht beendet. Die Lampen, schon im Erlöschen, brannten wieder hoch, und die Musik intonierte einen neuen Shimmy. Das Publikum plauderte gedämpft, nur die Stimme eines Halbtrunkenen und das Geschirrklappern am Büfett waren störend laut.
Martin Deinhardt kannte das alles. Er sah auf seine Dame, die mit gesenktem Kopf neben ihm in der kleinen Weinnische sass. Er bemerkte jetzt erst, wie unordentlich und zerzaust ihr das blonde Haar um die Schläfen und im Nacken hing. Der runde, tiefkrempige Hut aus verblichenem Samt von dunkler Farbe liess nur ein Stückchen ihrer zarten Wange und die ein wenig zu starke Nase sehen. Und auf einmal däuchte ihn dieses Geschöpf unendlich reizlos; er wusste gar nicht, wie er es fertig bekommen hatte, sich derart für sie zu interessieren.
Was wollte er denn? Ein Abenteuer? Doch gewiss nicht! So einen verhungerten Sperling steckt man nicht in seinen Käfig, wenn man hundert bunte Singvögel haben kann. Etwa den Heiland en petit pied spielen? Lächerlich! Er hatte wahrlich das Zeug nicht dazu! Da gab’s doch nur eins: Den schmalen Kassenstand mal bis zur Neige erschöpfen und der armen Kleinen einen Obolus ins ungewaschene Händchen drücken, das wohl nur deshalb nicht aus dem verknitterten Lederhandschuh heraus wollte. Dann war er die Geschichte mit gutem Gewissen los und konnte sich beruhigt in sein keusches Bett legen. Und er setzte schon an, um seinen Sermon schicklich einzuleiten, als sie mit ihren grauen Strahlenaugen aufblickte. Da gab’s ihm einen Stich — aus solchen Sternen sehen die Menschen, die schon am andern Ufer stehen, herüber.
Sie sagte leise:
„Ich habe mich nun ein bisschen aufgewärmt und ... und ... ich ...“ Das Sprechen wurde ihr sichtlich nicht leicht, „Sie sind so gut gewesen zu mir ...“ Ihre Kraft schien schon zu Ende, der Kopf sank wieder auf den zarten Busen, der schwach atmete unter der schwarzen Seidenbluse, die man jetzt zwischen dem geöffneten Mantel sah.
Dem Journalisten griffen abermals Rührung und Mitleid ans Herz. Aber er wehrte sich dagegen, er wollte sich nicht in solch niedergehendes Schicksal verstricken lassen, er wollte hart sein und er selbst bleiben. Was sah denn schliesslich auch bei der ganzen Geschichte heraus? — Er nahm sie mit zu sich nach Haus — sie spielte vielleicht eine Zeit die Spröde, gab sich dann, wie sich noch alle gegeben hatten — und das Ende vom Lied war ein Verhältnis, das viel Geld kostete und das zuletzt an Langeweile und Überdruss starb. Nein, dazu gefiel sie ihm nicht genug! Sein Appetit auf diesen kleinen Friedhofsengel war zu gering, als dass er sich soweit engagieren wollte! Das gedachte er ihr zu sagen. Und da er den Mund öffnete, blickte sie ihn von neuem an und flüsterte fast:
„Ich möchte jetzt gehen.“
„Warum. Wo wollen Sie hin? Sie können doch nicht die Nacht auf der Strasse bleiben!“
Ihr Köpfchen fiel unter seiner harten Stimme noch tiefer, und ihre feinen Schultern zitterten. Sie wollte aufstehen. Er fasste ihre Hand und zog sie wieder auf den Sitz.
„Warten Sie ein bisschen .. ich gehe mal rasch runter in die Garderobe .. ein paar von den Mädels, die hier auftreten, kenn’ ich nämlich. Das sind lauter gutmütige Dinger, da gibt Ihnen die eine oder die andere gewiss für ein paar Tage Obdach.“
Sie schüttelte ängstlich den Kopf, aber sie sprach kein Wort.
Er stand auf:
„Ich komme gleich wieder.“
Und ging. Ging durch den sich eben verdunkelnden Saal, begegnete auf dem Gange den vier Lala-Damen, die noch ihre nicht eben kostbaren Strassenmäntel um den entblössten Körper zusammenhielten. Denn auf dem Gange war’s kalt. Die armen Dinger, die hier für ein paar Pfennig nackt herumhüpften, wurden den Husten gar nicht los. Dabei kicherten sie aber und hatten sicherlich irgendeine Liebesangelegenheit beim Schopf. Die eine stiess den Journalisten absichtlich an und sagte:
„Du Elender verrätst mich schon wieder!“
Er lachte und verschwand hinter der Tür, die ins Souterrain führte. Unten musste er an der Küche, wo’s nach verbranntem Fett roch, vorüber, durch die Heizung. Dann ging er, nur der Form wegen anklopfend, ins Garderobenzimmer. Es gab nur das eine. Ein mässig grosser Raum, von einem kleinen Kanonenofen, der rauchte, ziemlich warm; darin etliche Gartentische und Stühle und auf den Tischen die Schminkkästen und Spiegelchen der Artisten. Das war alles ... Ja, an den Wänden hingen noch, von alten Lappen gegen das Verstauben geschützt, die Kostüme, das wahrhaft einzige Besitztum dieser armen und so fröhlichen Menschen.
Das Tänzerpaar „Illa-Dilla“ zog sich gerade zur nächsten Nummer um. Sie mimte eine Bajadere, eine in Schleier gehüllte Tempeldirne vom Ganges, die den Gott ihrer Liebe und Gebete, den grossen Krischna, umschwebt. Und dieser Gott war ein früherer Reitknecht mit hartgeschnittenen Zügen und sehnig bemuskelten Gliedern. Er selbst sass, beim Tanz vom Scheinwerfer blaubeleuchtet, mit untergeschlagenen Beinen auf dem Podium, in einem mit Messingplättchen benähten, glitzernden Mantel, vor dem brutalen Gesicht eine Maske, in deren Augen kleine Glühbirnen leuchteten. Sie, eine aus dem Elternhause entlaufene Adlige, liebte die harten Männer und das Vagabundenleben. Sie trug eine Perlenkette um den bis zum Nabel enthüllten Leib, deren Wert eine Lebensrente darstellte, aber sie hungerte mit ihrem Stallgefährten, wenn es kein Engagement gab und nahm geduldig, vielleicht gar brünstig, seine harte Faust hin, die manche Nacht die Karten auf den Tisch schlug, ohne an morgen zu denken.
Deinhardt unterhielt sich mit dem Humoristen. Der lag halb, halb sass er in seinem Frack, dünn, wie eine schräg stehende Zaunlatte, auf dem Stuhl und lutschte an seiner ausgegangenen Zigarre:
„Du musst dir darauf nichts einbilden, Martin, wenn ich hier mit dir so leutselig spreche .. is mir ja nich an der Wiege gesungen worden. Mein Vater ...“
„Ich weiss, Walter, dein Vater war Photograph!“
„Xylo .. Xylo! .. Xylograph war er! Aber ihr lernt das nicht .. ich kann’s noch oft sagen! .. Sieh mal, Martin, darum sage ich’s dir doch! Xylograph war mein Vater, sage ich dir! Aber du bleibst bei Photo! .. Dann brauch’ ich’s dir doch gar nicht erst zu sagen! .. Warum sage ich’s dir denn? Sage mal so ’ne halbe Stunde hintereinander: Xylo! Xylo! Xylo! .. ’ne halbe Stunde ununterbrochen, vastehste? .. Ich wer’ solange raufgehn un’n Schnaps trinken!“
Und er ging mit seinen dünnen Beinen, die die engen schwarzen Hosenrohre nicht füllen konnten, steif und hölzern zur Tür, dabei die Frackschösse mit den Händen höchst unanständig lüftend.
Indem kamen zwei der Lalamädchen, soeben mit ihrer Pièce fertig, rasch herein. Effi, sechzehn Jahre alt, und Bella, auch kaum siebzehn:
„Sie hat mich wieder mit dem Schwert gestossen, das Heupferd, die Pauline! .. Nächstes Mal hau’ ich wieder! .. Jedesmal macht sie das bei dem Gladiatorentanz, die alte Kuh! .. Und ich sage dir, Bella, sie tut’s absichtlich! .. Komm, Martin, schnür mir die Sandalen auf!“
Der Journalist liess sich’s nicht zweimal sagen. Das Mädchen hatte Beine wie eine Elfe, ihr ganzer Leib war ein Gedicht, das sie übrigens bereitwillig zum besten gab. Sie, wie ihre kleine Kollegin, warfen die roten Satinröckchen fort, und so standen sie nackt und knospenhaft.
Es klopfte. Martin ging zur Tür, machte sie einen Spalt weit auf, der Kellner stand draussen:
„Ach, Herr Deinhardt, das Fräulein da oben ..“
„Na, was ist denn?“
„Die, mit der Sie hergekommen sind ..“
„Was ist denn mit ihr?“ Martin Deinhardt war wütend, dass ihn dies dumme Abenteuer nicht losliess. Gleichzeitig fiel ihm ein, dass er der Armen da oben im Saal ein Obdach hatte verschaffen wollen. Und weil er’s vergessen hatte, ward er noch ärgerlicher. So wurde es ihm nicht gleich bewusst, was der Kellner sagte:
„Sie ist ohnmächtig geworden, Herr Deinhardt!“
Doch dann war er mit zwei Schritten auf der Treppe.
Oben im Kabarett beruhigte man sich schon wieder. Die Kranke war in den Nebenraum, eine kleine Bar, getragen worden, die selten jemand aufsuchte. Da lag sie, noch bewusstlos, in einem Ledersessel. Ein Medizinstudent hielt ihre Linke, die wie eine welke Blüte aus der Manneshand herniederhing. Da der junge Mann sah, dass Deinhardt Beziehung zu der Leidenden hatte, stellte er sich flüchtig vor.
„Es wäre gut, wenn Sie die Dame recht schnell nach Hause transportieren .. ein Wagen natürlich, laufen kann sie nicht .. ich würde mitkommen, wenn Sie gestatten, denn ich glaube, ärztliche Hilfe ist notwendig.“
Auf den Journalisten stürmten tausend Gedanken ein: Abwehr, Widerspruch, Scham, sich zu erklären, und ein Ärger sondergleichen, dass dieser Unglückswurm sich nun mit seiner Ohnmacht so fest an seinen Hals hing, dass er sie nicht mehr abschütteln konnte. Dann aber trieb sein Herz, in dessen Tiefe trotz alledem die Güte lebte, die bösen Schatten fort. Er liess ein Auto holen, nahm, stark wie er war, die schwach Atmende auf seine Arme, nachdem er sie in seinen Pelz gewickelt hatte, und trug sie mühelos hinaus. Der Mediziner folgte ihm.
Und Martin Deinhardt freute sich, wie leicht er das Mädchen trug .. Am Ende war es gar nicht so schwer, einen Menschen durch die kalte Lebensnacht ins warme Licht der Liebe zu tragen.