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In dem seideverschleierten Licht der Bar, die mit ihren dicken Plüschsofas und -sesseln roch, als sei wochenlang hier nicht gelüftet worden — Hans von Hohenhausen zog eintretend schmerzlich das Gesicht zusammen — sassen um einen kleinen, runden Tisch vier Herren. Zwei standen auf, als Hohenhausen kam, und gingen — beides verbotene Erscheinungen, denen „Hänschen“ im Abgehen einen Blick tiefsten Misstrauens nachsandte.

Er sagte denn auch sofort, ehe er sich hinsetzte, zu dem schlanken Blassen mit der übertriebenen Adlernase, dabei leicht mit dem Kopf über die Schulter winkend:

„Levy, wenn sowas mit ins Spiel kommt, dann pass’ ich! ... Das ist ja reinster Alexanderplatz, Marke Lastauto ...“

„Darum hab’ ich dich doch schon entlastet! Ich weiss doch, Hänschen, was für ’ne blanke Seele du hast!“

„Unsinn, Levy, das ist Blech! Ich bin ebenso angefressen wie ihr andern!“ Er sah wehmütig seine schönen, grossen, gepflegten Hände an: „Die waren mal sauber ...“ Mit einem Blick auf den, der in der Sofaecke sass, „und du, Battyany, du sagst gar nichts?“

Der Ungar, der, aus einem Magnatenhause stammend, in Berlin auch unter die Räder gekommen war, der drehte aus einer hervorragend schönen Emailledose eine Zigarette, zündete sie an, den Freund aus seinen grossen Neufundländeraugen schwermütig anschauend, und schüttelte den Kopf.

Levy verzog den mit einem Schnips von Schnurrbart gezierten Mund voller Ironie:

„So wer’n wir den Knaben nich in die richtige Lage bringen, nachher ... wir müssen doch ’n Programm haben! Der kommt von draussen und is hungrig wie ’n Wolf auf unsre Goldstadt. Schön gesagt, was: Goldstadt?!“

„Nehmen denn die Herren überhaupt nichts heute?“ maulte die rotblonde Lizzy, die hinter der Bar sass und (ihre Spezialität!) mit sich selber Sechsundsechzig spielte, wobei sie ihrer Behauptung nach andauernd verlor. „Auf einen vernünftigen Drink ist ja bei euch nicht zu rechnen, aber ’s macht doch ’n schlechten Eindruck.“

Levy war aufgestanden und hielt ihr den Mund zu. Sie biss ihn in den Finger.

„Das kann Hänschen tun, du Ungläubiger! Aber wenn du auch willst, wer’ ich die Kassiererin rufen!“

Die Kassendame war zweiundvierzig Jahre alt und Mutter von vier Kindern, eine brave Frau, die der Platzanweiser jeden Abend nach Hause brachte, damit sie nicht allein des Nachts durch die lasterhafte Friedrichstrasse zu gehen brauchte ... Martin Levy schüttelte sich. Dann kam er zurück auf die beiden, die bei Hohenhausens Ankunft die Bar verlassen hatten:

„Ich liebe diese Bassermänner ja auch nicht, aber ... wer treibt uns sonst die Fische ins Netz?“

„Und wer erpresst uns nachher, dass die ganze ‚Marie‘ wieder zum Teufel geht?“

„Du hast recht, Freund!“ Der Ungar drehte die hundertste Zigarette und setzte mit seiner klingend falschen Betonung der deutschen Sprache hinzu: „Waisst du, Hänschen, hob’ ich dir nicht immer gesagt, du bist ein grosser Künstler von Leben?“

„Lebenskünstler“, half Levy nach.

„Ja, aber ein sehrr schlechtes Ende nimmst du doch! ... Und du auch, Max!“

„Und du, Battyany?“

„Ich geh’ in die Pussta und werde Betyar!“

„Räuberhauptmann!“ wollte Levy übersetzen, doch Hohenhausen unterbrach:

„Also, wo treffen wir den Kavalier?“

„In der blauen Laterne, um ein Uhr .. Wirucz und Trassner.“

„Ach! schon wieder die beiden!“

„Na, sie haben ’n doch gebracht! Meinst du, sie wer’n ihn uns per Einschreibebrief hinschicken?!“

„Auf keinen Fall kommen die mit!“

„Wie du willst, Hänschen, aber wenn das man keine Pleite wird ... bei mir is verdammt Ebbe!“ Er fasste symbolisch nach der Brieftasche.

Der Ungar seufzte tief und schwer.

Hohenhausen bestellte eine Flasche Sekt und Chartreuse:

„Bitte, Lizzy, gut Eis in die Gläser ... und die Flasche im Kühler auf den Tisch. Hast du ein Stückchen Ananas? Ach, Levy, lass den Witz! Man muss nicht jeden Blödsinn, der einem einfällt, rausbringen.“

Der sehr gut angezogene, auch wirklich erzogene Spieler tat ein bisschen beleidigt. Er gab sich Mühe, mit „Hänschen“ zu rivalisieren, kopierte ihn hie und da und hing an ihm mit einer seltenen Treue.

Hohenhausen bemerkte nichts oder tat so. Er hatte sich einen silbernen Mixbecher geben lassen und mischte dreimal das duftende Getränk, das sie mit Andacht durch den Halm sogen. Da fiel ihm ein, dass Lizzy auch da sei, und mit jener Courtoisie, die jeden für ihn einnahm, entschuldigte er sich bei der Blonden, deren schönes, vom Rauch und Sturm der Lebenächte allzu früh überreiftes Gesicht einen glücklichen Ausdruck annahm. Er hob das hohe Kelchglas:

„Salute, Madonna!“

Da kam sie hinter dem Schenktisch hervor und legte ihre nackten Arme um seinen Hals, ihm die Lippen bietend. Er küsste sie zart. Max Levy grinste, und der Ungar schloss die dunklen Augen.

Dann erinnerte sich Hohenhausen seiner Dame im Kabarett und bat die Freunde, mit nach vorn zu kommen.

„Wenn man nach uns fragt, rufst du, Lizzy, ja?“

„Aber gerne!“

Tessi Sommer hatte sich zuletzt gelangweilt. In dem Sketch, der eben auf der kleinen Bühne vor sich ging, hatte sie in der Provinz selbst die Lebedame gespielt, die den Chinesen, einen hohen Mandarin, der kein Wort Deutsch versteht, in einem fragwürdigen Hotel eine Stunde unterhalten soll und die zum Schluss ermordet wird. Diese Rolle war ihr immer unsympathisch gewesen, und doch hatte ein grausamer und rätselhafter Seelendurst sie jeden Abend förmlich warten lassen auf den schrecklichen Schrei, den sie, wenn die Bühne sich verdunkelte, als Finale ausstossen musste. Nun stand eine andere Frau in demselben Bild, eine blasse, etwas hektische Zwanzigjährige, die leidenschaftlich, talentiert, mit dem sehr gut gegebenen Chinesen becherte und ihn aufzog, sich immer steigernd in ihren lasziven Ausfällen, da er sie ja doch nicht verstand. Tessi sah jetzt, wie wenig sie selbst der Figur gewachsen gewesen war, das ärgerte sie, und zu ehrlich, die Leistung der Kollegin herabzumindern, wollte sie von dem Dramolett selbst nichts mehr wissen, fand es roh und langweilig und sah doch, wie sehr das Publikum sich dadurch fesseln liess ... Als der Vorhang, die mit buntgoldenen Sternen und verschlungenen Frauenleibern bestickte Gardine zusammenhing, klatschte sie. Doch in der Zwischenmusik erhob sie sich schon, blickte nach Hohenhausen um und war drauf und dran, nach hinten zu gehen, ihn zu suchen. Als sie neben sich sagen hörte:

„Jetzt kommt die rote Rosa mit ihren Chansons!“

Die?! ... Da durfte sie nicht weg! Die musste sie hören! Tessi fiel ihr erstes Zusammentreffen mit der Berühmten ein. Sie selbst war damals noch Mannequin bei Gerson, eine von den vielen, die in schwarzen Serge gepresst, darauf warten, dass eine Kundin kam, die sich eine Abendtoilette, einen Mantel vorreiten liess ... Im Monat hundertzehn Mark Gage — pardon Gehalt! Einen ewigen Dalles — der übrigens beim Kabarett auch nicht viel anders aussah! — und einen Lebenshunger — na! Bekanntschaften machte man da allerdings auch, und die Abende waren, wenn man wollte, immer besetzt. Aber doch unbefriedigend .. langweilig .. gräulich ... Sie hätte sich auch verheiraten können, da war so’n kleiner Reisender in Putzfedern, ganz netter Junge, bloss so klein .. Wie er ihr ’n Kuss geben wollte, musste er richtig an ihr hochspringen .. Nee, das nich! So Zweizimmerwohnung, allenfalls mit ’ner Aufwartefrau, und Sonntag mal ins Kino .. und denn Kinderchen, alle Jahre eins! Tessi lachte laut. Ihr rechter Nachbar, ein Herr mit einer Hornbrille, hatte, wenn seine Gattin ihn nicht beobachtete, mehrfach eine Annäherung, einmal sogar an ihren vollen, weissen Arm versucht. Denn Tessi hatte allmählich die Slinksjacke doch ausziehen müssen. Nun lachte sie dem Unternehmenden glatt unter die Nase, so dass erst die Gattin und dann er selbst sich entrüstet seitwärts wandten.

Die Bühne war heller geworden. Vor einem Prospekt, der eine der Winkelgassen auf dem Montmartre darstellen sollte, stand Rosa Legrand. Sie trug einen braunen, kurzen Rock über hohen, gelben Stiefeln; unter einer roten Jacke sah das weisse Herrenhemd mit Stehkragen und schmalem schwarzen Schlips hervor. Ihr lockiges, brandrotes Haar war kurz geschnitten und nicht gefärbt. Aber die ganze Frau war kurz, stämmig, gedrungen, hatte breite, ausladende Hüften und einen mächtigen Busen. Ihr viereckiges Gesicht war kaum geschminkt. Vergilbt, mit knalligen Flecken auf den noch straffen Wangen. Eine aufgestülpte, witternde Nase über dem brutalen Mund und ein paar graue Augen voller Kunst und Leben. Sie sang ein Lied, das „Die Herrin der Strasse“ hiess: von einem Mädel, das verführt, entehrt, wie ein Hund fortgestossen, zur Herrin der Strasse, zum Haupt einer Bande von Zuhältern und Mördern wird und selbst tötet. Man führt sie endlich auf den Grèveplatz, wo die Guillotine wartet. Das Lied war vielleicht den Chansons rosses des Aristide Bruant nachempfunden. Wie diese Frau es brachte, wurde es gross und dichterisch. Sie schleuderte den Refrain wie eine Bombe in den rauchigen Saal:

„Mein Junge, heh! ich war dir gut! —

Die letzten Grüsse! —

Das Messer fällt! Rot spritzt mein Blut

Vor deine Füsse!“

Die Revolutionsgewinnler da unten sassen und wussten nicht, ob sie feixen oder applaudieren sollten. Erst, als Tessi wie rasend klatschte, erhob sich Beifall. Und wer weiss, ob Tessi selber so sich eingesetzt hätte, wäre nicht die rotlockige Frau dort oben es gewesen, die sie vor Jahren aus dem Modeatelier hinaufgezogen hatte auf die Bühne. Die Legrand hatte sich ein Kostüm ausgesucht. Tessi, die ihr gefiel, sollte es ihr in die Wohnung bringen. Und da sass die Schauspielerin eben am Klavier und probte. Tessi meinte keck, sie könne auch singen. So? Na, denn sollte sie doch mal! ..

Tessi sang. Einen Schlager, der eben über alle Tanzdielen ging.

„Aber Sie haben ja wirklich Stimme! .. sind begabt! Kommen Sie mal Sonntag her! .. Dann wollen wir weiter zusehn!“

Wie Schatten und Lichter gingen die Bilder noch einmal über Tessis Seele, die ihr Leben waren seitdem .. Sie hatte Glück gehabt, sie sah ja auch gut aus .. sonst .. da waren Wochen und Monate gewesen, an die sie nicht zurückdenken mochte.

Die rote Rosa sang ein anderes Lied. Aber Tessi dachte an sich, hörte kaum hin und sah sich um, nach Hans v. Hohenhausen. Und unbeherrscht, wie sie manchmal war, hätte sie fast laut gerufen:

„Martin!“

Den Gang zwischen den Tischen herauf kam der Journalist. Er nahm gleich neben Tessi Platz, die hocherfreut den Kavalier dieses Abends über Deinhardt vergass. „Konntest du denn fort?“ Sie umfing ihn ganz mit ihren blauen Augen.

„Ja, ich habe eine Pflegerin genommen.“

„Und du? ...“

„Bin solange ins Hotel gezogen.“

„In das kleine am Gendarmenmarkt?“

Er lächelte. Sie senkte einen Moment die Lider, doch gleich sah sie ihn frei an und flüsterte:

„Du weisst ja — — dass ich dich lieb habe!“ dachte sie nur.

Er schien auch glücklich, dass er sie hier getroffen. Und sie sagte ihm, mit wem sie hier war, als Hohenhausen und die beiden anderen in den Kabarettsaal traten.

„Deine Dame hat schon einen Ersatzmann gefunden, Hänschen?“

„Du hast manchmal eine so wenig angenehme Art, Levy,“ Hohenhausens Stirn bekam eine böse Falte, „wenn ich auch nicht viel von dem behalten habe, was ich war — eine Dame, die unter meinem Schutz steht, soll man gefälligst ungeschoren lassen!“

Max Levy zuckte die Achseln.

„Wenn du derartig verletzlich bist, Hans .. vielleicht is es besser, wir lassen die Geschichte heute .. und ich geh’ meiner Wege.“

„Ober nain!“ Der Ungar, der zwischen den beiden ging, legte seine Hände auf ihre Arme, „hát! Is doch ein glücklicher Zufall, liebster Freund! Du hast sie doch nich mitnehmen können, in der blaue Laterne .. Nu geht sie mit anderen!“

Max Levy verbiss sein Lachen, auch Hohenhausen wurde heiterer. Um so mehr, als er jetzt Deinhardt erkannte. Sie begrüssten sich, der Journalist wollte höflich den Platz räumen. Hänschen litt es nicht, er nutzte gleich die Gelegenheit.

„Ich möchte gehn, Tessi.“

Sie lächelte:

„Und mir gefällt es so gut hier.“ Dabei sah sie Deinhardt an.

„Aber so bleib doch noch! Darf ich das Fräulein Ihrem Schutz anvertrauen, Herr Deinhardt? Ich muss leider fort .. eine nicht aufschiebbare Verabredung.“

Oben auf dem Brettl fing ein Komiker sein Couplet an. Das erleichterte und beschleunigte die Trennung.

„Vielleicht kommen wir später nach“, meinte Deinhardt. Aber Tessi lachte so spitzbübisch, dass Max Levy, der sich schwer ein Wort verkneifen konnte, im Fortgehen leise sagte:

„Da luer man op!“

Die flammende Nacht

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