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ОглавлениеIm Kabarett „Zur roten Rosa“ gab es ein neues Programm. In der Kronenstrasse fuhren sich die Automobile und Equipagen fest, soviel Menschen wollten hinein in den Musenstall. Die Direktion, selbst eine starke Kraft für ihre kleine Bühne, mit den wilden Liedern des Aufruhrs und der revolutionären Panik, hatte einen neuen Menschen entdeckt, einen „Erleuchteten, Mystiker, Illuminaten, Schwärmer. Dichter und egozentrischen Heiland der letzten Stunde“ — so nannte er sich. Er trug eine weisse Toga und Sandalen, und wenn die Damen aus dem Westen sagten: „Sonst hat er überhaupt nichts an!“, fühlten sie sich von einem angenehmen Schauer überrieselt. Es hiess von dem Kabarett-Messias, dass er durch blosses Auflegen seiner überschlanken, weissen Hände die kranken Herzen heilen könne.
Unter diesem Namen stand er auch auf dem Programm. Eben teilte sich der grellrote Samt, dessen Trennungslinie wie vom Blitz zerrissen war, wobei ein Knall ertönte, der jeden Abend ein paar kleine hysterische Schreie auslöste. Da stand der neue Heilige in der Pose des Thorwaldsenschen Christus vor einem Prospekt, der den Ölberg nahe der Stadt der Unsterblichkeit vortäuschen sollte. Esra erhob seine weissen Arme, dass die Ärmel der Toga herabsanken, und sprach mit einer leisen, wie aus mystischen Tiefen herauftönenden Stimme:
„Ich bin gekommen, nicht um euch zu erfreuen mit eitlem Geschwätz und wollüstigen Gebärden, ihr Kinder Belials! Sehet meine Hände an,“ er spreizte die Finger mit den langen, blankgeschliffenen Nägeln, „seht ihr die Skorpione, die züngelnden Schlangen, die eure Seelen stechen und wundreissen sollen? Ein jedes Wort, das aus meinem Munde geht — zum pfeifenden Peitschenhieb muss es werden, der euren feisten Rücken geisselt!“
Jemand lachte.
Da schwoll die noch eben unterdrückte, fast klagende Stimme Esras zu wütendem Groll, er schmiss die Arme, die nackend leuchteten im Licht des Scheinwerfers, aufwärts, er schrie, er kreischte, er donnerte:
„O Satan, du geschändeter Engel! Du Sohn Baals und der Hekate! Ihr lacht über mich! Ihr höhnt den, der gesandt ist von einem, der nach ihm kommt, als letzter Warner! Verderben sollt ihr! Gott hat eure Sünden gesehen, und er erbarmte sich eurer! Sein leuchtendes Angesicht war über eurer Tollheit, und er wollte euch retten! Ihr aber habt seine Gnade von euch gestossen! Die Hölle wird euch verschlingen! Unstet und flüchtig wird euer Herz sein, und wenn eure Stunde kommt, wird keine Träne die Höllenpein eurer Hinfahrt netzen, kein sanftes Verzeihungswort wird euch trösten! Ihr werdet hinfahren in euern Sünden und verdammt sein in Ewigkeit!“
Die Stimme des Weissgekleideten war langsam ein dumpfes Murren und Brausen geworden. Das Licht der Bühne verfinsterte sich, es wich allgemach der Dämmerung, wie wenn die Nacht kommen will, und es wurde zuletzt stockfinster. Im nächsten Augenblick waren Bühne und Zuschauerraum strahlend hell — Esra verschwunden.
Das Publikum redete durcheinander: „Eine Frechheit! Unverschämtheit! Runterschiessen sollte man den Kerl! Kommt man hierher, um sich von solchem Laffen anöden zu lassen?! ...“ Ein dicker Börsianer zuckte die Achseln: „Von mir aus kann der Herr aus der Wüste reden! ... Bloss dich soll er in Frieden lassen, mein Schnuckelchen! ...“ Das schöne Mädchen an seiner Seite zuckte die Schultern, die aus der Silberfarbe des Kleides hervorwuchsen wie klare Lilien: „Er hat doch recht! Du bist auch ein Sohn Belials!“ Sie hob ihre herrlichen Arme wie vorhin der Prophet. „Du Ausgeburt des Höllensumpfes! Du Scheusal! ...“
Das Publikum brüllte, johlte und wieherte und brach in einen nicht mehr zu stopfenden Beifall aus. Dann setzte das Orchester ein mit dem Liede:
„Ach jes, we have no Bananas ...“ und gleich darauf kam Tom Kanter, ein farbiger Gentleman, auf die Bühne, der Steps tanzte und Witze ohne Pointe, dafür voll berstenden Blödsinns radebrechte:
„Tante Nebbich sein — excuse my please! nich unwohl. Die Onkel kommt herin und lacht: Deine Bauch ist Phonograph ... spielen Sie: Janky doodle! ...“ Und dann lacht Tom Kanter, seine dicke Zigarre rauchend und getrost weitersteppend wie ein besessener Buschnigger.
Während dieser Nummer betraten Tessi Sommer und Hans v. Hohenhausen das Kabarett. Tessi trug über einem weissen Wollkleid eine blendende Slinksjacke, die sie trotz aller Hitze nicht ablegte. Auf dem blonden Haupt die vorschriftsmässige Kappe aus Goldbrokat (denn sie liebte die breiten Wege, auch in der Mode) und, ein wenig seltsam, einen Maraboufächer, den sie im letzten Augenblick zu Hause aufgestöbert und daher absolut hatte mitnehmen müssen.
Was nützt es, dass „Hänschen“, wie seine Freunde den ziemlich zwei Meter hohen und dabei fabelhaft gewachsenen Gent vertraulich nannten — was nutzte es, dass der Kavalier dagegen Einspruch erhob:
„Sieh mal, Tessi, alles darfst du haben, bloss das eine nicht! Keinen Geschmack nämlich! Stell’ dir vor, ich würde heute einen Spazierstock tragen! Ich, Tessi, einen Spazierstock! hörst du?“
„Na ja, was wär’ denn da weiter?! Die Hauptsache is, dass er hübsch und elegant ist!“
Der in der Tat wundervoll angezogene junge Mann, der in seinem Eveningdress wie ein Fürst aussah, blickte die Blonde ungläubig eine Weile an. Dann schüttelte er leise den schmalen, aristokratischen Kopf, der mit dem grossen Einglas auf die Welt gekommen schien, und sagte nachsichtig, beinahe lautlos:
„Gewiss! Es gibt oder es soll ja wenigstens Männer geben, die Nachthemden tragen. Nachthemden!“ Er sprach das Wort ganz langsam, jeden Buchstaben gedehnt und voll abgründiger Verachtung, „kannst du dir das vorstellen, Tessi? Sag’ doch mal! Du kommst frühmorgens, um zwölf oder ein Uhr zu mir, und ich liege im Bett in einem — Nachthemd! Kannst du dir das vorstellen, Mädchen? Kannst du dich da überhaupt hineindenken? Ja?“
„Ja.“ Tessi Sommer sagte es hart und ungerührt.
„Dann gestattest du, dass ich mich ein wenig zurückziehe. Ich bin nicht in der Lage, mit einer Dame meinen Abend zu verbringen, die den ‚Style‘, das Höchste, das Erhabenste, das Seltenste und Köstlichste, was unser armes Leben bietet — die, sage ich, den dreimal heiligen ‚Style‘ verachtet!“
Und er wollte sich erheben.
Tessi zog ihn zurück, lachend, fast ärgerlich:
„Nu quatsch doch nicht immerzu! ... Ich versteh’ doch kein Wort! Die dumme Trutschel da oben könnte auch ihren geehrten Rand weiter aufmachen! Gross genug hat sie ’n doch!“
Auf dem Podium, das halbrund in den warm getönten Saal, der, ausgezeichnet gebaut, eine überraschende Akustik besass, stand eine sehr junge, schlanke Frau in schwarzer Seide, höchst dezent in der Erscheinung, die nicht sang, sondern sprach. Sie erzählte ihr Liebesabenteuer voller Scharm und doch mit einer schwülen Erotik, die die Hörer in heissen Bann tat. Ein glucksendes Lachen kam mal aus der rötlichen Tiefe zu ihr rauf, ein Glas klang, an das eine bebende Hand griff. Die Frau, Cena Belfast, nannte sie sich, sagte eben:
„Wir gingen die Treppe hinauf. Er hinter mir. Da kam einer die Stufen herunter. Ich wusste, das ist der Rechte! ... Und wandte mich um: Hol’ doch die Handschuhe ... ich hab’ sie auf dem Tisch liegen lassen. — Fritz ging. Und ich mit dem andern, dem Rechten ... wohin ... wohin ... ins Reich der Liebe, der Leidenschaft und des Glücks ...“
Sie wartete mit geneigtem Kopf, als höre sie noch die Glocken der grossen Feier läuten, die ihr Herz beging zu jener Stunde.
Hans v. Hohenhausen hielt diskret die mit einem Wappenring geschmückte Linke vor den Mund. Diese Frau dort oben kannte er ... Er lächelte, da Tessi ihn danach fragte. Er zuckte die Achseln:
„Frau Belfast ist sehr distinguiert. Das bin ich selbst ... ich liebe mehr Damen wie dich, Tessilein ... Frauen voll Kraft und Forsche.“
Sie sah ihn ein bisschen unsicher an, man wusste nie, ob er sich etwa mokierte. Dann bat er, einen Augenblick in die Bar gehen zu dürfen, er habe sich mit jemand verabredet — geschäftlich.
Sie drohte ihm:
„Aber bitte nur geschäftlich!“