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4.Kapitel

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Hauptkommissar Werner Meyfarth lehnte über seinem Schreibtisch aus Buchenimitat im Kommissariat des Polizeipräsidiums in Trier. Er brütete über den Akten, die sich bereits über den Mord an Achim Kottelkamp angehäuft hatten und stützte nach einer Weile seinen Kopf in beide Hände. Er ließ den Fall noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren, doch es wollte sich kein Motiv für das Verbrechen ergeben. Und Spuren am Tatort? Bisher konnte er einzig und alleine auf die Projektile der benutzen Waffe zurückgreifen, doch auch deren Auswertung bei den Ballistikern dauerte noch an. Sie würden die Geschosse mit denen anderer Tatorte vergleichen und ob sich da ein Erfolg einstellen würde, wagte Meyfarth zu bezweifeln.

Erst einmal musste er sich auf die mündliche Aussage des Zeugen Peter Sibelius verlassen und er hoffte, dass er in der formellen Zeugenvernehmung –er schaute auf die Uhr- in einer Stunde vielleicht doch mehr erfahren würde, denn dass Sibelius mehr wusste, als er ihm gesagt hatte, das war für ihn offensichtlich.

Meyfarth war ein Menschenkenner, so wie es die meisten Polizisten waren, die ihr Leben lang mit Leuten aller Gesellschaftsklassen, darunter zahlreiche Straftäter, vor denen auch die Etikette nicht Halt machte, zu tun hatte.

Er hatte Sibelius kniend bei dem Toten vorgefunden und es war durchaus nicht abwegig, dass Kottelkamp ihm noch etwas mitteilen konnte.

Meyfahrth schüttelte den Kopf, als wolle er schlechte Gedanken loswerden. Aber wahrscheinlich irrte er sich ja auch. Sibelius hatte einen Freund verloren. Sein Verhalten ihm gegenüber war verständlich. Wenn er jedoch nichts zu verbergen hatte, musste er zumindest versuchen, sich zu erinnern! Auf Meyfarths Stirn zeigten sich Sorgenfalten. Er brauchte eine Beschreibung des Täters, und das bald. Sibelius würde sich gefälligst zusammenreißen müssen und seine Erinnerungen bemühen.

Draußen brach der Abend herein und mit ihm die Dunkelheit. Die meisten Kollegen hatten die Dienststelle bereits verlassen und nur er, Oberkommissar Patrick Lichtenstein und Kommissarin Elke Kuhnert hielten noch die Stellung in der Hoffnung, weitere Erkenntnisse sammeln zu können.

Das Telefon läutete und Lichtenstein nahm das Gespräch entgegen.

„Die Ballistiker.“

Er schüttelte vielsagend den Kopf und Meyfarth wusste, dass er immer noch ganz am Anfang seiner Ermittlungen stand. Was er über Kottelkamp wusste, war, dass er Rentner war wie auch Sibelius. Kottelkamp war Angestellter beim städtischen Katasteramt gewesen und so begründete sich offensichtlich auch seine Affinität zu der Forschung in alten und staubigen Akten. Bei Sibelius sah dies schon etwas anders aus. Als ehemaliger Kantor eines überdurchschnittlichen Kirchenchorensembles und im Amt eines Küsters hatte er stets Interesse für die klerikalen Dinge gezeigt, positiver wie auch negativer Art. Es begann damit, dass er sich für die Architektur der Gotteshäuser der einzelnen Epochen interessierte, hinzu kamen die Krypten der Dome und schließlich hatten die unterirdischen Gräber in ihm eine Mystik geweckt, die ihn nach und nach in jene unsägliche Zeit führte, in welchen angebliche Hexen und Zauberer Opfer eines unmenschlichen Irrglaubens geworden waren.

Das Telefon läutete erneut. Lichtenstein gab den Hörer mit aufgerissenen Augen sofort weiter an Meyfarth.

„Am Apparat ist ein Professor Wernecke oder so ähnlich. Sagt, in seinem Haus sei ein Mord geschehen. Scheint ziemlich durcheinander zu sein.“

„Geben Sie her!“

Meyfarth riss Lichtenstein den Hörer förmlich aus der Hand und meldete sich.

„Was ist passiert?“, fragte er in den Hörer, um dann kurz dem zu lauschen, was der Mann zu sagen hatte.

„Ihr Name? Adresse?“

Schnell machte er ein paar Notizen und sprang auf.

„Mitkommen, alle beide!“, rief er, indem er schnellen Schrittes dem Ausgang zustrebte und über sein Handy die Spurensicherung informierte. Patrick Lichtenstein und Elke Kuhnert schnappten sich ihre Jacken und hatten alle Not, mit dem Tempo ihres Chefs mitzuhalten.

Das Haus des Professors lag am Ende der Stadt, eine halbe Autostunde von der Dienststelle entfernt. Schon von Weitem sah man die blauen rotierenden Lichter von Rettungsdienst und Streifenwagen.

„Verdammter Idiot!“

Lichtenstein trat mit voller Wucht auf die Bremse und Meyfarth konnte sich gerade noch am Armaturenbrett festhalten, um nicht im Fußbereich des Wagens liegen zu kommen. Hinter sich spürte er einen leichten Schlag und hörte den unterdrückten Schrei von Kommissarin Elke Kuhnert. In das Quietschen der Reifen mischte sich ein heulendes Motorengeräusch und Meyfarth sah zwar das Motorrad noch, doch den Fahrer, der nach vorne gebeugt über dem Lenker hing und eine Kopfbedeckung, ähnlich einer Wollmütze trug, konnte er nicht mehr erkennen.

„Potentieller Organspender!“, fluchte Meyfarth.

Im Rückspiegel sah er, wie seine Kollegin sich die über das Gesicht katapultierten Haare richtete und den Blick nach vorne in den Spiegel suchte, was ihr offensichtlich angesichts der Fahrweise von Lichtenstein nicht gelang.

Sie mussten den Dienstwagen ein gutes Stück vor dem Anwesen des Professors abstellen, denn die Fahrzeuge, die vor ihnen angekommen waren, blockierten die Zufahrt zum Haus des Professors.

Mit wehendem Trenchcoat schritt Meyfahrt die leichte Anhöhe hinauf und strebte dem Haus zu, seine beiden Kollegen im Schlepptau nach sich ziehend.

„Und? Wie sieht`s aus?“, fragte er einen uniformierten Kollegen, der den Tatort vor dem Haus mit Absperrband sicherte.

„Sieht aus, als wäre der Mann durch die Fensterscheibe hindurch erschossen worden“, antwortete der Beamte knapp und befestigte das Band an dem Stamm eines kleinen Baumes, der wie einige andere die Zufahrt säumte.

„Wir haben in den Tatort, also in die Wohnung, außer dem Rettungsdienst niemanden hineingelassen“, hörte Meyfarth ihn im Vorbeigehen noch sagen. Dann standen er und seine beiden Kollegen in der Wohnung des Professors.

„Gut, dass Sie kommen!“

Ein Mann, den Meyfahrt auf Mitte Vierzig schätzte, kam auf die Gruppe zu und streckte seine Hand zum Gruß aus.

Ein Mann, der sicher bei den Frauen gut ankommt, dachte Meyfarth. Groß, sportlich, braun gebrannt, die dunklen Haare wellig nach hinten gelegt und auch der Händedruckpasste zu der Erscheinung. Er war kräftig und vor allem waren die Hände trocken. Wenn Meyfarth etwas hasste, dann waren es feuchte Männerhände.

„Ich bin Professor Theodor Wernecke. Mir gehört dieses Haus. Sie sind doch von der Polizei? Natürlich sind sie von der Polizei. das sieht man doch.“

Als er den Blick Meyfarths sah, zuckte er bedauernd die Schultern.

„Ich meinte das nicht so. Aber wer sollte es sonst sein, anlässlich einer solchen Angelegenheit?“

Meyfarth ging an dem Professor vorbei zu dem toten Mann, der vor einem völlig zertrümmerten Fenster lag und betrachtete ihn lange. Dann sah er auf und gewahrte die Gruppe seiner Kollegen von der Spurensicherung, die sich anschickten, ihr Arbeitsgerät zusammenzupacken.

Sie hatten ihre Arbeit hinter sich gebracht und warteten nur darauf, den Ermittlern ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Meyfarth ließ sie nicht warten. Er sah fragend zu ihnen hinüber.

„Ein Schuss in den Rücken“, sagte der ältere der drei, während er seinen weißen Overall, der dazu diente, keine Fremdspuren am Tatort zu verteilen, auszog und zusammenfaltete.

„Großes Kaliber. Ich tippe auf eine Pumpgun, Kaliber 12/76. Der Schütze wollte sichergehen, dass das Geschoss nicht von der Glasscheibe in eine andere Richtung abgeleitet wird.“

Meyfarth nickte und ging zu dem Toten hinüber, den man inzwischen auf den Rücken gedreht hatte, doch er stockte mitten in der Bewegung.

„Das ist doch nicht möglich! Das ist doch ...“

„Sie kennen den Toten?“

Es war der Professor, der das fragte. Auch die Kollegen der Spurensicherung schauten kurz herüber, doch ihre Arbeit war getan und sie verabschiedeten sich mit einem kurzen Wink und verließen den Tatort.

„Sie sind von der Polizei?“, wurde Meyfarth jäh aus seinen Gedanken gerissen, noch bevor er auf die Frage Werneckes antworten konnte.

„Mein Name ist Dr. Templin. Ich bin der Notarzt. Viel Neues werde ich Ihnen nicht erzählen können. Es ist so, wie der Professor es sagte: Schuss in den Rücken. Der Mann war sofort tot. Auch die Todeszeit stimmt mit der überein, die der Professor angegeben hat. Ich gehe davon aus, dass der Tote in die Gerichtsmedizin gebracht wird?“

Meyfarth nickte. Seine Gedanken waren bereits wieder bei der Person des Toten. Er hatte ihn sofort erkannt. Es war Sibelius. Peter Sibelius, der Mann, dessen Freund kürzlich auf der Straße erschossen wurde, an dessen Seite er ihn kniend angetroffen hatte. Und nun lag er selbst dort. Ebenfalls erschossen, ermordet. Meyfarths Gedanken wirbelten.

„Wer hat das getan … und warum?“

Dass ein Zusammenhang zwischen den beiden Taten bestand, da war er sich nun sicher. Aber das Motiv? Auch hier, im Fall Sibelius, sah er ebenso wenig ein Motiv wie im Fall Kottelkamp. Was gab es, das er nicht wusste?

Da war etwas! Da musste etwas sein, etwas Außerordentliches. Meyfarth kniff die Augen zusammen. Professor Wernecke! Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn der Professor da nicht seine Finger im Spiel hatte, irgendwie. Nicht als Täter, nein, aber er musste etwas wissen. Warum also hatte Sibelius ihn aufgesucht? War es ein Zufall? Waren die beiden befreundet? Wenn dem so wäre, würde das seine Theorie aus den Angeln heben.

„Wo können wir uns unterhalten?“, fragte Meyfarth, an den Professor gewandt, während sich die Leichenbestatter an ihre Arbeit machten, den toten Körper in einen Zink-Sarg packten und wegbrachten, in die Gerichtsmedizin, wie es abgesprochen war. Werneckes Putzfrau würde den Rest übernehmen müssen, für ein paar Euro Aufschlag.

„Folgen Sie mir!“

Die Aufforderung war knapp und der Professor hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht und die drei Ermittler folgten ihm.

„Mein Arbeitszimmer.“

Der Professor zeigte auf die dunkelbraunen Ledersessel vor einem riesigen Glastisch, in dem sich die wuchtigen Möbel des Raumes spiegelten. „Ich kann mir vorstellen, was Sie mich fragen wollen“, sagte Wernecke, während sie Platz nahmen.

„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Glas Wein vielleicht?“

Meyfarth schüttelte den Kopf.

„Sie kannten Peter Sibelius?“

„Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen“, antwortete der Professor und fügte hinzu: „Und das letzte Mal, das ist sicher.“

„Was wollte er bei Ihnen? Sein Besuch war also keiner der üblichen Art. Wie sie sagten, kannten Sie ihn ja nicht.“

„Sibelius rief mich heute Nachmittag auf meinem Ausgrabungsfeld an, per Mobiltelefon. Er wollte mir etwas mitteilen, was seiner Meinung nach von bedeutender Wichtigkeit war.“

„Und heute Abend hat er es Ihnen mitgeteilt?“

„Nein, er wollte mir etwas sagen, doch in diesem Moment fiel der Schuss und die Fensterscheibe …“

„Sie wollen also sagen, dass Sibelius sich bei Ihnen angemeldet hatte, um Ihnen ein, sagen wir, Geheimnis anzuvertrauen, dass er den Termin eingehalten hatte und just in dem Moment, als er Ihnen dieses Geheimnis anvertrauen wollte, erschossen wurde?“

„Genauso ist es. Der Täter muss unser Gespräch mit angehört haben. Glauben Sie mir, mir liegt ebenso viel daran wie Ihnen, zu erfahren, was hier eigentlich los ist. Ich weiß nicht, was der Mann von mir wollte. Ich weiß es wirklich nicht.“

„Es muss aber etwas sein, das auch Sie betrifft. Haben Sie sich mal darüber nachgedacht, dass auch Sie in Gefahr sein könnten? Vielleicht sind Sie nach Ansicht des Täters ein Mitwisser.“

„Mitwisser? Wobei? Ich weiß nichts. Der Mord geschah, ehe der Mann mir etwas sagen konnte.“

„Dann wünsche ich Ihnen, dass der Täter das auch so sieht.“

„Wollen Sie damit sagen …?“

„Ich will Ihnen schlicht und ergreifend zu verstehen geben, dass auch Sie sich durchaus in Gefahr befinden“, sagte Meyfarth mit Nachdruck in seiner Stimme.

„Wenn Sie also etwas wissen sollten, würde ich Ihnen vorschlagen, es jetzt zu sagen. Noch sind wir in der Lage, Sie zu schützen.“

„Sie wollen mich beschützen? Wie wollen Sie das tun? Ihre Kollegin dort, vielleicht könnte sie Tag und Nacht in meiner Nähe sein.“

Wernecke lachte.

„Entschuldigen Sie, war nicht ernst gemeint … obwohl ...“

Er lächelte die Kriminalkommissarin an, die ihm mit einem eisigen Blick antwortete.

„Ich möchte Sie morgen früh auf der Dienststelle sehen!“, sagte Meyfarth und sah sich ein letztes Mal im Raum um.

„Und lassen Sie das da reparieren! Heute noch, wenn auch nur provisorisch.“

Er zeigte mit vielsagender Miene auf die glaslose Fensteröffnung und nestelte aus seiner Jackentasche ein kleines Stück Papier.

„Hier, meine Karte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich an! Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“

Das Erbe des Foltermeisters

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