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5.Kapitel

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Der Mann in Schwarz stellte sein Motorrad an der Rückseite des Klosters gegen das Gemäuer des ehrwürdigen Gebäudes und lief entlang der Längsseite zum Portal, wo er heftig läutete. Es dauerte eine Weile, bis sich der linke Flügel des schweren hölzernen Tores einen Spalt öffnete, von unsichtbarer Hand, wie es schien.

Er schlüpfte durch die Öffnung und einen kurzen Moment später fiel das wuchtige mit Eisen beschlagene Teil des Holzportals mit einem dumpfen Schlag ins Schloss, der in den überdimensionalen steinernen Räumlichkeiten gleich einem tiefen Paukenwirbel widerhallte.

„Es ist nicht gut, dass du so oft herkommst!“

Der Benediktiner-Mönch hatte sich bereits umgedreht und ging bedächtigen Schrittes voran und der Mann folgte ihm. Der Mönch hatte seine Arme in den weiten Ärmeln der schwarzen Kutte untergebracht und die übergroße Kapuze, obwohl er sich im Inneren des Klosters befand, über den Kopf gezogen, so dass der Kopf gänzlich darin verschwand und sein Gesicht nicht zu erkennen war.

„Ich möchte beichten, ehrwürdiger Vater!“, sagte der Mann in Schwarz, während er dem Mönch folgte, ohne zu wissen, wohin dessen Weg führte.

Der Mönch hielt in seinem Schritt inne und stand einen Moment regungslos da. Auch der Mann in der schwarzen Kleidung blieb stehen. Der Mönch drehte sich zu ihm herum und durch die Strahlen der Sonne, die durch das Oberlicht über dem Portal auf sie hernieder schien, war sein Gesicht klar und deutlich zu erkennen.

„Ich bin Bruder Urbanus, mein Sohn“, sagte der Mönch, doch dieser Erklärung hätte es nicht bedurft. Der Mann in Schwarz hatte ihn sofort erkannt.

Der Mönch streifte seine Kapuze nach hinten vom Kopf, so dass sie auf seinem Rücken zu liegen kam und entblößte eine Haarfrisur, wie sie in früheren Zeiten in den Klöstern üblich war. Der Geistliche hatte sich einer Tonsur unterzogen und unwillkürlich kamen dem Mann Bilder von Patres aus der Zeit des Mittelalters ins Gedächtnis.

Der Mönch war an die siebzig Jahre alt und der Mann wunderte sich darüber, wie zurückhaltend sich der Geistliche ihm gegenüber verhielt.

„Er ist einer der Urkonservativen“, dachte der Mann in Schwarz.

„Er wird mich verstehen, er wird mir helfen, mir weiterhin Unterschlupf gewähren. Er ist wie ich, ich spüre es.“

„Bruder Urbanus, welch eine Freude, Sie zu sehen. Es sind einige Wochen her …“

„Du möchtest beichten?“

Die Frage des Mönchs klang irgendwie unpersönlich. Es klang, als wüsste er Bescheid über all das, was den Mann in Schwarz betraf, was er getan hatte, wozu er fähig war und dass er es wieder tun würde, sollte es seiner Ansicht nach erforderlich werden.

„Ich kann dir die Beichte abnehmen, wieder einmal. Aber ich glaube nicht, dass ich dir die Absolution geben kann. Du bereust nicht und du lebst mit einem neuen Vorsatz, ich ahne es. Du glaubst, du kannst dich reinwaschen von deinen Sünden, wenn du beichtest. Du glaubst, dir auf diese Weise ein sauberes Gewissen verschaffen zu können. Nein, mein Sohn, so geht das nicht. Du hast den falschen Weg eingeschlagen.“

„Aber ich muss doch etwas tun! Ich tue es doch auch für euch, für alle hohen Herren. Ich bin ihr treuer Diener und ich kann es nicht zulassen, dass Eindringlinge das Haus Gottes und seiner Getreuen in den Schmutz ziehen. Ich kann es nicht zulassen und ich werde es nicht zulassen.“

„Ich werde dir deine Zelle im Dormitorium für die Nacht herrichten lassen. Du wirst also wieder einmal einige Tage hier bei uns verbringen.“

Er ist tatsächlich so konservativ, wie ich ihn immer eingeschätzt habe, dachte der Mann in Schwarz.

Er bezeichnet den Bereich der Zellen des Klosters als Dormitorium, einer nicht mehr gebräuchlichen Wortwahl für die heutige Zeit.

Der Mann in Schwarz kannte sich aus mit den Gepflogenheiten im Kloster, mit den Räumlichkeiten, mit der Tradition. Er war heute nicht zum ersten Mal hinter diesen Mauern, vielmehr fühlte er sich hier wie zu Hause. Einen großen Teil seiner Kindheit und seiner Jugend hatte er hier verbracht, als nach dem Tod seiner Mutter der Vater die Mönche gebeten hatte, ihn während seiner Arbeitszeiten für einige Stunden zu beschäftigen. Doch es war mehr daraus geworden, zum Leidwesen seines Vaters.

Der Junge hatte sich zu den Männern in den schwarzen Kutten hingezogen gefühlt und sie hatten ihn großgezogen, weit mehr, als es sein Vater getan hatte, ja hätte tun können.

Er fühlte sich ihnen verpflichtet, heute mehr denn je, wo er glaubte, dass sich eine Gefahr für diesen Ort zusammenbrauen würde.

„Wir müssen Abt Benedikt von deiner Anwesenheit in Kenntnis setzen. Ich kann dich nicht hinter diesen Mauern verstecken und deine Anwesenheit vor ihm geheim halten. Wenn er dein Hiersein nicht duldet, musst du unser Haus wieder verlassen.“

Der Mönch drehte sich um und zog seine Kapuze wieder über den Kopf und mit diesem Moment wirkte er auf den Mann in Schwarz wie einer von vielen. Seine Persönlichkeit schien von ihm abzufallen, ein wandelnder Mensch, eingehüllt in einen Umhang, der den Menschen darunter zu neutralisieren schien, schritt vor ihm durch den großen Raum, durch die Tür und durch den Arkaden-Gang und der Duft der Rosen aus dem danebengelegenen Garten stieg dem Mann in die Nase.

Doch er hatte keinen Sinn für sentimentale Ausschweife, zu sehr konzentrierte er sich auf das, was wohl der Abt sagen würde. Er würde ihn nicht des Hauses verweisen, nein, er durfte es nicht tun! Für wen tat er denn das alles? Doch nur für dieses Haus, für seinen Schutz, für den Erhalt seiner Ehre, gegen die Preisgabe eines Geheimnisses, das das Leben der Mönche grundlegend verändern würde. Er musste das verhindern.

Ich bin einer von ihnen, sagte er sich. Ich bin zwar kein Mönch, aber ich bin einer von ihnen. Ich habe mit ihnen gelebt, habe ihre Mahlzeiten geteilt, habe mit ihnen im Garten gearbeitet und ihre Gesinnung für mich vereinnahmt. Also bin ich einer von ihnen! Auch wenn es schon längere Zeit her ist, dass ich hier war.

Der Mönch durchschritt ein weiteres Tor im Innenhof des Klosters und stieg vor dem Mann in Schwarz eine breite Steintreppe hinauf und für den Mann sah es aus, als schwebe der Mönch die Stufen hinauf. Seine Füße waren unter der langen Kutte verborgen und der Saum schleifte leicht über die Kanten der Stiegen.

Dann waren sie an ihrem Ziel angekommen. Der Mönch klopfte mit den Knöcheln der rechten Hand kräftig gegen das Holz der schweren Tür und wartete keine Aufforderung zum Eintritt ab. Er öffnete die Tür und der Mann in Schwarz folgte ihm, bis sie inmitten eines geräumigen, aber kahlen Raumes standen. Einige große Ölgemälde an den Wänden, ein breiter Aktenschrank an der linken Wandseite und ein riesiger Schreibtisch aus Eichenholz, mit gedrechselten Füßen und geschwungen gearbeiteten Seitenteilen, waren das einzige Mobiliar in diesem Raum.

„Bruder Benedikt …“, hub der Mönch, der den Mann in Schwarz bis hierhergebracht hatte, an, doch der Abt unterbrach ihn.

„Du musst nichts sagen, Bruder Urbanus! Meine Augen haben ihn erkannt. Lass mich mit ihm allein!“

Bruder Urbanus verneigte sich leicht, wobei er andeutungsweise in der Hüfte einknickte, drehte sich um und verließ, mit einem letzten, ja verächtlichen Blick auf den Mann in Schwarz, den Raum.

„Warum kommst du wieder hierher?“, fragte der Abt, als Urbanus die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Warum tust du Dinge, die uns Gott verboten hat zu tun?“

„Ich kann es nicht zulassen, ehrwürdiger Vater. Ich kann nicht zulassen, dass dieses Haus in Unehre gerät.“

Der Mann in Schwarz kniete vor dem Abt nieder, nahm dessen Hand und küsste den rubinroten Ring am Mittelfinger der rechten Hand.

„Ihr müsst mich doch verstehen! Wenn nicht Ihr, wer dann?“

„Ich verstehe dich, mein Sohn. Auch ich habe große Ängste, seit du mir berichtet hast, dass man versuchen wird, in die Gemäuer des ehrwürdigen Hauses einzudringen. Aber du musst deinen Weg alleine gehen. Weder ich noch einer meiner Brüder werden dich dabei begleiten können. Ja, ich kann dich verstehen“, wiederholte der Abt.

„Doch ich kann es nicht billigen. Ich darf es nicht billigen“

„Ich werde meinen Weg alleine gehen. Es wird der richtige Weg sein. Nehmt Ihr mir die Beichte ab?“

Der Abt nickte abwesend und legte seine Hand auf den Kopf des immer noch vor ihm knienden Mannes.

„Ich habe gesündigt, Vater …“, hub der Mann in Schwarz an, doch der Abt unterbrach ihn und schlug das Kreuz über seinem Kopf.

„Ich weiß. Ego te absolvo. In nomine Patris et Filii et Spiritus Sankti. Amen. Geh und versuche deinen Weg zu finden. Ich bin sicher, es wird der richtige sein.”

Das Erbe des Foltermeisters

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