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Kap. 5 Der Rabe

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Dieser Rabe, ein scheinbar etwas weltfremder Vogel, der gerne das Bewusstsein mit der Gießkanne begoss, lebte lange Zeit ohne das Gefühl, ein Nest bauen zu wollen oder müssen. Seine Kinder hatte er nach der Art eines typischen Rabenvaters zur Selbständigkeit erzogen oder hingenommen, dass sie in ein anderes Nest verlegt wurden. So konnte er dorthin flattern, wo es ihm für sein Bewusstsein richtig erschien.

Nein, hier soll jetzt nicht über Bewusstseinsreisen erzählt werden. Ebenso wenig soll darüber sinniert werden, ob den Rabenkindern damit wirklich ein Unrecht getan worden ist, wie manche rechtgläubige Seelen immer wieder behaupteten. Auch über den nicht sehr schmeichelhaften Vorwurf, das teure Bewusstsein genau wie das Geld mit einer Gießkanne verplempert zu haben, soll hier kein einziges Wort geäußert werden. An dieser Stelle geht um den Nestbau selber.

Zoologische Vögel bauen ihre Nester meist in einer zwar nicht übermäßig ordentlichen, aber doch annähernd runden Form durch Sammeln von einzelnen Bauteilen auf einem hohen Baum, damit nicht eine Katze daherkommt und das ganze Glück zerstört. Doch wie bei allen Tieren gibt es auch bei den Raben Mutanten, die eben anders aussehen oder sich anders verhalten. Der scheinbar egozentrische Rabe, von welchem hier die Rede ist (Corvus humanis), hatte den inneren Trieb, sich ein vierdimensionales Nest bauen zu wollen.

Die vier Dimensionen standen ihm aufgrund seines Studiums zur Verfügung. Es handelte sich um drei räumliche und eine zeitliche, welche den üblichen menschlichen Ausmaßen entsprachen. Letzteres dürfte verständlich sein, weil sich die Mutation offensichtlich durch Verseuchung mit humanen Genen ergeben hatte, was auch seinen lateinischen Gattungsnamen erklärt. Dass die räumlichen Dimensionen durchaus ihren Reiz hatten, merkte er recht bald bei seinen Flügen rund um die dreidimensionale Kugel, die seine Welt darstellten. Mit dem imaginären Charakter der vierten Dimension, der zeitlichen, hatte er anfänglich noch seine Schwierigkeiten. Das lag wohl an den Realitäten der Zeit, als er flügge geworden war,- an einem eher als irreal zu bezeichnenden Erziehungssystem in einer völlig irren Zeit.

Da der Rabe also mit der vierten Dimension Probleme hatte, beschäftigte er sich verstärkt mit den anderen drei Dimensionen. Während vieler Jahre erforschte er ( man verzeihe dieses wahrscheinlich viel zu hoch gegriffene Wort!) die räumlichen Dimensionen ande­rer Länder und stieß dabei immer wieder auf ein Phänomen, dass ihn sehr beschäftigte und oft so gefangen nahm, dass er es mit der Erforschung dieser Länder regelrecht verwechselte. Es handelt sich um Kontakte mit Katzen, die doch angeblich so gefährlich für den Nestbau sein sollten.

Schnell merkte er, dass ein Großteil der Probleme mit Katzen sprachlicher Art war. Die Katzen verstan­den sein Gekrächze ausgesprochen schlecht, mochten es oft nicht einmal, und machten nur geringe Anläufe, es selber erlernen zu wollen. So beschäftigte er sich ein wenig mit Genetik und versuchte, die Gründe dafür herauszufinden. Doch schon bald hörte er von Ergebnissen in ganz anderen Forschungs­berei­chen, welche besagten, dass bei Katzen die sozialen Gene viel stärker ausgeprägt sind. Da sie außerdem hervorragende Wahrnehmungsorgane haben, vor allem gute Augen und Ohren sowie lange Schnurr­haare, sind sie Meister im Erkennen des Geruchs von Geldscheinen. Umgekehrt kann ein Rabe nur sehr schlecht mit solchen Scheinen umgehen.

Also beschäftigte er sich selber mit Katzensprachen. Diese hingen stark von der jeweiligen Gegend ab, worüber auch die scheinbare Ähnlichkeit aller Katzensprachen nicht hinweg täuschte. Denn natür­lich hatte er die verschiedenen Katzenlaute zunächst nur als Schnurren, und Knurren unterschie­den. Dieser Unterschied schien ihm ziemlich grundlegend und gefiel ihm gar nicht so sehr. Als Vogel wusste er, dass Knurren Gefahr bedeutete, auch wenn das Vögeln noch so schön zu sein und auch der Katze zu gefallen schien. So empfand er auch bei dem Schnurren immer mehr Skepsis.

Beim Erlernen der Katzensprachen stieß er wieder auf das Problem mit der Zeit. Zeit kam ihm immer mehr als etwas sehr Reales vor, was ihm davonzulaufen schien. War die Zeit einfach seine eigene Lebens­zeit, deren Länge er aus dem Internet genau kannte? Eine neue Sprache auch nur halbwegs vernünftig zu erlernen brauchte jeweils mehrere Jahre. Die ohne viel Stolz erzählte Liste seiner Sprachen wurde immer länger: Plattdeutsch, Latein, Altgriechisch, Schweizerdeutsch, Französisch, Russisch, Algol, Eng­lisch, Italienisch, Spanisch, C-Sprache, und schließlich sogar ein wenig Thailändisch, was in seinen Ohren am verführerischsten, aber auch schwierigsten klang, von bald wegen mangelndem Katzen­interesse wieder abgebrochenen Katzensprachen wie Dänisch, Ungarisch und Tschechisch ganz abgese­hen. So fühlte er, dass er damit die ihm zur Verfügung stehende reale Zeit ein wenig zu leichtfertig und nicht immer sinnvoll verwendete.

Was tun? Nachdenken über die Zeit, oder über die Sprachen, oder gänzlich aufhören, darüber nachzu­denken, was die Werbung an den Litfaßsäulen zu empfehlen schien? Nichts erwies sich als die per­fekte Lösung, so dass er wieder auf das alte, nur in Seglerkreisen gut bekannte Verfahren zurück­greifen musste, nach welchem man gegen die allgemeine Windrichtung liegende, nicht direkt ansteuerbare Ziele im Zickzackkurs zu erreichen versuchen soll.

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