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„Wir haben vor euch keine Angst“
ОглавлениеWie der Streit um eine kleine Kapelle eskalierte
Was ist denn das?“, frage ich erstaunt. „Kanonen mitten in einer Berglandschaft? Auf wen soll hier geschossen werden?“ An einem Hang direkt neben der Straße, auf der wir fahren, zähle ich sage und schreibe acht Panzer, in Reih und Glied aufgestellt. „Bloß nicht fotografieren!“, rufen meine Begleiter, als hätten sie meine Gedanken erraten.
Wir fahren ein paar hundert Meter weiter und kommen zu einem Landhaus mit direktem Blick auf die Panzerrohre, das schon bessere Tage gesehen hat. Es ist eine alte Sommerresidenz, erfahre ich. „Sie wurde um 1850 für den hiesigen Bischof gebaut. Nach 1950 fanden hier Bildungsseminare statt. Seit 2005 aber steht das Gebäude leer.“ Irgendwie, so ahne ich, muss das mit den Panzern da drüben zu tun haben. In der Tat kommen jetzt Soldaten auf uns zu, eine 30-Mann-Truppe campiert in der alten Villa. „Bloß nicht fotografieren!“, rufen meine Begleiter. Zum Glück weiß der Kommandeur Bescheid, dass wir zu einer Ortsbesichtigung kommen. Er stellt uns zwei seiner Leute an die Seite, damit wir auch wirklich keinen falschen Schritt tun.
Ich streife mit meiner Eskorte durch hohes Gras und Gebüsch. „Was ist denn das?“, entfährt es mir schon wieder. „Wer hat dieses Ungetüm gebaut?“ Gut 100 Meter hinter der zweckentfremdeten Villa ragt ein 20 Meter hoher Stahlmast in die Höhe, vier Lautsprecher sind an ihm angebracht. Die Soldaten und meine Begleiter schauen sich bedeutungsvoll an. „Das Ding steht schon seit zehn Jahren hier“, bekomme ich zu hören. „Muslime aus der Gegend haben es gebaut. Bloß nicht fotografieren!“
Ich stapfe noch ein paar hundert Meter weiter, bis zu einem Punkt an der Nordseite dieses Hügels, von dem man eine grandiose Aussicht auf das Yanouh-Tal hat. Nun steht eine mächtige, weiße, aus Kunststoff gefertigte Marienstatue vor mir. Die Gottesmutter mit dem Jesuskind blickt auf christliche Dörfer, die ihr zu Füßen liegen, Yanouh unten am Fluss, Kartaba drüben am Hang. Wenigstens von dieser Schutzpatronin darf ich eine Aufnahme machen.
„Da habt ihr ja wirklich ein tolles Ambiente“, sage ich zu den Soldaten. „Eine Bischofsresidenz, eine Marienfigur, ein Minarett aus Stahl und die acht Panzer da drüben.“ Die Männer in Uniform nicken und prusten. Aber reden dürfen sie nicht mit mir. Plötzlich springt an dem hohen Turm ein automatisches Tonband an. Aus den vier Megafonen schnarrt die Stimme eines Imams das Mittagsgebet, und zwar so laut, dass ich mir unwillkürlich die Ohren zuhalte. Tag für Tag muss dieser Trupp der libanesischen Streitkräfte das über sich ergehen lassen, zum Glück nur drei- statt fünfmal, weil in dieser Gegend nicht Sunniten, sondern Schiiten wohnen.
Der Distrikt Jbeil, wie dieser Teil des Libanon-Gebirges heißt, war einst eine Hochburg maronitischer Christen. 14 Patriarchen haben nach dem 10. Jahrhundert hier ganzjährig residiert. Es war eine der wenigen Regionen, wo selbst in der Zeit des Bürgerkriegs, der das Land von 1975 bis 1990 verwüstete, keine Kämpfe ausbrachen. Aber der Libanon ist eben voll von Paradoxien. Genau von dem Moment an, da auf nationaler Ebene wieder so etwas wie Frieden herrschte, brach in dieser Gegend Streit zwischen Christen und Muslimen aus.