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DIE RUM-ORTHODOXEN

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Rum war die arabische Bezeichnung für Ostrom (Byzanz). Die Rum-Orthodoxe Kirche, nach dem Konzil von Chalcedon 451 entstanden, wird auch „Griechisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ genannt. Als „Buchbesitzer“ wurden Christen wie auch Juden unter islamischer Herrschaft meist respektiert, mussten jedoch eine Kopfsteuer zahlen und waren bei der Vergabe von Staatsämtern benachteiligt. Die endlosen Nahostkonflikte führten bei den Rum-Orthodoxen zu einer Abwanderung in den Westen. Ihr Oberhaupt ist seit 2012 Patriarch Yuhanna X. Er residiert in Syriens Hauptstadt Damaskus. Gottesdienste wurden bis zum 20. Jahrhundert in Griechisch und Aramäisch gehalten. Heute ist die Liturgiesprache Arabisch.


Eine Toilette voller Bücher: Die Al-Saeh-Bibliothek in Tripoli ist ein attraktives Ziel – für Freunde wie für Feinde.

„Zu mir kommen mehr Muslime als Christen“, sagt der 74-Jährige mit dem gepflegten Bart, die Brille baumelt ihm stilgerecht vor der Brust. Den Nachbarn ruft er jeden Tag ein freundliches „Salam aleikum!“ zu, der Mufti von Tripoli ist sein Freund und sogar ein salafistischer Scheich wie Salam al-Rafei hat ihm einmal ein hübsches Buch über den Islam geschenkt – als Geste des guten Willens und als Ausdruck der Anerkennung für die kulturelle Arbeit, die dieser ganz und gar unorthodoxe Priester leistet. „Viele Muslime“, sagt Sarrouj schmunzelnd, „nennen mich sogar ‚Scheich Ibrahim‘.“

Für ihn kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel, was da Anfang Januar 2014 passierte. Bashir Hazzuri, ein neu eingestellter Mitarbeiter, hatte seinen ersten Arbeitstag und machte sich mit dem Computer vertraut. Rami, dessen Kollege, war gerade Essen holen, Sarrouj saß mit Gästen draußen im Garten. Da stürmten zwei bewaffnete Turbanträger herein, die mit einem Motorrad vorgefahren waren. Waren sie hinter dem Priester her und sauer, dass sie ihn nicht fanden? Oder war es ihnen völlig egal, wen sie da vor der Flinte hatten – Hauptsache, sie konnten Schrecken verbreiten? Wie auch immer, sie feuerten in der Bibliothek eine Salve ab, Hazzuri trafen zwei Kugeln ins Bein und drei in die Brust, eine davon ging nur ganz knapp am Herz vorbei. Als Sarrouj hereinstürzte, waren die Männer schon wieder weg und der Schwerverletzte röchelte in einer Blutlache.

Ein Blitz aber kommt nie aus heiterem Himmel. Sarrouj brauchte nur noch etwas Zeit, um herauszufinden, welch dunkle Wolken sich da zusammengeballt hatten. Zwei Minister riefen ihn an und rieten ihm dringend, die Stadt zu verlassen, er solle die kommenden Nächte lieber nicht zu Hause, sondern an einem sicheren Ort verbringen, am besten in einem Kloster seiner christlichen Glaubensgemeinschaft. Am selben Tag, abends gegen neun, kamen schon wieder zwei Männer zur Bibliothek, die nichts Gutes im Schilde führten. Sie versuchten, die verschlossene Eingangstür aufzubrechen. Zwar waren nun, wegen des Überfalls, Polizisten zur Bewachung abgestellt worden, die waren aber gerade essen gegangen. Zum Glück rannten Nachbarn herbei und verscheuchten die Täter mit den Rufen: „Haut ab und lasst den Pater in Ruhe! Der hat doch niemandem etwas getan!“

Was war geschehen in Tripoli? Weshalb wurde Sarrouj zur Zielscheibe? Weil er Büchernarr war? Weil er ein christlicher Priester war? Nachts um eins traf eine SMS mit anonymem Absender auf seinem Handy ein. „Wir warnen dich!“, lautete die Nachricht. Für den nächsten Tag, nach dem Freitagsgebet, sei eine Demonstration gegen ihn geplant. Kam die SMS von Feinden oder Freunden? Nicht einmal das konnte Sarrouj in diesem Moment sagen.

Frühmorgens suchte er Ephrem Kyriakos, den rum-orthodoxen Bischof von Tripoli, auf. Der kontaktierte sunnitische Führer, zu denen er einen guten Draht hatte. Diese erzählten von einer fatwa, die irgendein Imam gegen ihn wegen Blasphemie erlassen habe. Eine fatwa ist ein Rechtsgutachten, auf das sich muslimische Gewalttäter gerne berufen, wenn sie jemanden umbringen sollen oder wollen. Was aber, so fragte sich Sarrouj, hatte er denn Böses über den Islam, den Koran, den Propheten Mohammed gesagt oder geschrieben?

Nach und nach schälte sich eine durch und durch krause Geschichte heraus. Da gab es eine Website in arabischer Sprache, betrieben von einem Mann namens Ahmed Kadi. Auf ihr habe der Priester 2010 ein Pamphlet veröffentlicht, wonach Mohammed pädophil gewesen sei. Ein junger Bote im Dienst von Scheich Ali Hashar, einem muslimischen Führer, hatte etwas in einem Copyshop von Tripoli zu erledigen, dort sah er zufällig vier ausgedruckte Seiten liegen, deren Inhalt von dieser Website stammte. Er fragte das Personal, woher sie denn diese Vorlagen hätten. Die angebliche Antwort war, Sarrouj habe das zum Zweck der Vervielfältigung hierherbringen lassen.

Was gingen den Boten diese vier Seiten an? Was brachte die Leute am Tresen dazu, ihn als den Auftraggeber von Kopien zu bezeichnen? Die Sache wurde noch abenteuerlicher. Der Bote bat darum, einen zusätzlichen Kopiersatz für ihn anzufertigen und der Copyshop kam tatsächlich seiner Bitte nach. War da ein Eiferer unter den Angestellten, der den Islam gegen Schmähungen verteidigen wollte? Der Bote nahm die Kopien mit und überreichte sie seinem Arbeitgeber. Scheich Ali gab das Material an die Polizei und den Geheimdienst weiter. War er selber ein Teil des Komplotts? Oder wollte er Schlimmeres verhindern? In jedem Fall war die Nachricht aus dem Copyshop offensichtlich auch noch zu anderen Personen vorgedrungen – wie sonst wäre es zu einer fatwa gekommen?

Als das Freitagsgebet zu Ende war, rottete sich in der Tat eine rachsüchtige Menge zusammen. Die islamischen Autoritäten, mit denen der Bischof gesprochen hatte, waren auf diesen Fall vorbereitet. Sie traten vor ihre Leute und riefen ihnen zu: „Bitte geht nach Hause! Wir haben die Sache schon geklärt. Der Priester hat sich nichts zuschulden kommen lassen.“ Die Menge schenkte ihnen offensichtlich Glauben, denn sie löste sich auf, und alles schien ein gutes Ende zu nehmen. Aber es schien eben nur so. Nachts um halb elf – die Polizisten waren schon wieder abgezogen – bekam die Al-Saeh-Bibliothek erneut Besuch. Diesmal waren es fünf Männer und daher ging alles sehr schnell. Sie schlugen mit einem Hammer das Schloss und den Sperrriegel der Eingangstür in Stücke. Dann stießen sie die Türflügel auf, leerten im Innern einen Benzinkanister aus und setzten die Flüssigkeit in Brand. Sekunden später brannten die ersten Regale lichterloh. Im Nu waren die Täter verschwunden, und als die Feuerwehr kam, waren mindestens 8.000 Werke schon den Flammen zum Opfer gefallen.

„Wissen Sie noch, was Ihre ersten Worte waren, als Sie die Nachricht erhielten?“, frage ich Sarrouj.

„Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen“, lautet seine fatalistische Antwort.

Am Tag darauf fand in Tripoli eine Demonstration gegen den Brandanschlag statt. Auf Transparenten stand, so etwas verstoße „gegen die Werte des Propheten“ und „Tripoli ist eine friedliche Stadt“. Regierungschef Nadschib Miqati, islamische Würdenträger und Vertreter der Zivilgesellschaft verurteilten das Attentat. Emad Ayoubi, der Sicherheitschef von Tripoli, erklärte auf einer Pressekonferenz: „Pater Sarrouj hat mit diesem Websitebeitrag absolut nichts zu tun.“ Scheich Salam al-Rafei ließ allerdings verlauten, bestraft werden müssten nicht die Täter, sondern der Autor der fatwa.

Eine Welle der Solidarität setzte ein. Sarrouj konnte sich kaum noch retten vor Buchspenden, die die entstandenen Lücken füllen sollten. 1.000 Bücher trafen vom Kulturministerium ein, 1.000 von der Universität Antonine, die ein maronitischer Orden betreibt, 2.500 vom christlichen General Michel Aoun, einer der wichtigsten politischen Figuren des Libanon. Zahlreiche Kisten erreichten die Bibliothek aus Frankreich und den USA.

Unter dem Motto „Kafana Santam“ („Schluss mit dem Schweigen“) lief auf Facebook eine Spendenkampagne an. Binnen weniger Wochen wurden 37.000 Dollar für die Erneuerung der Bibliothek gesammelt. Die Freude von Pater Sarrouj über diese Aktion hält sich allerdings sehr in Grenzen: „Kein Mensch weiß genau, wie viel Geld da wirklich zusammengekommen ist“, sagt er. Ja, die Aktivisten hätten neue Regale gekauft sowie einen Teil der rußgeschwärzten Wände und Decken frisch gestrichen. „Aber das hat nie und nimmer 37.000 Dollar gekostet, wahrscheinlich maximal 12.000 Dollar.

„Was ist mit dem übrigen Geld geschehen?“, frage ich.

Der Bibliotheksleiter zuckt mit den Schultern. „Ich habe bis heute keine einzige Quittung gesehen.“ Wohl aber hätten die Initiatoren sich selber zu einem üppigen Abendessen eingeladen, mit dem sie den erfolgreichen Abschluss ihrer Kampagne gefeiert hätten – in einem schicken Restaurant, das dem Vater eines der Organisatoren gehöre. Im Libanon sind die Wege des Bösen wie auch des Guten oft auf tückische Weise miteinander verschlungen.

Ein Mitarbeiter der Sicherheitsdienste habe ihm erzählt, dass schon wieder ein neues Gerücht im Umlauf sei. Hinter dem Brandanschlag stecke der Eigentümer des Gebäudes, in dem die Bibliothek untergebracht ist. Der wolle das ganze Grundstück an einen Investor verkaufen, was wegen der zentralen Lage wohl ein ziemlich einträgliches Geschäft wäre. Weil das Haus aber unter Denkmalschutz stehe, sei ein für einen Neubau erforderlicher Abriss verboten. Wenn hingegen nur noch eine Brandruine übrig sei, gebe es nichts mehr zu schützen – und daher seien an eine muslimische Gang 2.000 Dollar gezahlt worden, um den Verfall der Strukturen etwas zu beschleunigen …

Sarrouj winkt ab und wendet sich ab. Genug der Verdächtigungen und der bösen Worte. „Es ist nicht meine Aufgabe, sondern die der Regierung, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Ich bin hier, um die Leute zu lieben. Ich trage sie auf meinen Schultern.“ Neue Kundschaft ist gekommen, es sind Eltern, die Kinderbücher suchen. Die Videokamera am Eingang nimmt jetzt alle Szenen auf. Der Priester aber blickt am liebsten nie dorthin. Glücklich führt er die Besucher an den Regalen entlang. Es ist doch viel schöner, sich nur mit Büchern zu beschäftigen.

Mit Feuer und Schwert

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