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Morgens in der Koblenzer Redaktion

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„Vanessa, sei bitte nicht sauer. Ich hatte dir vorhergesagt, ich bin noch nicht bereit für eine neue Beziehung. Das hat nicht das Geringste mit dir zu tun. Ich mag dich, ganz ehrlich. Gestern Abend war es sehr schön. Erfolgreich bei der gemeinsamen Arbeit waren wir auch noch. Paffrath wird sicher mit dir zufrieden sein“, versuchte er zu beschwichtigen und endlich wieder Arbeitsbereitschaft herzustellen.

„Ich fühle mich wie ein alter abgestellter Besen. Abgestellt in deiner Besenkammer im Turm“, sagte sie mit verheulten Augen.

„Vanessa, zunächst einmal sind wir richtig gute Kollegen. Was darüber hinaus werden wird, bringt ganz einfach die Zeit. Du bist sehr attraktiv und verführerisch obendrein. Bitte sei nicht so ungeduldig. Es war eine reine Verstandesentscheidung, dass gestern nichts passieren sollte, schon aus Respekt vor dir und meiner jüngeren Vergangenheit. Ich bitte dich inständig, mir einfach noch etwas Zeit zu geben. Du bist bildhübsch und ein ganz wertvoller Mensch. Das werden dir sicher schon viele Männer gesagt haben. Du weißt es bestimmt auch selbst“, sagte er. „Lass es mal so stehen, wie es wirklich gewesen ist. Es war ein sehr schöner Abend, für mich jedenfalls“, fügte er an. „Zu schön, um durch einen Quickie zerstört zu werden.“

„Ja, für mich war der Abend auch sehr schön. Danke Leon, sei bitte nicht sauer. Bitte, bitte“, sagte sie und schaute ihn mit großen flehenden Augen an und klappte flehend die Handflächen aufeinander.

„Alles gut. Wollen wir jetzt mal so langsam an die Arbeit gehen, wir haben gar nicht mehr so lange?“, leitete er den Arbeitstag ein und beendete das Drama. „Hast du einen Verdacht nach deinem Gespräch mit Milena?“, fragte er.

„Zum Täter meinst du?“

„Ja, genau. Gab es irgendeinen Anhaltspunkt oder einen dezenten Hinweis, wo wir vielleicht weitersuchen könnten?“, fragte er.

„Sollte das nicht besser die Polizei machen? Wir sind schließlich Journalisten und sollten eigentlich nur Bericht erstatten“, stellte sie fest.

„Investigativer Journalismus ist megaspannend. Wir von der Presse haben häufig einen ganz anderen Status und werden von vielen nicht so wie die Polizei als pure Gefahr wahrgenommen. Außerdem haben wir ein ganz anderes Informationsnetzwerk als die Polizei“, erklärte Leon.

„Okay. Das ist im Sport tatsächlich ganz anders. Dort gibt es nur selten spektakuläre Erkenntnisse, die durch die Presse an die Oberfläche gebracht werden“, seufzte sie.

„Höre jetzt einmal ganz auf deine weibliche Intuition. Wo führt sie dich gerade hin? Wo könnten wir weiter recherchieren?“, fragte Leon.

„Hm, Tobi war in der Sporthalle seines Sportvereins, als er starb. Ich finde, wir sollten zuerst die Kameraden seines Sportvereins befragen. Vielleicht haben die ja eine Erklärung dafür, warum Tobi genau dort hing“, sagte sie nach kurzer Überlegung.

„Klingt sinnvoll. Gut, dann machen wir das genau so. Auch wenn noch nicht bewiesen ist, an welchem Ort er tatsächlich gestorben ist. Glaube mir, es geht nichts über ein gesundes Bauchgefühl. Vor der Pressekonferenz wird es etwas knapp. Heute ist aber Freitag. Die meisten dürften sicher früher Feierabend haben. Wir versuchen nachher den einen oder anderen ausfindig zu machen und zu interviewen“, erklärte Leon seinen Plan.

„Ich suche schon mal im Internet, auf der Vereinsseite, in den sozialen Netzwerken und nach Freunden“, kündigte sie an.

„Gut, dann rufe ich in der Zeit bei einigen Vereinsfunktionären an und frage nach Hinweisen über Vereinskameraden von Tobi. Vielleicht können wir mit Adressen und Namen bewaffnet nach der Pressekonferenz gleich durchstarten. Viel Neues erwarte ich dort ohnehin nicht.“

Gesagt, getan. Jeder machte konzentriert seinen Teil der Arbeit, bevor sie dann mit flottem Reifen und Vanessa am Steuer zur Pressekonferenz im Polizeipräsidium fuhren. Leon stellte Vanessa einige Kollegen anderer Blätter und diverser regionaler Radio- und Fernsehsender vor. Dann wurde es langsam spannend: Kriminaloberrat Unterbeck, der Polizeipräsident, die Pressesprecherin und zwei weitere unbekannte Personen betraten das Podium und nahmen dort Platz. Die ersten Minuten berichteten sie nur über die Fakten, die Vanessa und Leon bereits kannten.

„Gleich wird es spannend. Der Rechtsmediziner aus Mainz ist auch dabei. Mal sehen, ob der Obduktionsbefund etwas Neues hergibt“, flüsterte Leon Vanessa ins Ohr.

„Herr Professor Menk vom rechtsmedizinischen Institut der Universität Mainz wird uns nun die wichtigsten Erkenntnisse aus der Obduktion zusammenfassen“, kündigte die Pressesprecherin an und übergab das Wort an einen hochgewachsenen schlanken dunkelhaarigen Herrn mit Mittelscheitel.

„Ja, danke. Meine Damen und Herren, auf einige Details kann ich aus ermittlungstaktischen Gründen und nach Absprache mit der Mordkommission hier leider nicht eingehen. Zweifelsfrei handelt es sich nicht um einen Suizid, wie man aufgrund der Situation beim Auffinden vielleicht glauben könnte. Der junge Mann wurde ohne jeglichen Zweifel ermordet.“ Ein Raunen ging durch den Saal. „Der Tod trat zwar schlussendlich durch das Ersticken im Rahmen des Erhängens ein, zuvor wurde der durchtrainierte muskulöse Mann aber betäubt und dann erst durch Fremdeinwirkung erhängt. Wie die Betäubung genau durchgeführt wurde, soll hier nicht dargestellt werden, ist uns aber prinzipiell bekannt. Der Todeszeitpunkt muss etwa vier bis fünf Stunden vor dem Auffinden eingetreten sein.“ Der Professor legte seine Papiere vor sich auf das Pult und nickte der Pressesprecherin zu.

„Danke Herr Professor Menk für die Ausführungen. Gibt es bis hierhin Fragen?“ Sie schaute in die Runde. Aus wenigen Wortmeldungen wurden zunehmend mehr. „Frau Bündgen, Radio Koblenz“, sagte sie und zeigte auf eine dynamisch wirkende Dame in der ersten Reihe.

„Gibt es schon irgendeinen Verdacht zum Täter“, fragte die junge langhaarige Blondine.

„Eigentlich meinte ich Fragen zum Obduktionsbefund. Aber trotzdem kurz zu Ihrer Frage: Nein, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Die Obduktion konnte erst heute Vormittag abgeschlossen werden. Bis dahin war ein Suizid noch nicht ausgeschlossen. Sie haben gerade ganz frisch und fast zeitgleich mit uns die neuesten Erkenntnisse erfahren. Viel mehr haben auch wir noch nicht – leider. In den nächsten Stunden und Tagen werden nun konzentriert die weiteren breit angelegten Ermittlungen durchgeführt werden, nachdem jetzt eindeutig die Fremdeinwirkung bewiesen werden konnte“, führte die Pressesprecherin nichtssagend aus. „Wir werden mit Hochdruck daran arbeiten den oder die Täter zu finden“, soviel kann ich versprechen.

„Herr Walters, Koblenzer Tageskurier“, erhielt er mit einem Fingerzeig das Wort.

„Gibt es bisher Erkenntnisse, ob der Tod des jungen Mannes im weitesten Sinne etwas mit dem bekannten wohlhabenden Vater des Opfers zu tun hat?“, fragte Leon.

„Gut, wie ich sehe, sind wir bereits in der allgemeinen Fragerunde. Herr Professor Haberkorn ist ein hoch geachtetes Mitglied unserer Stadt. Natürlich hat die Familie auf die Todesnachricht sehr betroffen reagiert und war mit Rücksicht hierauf in den ersten Stunden nicht direkt vernehmungsfähig. Wir ermitteln wie immer in alle Richtungen. Es gibt aber bislang keine Erkenntnisse darüber, ob der Tod von Tobias Haberkorn irgendetwas mit der Funktion des Vaters zu tun hat, wie beispielsweise ein Racheakt oder ähnliches. Ich nehme an, ihre Frage zielte in diese Richtung, Herr Walters, da der Vater seit vielen Jahren als Arzt praktiziert“, führte Kriminaloberrat Unterbeck aus.

„Ja, genau. Danke. Führten denn die Tatsachen weiter, dass sich das Opfer sehr unter Leistungsdruck zu befinden schien und auch offensichtlich bei Gleichaltrigen nicht sehr beliebt war?“, schob er als Fragen nach.

„Bitte jeder erst einmal nur eine Frage, damit alle eine Chance haben und wir zügig durchkommen, Herr Walters. Nein, um die Frage dennoch zu beantworten. So weit sind wir noch nicht. Wir sind erst ganz am Anfang“, antwortete der Kriminaloberrat trotzdem.

Der Rest der Pressekonferenz brachte wie erwartet keine wirklich neuen Informationen. Sie führten noch ein wenig Smalltalk mit einigen Kollegen und gingen dann zügig zu ihrem Wagen.

„Wohin fahren wir jetzt?“, fragte Vanessa und schaute Leon mit großen fragenden Augen an.

„Wir sind noch recht früh dran. Viele werden jetzt sicher noch auf der Arbeit, an der Uni oder unterwegs nach Hause sein. Ich habe heute früh im Büro einen Termin mit Tobis Trainer vereinbart. Er ist Sportlehrer an der Schule, zu der die Turnhalle gehört. Lass uns dorthin fahren. Er hat mir versprochen, wir können jederzeit bis Schulschluss vorbeikommen“, führte er aus, um sie auf den neuesten Stand zu bringen.

„Alle Mann anschnallen. Wir starten“, witzelte Vanessa.

Nach wenigen Minuten parkten sie vor der Turnhalle und begaben sich zum Eingang.

Tobis Trainer ließ die Klasse Volleyball spielen. Es dürfte von Alter und Größe her eine der Abschlussklassen der Realschule gewesen sein.

„Herr Stadtmüller?“, fragte Leon.

„Ja? Leute, ihr kommt jetzt mal einen Moment ohne mich klar. Sven, du übernimmst die Schiedsrichterfunktion bis ich zurück bin.“ Er übergab eine Trillerpfeife, indem er sie einem jungen Mann salopp zuwarf und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und ging auf Leon und Vanessa zu.

„Darf ich vorstellen, meine Kollegin Vanessa Herzsprung, eigentlich hauptamtlich in der Sportredaktion. Sie werden sicher früher oder später noch miteinander zu tun bekommen“, erklärte Leon und deutete mit der rechten Hand auf Vanessa.

„Ah, das freut mich besonders. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er, nachdem er beiden die Hand geschüttelt hatte.

„Wir berichten über Tobi Haberkorn und suchen nach weiteren Hinweisen. Alles kann wichtig sein. Was war er für ein Mensch? Hatte er Feinde? Gab es enge Freunde?“, fragte Leon für den Anfang.

Bernhard Stadtmüller warf einen kurzen Blick auf den Basketballkorb, an dem Tobi gefunden wurde. „Schlimm, schlimm. Ausgerechnet hier in der Halle am Basketballkorb. Und das Leben hier geht einfach so weiter, als wäre nie etwas passiert. Nicht einmal ein Bild vom Toten mit schwarzem Balken war hier im Sportbereich erwünscht. Er liebte Basketball, warf hier oft seine Bälle, spielte seit fast zwei Jahren in unserer 1. Mannschaft. Tobi hatte wirklich Talent. Er war obendrein noch sehr ehrgeizig, im Sport jedenfalls. Schade, so jung, viel zu jung. Er war häufiger alleine hier in der Halle, hatte mich um einen eigenen Schlüssel gebeten, weil er oft bei Hallenleerstand noch alleine übte. Jetzt mache ich mir natürlich Vorwürfe“, führte der Lehrer aus.

„Tobi wurde ermordet. Es war kein Selbstmord. Das haben wir gerade eben in der Pressekonferenz erfahren. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn er den Schlüssel von Ihnen hatte“, ging Vanessa auf ihn ein und erntete dafür ein kurzes Nicken.

„Haben Sie Konflikte, Ärger, Feindschaften mitbekommen?“, fragte Vanessa als Erinnerung.

„Tobias war wirklich gut, sah auch noch gut aus und war immerhin der Sohn von Professor Haberkorn. Mehr muss ich doch nicht sagen, oder? Da hat man natürlich auch Neider. Aber Feindschaft wäre sicher zu viel gesagt. Ich habe jedenfalls nichts Außergewöhnliches in dieser Richtung mitbekommen“, erklärte er.

„Kennen Sie Milena, seine Freundin?“, fragte Leon.

„Ja, klar. Sie ist auch aktiv in unserem Verein. Kommt in letzter Zeit jedoch kaum noch, seit sich die beiden getrennt haben und ich glaube, sie studiert inzwischen irgendwo Medizin. Sie hat häufiger zugeschaut bei den echten Spielen. Von den Haberkorns sah man hingegen nie jemand hier. Tobi hat so sehr gehofft, sein Vater würde sich irgendwann einmal wenigstens eins seiner Spiele anschauen. Er hat mir mal auf einer Trainingsfreizeit erzählt, wie sehr der Vater seinen Sportspleen, wie er es nannte verabscheute. Schade, und so etwas bei dem Talent. Deshalb war Milena ganz wichtig für ihn und seine Leistung. Lob, Bestätigung und Erfolg waren sehr wichtig für Tobi. Er vergötterte Milena regelrecht. Ein schönes Paar waren die beiden außerdem. Wenn die mal Kinder bekommen hätten...“

„Wenn Lob, Bestätigung und Erfolg so wichtig für ihn waren, was passierte, wenn er Fehler machte, den Korb nicht traf, Kritik einstecken musste?“, fragte Vanessa.

„Man soll ja nicht schlecht über Tote sprechen. Das war aber zugegebenermaßen nicht seine Welt. Er war ein Siegertyp. Bei schlechten Leistungen zog er sich sofort nach dem Spiel zurück, wollte nicht angesprochen werden. Wer es dennoch versuchte, musste mit allem rechnen“, erklärte er.

„Was soll das genau heißen, mit allem?“, hakte Leon nach.

„Mindestens Streit, im schlimmeren Fall Androhung von Prügeln. Mehr als einmal habe ich ihm erklärt, dass es auch für den Verein nicht gut aussieht oder sogar eine Strafe vom Verband geben kann, wenn er so ausflippt. Er hatte sich manchmal nicht unter Kontrolle, wenn man ihn angriff. Sebastian Zengler hat das sogar einmal ein gebrochenes Nasenbein gekostet. Die Mannschaft verlor, weil Tobi in der letzten Minute den entscheidenden Korb nicht warf. Unter Sportkameraden macht man nicht mehr draus, sonst hätte es für Tobi übel ausgehen können. Ich habe damals sogar noch vermittelt, damit es Ruhe gab unter den jungen Hitzköpfen“, sagte er und lachte.

„Sebastian Zengler? Wo finden wir ihn?“, fragte Leon.

„Zengler ist Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Sie glauben doch nicht, er hat etwas damit zu tun. Die alte Sache ist längst abgehakt, glauben Sie mir“, spielte er die Sache schnell herunter und winkte mit der Hand ab.

„Keine Sorge. Wir versuchen nur ein besseres Bild von Tobi zu bekommen. Und Sebastian hat ihn ja offensichtlich mindestens einmal deutlicher zu spüren bekommen“, beruhigte Leon.

„Verzeihen Sie, ich kann meine Schüler nicht so lange alleine lassen. War es das?“, würgte Bernhard Stadtmüller das Gespräch ab.

„Vielen Dank Herr Stadtmüller. Wir sollten zusammen mal über etwas Angenehmeres berichten. Es wäre schön, wir sehen uns bald wieder“, bahnte Vanessa ihren neuen Sportkontakt.

„Das würde mich wirklich freuen. Bis dann also. Tschüss, ich muss jetzt auch, wie Sie sehen“, sagte er und winkte zum Abschied und lief wieder zu seiner Schulklasse.

„Hm, was meinst du?“, fragte Vanessa im Rausgehen. „Sebastian Zengler? Er steht ohnehin auf meiner Liste“, sagte sie und wanderte mit dem Finger einen Zettel aus ihrer Jackentasche ab. „Koblenz-Arzheim. Fahren wir mal kurz auf die scheel Seit (andere Rheinseite)“.

Braunes Eck

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