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Neues vom Förster?

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Leon kam relativ schnell wieder zurück. In der Zwischenzeit hatte sich Vanessa mit geschlossenen Augen ein wenig die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen. Es tat ungeheuer gut, kurz innezuhalten, ganz bei sich und im Hier und Jetzt zu sein.

Leon begrüßte Vanessa mit einem breiten Grinsen im Gesicht als sie ins Auto stieg. „Du scheinst wohl den besseren Teil abgekriegt zu haben“, sagte sie. „Oder machst du dich etwa über mich lustig?“

„Was uns am Ende wirklich weiterbringen wird, steht im Moment noch in den Sternen. So ergebnislos war dein Interview vielleicht gar nicht. Ich glaube, das zeigen eindeutig die von dir geschilderten Emotionen von Zengler gegen Ende des Gesprächs. Vielleicht liegt hier sogar genau da der ganz große Schatz begraben. Aber lass mich dir kurz von Förster Gladbeck berichten! Du wirst es nicht glauben, diese Wildkamera speichert nicht nur auf dem internen Speicherchip, sondern sendet zudem per Handysignal ins Internet, damit er von zu Hause aus, sein Waldstück im Auge behalten kann. Er war so sauer auf die Umweltsünder, dass er sie gerne auf frischer Tat ertappen wollte. Für so fortschrittlich hätte ich unsere jagende Zunft gar nicht gehalten. Und was glaubst du, was ich hier habe?“ Leon hielt ihr einen USB-Stick vor die Nase und wackelte damit herum.

„Nein, echt? Du hast den Film von dieser Hinrichtung? Mensch, das ist ja super. Hast du ihn dir schon angesehen?“ Vanessa wurde wieder lebendig und gewann damit die Freude an den Ermittlungen zurück.

„Genau den. Lass uns direkt in die Redaktion fahren. Wir sichern vorsichtshalber das Material auf dem Redaktionsserver und schauen uns den Film einmal ganz genau und in aller Ruhe zusammen an. Ich habe ihn selbst noch nicht komplett gesehen, nur eine kurze Sequenz.“

Gesagt, getan. In der Redaktion sicherten sie vorsichtshalber den Datenstick auf dem Server und Vanessa tippte ihre Erkenntnisse aus dem Interview ebenfalls sorgfältig in den Rechner, solange sie frisch im Gedächtnis waren. Paffrath kam unverhofft in die Redaktion und sicher nicht aus purer Langeweile. Offensichtlich konnte er seine Ungeduld kaum noch zügeln.

„Wie weit seid ihr?“, fragte er. Vanessa und Leon berichteten abwechselnd von den bisherigen Erkenntnissen, und gemeinsam warfen sie einen Blick in die Filmszene aus der Wildkamera. „Das ist ja echt krank. Was sind das nur für gestörte Typen? Und so etwas bei uns hier in Koblenz? Ihr müsst schneller und viel tiefer graben und zügig mehr herausfinden. Bleibt im engen Kontakt mit unseren Polizeiinformanten. Unsere Leser müssen schnellstmöglich wieder beruhigt werden aber vorher sollen sie das ultimative Kribbeln zu spüren bekommen“, sagte er. „Frau Herzsprung, ihr Engagement gefällt mir sehr gut bis hierhin. Glauben Sie, sie könnten übers Wochenende Walters noch unterstützen und trotzdem den Sportteil schon mit bedienen?“, fragte er.

„Sicher Chef, das kriege ich hin“, antwortete sie, obwohl ihr bei dem Gedanken mehr als mulmig zumute war. Leon würde sie sicher nicht hängen lassen, um an die nötigen Kontakte und Informationen für den Sportteil heran zu kommen.

„Sehr schön!“ Paffrath verschwand so schnell wie er gekommen war und schien zufrieden.

„Und was jetzt?“, fragte Vanessa.

„Ich versuche mal etwas über dieses seltsame Ritual rund um das Erhängen herauszufinden. Warum sollte sich jemand eine solche Mühe machen? Aufhängen, abhängen, wieder aufhängen. Ist doch mehr als seltsam und völlig ineffektiv, nur um jemanden um die Ecke zu bringen. Das muss irgendeine Bedeutung haben. Und die könnte uns weiterführen“, sagte Leon.

„Im Gespräch mit Zengler fiel mir auf, dass er Andeutungen zum alten Haberkorn gemacht hat. Ich versuche mal herauszufinden, ob die sich kannten.“

„Wie willst du das genau machen? Sei bloß vorsichtig. Haberkorn hat überall seine Fäden gesponnen“, warnte Leon.

„Ich versuche es noch einmal mit Zengler. Irgendetwas hat er mir verschwiegen, das spüre ich. Vielleicht kriege ich am Telefon noch etwas aus ihm heraus. Oder ich finde Freunde, Bekannte und Kameraden von Zengler, die etwas gesprächiger sind. Genau, damit sollte ich vorher anfangen. Ich schaue mir mal die sozialen Netzwerke genauer an. Seine Ex-Freundin wird vermutlich nicht so gut auf ihn und seinen Job zu sprechen sein. Es wäre mit Sicherheit hilfreich, wenn ich die ausfindig machen könnte“, dachte sie laut nach.

„Wenn mehrere Personen einen Menschen aufhängen und das noch an einem Ort, an dem früher Hexen verbrannt wurden, so dürfte wohl klar sein, dass es eine Hinrichtung war, auch wenn der Erhängte offensichtlich vorher betäubt wurde. Es ging also nicht um die eigentliche Qual, sondern die symbolische Vollstreckung eines Todesurteils. Vielleicht auch um ein Signal an irgendwen, falls die selbst auch mitgefilmt haben, um es später jemandem zu zeigen. So wie die Enthauptungen des IS. Es sieht für mich nämlich so aus, als würde einer mit dem Handy mitfilmen“, murmelte Leon.

Er stöberte über eine Internetsuchmaschine nach Hinweisen zum Hintergrund von Hinrichtungen durch Erhängen. Die Todesstrafe durch Erhängen sollte möglichst human und schmerzlos sein und wurde im Laufe der Zeit von vielen Ländern genutzt. Eine moderne Variante wurde durch eine königliche Kommission in Großbritannien Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Dabei wurde beabsichtigt, ein Zerreißen des Rückenmarks ohne Abreißen des Kopfes zu Erreichen. Die Stricklänge wurde individuell an Hand des Körpergewichts des Verurteilten berechnet und man ließ ihn meist durch eine Bodenklappe fallen. Die Technisierung durch die Bodenklappe sollte das Ritual humaner wirken lassen. Der Henker musste ja nur einen Hebel betätigen und nicht wirklich Hand anlegen. Im Irak unter Sadam Hussein war der Tod durch Erhängen zunächst ein mögliches Urteil für 114 Verbrechensarten. Nach einer Phase der Abschaffung wurde diese Form der Bestrafung später insbesondere für Mord, Kidnapping und Drogenhandel wieder eingeführt.

„Vielleicht führt uns das weiter“, dachte Leon. „Im vorliegenden Fall wurde nicht gequält und gefoltert. Dies geschah eher bei spontanen Hinrichtungen durch den Mob oder bei radikalen Gruppierungen. Aber Tobi wurde für irgendetwas bestraft. Was hatte er wohl in den Augen seiner Vollstrecker angestellt? Wofür genau wurde er bestraft?“, grübelte Leon weiter.

„Du, Leon“, platzte Vanessa vom Nachbarschreibtisch in Leons Gedankenwelt.

Leon schaute noch etwas in Gedanken versunken zu ihr hinüber.

„Zengler und beide Haberkorns, der alte und der junge, sind in der gleichen Reservistenkameradschaft aktiv. Könnte das nicht ein wichtiger Zusammenhang sein?“, fragte Vanessa voller sprühender Begeisterung endlich einen Ansatz gefunden zu haben.

„Schon möglich. Wirklich komisch, Zengler ist noch gar kein Reservist. Was macht der also dort? Ich bin gerade bei der Todesstrafe auch immer wieder auf den Irak gestoßen. Vielleicht sollten wir versuchen herauszufinden, ob einer oder sogar mehrere in der letzten Zeit in einem Auslandseinsatz waren als Reservist oder auch als Aktiver, Zengler ist ja noch aktiver Soldat“, erklärte Leon seine Überlegungen.

„Und wie sollen wir deiner Meinung nach an diese Information herankommen? Sie direkt fragen oder hast du eine bessere Idee?“, fragte Vanessa.

„Lass mich nur mal machen. Ich kenne da jemanden bei der Bundeswehr, der wahrscheinlich an diese Information herankommen könnte. Mal schauen, ob er zu Hause ist, eine Handynummer habe ich leider nicht von ihm“, erklärte Leon. Nach einem kurzen Anruf hatte Leon die Zusage, in Kürze einen Rückruf zu erhalten.

„Haben die eigentlich keine Geheimhaltungspflicht?“, fragte Vanessa, obwohl sie die Antwort schon wusste.

„Klar, aber ich bin Reserveoffizier und habe so meine Kontakte, so dass es gar nicht weiter auffällt. Wir führen ja auch nichts Böses im Schilde, im Gegenteil, wir wollen ein Verbrechen aufklären helfen und weitere verhindern. Wir wissen noch nicht einmal, wer und was genau dahintersteckt“, entschuldigte Leon die Indiskretionen der Kameraden. „Wir müssen daher einfach jede sich bietende Informationsmöglichkeit nutzen, um weiter zu kommen.“ Prompt klingelte sein Handy. Leon führte ein kurzes Telefonat mit einer Person, die ihm vertraut zu sein schien. Jedenfalls konnte man es an Hand des Tonfalls und der Art des Gesprächs vermuten.

„Wie wir schon vermutet haben, war Professor Haberkorn als Sanitätsoffizier mit dem Dienstgrad Oberstarzt die letzten drei Jahre zweimal im Auslandseinsatz, einmal im Irak im Rahmen einer Ausbildungsunterstützung und einmal im UNAMA-Einsatz in Afghanistan“, sagte Leon.

„Sag mal, wieso geht Haberkorn überhaupt in Auslandseinsätze? Wegen des Geldes ja wohl kaum. Er müsste doch hier mit seiner Klinik genug zu tun haben“, fragte Vanessa.

„Genau das werden wir den Herrn Professor selbst fragen müssen. Meiner Meinung nach sind wir auf einer ziemlich heißen Spur. Nur Haberkorn wird uns hierbei jetzt weiterhelfen können. Jedenfalls solange wir nicht wissen, was überhaupt passiert sein könnte und wer noch alles in diesem Einsatz war. Manche Erlebnisse tauchen in keinem offiziellen Einsatzbericht auf. Das weiß ich aus eigener Erfahrung“, erläuterte er. „Ich habe da so eine Ahnung und die gefällt mir gar nicht. Aber frage mich lieber erst einmal nicht nach Details, damit wenigstens du einen klaren Kopf behalten kannst, falls ich mich da verrennen sollte.“

„Du traust mir anscheinend sehr viel zu, Leon. Ich danke dir dafür“, sagte Vanessa geschmeichelt. „Oder traust du mir überhaupt nicht und willst mich so langsam loswerden?“, wechselte Vanessa in einen gereizten Tonfall.

„Nein, ich danke dir, ganz ehrlich. Es macht wirklich viel mehr Spaß im Zweierteam zu recherchieren, wie du schon selbst festgestellt hast. Schau doch mal, was wir alles hinbekommen haben in der Kürze der Zeit. Das ist wirklich toll“, entgegnete er und umarmte Vanessa zum Dank und um sie wieder zu beruhigen.

„Wie wollen wir das jetzt genau anpacken? Fahren wir zu Haberkorns in die Villa?“, fragte sie ganz ungeduldig.

„Wenn meine Vermutung stimmt, wird es ohnehin nicht einfach werden überhaupt irgendetwas aus ihm herauszubekommen. Zusätzliche Zeugen würden das Problem eher noch verstärken. Also fahre ich besser erst einmal alleine zu ihm. Das hat echt nichts mit dir zu tun, versprochen. Aber Leute, die der Geheimhaltungspflicht unterliegen reden niemals, wenn es Zeugen für ihren Regelverstoß gibt, und vielleicht kann ich als Reserveoffizier leichter etwas aus ihm herauslocken. Ich weiß im Moment selbst noch nicht, wohin das führt und ob überhaupt etwas dabei herauskommt. Vielleicht kann ich seine emotionale Betroffenheit durch den Verlust nutzen und kriege so etwas heraus. Lass uns kurz nachdenken, wie du die Zwischenzeit sinnvoll nutzen kannst“, überlegte Leon.

„Was hältst du davon, wenn ich mir kurz einen Überblick über den Sportteil verschaffe. Paffrath wollte ja, dass ich nebenher auch noch den Sportteil bediene. Auch wenn mir unser Fall natürlich viel mehr unter den Nägeln brennt“, sagte sie fast schon entschuldigend.

„Nein, stimmt, du hast recht. Nutze die Zeit mal für ein paar Sportnachrichten. Vielleicht macht es den Kopf sogar freier für neue Ideen, die auch uns weiterbringen werden. Ist mir schon oft so gegangen“, stimmte Leon zu.

„Aha, willst du mir damit etwa sagen, mein Kopf sei die ganze Zeit über nicht frei, sondern verblendet gewesen?“, reagierte sie sauer.

„Vanessa, wirklich. Hör doch endlich einmal damit auf. Erst denken, dann reden. Wenn ich dich kritisieren möchte, tue ich das direkt. Du musst bei mir ganz sicher nicht zwischen den Zeilen lesen. Lass uns später gemeinsam was essen oder meinetwegen auch essen gehen. Was hältst du davon? Dann erzähle ich dir alle Neuigkeiten, falls ich gleich etwas herausfinden sollte.“

„Das machen wir. Viel Glück und bis später. Ich hüpf dann mal rüber. Sorry und Bussi“, sagte sie und eilte schon davon in Richtung Schreibtisch der Sportredaktion, nachdem sie ihm einen Handkuss zugeworfen hatte.

Leon schüttelte mit dem Kopf. „So verpeilt und kaputt, aber irgendwie trotzdem süß“, dachte er.

Leon meldete seinen Besuch bei den Haberkorns vorsichtshalber über dessen Haushälterin Frau Petermann an. Glücklich war der Professor nicht darüber, willigte aber letztendlich doch ein, als Leon die Kameradenkarte zog. Also fuhr er direkt dorthin. Professor Haberkorn erwartete ihn bereits in seinem Arbeitszimmer. Er bearbeitete einige Akten, bevor er sich Leon zuwandte. Leon begann über seine Zeit bei der Bundeswehr und frühere Auslandseinsätze zu erzählen, um das Gespräch in die richtige Richtung zu bahnen und sein Vertrauen zu gewinnen. Professor Haberkorn verfiel prompt ins Plaudern und zeigte sogar einige Fotos aus seinem letzten Einsatz auf dem Laptop. Leon überlegte, wie er unauffällig die entscheidenden Fragen platzieren konnte.

„Herr Professor, um ganz ehrlich zu sein, denke ich, der Tod Ihres Sohnes könnte etwas mit einem Ihrer Auslandseinsätze zu tun haben. Ich würde gerne dabei helfen, die ganze Sache lückenlos aufzuklären“, begann er.

„Ach daher weht der Wind, Sie schnüffeln in meinem Privatleben herum und geben sich hierzu sogar als Kamerad aus“, sagte er wütend. „Aufklärung ist ja wohl Sache der Polizei und nicht die der Presse. Verstehen Sie das unter Kameradschaft? Pfui, sage ich da nur.“

„Sie möchten doch sicher auch herausfinden, was mit Ihrem Sohn passiert ist, oder?“

„Bitte gehen Sie, Herr Walters. Ich habe Ihnen heute nichts weiter zu sagen. Frau Petermann, bitte bringen Sie Herrn Walters zur Tür. Er möchte jetzt gehen.“ Professor Haberkorn wendete sich wieder seinen Akten zu und setzte dabei einen säuerlichen Gesichtsausdruck auf.

Leon ging frustriert und unverrichteter Dinge mit der Haushälterin zur Haustür. Er lief noch eine kleine Weile am Rhein entlang und überlegte, wie es weitergehen könnte. Für heute würde er jedenfalls Feierabend machen. Ihm reichte es. Er rief Vanessa an und fragte, wie es mit dem geplanten Abendessen aussehe. Sie wollten sich beim Mexikaner am Görresplatz treffen. Wenigstens ein kleiner Lichtblick, so hoffte er jedenfalls.

Braunes Eck

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