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Auf geht’s!

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Leon Walters saß in der Redaktion des Koblenzer Tageskuriers und machte ein Gesicht, als würde am heutigen Tag noch die Welt untergehen oder als wäre es gerade eben passiert, und er musste völlig hilflos dabei zuschauen. Die Sache mit Sophie ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es fühlte sich doch über Monate hinweg so gut an – so richtig. Und dann...

„Walters, was machst du denn heute wieder für ein Gesicht?“, fragte die neue Kollegin aus der Sportredaktion, die ihrem nervigen Vorgänger diesbezüglich in nichts nachstand. „Ist heute schon irgendetwas Schlimmes passiert? Kann ich dir irgendwie helfen? Einen starken Kaffee vielleicht? Ein gemeinsames Frühstück und du kannst dich dabei mal so richtig aussprechen? Ich bin eine gute Zuhörerin“, kam Angebot für Angebot wie aus der Pistole geschossen.

Leon zuckte förmlich zusammen und wurde gnadenlos in das wirkliche Leben zurück gerissen.

Es war für Leon nicht zu übersehen gewesen: die neue Kollegin suchte schon seit einigen Tagen engeren Anschluss. Einfach war es für sie bestimmt nicht. Paffrath, der Verlagschef, hatte sie kurzfristig eingestellt und als Berufsneuling einfach ins kalte Wasser geworfen. Ihr Vorgänger, ein alter erfahrener Hase war zudem noch beliebt gewesen bei den Kollegen und im Zusammenhang mit Leons letztem Fall auf tragische Weise ums Leben gekommen. Im Moment schaute jeder, ob die Neue wirklich in die Fußstapfen passen würde. Offensichtlich fühlte sie sich im Tageskurier abgeschottet und brauchte Verbündete – das war überlebenswichtig in diesem Job und besonders beim Koblenzer Tageskurier. Journalismus lebte letztendlich von Kontakten, Erfahrung, einem Quäntchen Glück und natürlich etwas Geschick neben dem handwerklichen Können. Leon war seit einigen Tagen zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und hatte sie daher immer wieder abblitzen lassen.

„Du, das ist wirklich lieb von dir. Danke für das tolle Angebot. Vielleicht komme ich später noch darauf zurück. Ich brauche im Moment erst einmal etwas Zeit zum Nachdenken – und zwar ganz für mich alleine. Den starken Kaffee nehme ich trotzdem gerne“, antwortete Leon mit einem traurigen Unterton, der langsam überging in eine etwas gebesserte Stimmung. Immerhin schien er seiner Umwelt nicht egal zu sein und das zu spüren tat einfach gut.

„Wird prompt erledigt, Kollege“, antwortete die braungebrannte höchstens 25-jährige Sportreporterin. „Sorry, das war wirklich nicht böse gemeint. Ich möchte dir nicht zu sehr auf die Pelle rücken“, fügte sie im Gehen noch an.

„Sie passt sehr gut in diese Rolle“, dachte Leon und musterte seine Kollegin von hinten, während sie zur Kaffeeküche lief. „Meistens trägt sie Sportkleidung, hat einen gut durchtrainierten Körper, die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden als wollte sie jeden Moment losjoggen und würde ich sie unter der Dusche besuchen, so wäre mit Sicherheit ein Sixpack und kein Gramm Fett zuviel unter der engen Oberbekleidung aufzufinden“, dachte er. „Und erst dieser perfekte Po...“, Leon schüttelte mit dem Kopf. Dabei glitten seine Gedanken wieder zu Sophie, seiner Ex. Vanessa, seine neue Kollegin erinnerte ihn in Vielem an Sophie. Der Po und der Pferdeschwanz von hinten, ein Gedankensprung und schlagartig war die Laune wieder im Keller.

„Jetzt reiß dich mal zusammen, die arme Kollegin kann ja nichts dafür und braucht im Moment wirklich selbst jede Unterstützung, die sie kriegen kann“, dachte Leon.

„So, voilà, ein Kaffee für den Herrn“, sang Vanessa und brachte eine große Tasse des dampfenden Getränks, arrangiert mit einem kleinen Keks, Milch und Zucker auf der Untertasse. „Kann ich sonst noch etwas Gutes für dich tun?“

„Danke, Liebste. Du, hör mal Vanessa, ich habe mir das Ganze doch noch einmal anders überlegt. Lass uns bei dem herrlichen Wetter irgendwohin zu einem schönen Frühstück in die Stadt fahren, falls du die freie Zeit überhaupt aufbringen kannst. Ich kann mich hier drinnen gerade sowieso nicht gut konzentrieren. Also, offiziell fahren wir natürlich zu dringend notwendigen Recherchen oder zu einem unaufschiebbaren wichtigen Arbeitsessen, falls der Alte fragt. Es ist besser, wenn der nicht immer alles mitkriegt. Das wirst du noch merken. Wenn der alte Haifisch genau die Fische als Futter bekommt, die er gerne mag, sind alle glücklich und zufrieden. Wehe, wenn er hungrig ist oder verdorbenen Fisch bekommt. Wir sollten gemeinsam besprechen, wie wir uns hier wechselseitig das Leben ein wenig leichter machen können“, erklärte er.

Ein Lächeln kam auf Vanessas Gesicht. „Prima Idee, Leon. Du kannst mir bei der Gelegenheit gerne erklären, welche Fische von Haien, speziell natürlich unserem Lieblingshai am allerliebsten gefressen werden und seinem Blutdruck zuträglich sind. Wann wollen wir los?“ Sie tänzelte dabei wie ein junges Mädchen, das sich auf eine tolle Überraschung freut.

„Ich trinke diesen leckeren Kaffee, serviert von einer bezaubernden jungen Dame erst noch aus, dann können wir“, antwortete er und nippte an der Tasse. Er packte ein paar Sachen vom Schreibtisch zusammen, steckte sie in seine Ledertasche, trank nebenher seinen Kaffee in großen Zügen leer, steckte sich den Keks in den Mund und blies damit zum Aufbruch. „So, jetzt nur nicht dem Alten in die Arme laufen“, dachte er mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck.

„Wer fährt?“, fragte Vanessa schnippisch, den Wagenschlüssel schon in der rechten Hand parat. „Glaubst du, du kannst eine Frau am Steuer verkraften?“

„Das hängt ganz von deinem Fahrstil ab. Vergiss nicht, ich für meinen Teil habe jedenfalls heute noch nicht richtig gefrühstückt“, frotzelte Leon.

Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage bestiegen eines der zahlreichen, nahezu identischen Fahrzeuge der Verlagsflotte. „Koblenzer Tageskurier – Wir bringen es – morgens und auf den Punkt“, war auf allen Wagen auf der Außenseite zu lesen. Mit quietschenden Reifen und unruhigem Gasgeben fuhr Vanessa die steile Ausfahrt hoch, um Leon ein wenig zu beeindrucken.

„Na, na, wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“, stieß Leon etwas überrascht aber witzig gemeint hervor und hielt sich demonstrativ mit beiden Händen am Griff über der Tür fest als wäre er Teilnehmer einer Rallye.

„Wohin fahren wir eigentlich?“, fragte sie ohne weiter auf den Fahrstil einzugehen.

„Wie wäre es mit dem Mühlental? Da gibt es heute in einem kleinen aber feinen Lokal leckeren Brunch vom Buffet, wir wären außerdem ungestört, denn dorthin verirrt sich sicher so leicht kein Tageskurierler“, antwortete er. In der Stadt oder im Weindorf kommen wir vielleicht sonst noch in Erklärungsnot.

„Klingt gut, Gerede brauchen wir im Moment sicher beide nicht. Ich bin schon froh, wenn ich erst einmal die Füße auf die Erde bekomme und ein paar gute Artikel in den Sportteil“, sagte sie mit einem kleinen Seufzer in der Stimme.

„Das wird schon. Gib dir und den anderen etwas Zeit. Der Tod deines Vorgängers steckt allen noch ziemlich in den Knochen. Weißt du, dass es eigentlich mich erwischen sollte? Hätte er nicht, wie schon so oft, von den für mich bestimmten Pralinen genascht, könnte er jetzt weiter die Leute nerven, nur mich vielleicht nicht mehr“, frotzelte er.

„Ach, das krieg ich sicher auch hin“, flirtete sie mit einem Augenzwinkern und einem schrägen Blick. „Im Vernaschen und Nerven bin ich ziemlich gut. Sorry, das klingt jetzt bestimmt pietätlos. Es tut mir natürlich sehr leid für den Kollegen.“

„Hey, Vorsicht, du legst ja ein Tempo vor, da schießt das Blut wie eine Achterbahn von oben nach unten und umgekehrt“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. „Da vorne rechts ab und dann immer geradeaus. Wir sind gleich da, falls uns nicht ein entgegenkommender Lkw erwischt.“

„Die Geschichte mit meinem toten Vorgänger habe ich natürlich schon erzählt bekommen. Auf deine Version freue ich mich aber ganz besonders“, fügte Vanessa noch an, um nicht desinteressiert zu wirken.

Braunes Eck

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