Читать книгу Frequenzwechsel - Hans Patschke - Herausgeber Jürgen Ruszkowski - Страница 12

Vor dem Mast unter deutscher Flagge – 1928

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Angesichts der immer katastrophaler werdenden Arbeitslosigkeit in der deutschen Heimat war guter Rat für einen Job zwar ziemlich teuer, aber fast schien man auch jetzt wieder nur auf mich gewartet zu haben, denn nach relativ nur kurzer Landliegezeit wurde mir von der deutschen Heuerstelle der Vereinigten Reeder an den Vorsetzen in Hamburg eine Leichtmatrosenstelle auf dem deutschen Dampfschiff „MARGOT“ vermittelt. Weshalb kein anderer unter den vielen möglichen Bewerbern auf die MARGOT aufsteigen wollte und bei Zustimmung nach Harlingen / Holland per fremdbezahlter Bahnreise fahren sollte, ist mir wie damals so mancher Zufall unerklärlich. Leute mit mehr Erfahrung als ich witterten vielleicht bei diesem, dem Namen nach sonst unbekannten Kahn einen Haken, irgendeinen Typ von „never come back“-Schiff, zumal dieser seltsame Zossen in Hamburg sozusagen anonym von einem Korrespondenz-Reeder gemanaged wurde. Sei es darum wie auch immer, ich fand zumindest den Namen MARGOT schön und klangvoll und setzte mich, mit frommen Wünschen der Ein-Mann-Reederei ausgerüstet, am Morgen des 31.03.1928 erwartungsvoll in den Zug Richtung Groningen / Nordholland. Ziemlich spät abends traf ich in Harlingen ein und machte mich allsogleich auf die Suche nach meinem neuen Kahn. MARGOT fand ich dann auch glücklich und noch gerade ohne Vergrößerungsglas. Der erste Eindruck von diesem Sampan war nicht ausgesprochen ermutigend, zumal die mit ca. 700 BRT vermessene Schiffsdame MARGOT - tatsächlicher Eigner war oder waren der oder die Inhaber des großen Hamburger Nobel-Porzellan-Geschäfts Waitz / Neuer Wall - rein äußerlich ein ziemlicher Sonderling unter den üblichen Meerungeheuern war. Während des 1. Weltkrieges hatte man dieses Schiff in England als „submarine-catcher“ gebaut und verwendet. Merkmale derzeit: gleiches Aussehen des Schiffes vorn und achtern, damit auf die Schnelle niemand, also der böse Feind, erkennen konnte, in welche Richtung der Bursche eigentlich fahre, ferner mittschiffs gleichförmig hochbordig für Aufstellung von Geschützen, deren Vorhandensein durch Klappen getarnt wurde. Diese Klappen fielen, wenn in der Nähe ein deutsches U-Boot ahnungslos auftauchte, um den vermeintlichen Handelsfahrer zu kapern, also ein Prisenkommando auf ihn an Bord zu setzen. Das still liegende aufgetauchte U-Boot war dann für den ebenfalls stilliegenden Fänger ein lohnendes und sicheres Ziel für seine freistehenden Geschütze. Etliche deutsche U-Boote sind jedenfalls von diesen laut Kriegsrecht verbotenen U-Boot-Fallen (verboten 1864 und späteres Verbot 1906 in Genfer Konvention, einer internationalen Übereinkunft zur Humanisierung der Kriegsführung) versenkt worden. Das hier erwähnte aber nur so nebenbei, es sollte nur eine Erklärung zum Typ „Submarine-Catcher“ sein. Ein weiteres Kuriosum für MARGOT war ferner, dass sie drei Masten von etwa gleicher Höhe - wohl auch noch von ihrer Kriegsaufgabe her - besaß. Kurzum, der neue deutsche Eigner hatte dieses Vehikel nach dem Krieg vom Engländer gekauft und es dann wohl möglichst billig und so weit wie nötig zum kleinen Frachter umbauen lassen. Ansonsten zeigte sich dieser Eimer als gutes Seeschiff mit einer relativ starken Maschinenanlage im verlumpten Leib und primitiven Mannschaftsunterkünften für ein Dutzend people. Sein Einsatz dürfte im Übrigen recht einträglich gewesen sein, MARGOT lief in englischer Charter jede Woche die Tour Harlingen – Hull - Harlingen ab, stets voll beladen, hin mit Stückgut und Lebensmitteln - Butter, Fleisch, Käse etc. – zurück mit Kohle bis zur Halskrause. Die Bordverpflegung war gut, was etwa daran fehlte, wurde großzügig aus der Hinfracht entnommen, besser gesagt geklaut, wir waren eben eine eingeschworene Mannschaft, die dann und wann auch mal zwei oder drei junge englische Weibsen - natürlich außer Tarif und an sich strikt verboten - für die Dauer einer Rundreise mitnahm. Entsprach solch „blinder Passagier“ den Erwartungen der Seeleute, so blieb er gar zwei Rundreisen an Bord, länger auf keinen Fall, wir hatten dann die „Damen“ satt. Es war schon was los auf diesem „Huker“, ich war jedenfalls anfänglich perplex, als ich, vom ersten abendlichen Hull-Landgang heimkehrend, in meiner Koje, darauf unvorbereitet, ein völlig betrunkenes Mädchen in tiefem Schlaf liegend vorfand. In Holland, wo die girls moralisch blitzsauber waren, hatten wir jungen Kerle unsere „Angebetete“, in England, wer es wollte, die käufliche, gegebenenfalls gefährliche und darum nicht anzubetende Liebe. Nach meinen damals spärlichen Vergleichsmöglichkeiten schien es in Hull von leichten Mädchen geradezu zu wimmeln, ein Teil von ihnen außerdem geschlechtskrank zu sein - drei Männer von uns steckten sich innerhalb kurzer Zeit an‚ das bedenken- und rücksichtslose Handeln dieses Typs Frauen bereicherte jedenfalls beträchtlich meinen dementsprechenden Erfahrungsschatz sowohl für den Augenblick, als auch für die Zukunft. Das an sich seitens Polizei und Hafenbehörden streng verbotene Anbordkommen leichter Mädchen erleichterte das Liegen von MARGOT in den zutrittfreien Stadtdocks von Hull, die Kontrolle durch einzelne Polizisten geschah selten, im Übrigen sah sie der Wachmann bei ihrem Anmarsch à cto deren Uniform „meilenweit“, ich muss es wissen, denn ich spielte oft den Warner als „Nachtwächter“. Alles in allem, so positiv meine Erfahrungen auf meinen gehabten englischen Schiffen gewesen waren, so negativ waren umgekehrt meine Eindrücke in verschiedener Hinsicht in England selber, vor allem in puncto Hygiene und Sauberkeit, Moral und für den Betrachter sichtbarer britischer Daseinsgestaltung. Die nähere Umgebung von Hull, das „flache Land“ bot wenig Anreiz zu anderer vorteilhafter Einschätzung. Natürlich sah ich damals als junger Kerl manches mit anderen Augen, als es heute geschähe, mit anderen Interessen als nur solchen für irgendwie billige Unterhaltung, Kinos und etwa erreichbare Mädchen. Für gewöhnlich kann ein junger Seemann im Ausland ohne einen Familienanschluss ein besseres Mädchen als ein „leichtes“ nur sehr schwer kennen lernen, eher schon, wenn er bereits ein Schiffsoffizier mit entsprechender Haltung und genügender Fremdsprachenkenntnis ist. In reichlich verkleinertem Maßstab versuchte ich das damals in Hull - Holland war darin viel problemloser als „Merry Old England“ - auf andere Art. Also steckte ich mir just wie meine lockeren, üblen Bordkameraden vorbereitete Zettelchen mit freundlich fixierten Bekanntschaftsangeboten darauf bei Landgängen in Hull in die Tasche, um selbige in Kaufhäusern bei getätigten nichtigen Einkäufen zusammen mit der geforderten Zahlsumme einer mir sympathisch erscheinenden Verkäuferin in die Hand zu drücken. Dieses Bekanntschaftsersuchen war derzeit in England gerade in Mode, und mitunter klappte sogar eine solche „geschäftliche“ Verabredung, meist war es Fehlanzeige, und das Mädchen reichte einem den Zettel, ohne ihn überhaupt gelesen zu haben, wieder zurück. Ich fand dieses Buhlen um die Gunst einer Schönen zumindest interessant bzw. als eine Art Selbstbestätigung und Schutzschild gegen die Invasion der weiblichen Billigware. Die viel gebetene „Landlubberei“ mit ihren kleinen Freuden und die gute Kameradschaft unter uns wenigen Männern an Bord mögen jedenfalls sehr dazu beigetragen haben, dass mir die Kleine Fahrt rundum gefiel, die auf MARGOT im Übrigen zu verrichtenden seemännischen Arbeiten - es wurde jede Taklerarbeit bordeigen gemacht - lagen ganz auf meiner Linie und boten mir viel Gelegenheit, die früh erlernten Kenntnisse in Spleißen von Drähten und Tauwerk, Knoten, Nähen mit Segelgarn etc. zu üben und zu vervollkommnen. Talkler- und Riggerarbeit für sein Schiff zu machen, ist für den Ausführenden nicht nur interessant und schön, es beinhaltet auch Verantwortung denen gegenüber, die damit in praktischer Verwendung umgehen müssen, bzw. auf die Güte des ihnen in die Hand gegebenen Materials vertrauen. Für jemand, der sich Seemann schimpft, sind geschilderte Tätigkeiten irgendwie in seinem Beruf das „Salz in der Suppe“. Leider steckt in jedem Detail aber auch der Teufel drin. Das Wissen um unser Können, unseren vermeintlichen Wert machte uns Männer der MARGOT, wenn auch berechtigt, nicht nur selbstbewusst, sondern gleichzeitig und in gleichem Maße auch leichtsinnig und forsch. Jugend kennt bekanntlich keine Tugend, sie glaubt vielmehr, sich in diesem und jenem einiges zwecks ihrer Selbstbestätigung durchaus schuldig sein zu müssen, zum ersten der holden Weiblichkeit gegenüber – wie oben geschildert –‚ zum zweiten im „Kampf gegen den Alkohol“. Letzteres geschah also auch unsererseits, allerdings weniger im Sinne der Heilsarmee, als im Versuch der Ausrottung dieses „Menschenfeindes“ durch pures Wegpicheln, wobei außerdem und gleichzeitig ein amtlicher Nachweis der persönlichen Standfestigkeit im Kampfgeschehen erbracht werden sollte. Was hinterher nach des „Teufels“ unausbleiblichem Sieg der Unterlegene, wenn auch im neckischen Sinne, oftmals anzustellen pflegte, erheitert nicht gerade immer die große Schar der Nüchternen und in Harlingen besonders nicht die kleine Zunft der dort ihr Zubrot verdienenden Polypen. Also hagelte es mehrmals, mal für den einen, mal für den anderen von uns, wegen zuviel Lebhaftigkeit Strafen in barer Münze, und ich handelte mir sogar eine Verurteilung wegen groben Unfugs in Tateinheit mit Falschangabe meines Namens ein. Auslösender Vorfall laut Anklage: Erklimmen eines hohen Laternenmastes in der Hafengegend (um oben die Gasleuchte funktionsuntüchtig zu machen) unter Undefinierbaren lauten Beitönen. Unten nach Rückkehr vom Olymp wenig liebevoller Empfang durch zwei übellaunige Ordnungshüter, anschließend auf Wache gröbliche Täuschung der Vollzugsorgane bei Feststellung der Identität des Täters, ich hatte anstatt meines Namens den eines am gleichen Tage abgemusterten Bordkameraden zu Protokoll gegeben. Am Morgen nach der Untat war die sorglos gelegte Bombe geplatzt, als die Polente zum Kassieren an Bord bei Capitano erschien. Selbiger kaufte mich gegen 50 Gulden (damals viel Geld) frei und nannte seinen „Lateiner“ - das waren für ihn sämtliche Intellektuellen - einen Raufbold und Randalierer, möglicherweise sogar Schläger, tatsächlich schien mein Wert ob meines frevelhaften Tuns bei ihm eher noch gestiegen zu sein. Er liebte verschuldete Besatzungsmänner, weil diese dann nicht abmustern konnten und dem Reeder damit die Fahrkosten Hamburg - Harlingen ersparten. Unser Chef war im übrigen höchstselbst durchaus kein Tugendapostel, seine Sünden lagen nur in einem anderen Bereich, sein Herz gehörte ausnahmslos allen Frauen, die seinen Weg kreuzten. Ja, die Dame MARGOT hatte es in vielen Dingen in sich, für mich selber hat sie zumindest einen reichlichen Erinnerungswert aufzuweisen. Genau acht runde Monate gehörte ich zu ihrer Besatzung, dann wollte ich wieder anderes von der Welt sehen. Seinem nächsten Schiff, dem Däumling „AUGUST SCHULZE“ kann der Chronist leider nicht die guten Noten, die er seinem Vorgänger zuteilte, geben. Es war zweifellos ein gesitteteres und schöneres Fahrzeug als jener, aber es war zur Hälfte von Ostfriesen besiedelt, mit denen der Schreiber bis dato in Einschätzung deren Wertes keinerlei Erfahrung besaß. Die es kommandierten, waren halb Bauern, halb Seefahrer, die Geborene ihres Stammlandes von vornherein weitaus höher einschätzten, als es Leuten aus anderen Heimatgauen recht zu sein schien. Genannter Untersatz gehörte zur Oldenburg-Portugiesischen Dampfschifffahrtsgesellschaft und fuhr nach Häfen in Spanien, Portugal, Marokko oder auf den Kanaren. Ein Plus für ihn errechne ich heute allein aus der Tatsache, dass ich nach Weggang von der seligen MARGOT nicht lange auf ihn warten musste. Trotz schon sehr mieser Arbeitslage in der Seeschifffahrt Ende 1928 fand ein Junggrad bzw. Leichtmatrose derzeit noch immer rasch ein Unterkommen an Bord, schwer war nur ein Avancieren zum Vollgrad des Matrosen, Matrosenplätze waren absolute Mangelware. Auf dem neuen Sampan lief im Decksbetrieb angesichts von eingeschifften acht Vollgraden (auf MARGOT nur zwei) praktisch und verständlicherweise alles ganz anders, als auf meinem vorigen. Leichtmatrosen wurden fast wie Decksjungen eingestuft, von den Matrosen und Offizieren wie die Dummen durch die Gegend gescheucht und nur an niedere Tätigkeiten heran gelassen. Das uns Deutschen viel nachgesagte „Nach oben kratzen – nach unten treten“ feierte auf AUGUST SCHULZE fröhlichen Urstand, umso mehr, je größer die Null war, und Nullen waren wir ja letzten Endes allesamt hinsichtlich der gesellschaftlichen Einreihung. Die Offiziere dieses meines Schiffes entsprachen in Haltung und Ausdruck etwa meiner Elnschätzung vom Schiffer oder Bestmann der verflossenen FAREWELL. Ein Anfänger nimmt primitive Vorgesetzte meist vorurteilslos hin, ein halbwegs „Oldtimer“ sieht sie, soweit er überhaupt eine Meinung hat, schon mit anderen Augen. Um nicht falsch verstanden zu werden, man erwartet unter den Führenden oder Offizieren auf Handelsschiffen seitens des einfachen Schiffsmannes keine Gelehrten oder Intelligenzbestien, der patentierte Mann auf der Brücke oder im Maschinenraum soll vielmehr mit seiner Erfahrung und seinem Fachwissen seinen Untergebenen die Gewähr für Sicherheit und Glaubwürdigkeit zu seinen Anordnungen vermitteln. Strahlt er darüber hinaus in seiner geistigen und äußeren Haltung auf seine people auch noch das Gefühl kameradschaftlichen Zusammengehörens miteinander aus, dann besitzt er alles, was einen Führenden einen wirklichen Führer sein lässt. Das war auf der AUGUST SCHULZE durchaus nicht gegeben, die erwähnte Sparte der Privilegierten fühlte allein ihren Mehrwert, der sie laut Papier zum Kommandieren berechtigte. Der Beste von ihnen war in meinen Augen noch der „Alte“, ein wortkarger Oldenburger mit einer Portion Misstrauen ohne Unterschied allen seinen Schäflein gegenüber, vielleicht auf Grund langjähriger bitterer Erfahrungen, was weiß davon schon ein Neuling. Unvergesslich an diesem Capitano meine erste Begegnung mit dem Mann. Am zweiten Tag meines Borddaseins, noch in Hamburg, bin ich Nachtwachmann. Der 1. Offizier hatte mir vor Wachantritt eingebläut, auf jeden Fall an der Gangway präsent zu sein, wenn der „Chef“ samt Ehegespons spätabends vom Landgang zurückkehrt. Ich laufe daher emsig an Deck herum, schaue nach den Festmacherleinen eher zu viel als zu wenig und so weiter und so fort. Ein Leichtmatrose als Wachmann im Hamburger Hafen war gewissermaßen ein „fulltime job“. Außerdem wurde bis etwa 23 Uhr auch noch Ladung eingenommen, was mich schon darum vorzugsweise an Deck herumkrabbeln ließ. Gegen Mitternacht kommen die Erwarteten angeschaukelt, ich stehe am Landgang, um der Ehefrau gegebenenfalls beim Erklimmen des Steges und Übersteigen auf die „Lotsentreppe“ (über die Reling gehakte Trittleiter) behilflich zu sein. Meinerseits tönt es pflichtschuldig „Guten Abend“, der Alte darauf: „op mi hebben Se wohl grad noch täuwt!“, kein Gegengruß sonst, nichts weiter. Mein Gedanke dazu: „ihr Bauern!“ Alles in allem gesagt, auf der AUGUST SCHULZE arbeiteten wir, solange ich diesen Zossen bevölkerte, nicht als ein aufeinander eingespieltes team und gegenseitiger Achtung voreinander zusammen, wir waren vielmehr ein wesenloser Haufen von unterschiedlichen Chargen. Die Reisen selbst nach Häfen in Portugal, Südspanien und Marokko waren an sich ein schönes Fahrtgebiet mit nur wenigen Reedehäfen und oft herrlichen Küstenszenerien, aber das allein konnte dieses Schiff in meinen Augen nicht aufwerten und ließ mich nur zwei je sechswöchige Reisen auf ihm machen. Markant übrigens auf erster Reise zur Winterzeit - der Winter 1928/29 war in Nordeuropa sehr streng - in Marokko Anfang Februar 1929 hatten wir gute 30 Grad Wärme, heimkehrend im Nordseeraum nur acht Tage später ca. 30 Grad Kälte, also rund 60 Grad Temperaturunterschied. Etwa ab Terschelling bis zur Elbmündung hin war die südliche Nordsee vereist. In Deutschland war inzwischen das Heer der Arbeitslosen ganz beträchtlich angewachsen, zum anderen hörte nun auch ein dem Teufelskreis Politik wenig verfallener Beobachter - die deutschen Seeleute gehörten im allgemeinen dazu - zunehmend mehr von einem gewissen Herren Hitler als einem ominösen Exponenten in der politischen Szene. Mir war der Name Hitler aus meinen letzten Tilsit-Jahren her zwar nicht unbekannt, aber ich hatte diesem Namensträger seinerzeit keine besondere Bedeutung zugemessen. Bei einem kameradschaftlichen Plausch hatten sich wider mein Erwarten auch zwei oder drei Bordkameraden auf AUGUST SCHULZE als Sympathisanten Hitlers bezeichnet. Das ließ mich insofern aufhorchen, als die Masse der deutschen Seeleute im Allgemeinen außer ein paar kommunistischen Schreiern dem damaligen politischen Geschehen teilnahmslos gegenüberstand. Dieser ging es angesichts der Heere von Arbeitslosen in allen Berufssparten mehr ums Brotverdienen, als um die Problematik politischer Aussagen.

Trotz aller Misère am Arbeitsmarkt erhielt ich bereits zwei Wochen nach Abmusterung von AUGUST SCHULZE meinen zweiten August in Gestalt der „AUGUST LEONHARDT“, eines handigen Massengutfrachters von etwa 4.000 BRT der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg, leider wieder als Leichtmatrose. Meine Hoffnung auf eine Anmusterung als Matrose à cto meiner langen Junggrad-Fahrtzeit erfüllte sich zu meinem Bedauern nicht, man übersah schlechtweg meine ersprießlich gewesenen Aufbauzeiten auf den englischen Schiffen. Im Nachhinein erwies sich mein rascher Entschluss, die Leichtmatrosen-Chance einem ungewissen Warten auf einen Matrosen-Job vorzuziehen, als durchaus richtig, denn nach etwa halber Reise von insgesamt 11 Monaten „wilder Fahrt“ wurde ich auf diesem zweiten August zum Matrosen umgemustert. Außerdem, obwohl sie zweifellos auch kein Renommierschiff darstellte, gefiel mir diese AUGUST LEONHARDT, was nicht in letzter Linie ihr interessanter Trampeinsatz im Hin- und Herpendeln zwischen Europa und Nord-Amerika bedingen mochte, zum anderen die geschicktere Menschenführung der auf diesem August eingeschifften Offiziere - im Gegensatz zu der des anderen - begründete. Sein Kapitän, Herr A. war in meinen Augen in seiner Haltung und seinem Auftreten ein weltgewandter Mann und rechter Vertreter seiner Sparte, und die ganze Besatzung stellte nach einigem Hinsehen eine gute Mischung von seefahrendem Volk dar. Wir ertrugen die Mängel der AUGUST LEONHARDT in puncto Verpflegung, von öfteren diesbezüglichen Beschwerden abgesehen, mit Elan und Würde, es war im Übrigen verständlich, dass manche von uns die lange Dauer der Reise und deren scheinbare Ziellosigkeit dann und wann kräftig verschnupfte. Mich als jungen Kerl erschütterten die uns Mannen konfus erscheinenden Zielwechsel herzlich wenig, im Gegenteil, sie stillten eher meinen Hunger nach Aufnahme immer neuer Reiseeindrücke. Wen es interessieren sollte, der mag die einzelnen Stationen dieser meiner längsten, ununterbrochenen Reise auf dem Globus nachverfolgen: Hamburg (Ausgang) Antwerpen – Oran (Bunkern) - Smyrna - Konstantinopel – Galatz / Rumänien – Oran (Bunkern) - Jacksonville - Tampa - Houston – Galveston – Norfolk (Bunkern) – Bergen (Bunkern) – Tromsoe - Murmansk - Archangelsk – Harstad (Bunkern) - Loedingen – Louisburg (Bunkern) – Sydney / Canada (Bunkern) – Norfolk (Bunkern) – New Orleans - New Brunswick - Savannah – Norfolk (Bunkern) – Ardrossan / Schottland (Bunkern) - Murmansk - Kirkenes – Jakobsnes – Harstad - West Hartlepool (Bunkern) – London – Hamburg (Eingang). Zugegeben, das war oder ist eine bunte Palette von Häfen, auch wenn ein Drittel davon nur zwecks Bunkerns angelaufen wurde mit knapper oder gar keiner Landgangsmöglichkeit. Anders oder weniger wechselhaft als damals ist die heutige Trampfahrt auch nicht, im übrigen fuhren wir für die Trampreederei L & B, welche Buchstaben der deutsche Seemann damals mit „Lumpen und Blei“ interpretierte, wir fuhren also viele Ausnahme-Ladungen und Ausnahme-Touren, die obiger Interpretation irgendwie gerecht wurden. Das mag jedoch nichts über den wirklichen Wert oder Unwert des genannten Reeders und seiner Schiffe aussagen. Hein Seemann ist leicht indigniert (unwillig, entrüstet) und in seinem Urteil abfällig, wenn ein Schiff und dessen Reiseroute irgendwie nicht seinen Erwartungen entsprechen, er, der in vielen Fällen die etwa kargen Fleischtöpfe an Bord dem damals oft langen Mangelleben an Land immerhin noch vorzog, schimpfte allein oft des reinen Schimpfens wegen, weil eben mancher Schreihals damit sein angekratztes „image“ aufzupolieren trachtete. Es entzog sich im Übrigen damals meiner Beurteilung, wie weit die oft falsch verstandenen Thesen der Gewerkschaften einzelne Geister in ihren Ansichten und deren Ausdrücke beeinflussten bzw. Impuls für vieles Jammern und Klagen waren. Heute neige ich der Ansicht zu, dass derzeit wahrscheinlich „vieles faul im Staate Dänemark“, also allgemein in der Seefahrt war. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass der unglückliche Kriegsausgang die deutschen Reeder zumindest empfindlich zur Ader gelassen hatte, der Wiederaufbau ihrer Flotten à cto Inflation, Diktat und des wieder erwachenden Neids der ehemaligen Kriegsgegner auf den trotz seiner Niederlage infolge seiner deutschen Gründlichkeit wieder erstarkenden Konkurrenten äußerst risikoreich und schwierig war. Mithin hatten die deutschen Schiffseigner nicht nur ein neues image, sondern gleichzeitig auch mit knappen Kriegsentschädigungen und hohen Fremdkrediten eine neue Flotte aufzubauen. Vieles entstand dabei gewissermaßen aus dem Nichts, das langsam Aufgebaute war in der Folge, wenn es Bestand haben sollte, nur mit größtmöglicher Sparsamkeit und gegebenenfalls kleinsten Gewinnmargen zu halten und erhalten. Das galt natürlich auch für „Lumpen und Blei“. Trotz allen Sparens erfüllten sie aber ohne irgendwelchen Zweifel die Forderungen von Seemannstarif und Speiserolle. Im Ausland gekaufter Proviant war jedoch teuer und oftmals schlecht, große Mitnahme von Lebensmitteln aus der Heimat für eine längere Reisedauer war wegen fehlenden Kühlraums an Bord zum anderen nicht möglich, ergo wurde mit jedem Mehrmonat einer Reise der „Fraß“ auf einem Tramper knapper und schlechter, dazu kam, dass der Schiffskoch S. und sein Sohn, der Bäcker, nicht gerade Meister ihres Fachs waren. Schwierigkeiten machte auch die Bunkerei, obwohl die dafür installierten Bunker für mehrere tausend Seemeilen Dampferzeugung Kohle aufnehmen konnten. Ein Teil des Bunkerraums wurde jedoch oft zweckentfremdet, weil man entweder mehr an Fracht mitnehmen wollte oder aber die einzelnen erhältlichen Ladungspartien mehr Frachtraum beanspruchten. Wie dem auch gewesen sein mag, wir waren eigentlich immer knapp an Bunkers, versuchten daher, nach Möglichkeit nur in den billigsten Bunkerplätzen unseren Kohlebedarf zu decken. Darum konnte es auf Atlantik-Überquerung von Harstad nach Louisburg tatsächlich passieren, dass wir einen halben Tag vor Kanadas Küste trotz wetterlich ruhiger Reise mit unseren Kohlen bis auf einen spärlichen Rest ausverkauft waren. Kapitän A. war an dieser Misere nur bedingt schuldhaft, hatte vielmehr rechtzeitig die Reederei in Hamburg zur Zwischenbunkerung in Rejkjavik / Island zu überreden versucht. Nun war es plötzlich kritisch geworden, für die restlichen 40 oder 50 Seemeilen bis zum nächst erreichbaren Hafen fehlte der Stoff, mit dessen Hilfe man Wasser in Antriebsdampf umsetzen kann. Also mit all hands ran an alles vorhandene Holz - hauptsächlich große, an Deck aufgestapelte Mengen Stauhölzer von der vorangegangenen Reise mit full ship Baumwolle. Falls alle Stränge reißen sollten, das Holz mit geringer Kohle-Anreicherung nicht ganz ausreichen würde, hatten wir gegebenenfalls noch einen weiteren Trumpf in Händen, die in Archangelsk full ship eingenommene Massenladung von luftgetrockneten, ausgebleichten Knochen. Aber das Holzzeug, dessen längste Stücke wir mit Schwung an den Festmacherpollern zerbrachen oder einfach zersägten, langte gerade, um noch einigermaßen majestätisch und kraftprotzig trotz blitzblank leer gefegter Bunker im Schiffsleib in Port Louisburg an die Kohlenkippe zu gehen. Es war auch höchste Zeit damit, Petrus hatte nämlich inzwischen still und leise einen starken, ablandigen Wind wehen lassen, der uns möglicherweise letzten Endes noch zu einem Bergungsfall hätte werden lassen. Das viele Bretterholz mang den restlichen verbrannten schwarzen Diamanten gab der AUGUST LEONHARDT nebenbei gesagt, drum rum einen Duft, als führe da eine Großbäckerei durch die Gegend. Da sich eine Begebenheit wie die geschilderte selten ereignet, fand ich sie damals sehr interessant und erinnerungswert. Es gab an Bord in dieser Situation einer bedingten Notlage keinen einzigen Mann, der über die unbezahlte Mehrarbeit schimpfte oder irgendwie meuterte, abgesehen allerdings von den unzähligen saftigen Flüchen beim Brechen des resistenten Holzes. Mit welcher Begeisterung die Heizer vor den Feuern das ihnen zugeworfene Holz empfingen, weiß ich leider nicht zu berichten. Die erwähnte Knochenfracht in allen Laderäumen, auch das sei noch gesagt, ging nach New Orleans, wo das weißgraue Tiergebein von Gäulen und Rindern restlich in zermahlenem Zustand als Knochenfilter bei der Zuckerraffinerie verwendet werden sollte - zur gefälligen Beruhigung von Zweiflern: Menschenknochen als Rückstand einer seitens der sowjetischen GPU durchgeführten „Generalreinigung“ waren unter Garantie nicht dabei. Auf Rückreise USA - Murmansk geriet AUGUST LEONHARDT, wieder mit einer seltsamen Massenfracht, Kolophonium (Baumharz) in Fässern im Bauch im Nordatlantik in einen schweren Sturm. Erstmalig erlebte ich da, was dieses Seegebiet gegebenenfalls an Seegang zu bieten vermag. Die Wellenberge waren so unverschämt lang und hoch, dass unser ehrsamer „Pudel“, beigedreht (Bug in Richtung der ankommenden See) in diesem Hexenkessel treibend, seiner ganzen Länge nach entweder im tiefen Tal oder hoch oben auf dem Wellenberg herumritt. Etwa zwei Tage auf solcher Luftschaukel decken jeden Bedarf an Bewegung, die jemand für sein Wohlbefinden bedarf. Jan Maat gewöhnt sich normalerweise recht rasch an solche Schaukelei, wichtig dabei für Schiff und Besatzung war allein, das wild herumjumpende Gefährt nicht in Dwarslage (Querlage zu den Wellenbergen) kommen zu lassen, was unter Umständen zu Wassereinbrüchen oder aber zum Kentern der Arche hätte führen können. Auf das Ruder (Steuer) musste daher riesig aufgepasst, nötigenfalls die wellengerechte Schieflage durch mehr oder weniger Umdrehungen der Schiffsschraube ausbalanciert werden. Glücklicherweise flaut jeder Sturm einmal ab, AUGUST LEONHARDT kam ohne nennenswerte Schäden und mit einigem Zeitverlust aus diesem Aufruhr der Elemente. Als Resumée zu meiner Bordzeit auf diesem AUGUST kann ich jedenfalls vermelden, dass ich während ihres Ablaufs viel gesehen und dazugelernt habe, für mich besonders wichtig darin war meine Ummusterung zum Matrosen, ich glaubte zumindest, meinem Endziel wieder ein ganzes Stück Weg damit näher gekommen zu sein. Dass ich mit meiner Abmusterung von AUGUST LEONHARDT (Hamburg, 9.02.1930) den unglückseligen Start in eine böse Zeit langer Arbeitslosigkeit tat, war mir anfänglich natürlich nicht bewusst, anders wäre ich diesem Schiff vermutlich noch eine weitere Reise lang treu geblieben. Wer konnte damals aus der Ferne und ohne aufklärende Unterrichtung durch Radio und Zeitung die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Heimat schon treffend beurteilen? Der auf dem Spielfeld der weltbewegenden Politik im Abseits stehende Seemann vermochte das bestimmt nicht, er hatte - zumal als junger Mensch eher für seine Zukunft optimistische Visionen übrig, als etwa ein vages Träumen vom persönlichen Sein oder Nichtsein.

Ich machte also erstmals einen sicher wohl verdienten Urlaub und ließ derweil den lieben Herrgott einen guten Mann sein. Diesmal gefiel mir im Übrigen das kleine ostpreußische Angerburg besser, als zuvor beim ersten Kennenlernen des Städtchens. Wahrscheinlich war ich auch des inzwischen à cto beruflicher Erfolge gesteigerten Selbstbewusstseins wegen kontaktfreudiger als zuvor geworden, ich lernte jedenfalls in Bälde viele Altersgenossen beiderlei Geschlechts kennen, verliebte mich in eine Primanerin der dortigen höheren Schule „unsterblich“ und ließ mich willig als interessanten Weitwanderer bei alt und jung herumreichen. Das steigerte meinen persönlichen, an sich illusorischen Wert und verbannte fürs erste langsam aufkommende Zweifel an einer positiv geladenen Zukunft, denn letztere blieb angesichts des realen Zeitbildes zwangsläufig nicht aus. Die Weltwirtschaftskrise steuerte, für jeden sichtbar, mit Macht ihrem Höhepunkt zu, die Zahl der Arbeitslosen und geschäftlichen Konkurse wuchs und wuchs von Tag zu Tag üppiger denn je, und die Menschen in der Weimarer Republik zeigten sich mehr denn je uneinig in allen ihren Stämmen und Volksschichten und befangen in politischen Dogmen und Illusionen. Die von allem Anfang an beim Gros der Deutschen ungeliebte Republik, die ihren Bürgern irgendwie das Paradies auf Erden schaffen wollte, aber nur chaotische Zustände schuf, zerbrach an ihrer Schwäche und an der geringen Überzeugungskraft ihrer Thesen vom Bessermachenkönnen. Sie verlor zudem ihre Glaubwürdigkeit durch skrupellose Protektion ihrer Günstlinge mit rotem Schlips, Finanz- und Korruptionsskandale und andere undurchschaubare Manipulationen. Zweifellos gab es auch in den Führungsgremien der Weimarer Republik Männer von Ehre und ausgeprägter Redlichkeit, aber diesen fehlte wahrscheinlich entweder der genügend große Anhang von Getreuen oder die ausreichende Robustheit, sich durchzusetzen bzw. dem demokratischen Gedankengut Form und Inhalt zu geben. Die gehabte Institution Monarchie war noch längst nicht verdaut, deren negative Seiten schon, aber die positiven sahen in nostalgisch verklärtem Licht, und gerade diese hatten ja irgendwelche Irrlichter 1918 im November rücksichtslos „erdolcht“. Ergo fand die Dolchstoßlegende immer mehr Gläubige, deren Zahl in gleichem Maß parallel zu der der Arbeitslosen zunahm. Letztere wiederum der jungen, unfertigen Dame Republik anzulasten, war ungerecht, denn die Arbeitslosigkeit jener Jahre war weltweit vorhanden und keineswegs hausgemacht. Das aber sahen viele Menschen im deutschen Vaterland nicht oder wollten es nicht sehen. Ich gehörte nicht zu den Blinden, auch nicht zu den stillen Anbetern des monarchischen Zeitalters, war vielmehr der Ansicht, dass jedes Ding auf Erden seine guten und schlechten Seiten hat und es überall demnach auch gute und schlechte Menschen gibt.

Als ich im April 1930 nach Hamburg zurückkehrte und mich bei der Heuerstelle der Vereinigten Reeder als Bewerber um eine Matrosenstelle meldete, erhielt ich als Nachsuchender eine hohe Wartenummer, die ein langes Pausieren bis zu meinem Wiedereinsatz in der Seefahrt voraussehen ließ. Gleichzeitig meldete ich mich - in meinem Leben zum ersten Mal - beim Arbeitsamt als Arbeitsloser und hatte nun die Anwartschaft, 2 Wochen lang im Höchstfall Stempelgeld zu erhalten. Daheim in Angerburg hatte ich einen Herrn kennen gelernt, dessen Schwester in Hamburg bei einem Kunstmaler-Ehepaar als Haustochter tätig war. Diese junge Dame suchte ich bei Gelegenheit in ihrem Domizil in Harvestehude auf, verstand mich mit dem netten, natürlichen Mädchen – etwas älter als ich - sozusagen auf Anhieb und wurde bei einem der nächsten Besuche ihrem Dienstherren Kunstmaler vorgestellt. Dieser Herr F. wiederum, ehemaliger Berufsoffizier, war mit Direktor Heilweg - oder so ähnlich sein Name - von HAPAG vom Krieg 1914/18 her bekannt und stellte mich eines Tages genanntem hochvermögendem Gentleman vor. Erfolg: zwei Tage später musterte ich per HAPAG-Heuerstelle am 21. Juli 1930 auf HAPAG-Dampfer „GRUNEWALD“ als Matrose an. Mir war der ganze Klimbim, der vielleicht in redlicher Absicht vom Mädchen Aenne initiiert war, nicht nach meinem Geschmack. Es widersprach meiner Auffassung, ein Protektionskind ohne entsprechende Vorleistung meinerseits zu sein, und diese meine abwertende Einschätzung wurde, wenn auch ohne mein Verschulden, bereits wenige Tage später schicksalhaft gerechtfertigt. Bei Arbeiten am Ladegeschirr des Schiffes nach Auslaufen Antwerpen und Absetzen des Schelde-Seelotsen fiel à cto Unvorsichtigkeit eines Matrosen ein größerer Schäkel aus Salinghöhe an Deck herunter, prallte beim Aufschlag unten federnd ab und traf mich am linken Bein, oberhalb des äußeren Fußknöchels. Das bewirkte nach Feststellung des Bordarztes einen glatten Knochen-Anbruch bzw. ein Aus für meine Reise nach Karibik und Ostküste Mittelamerikas. Ich wurde nach tatenloser Atlantik-Überquerung im ersten Hafen drüben, Port of Spain / Trinidad, als leichter Invalide ins britische Seemannsheim - oder was es sonst gewesen sein mag - gesteckt und schließlich als kranker Seemann im Hospital des HAPAG-Passagier-Motorschiffes „MAGDALENA“ nach Hamburg heimbefördert. In Hamburg hinkte ich noch mit Gipsverband und auf Pantoffeln zwei oder drei Wochen lang durch die Straßen und bereicherte hernach erneut mit meiner wenig geschätzten Gegenwart das große Heer der Arbeitslosen. Aenne oder den Kunstmaler weiter „heimzusuchen“, verbot mir mein sicher falscher Stolz, ich hatte wegen der in meinen Augen mich beschämenden HAPAG-Episode keine gesteigerte Lust dazu, bezweifelte außerdem, dass die „kleine“ Aenne noch bei Familie F. - sie fühlte sich dort nicht besonders wohl - weilte. Eine gescheiterte Verlobung hatte das Mädchen in Trotz-Reaktion die Haustochterstelle in Hamburg annehmen lassen. Mir war zum anderen am Fahren bei „HAPAGs“ nach einigen Erkenntnissen während meiner kurzen Stippvisite auf der GRUNEWALD nicht viel gelegen. Die HAPAG schien mir kein rechter Rahmen für ein Vorwärtskommen meiner Person zu sein, „viel Geschrei und wenig Asche“ dort nach meiner damaligen unmaßgeblichen Ansicht. Wovon ich Gegner war? Ein gut gepflegter Protektionismus schien derzeit wohl bei allen großen deutschen Reedereien gang und gäbe zu sein, und er ist bei Notwendigkeit einer gezielten Elite-Auswahl von Arbeitskräften sogar eine verständliche und durchaus zu bejahende Maßnahme des Arbeitgebers. Aber gegen den unmotivierten und unqualifizierten Gefälligkeits-Protektionismus (à la Ämter-Patronage und Parteibuch-Verfilzung im politischen Wechselspiel) opponiere ich entschieden und hätte das im geschilderten eigenen Fall - so unbedeutend er auch gewesen sein mag - von allem Beginn an tun müssen. Es schafft nur Abhängigkeit von anderen, wenn jemand zu einfach in den Sattel gehoben wird. Jedenfalls war ich um eine Erfahrung reicher geworden. Was sich zu diesem Zeitpunkt zur Hauptsache wegen der immer misslicher gewordenen Wirtschafts- und Beschäftigungslage in Deutschland tat, das zeigten vielleicht am deutlichsten die in den Großstädten immer öfter auflodernden Straßenschlachten zwischen den Kampfverbänden von Nationalsozialisten und Kommunisten, deren Opfer hinterher zu wahren Helden stilisiert und als unabdingbarer Tribut im Ringen um des Reiches Freiheit geehrt wurden. Mit dem Begriff „Freiheit“ ist es ein eigen Ding, er ist so unendlich dehnbar, dass er in keine feste Form einzuordnen ist, zum anderen von niemand so oft in den Mund genommen wird, wie gerade von „Politikern“ und solchen, die sich dafür halten, aber, recht gesehen bei vielen von ihnen, sture Wirrköpfe sind. Es gibt auf unserem mehr oder weniger ehrbaren Planeten leider keine Vollkommenheit, zumindest nach menschlichem Ermessen nicht, es sei denn, wir billigen sie dem Walten der Natur zu, ergo ist auch alle Politik mit Freiheitsidealen fehlerhaft und „mangelt des Ruhms“. Wer sich im Übrigen nach meiner Meinung irgendwelchen Ideen verschreibt, der ist also darum schon unfrei, weil er sich dieser seiner Idee unterwirft, diese folglich Macht über ihn hat.

Im November 1930 bot sich mir unerwartet noch einmal eine Gelegenheit zu beruflicher Tätigkeit. Eines Abends zu später Stunde erschien Herr Suhr, der damalige Heuerbaas der Hamburger Bergungs-AG in meiner Privatbleibe und erfragte meine etwaige Bereitschaft zum sofortigen Einstieg auf Hebeschiff „WILLE“. Das Sofort ergab sich wegen eines Seeunfalls vor der Ostemündung (Unterelbe), wo aus mir unbekannten Gründen ein Leichter abgesoffen war, der möglichst rasch aus dem Fahrwasser entfernt werden sollte. Unter den gegebenen katastrophalen Umständen am Arbeitsmarkt der Seeleute war ich zum Einsteigen ohne vieles Überlegen bereit, ganz abgesehen vom jäh erwachten Interesse, auch einmal einen Blick in die Bergung zu tun. Leider währte die Wrackhebung nur ganze 17 Tage, immerhin noch länger, als anfänglich geschätzt, weil ein schwerer NW-Sturm, besser Orkan, die Hebearbeit verzögerte. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass bei diesem Orkan in der Elbmündung auf dem Grossen Vogelsand der Dampfer „LUISE LEONHARDT“ zerschellte und mit Mann und Maus auf Tiefe ging. Just an dem Tag, als mich Herr S. abends für WILLE charterte, hatte mir die Reederei der LUISE eine endgültige Absage für einen Job auf diesem ihrem Schiff gegeben und einen anderen glücklichen Bewerber für die Fahrt in den Tod angemustert. Schicksal, Seemannslos, egal, wie man derlei Zufälle im Leben nennen mag, es klingt wahrscheinlich weniger suspekt, wenn man in solchen Fällen von „Glück oder Pech gehabt“ spricht. Meine Stunde hatte eben noch nicht geschlagen. Sie schlug auch weder im guten noch im bösen Sinne während der langen Folgezeit meiner Arbeitslosigkeit. Als ich am 4.12.1930 von WILLE abmusterte, ahnte ich nicht im Entferntesten, dass ich erst wieder am 15.04.1935, also genau rund 4 ½ Jahre später, ein Schiff als Angemusterter betreten würde, dass ich beruflich solch ein unfassbares Pech haben könnte.


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