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1.8.

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Im Laufe des Tages trudeln alle bei Onkel Nakoma ein. Nakoma hat inzwischen eine Art Gästehaus und eine große Halle gebaut, nur für die Familienmitglieder. Es gibt gemeinsame Schlafsäle für zehn bis zwölf Kinder, die mit Matratzen ausgelegt sind, und es gibt Zweier-, Dreier- und Viererzimmer.

Das Gebäude ist über einen Gang mit dem Wohnhaus von Nakoma verbunden. Es gibt dort eine große Lounge und eine riesige Küche und dort leben auch ein Teil der vielen Hunde, die Nakoma hat. Große, graue, braune und schwarze Hirtenhunde mit langen zotteligen Haaren. Eine eigene Züchtung, die in der Hochebene wunderbar zurechtkommt. Es ist hier immerhin über 3.000 Meter hoch. Jetzt im Herbst wird es schon empfindlich kalt.

Elvira tritt als erstes hinaus, in diese wunderbare Landschaft. Es gibt hier so etwas wie einen Indian Summer. Nun, nicht in der Art, wie in Nordamerika, aber Gräser, Blumen und Büsche hatten die Farbe gewechselt, sie sind jetzt strohig gelb-braun. Draußen gibt es Koppeln, in denen die Pferde von Nakoma weiden. Diese kleinen Pferde, die Nakoma für das Hochland gezüchtet hat, und auch die „Arans“, die Verbindung aus Arabern und den Pferden der nordamerikanischen Prärien, der Mustangs. Jetzt im Herbst ist das Gras fest, nahrhaft und gut verdaulich. Elvira zieht die Luft tief ein. Es riecht hier würzig und frisch. So ganz anders als in Berlin.

Irina tritt plötzlich neben sie. Sie schiebt die Hand unter Elviras Arm und blinzelt in die Sonne. „Schön hier“, sagt sie. Nun, auch Irina kennt das. Sie ist schon oft hier oben gewesen, und es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, hierher zu kommen. Für Irina ist das jetzt noch aus einem andern Grund etwas Besonderes. Sie war im Sommer fünfzehn geworden und sie hatte sich das gewünscht, hier oben den Geburtstag zu feiern, im Kreis der Familie.

Zehn Tage können ziemlich kurz sein. Zumindest, wenn so viele neue Mitglieder der Familie da sind. Einige kennt Elvira schon, so wie die Kinder von Tante Chénoa und Tante Clara. Auch die Kinder von Onkel Fred kennt sie und auch die Kinder, die Papa und Zehra zusammen gezeugt haben, und die zu ihren kleinsten Geschwistern zählen. Papa und Zehra waren mitgekommen.

Auch wenn der Bezug zu ihrem leiblichen Vater Paco nie da war, so ist er doch ihr leiblicher Vater, und sie spürt an den Energieströmen von Papa etwas Vertrautes. Etwas, was sie selbst auch hat. Es ist, wie eine Art Band zwischen ihnen.

Als sie das Irina erzählt, nickt Irina. „Ja, das kenne ich. Ich habe meinen Vater Fred in den letzten Jahren nicht sehr oft gesehen, aber ich kenne das, dieses Band, und zwischen Opa Leon und mir gibt es dieses Band auch. Es ist inzwischen viel stärker, als bei Fred. Es ist, wie als wenn ich ein Teil von Fred und Leon wäre.“

„Naja, das bist du ja auch“, meint Elvira, „du bist ja schließlich Freds Tochter, und Leons Enkeltochter.“

Es ist gut, dass es in der Kindergruppe einige erfahrene Kids gibt. Da sind besonders die beiden Ramons, die Kinder von Tante Chénoa und von Tante Clara. Dann sind da noch Maria (die Tochter von Onkel Nakoma) und Solveig, die jüngste Tochter von Clara. Sie sind Meisterinnen in der Kunst der Heilkräuter und sie können in Tiere und Menschen „hineinkriechen“, um Krankheiten aufzuspüren.

Jedes der erfahrenen Kinder ist in einer anderen Disziplin besonders gut, und nur die „Neuen“, die Kinder aus Pacos wildem Leben, die sind völlig untrainiert. Sie staunen manchmal mit offenen Mündern und sie beginnen von den Kräften der Geschwister zu lernen.

Zwei Dinge bleiben Elvira in diesem Herbst besonders in Erinnerung. Der Ausflug mit den Pferden in die Hochebene und der Ausflug mit Tante Chénoa.

Der Ausflug in die Hochebene ist wunderbar. Sie hatten das schon einmal vor ein paar Wochen gemacht, direkt nach Opas Hochzeit vor dem Standesamt. Dieser Ausritt jetzt, diese Nächte in Zelten und in Schlafsäcken, zusammen mit den Geschwistern, die brennenden Feuer und das gemeinsame Baden in den klaren Bergseen, das ist einmalig schön.

Sie nehmen jetzt wieder Kontakt auf zu den Condoren, zu den Füchsen und den Bären, die es hier oben gibt. Sie lassen sich von den Mäusen erzählen, und sie verwandeln sich in Adler, um über die Hochebene zu fliegen. Auch das können „die Neuen“ noch nicht. Sie müssen noch viel lernen. Als sie zum ersten Mal vor einem ausgewachsenen Bären stehen, sind einige der „Neuen“ ziemlich erschrocken, aber das legt sich bald. Die Tiersprache beherrschen sie recht gut. Das war am Anfang auch so ziemlich das Einzige, was sie konnten. Jetzt nehmen Sie die Energie der Geschwister auf, wie wärmende Strahlen der Morgensonne, wenn auch zunächst in kleinen Dosen.

Auf jeden Fall ist dieser Ausritt eine besondere Art des Zusammenwachsens. Sie kuscheln sich nachts zusammen. Sie spüren die gegenseitige Wärme. Sie spüren, wenn es gegen Morgen richtig kalt wird, und sie müssen auch die Pferde bewachen. Die Hundemeute übernimmt den größten Teil der Arbeit, aber auch die Hunde brauchen Führung.

Dann stößt Tante Chénoa zu der Gruppe. Sie bildet mit allen Kids einen großen Kreis. Sie nimmt sie mit an den Fuß des Vulkans, der dort auf einer dieser Hochebenen liegt. Sie verwandeln sich in Adler und sie fliegen in den Trichter des Vulkans, in dem ein klarer Bergsee liegt. Es riecht eigentümlich nach Schwefel, und die Nackenhaare stellen sich bei Elvira auf. Danach erzeugen sie gemeinsam mit Chénoa ein Energiefeld, das einen Sturm entfacht, der über die Hochebene fährt. Ein kleiner Sturm nur. Sie sind ja noch ungeübt. „Lernt, eure Kraft gemeinsam zu entwickeln, lernt sie zielgerichtet einzusetzen und achtet stets die anderen Menschen und die Tiere“, warnt Chénoa an diesem Tag.

Elvira befreundet sich in diesen Tagen mit Irina an, und die beiden Mädchen sehen sich bei Chénoas Worten an. „Whow“, denken sie im selben Atemzug. Es ist ein Erlebnis, das Angst machen kann und es ist ein Erlebnis, das zugleich Mut macht. Mut, solche Dinge, wie z.B. einen pyroklastischen Strom in eine bestimmte Richtung zu lenken. Ja wirklich. An solchen Kräften müssen sie sich üben.

Die unschuldige Königin

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