Читать книгу Die unschuldige Königin - Hans-Peter Dr. Vogt - Страница 21
2.7.
ОглавлениеIrgendwann in diesem Jahr kommt Irina nach Berlin. Sie steht vor dem Abitur. Sie hat eigentlich nach Freiburg gehen wollen, um dort zu studieren, aber jetzt ist sie nach Berlin gekommen, um mit Oma und mit Lara zu reden.
Oma Katharina und Lara haben Elvira wie selbstverständlich in dieses Gespräch eingebunden, aber Elvira hält sich im Hintergrund. Sie hört nur zu.
Irina ist ein wirklich nettes Mädchen. Sie hat sie in den letzten zwei Jahren oft getroffen. Irina ist weitsichtig und klug. Sie hat viele Interessen und sie war dort in Wittenberge richtig aufgeblüht, bei Opa Leon und in ihrer Schule. Sie hat sich um ihre kleine Welt gekümmert. Um ihre Schule, um ihren Paolo, um die Vorgänge in Spanien. Sie hat sich regelmäßig mit den Geschwistern getroffen, und sie hat ihre Kräfte geübt. Sie interessiert sich auch für all diese Umweltprobleme, die Elvira in Berlin einfach nicht so mitbekommt. Gewiss. Es gibt nur noch wenige Autos, die mit Benzin fahren. Inzwischen sind fast alle Motoren auf Solarantrieb, Gas und diese Wasserstoffantriebe umgestellt, die heute das Benzin ersetzt haben. Aber von den wirklich großen Schäden an der Umwelt weiß Elvira recht wenig. Sie hat mit den andern Kids ihre Kräfte trainiert. Sie haben Wellen aufgehalten oder sie haben versucht, Regen zu stoppen, aber das ist für sie stets wie ein Spiel gewesen.
Ihre Welt ist hier, in Berlin. Sie trainiert an Kräften, deren Sinn sie noch gar nicht richtig einschätzen kann, und sie ist hier in Berlin richtig glücklich. Das ist ihre Familie. Ja. Sie nimmt inzwischen regelmäßig an den Beobachtungen dieser geheimen Gruppe teil. Sie freut sich über jeden Erfolg der Gruppe.
Oma und Katharina arbeiten sie langsam auch in das weit verzweigte Netz der Familie ein. Sie lernt langsam all die Freunde kennen, die wichtig sind. Nicht nur die Musiker und die Filmregisseure. Die kennt sie längst. Nun fängt sie an Kirchenmänner, Politiker und Vertreter von öffentlichen Ämtern kennenzulernen. Sie lernt langsam, um nicht überfordert zu werden, aber Stück für Stück. Solche Dinge brauchen viel Zeit.
Elvira weiß nicht einmal, dass Oma Katharina sie schon als die zukünftige Leiterin des Musikzentrums sieht. Naja. Nicht mit Bestimmtheit, aber Oma Katharina hat ein feines Gespür. Sie hat sich in ihrem Leben selten getäuscht. Sie leitet dieses Zentrum nicht, weil sie irgendein Parteibuch besitzt, sondern weil sie die Fähigkeit und das richtige Gespür hat. Jetzt kommt also Irina und Irina braucht Hilfe.
Irina weiß nichts von den Kids im Untergrund. Sie will etwas über die Beziehungen der Familie lernen, und Oma Katharina fragt direkt. „Was weißt du vom Leben im Untergrund?“ Irina ist völlig perplex. Sie hat wirklich keine Ahnung. Opa Leon hat wohl nie darüber geredet, aber an diesem Abend wird Irina von Lara und Elvira in die Gefahren des Berliner U-Bahn-Netzes eingeweiht.
Es geht hier nicht um die Nutzung von U-Bahn-Zügen und Bahnsteigen. Nicht um die Bedrohung durch Gangs, das hat Irina auch schon kennengelernt, es geht um die Bedrohung für Leib und Leben, wenn Irina sich auf den Weg durch die Tunnel machen würde. Das ist wirklich gefährlich.
Elvira kennt die Gefahren, aber für Elvira ist es einfach. Sie kann einfach zu den Freunden in den „Bunker“ springen. Dennoch läuft sie oft durch die Tunnel, weil sie ihre Freunde, die Ratten dort trifft. Die haben Elvira schon oft geholfen.
Am nächsten Tag wird Irina von Elvira und Lara mit in den Bunker genommen. Irina ist völlig platt. Sie bleibt mit Elvira über Nacht und am nächsten Tag springen sie zu Oma zurück. Sie haben noch lange Gespräche mit Oma und mit Lara, und auch mit Rochen, dann entscheidet sich Irina. Sie wird in Berlin studieren. Sie wird von der Familie lernen. Irina kommt in den nächsten Wochen noch ein paar Mal. Sie geht mit Elvira zu den Kids im Bunker. Sie redet mit Oma und mit Lara, und sie sucht Rochen auf. Irina macht die Augen und die Ohren auf, und sie beginnt eine neue Welt „einzuatmen“.
An einem dieser Abende sitzt Rochen mit Elvira zusammen. Sie sitzen irgendwo in der großen Halle. Ganz oben auf dieser treppenartigen Tribüne, von der man alles überblicken kann. Sie sehen unten den Betrieb in Aysas Café. Sie sehen und hören die Videos, die ständig über die Multifunktionsleinwand abspulen und Rochen meint. „Schöne Schwester hast du da.“
Elvira nickt. Ja, das stimmt wirklich. Irina ist eine Schönheit. Sie brezelt sich nicht auf, aber sie ist elegant und natürlich zugleich. Sie hat einen Mörderbusen, das was den Männern immer so gefällt, aber Elvira kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Rochen und Irina... Außerdem ist Irina in festen Händen.
Dann fügt Rochen hinzu, und er legt Elvira jetzt leicht die Hand auf den Oberschenkel, „aber mit dir kommt sie nicht mit.“
Elvira sieht auf diese Hand. Sie spürt die Wärme, die von ihr ausgeht. Nicht besitzergreifend, sondern freundschaftlich und dennoch vertraut, achtungsvoll und dennoch bestimmt. „Irina ist älter als du, aber im Verhältnis zu dir, ist Irina ein kleines Mädchen.“
Elvira legt die Hand auf Rochens Hand und nimmt sie dort weg. Sie hält sie jetzt in ihrer Hand und legt auch die andere Hand darum. „Wieso das?“
Rochen lächelt. „Ich kenne Irina nicht gut genug. Ich kann nicht einschätzen, ob sie jemals etwas Großes wird. Bei dir bin ich mir sicher. Du hast mehr Kraft in dir, als du weißt. Du wächst langsam in diese Kraft, von der du noch gar nichts weißt, aber du bist schon so darin verwoben, dass du nicht mehr aussteigen kannst.“
Irina sieht Rochen an und sie drückt unwillkürlich diese Hand an ihren Busen. Sie schüttelt verwundert den Kopf.
An diesem Abend setzt sich die Wärme von Rochens Hand in Elvira fest, und auch die Wärme von Elviras Händen setzt sich in Rochen fest.
Rochen hat schon mit vielen Mädchen geschlafen. Er ist körperlich klein, aber er ist ein Athlet. Rochen ist Kampfsportler. Nun ja, nur im Fliegengewicht, aber Rochen ist wirklich gut. Er ist intelligent und wachsam, und Rochen hat ein sicheres Gespür.
Wenige Wochen später schlafen Rochen und Elvira zum ersten mal miteinander. Rochen ist fast zehn Jahre älter als Elvira. Eigentlich ist das nicht statthaft, was er da macht, aber irgendwie hat es Bumm gemacht. Sie wissen selbst nicht wieso. Nie zuvor hatten sie an so etwas gedacht. Sie kennen sich nun schon eine ganze Weile. Sie arbeiten indirekt zusammen, wenn es um die Verfolgung der Dealer geht, aber ihr Leben ist ganz unterschiedlich. Schließlich ist Elvira noch sehr jung und in vielen Dingen naiv. Rochen wird bereits jetzt als der zukünftige Erbe von Roy gehandelt. Er ist bereits jetzt eine Art graue Eminenz. Rochen ist auch ein gefährlicher Mann. Das hatten schon einige gelernt, die sich mit ihm angelegt hatten.
Rochen kann Gunst gewähren und er kann sie auch entziehen. Wenn das geschieht, dann hat das Opfer keine Chance. Rochen zieht alle Register und alle Fäden. Er kann gnadenlos sein.
Dennoch hat er sich in dieses Mädchen vernarrt. Elvira strahlt eine Kraft aus, die ihn beeindruckt. Sie weiß es nur noch nicht.
Am Abend nach dieser Nacht sieht Lara ihre Nichte Elvira lange an und Elvira spürt, dass Lara das von Rochen und ihr weiß. Sie verteidigt sich nicht, sie sieht Lara nur offen und ehrlich an. Nicht aufmüpfig, nicht unverschämt, sie sieht Lara nur an, und sie lächelt dabei.
Lara nickt, dann sagt sie, „wenn Rochen dir das Herz bricht, dann werde ich ihn zur Verantwortung ziehen. Du stehst unter meinem Schutz. Du sollst das wissen.“
Elvira lächelt immer noch, dann greift sie nach Laras Hand und sagt, „ich weiß, was da geschehen ist, aber ich weiß nicht, wie es geschehen konnte. Ich kann dir das nicht erklären, und ich will es auch nicht. Ich bin in Rochen hineingekrochen und ich habe mich dort umgesehen. Ich habe gesehen, dass Rochen schon mit vielen Frauen zusammen war, auch mit viel älteren. Rochen ist ein richtiger Mann. Er ist zärtlich und er ist aufmerksam, aber Rochen dienert nicht. Ich habe nicht ganz begriffen, warum er sich für mich entschieden hat, aber ich habe gespürt, dass er sich für mich entschieden hat. Mehr musst du jetzt nicht wissen. Es ist mein Leben.“
Lara lacht leise. „Das ist die Kraft, die ich in dir spüre. Ich wünsche dir viel Glück.“
Seit dieser Zeit ist Elvira mit Rochen zusammen. Sie lebt weiter ihr Leben. Sie kümmert sich um ihre Mutter und um ihre Geschwister. Sie kümmert sich um die Kids im Untergrund und um die Freunde im Zentrum, aber nun ist etwas in Elviras Leben getreten, das ihr neue Kraft und neue Stärke gibt.
Rochen hat im Verwaltungszentrum ein kleines Appartement, in das er sich zurückziehen kann, wenn es viel Arbeit und dringende Termine gibt, und er hat in der Stadt noch eine Wohnung. Da gibt es so einen Innenhof und mehrere alte Gebäude, die ihn umschließen. Elvira hat dort viele bekannte Gesichter gesehen, seit sie Rochen dort ab und zu trifft. Rochen hat dazu genickt. „Die ganze Häuserzeile gehört der Stiftung. Hier wohnen nur Freunde. Die Stiftung hat noch mehr solcher Gebäude, das soll dir aber deine Großmutter erzählen.“