Читать книгу Die Schamanin - Hans-Peter Vogt - Страница 8
3.
ОглавлениеEin Großteil der Einwohner arbeitet direkt oder indirekt für die Ausgrabung und für den Fremdenverkehr. Es gibt geschickte Handwerker, die indianische Kleidung herstellen und verkaufen. Es gibt Weber und Gerber. Es gibt Küchenhilfen und Bedienungen. Es gibt Fremdenführer und Seminarleiter. Es gibt auch eine große Wachmannschaft und es gibt die vielen indianischen Helfer der Archäologen, die da immer noch in dem noch unerforschten Gebiet der alten Königsstadt Meter für Meter freilegen. Natürlich gibt es auch die vielen Hotelangestellten, und auch die Wäschereien, die Banken und Versicherungen, Busunternehmen, Taxis und Makler leben vom Tourismus.
Die gesamte Stadt ist durch diese Ausgrabung geprägt. Mehr noch: eine ganze Region, denn die Wirtschaft der Stadt schafft auch in anderen Regionen Arbeitsplätze, ob im produzierenden Gewerbe, in der Dienstleistung, im Handel, in der bäuerlichen Produktion oder im Tourismus. Auch die Banken profitieren von diesem ewigen Kreislauf des Geldes.
Solveig ist also genau genommen „ein Kind dieser Ausgrabung“, denn diese bestimmt das gesamte Leben in der Stadt.
Solveig wohnt unmittelbar neben der Klinik ihrer Eltern in einem dreistöckigen kleinen Haus, das wie alle Häuser der Indios einmal erdbebenfest gebaut worden war und einen kleinen Garten hat. Sie ist zu dreivierteln indianischer Herkunft und zu einem Viertel weiß, aber sie hat in ihrer Kindheit gelernt, sich als eine Indio zu fühlen. Sie trug in ihren Kinderjahren indianische Kleidung und sie spricht die Sprachen der Aymara (Bolivien) und der Quechua (Peru), die sich in einigen Dingen unterscheiden.
Als sie noch sehr klein war, wurde sie von Mama stets in diesem Tuch herumgetragen, mit dem indianische Mütter ihre Babys am Körper tragen. Sie nahm dann unmittelbar an den Behandlungen teil, die ihre Mutter da mit ihren Patienten hatte. Sie wuchs in diese Klinik hinein. Es gab zwar ein Hausmädchen und ein Kindermädchen, aber auch ihre größeren Geschwister waren oft bei der Mutter in der Klinik. Bei den Indianern ist die Familie Teil des Lebens und des Arbeitens, und so bestand von Anfang an ein sehr enger und natürlicher Kontakt zu den Geschwistern, zu der Arbeit der Eltern und auch zu all den Patienten dieser Klinik.
Gewiss, es gab Arbeiten, da wurde Solveig nicht mit hingenommen, etwa zu Untraschalluntersuchungen oder zu Rönt-genaufnahmen, und auch nicht zu Operationen, wo es um klinische Sterilität geht, aber es gibt etwas Besonderes, und das kam von Solveigs Mutter Clara.
Clara hatte ihre geheimen Kräfte von Großvater Leon geerbt. Sie ist eine Heilerin, die in die Körper und die Gehirne fremder Menschen kriechen kann, um sich dort umzuschauen, und um dort heilende Prozesse zu stimulieren, und zu solchen Ausflügen nahm Clara ihre Kinder schon rechtzeitig mit. Die Kinder wuchsen praktisch in diese Kraft hinein, die man als Außenstehender meist als „heilende Hände“ bezeichnet.
Sie wurden aber auch Zeuge, wenn Mama allerlei Mixturen anwendete, die aus dem Urwald des Amazonas stammen. Manchmal springt Clara dorthin, um solche Heilmittel zu suchen, und sie nimmt dann meist auch ihre Kinder mit. Manchmal werden solche Heilmittel auch von Onkel Nakoma zur Verfügung gestellt, der dort oben auf dem Hochland sein Gestüt hat, und der auch als ein Heilkundiger gilt (auch wenn er diese Fähigkeit nur an Tieren ausübt). Er und seine Frau Mercedes besitzen dort oben neben ihrem Gestüt auch eine Tierpraxis, und die Kinder von Nakoma und Sofia (die schon groß waren, als Solveig geboren wurde), die assistieren ihren Eltern.
So wurden die vier Kinder von Clara bereits frühzeitig in all diesen Heilmitteln unterrichtet. Es gibt da Blüten, Pulver, Baumrinden, Wurzeln, Beeren, Tees, oder Extrakte von Tieren. Es gibt da zum Beispiel eine Kröte, die mehr als 20 cm groß werden kann. Sie erzeugt ein Sekret, das wie ein schaumiger eitriger Schleim aussieht, und das man auf stark entzündete offene Wunden streicht. Die Entzündungen gehen innerhalb weniger Stunden zurück und es bildet sich ein dicker Schorf. Die Wunde eitert nicht und das Fieber geht schnell zurück. Es ist ein Mittel, viel wirksamer als eine Tetanusspritze.