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Die Verletzung I

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An Weihnachten war die Welt meiner Familie noch in Ordnung.

Wir haben wie geplant miteinander geskypt. Ich sollte den verletzten Fuß vor die Webkamera halten, und erwartungsgemäß schrie meine Mama auf: »Oh, Till!«

Dabei war der Fuß wieder einigermaßen in seiner ursprünglichen Form. Die Wunde sah aus wie gebratenes Hühnchenfleisch, sie war nur halb so groß wie ein Marmeladenglas-Deckel. Meinen Eltern hatte ich erzählt, dass mir ein ›Local‹ beim Parken vor der Rollervermietung mit seinem Auspuffrohr den Fuß angesengt habe. Mein Vater fragte, wie es mit der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners aussehe. Als Entschädigung habe er mich zum Essen eingeladen, sagte ich. Das sei schweineteuer gewesen für den armen Kerl. Und die Kosten der Behandlung seien wie gesagt nicht der Rede wert.

Nach dem Weihnachtsfest auf Bali waren wir mit Leonie weitergereist nach Australien. Leonie flog im Februar zurück nach Deutschland, während Mara und ich weiterreisten nach Neuseeland. Dort hatten wir uns mit Nora und Liam für eine Tour mit dem Campervan verabredet. Nora hatte mit uns Abitur gemacht und Liam war ebenjener Amerikaner Liam, den wir in Thailand kennengelernt hatten.

Die E-Mails stammen wie gesagt von mir. Das Schreiben der weiteren Geschichte überlasse ich meinem Vater. Momentan bin ich nicht wirklich in der Lage, eine Geschichte zu erzählen.

Dass immer mein Vater schreiben musste, war sowieso ein Running Gag in unserer Familie. Wenn ein Geburtstagsgruß oder ein Kondolenzbrief zu verfassen war, sagte meine Mutter: »Du bist doch der Schriftsteller!«

Der Schriftsteller schreibt die Geschichte so, als ob ich sie schreiben würde.

Dabei bildete er sich nicht ein, Medium für seinen verlorenen Sohn zu sein. Aber es bestand eine Berechtigung, für mich zu schreiben, weil mein Vater und ich uns in unserer Denkweise ähnelten. Was nicht bedeutet, dass ich ähnliche Meinungen wie mein Vater vertrat. Im Gegenteil: Mein Vater ernährte sich vegetarisch, ich dagegen carnivorisch. Mein Vater setzte auf Meditation, um sein Bewusstsein zu erweitern, ich dagegen meinte, das Bewusstsein könne man leichter durch Weed erweitern.

Unsere Stimmen waren ähnlich. Mein Bruder, mein Vater und ich wurden oft am Telefon verwechselt. Wenn mein Bruder Lukas oder mein Vater sich mit »Hallo, hier ist der Till« am Telefon gemeldet hätten, dann hätten meine beiden Omas das geglaubt.

Wenn mein Vater dies hinschreibt oder liest: »Hallo, hier ist der Till« – dann hört er die Stimme, die Stimme seines verlorenen Sohnes.

Ich komme ja wieder!

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