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Kapitel 9
ОглавлениеAm Mittwoch hatte Henri genug davon, herumzuliegen und in dem Tasso zu blättern, dessen Verse er nicht lesen konnte. Er verlangte nach dem Frühstück den Arzt zu sprechen und sagte ihm, daß er sich bestens fühlte und nach Haus wollte. Der ließ ihn ziehen, gab ihm aber den Rat mit, sich nicht anzustrengen und nicht viel herumzulaufen, sonst wären chronische Kopfschmerzen die Folge. Das sei nun mal so bei Gehirnerschütterungen. Henri schlug das in den Wind und fuhr zu seiner Arbeitsstelle. Als er sein Büro lange nach Dienstbeginn betrat, sah er zu seiner Verwunderung einen neuen Mitarbeiter an seinem Platz sitzen und seine Akten bearbeiten.
"Sie sollen zu Herrn Lafayette kommen," teilte ihm dieser kühl mit.
Jetzt ging's ihm also an den Kragen. Vlassens hatte vorgesorgt. Er wandte den Kollegen seinen mit einem Riesenpflaster verklebten Hinterkopf zu und verließ das Büro Richtung Erdgeschoß. Die Empfangsdame des Personalchefs ließ ihn Platz nehmen und nach einiger Wartezeit durfte er hinein.
Lafayette begrüßte ihn überaus herzlich mit Handschlag, bot ihm einen Sessel am Clubtisch und eine Tasse Kaffee an und sagte, als er ihm das Getränk aus einer Thermoskanne einschenkte, überraschend: "Herr Dupont, die Gesellschaft meint, Sie hätten sich für Ihre Verdienste um die Firma einen längeren Urlaub verdient. Wie wär's damit, jetzt vier Wochen an der Côte, das Wetter ist herrlich, Palmen, Sonne, Mädchen, Meer...?"
"Ist das blutige Ironie?" fragte Henri unsicher, "ich habe genug Blut gelassen." Er wandte dem Personalchef provokativ seinen verpflasterten Hinterkopf zu und tippte mit dem Finger darauf.
"Ach so, das!" Lafayette schien ebenso verwirrt, "hab davon gehört. Keine Bange, alles ist bestens geregelt. Ich wollte sagen....ach, lassen wir das. Also Urlaub bis zum 31. Juli, und was würden Sie davon halten, danach einen Posten in einer unserer Filialen zu übernehmen; Sie sind doch, soweit ich sehe," er blätterte in einer Akte, "Junggeselle, also ungebunden."
Aha, das war also die Überraschung, von der Renard gesprochen hatte! Aber irgendwie wurmte es ihn doch, er dachte an seine gemütliche Wohnung mit Ausblick über das Häusermeer von Paris und in einer Ecke seines Gemüts auch an Armida, das sollte er alles aufgeben?
"Also, wenn ich überhaupt eine Wahl habe," sagte er nach einer kleinen Bedenkzeit, "ich würde lieber hier bleiben."
Lafayette bewegte sich unbehaglich in seinem Clubsessel: "Ich würde es aber in Anbetracht der Umstände," er hielt einen Moment inne, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, "lieber sehen, wenn Sie dem Vorschlag zustimmten, wie wär's z.B. mit unserer Außenstelle in Cannes, da wäre eine Abteilungsleiterstelle neu zu besetzen, Sie würden," er blätterte wieder in der Akte und hielt sich eine Seite vor die Augen, "sich auch um eine Gehaltsstufe verbessern. Das wären," Lafayette rechnete angestrengt, "rund 1800 Francs im Monat mehr."
Henri kämpfte mit sich. Das war natürlich ein verlockendes Angebot, Côte d'Azur, Abteilungsleiter, mehr Kohle. Andererseits....., er wand sich.
Lafayette sah seinen Seelenkämpfen gelassen zu und meinte dann: "Sie können es sich ja am Strand noch überlegen, sagen wir bis in vierzehn Tagen, dann muß ich es aber wissen."
Henri fand das sehr großzügig, der Personalchef verabschiedete ihn, ging voraus, um ihm die Tür zu öffnen, die Klinke drückend, wandte er sich um und sagte: "Wenn Ihnen das ein Trost ist, Dr. Vlassens hat uns heute gekündigt. Er gehört ab 31. Juli nicht mehr unserer Firma an."
"Aber warum schieben Sie mich dann noch ab?" wagte Henri zu fragen. Der Personalchef schloß die Lederpforte, die er schon halb geöffnet hatte, sorgfältig und sagte: "Lieber Herr Dupont, von Abschieben kann doch keine Rede sein. Sie verbessern sich nur. Sehen Sie es doch ein, mehr kann ich in Anbetracht der Umstände," er legte wieder eine bedeutsame Pause ein, "nicht tun. Gewisse Herren haben nun einmal einen gewissen Einfluß."
Henri verstand. Es tat ihm leid, Lafayette so in Verlegenheit gebracht zu haben und trat den Rückzug an.
"Ich sage Ihnen ganz schnell Bescheid," versprach er und drückte ihm herzlich die Hand. Dann fiel ihm ein: "Hat Dr. Vlassens gesagt, warum er die Firma verläßt?"
"Ja, er will wieder als Anwalt arbeiten. Und er hat mir auch gesagt, wer seine erste Klientin sein wird. Raten Sie mal?"
"Wie soll ich das wissen."
"Fräulein Cecchini."
"Aber, zum Teufel, weshalb?"
Lafayette lächelte vielsagend und sagte: "Manchmal ist es gut, nicht zu viel zu wissen. Also dann: Auf Wiedersehen." Und er schob Henri sanft aus dem Zimmer.
Erst als er wieder auf der Straße stand, wurde ihm klar, was für ein Glückspilz er doch war, er tat einen kleinen Luftsprung, sah zum blauen Himmel hinauf, und die Ferienstimmung, die sich explosionsartig in ihm ausbreitete wie in einem Schuljungen, machte ihn ganz schwindelig. Jetzt nix wie nach Hause, packen, den Wagen volladen und ab in den Süden. Antibes, Cannes, Monte Carlo. Er würde sich die Filiale in Nizza mal ansehen, überhaupt das ganze Ambiente, so kam zum Angenehmen das Nützliche noch hinzu. Juhu, er hätte jeden auf der Straße küssen mögen.