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Die Frau Hitt

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Vor langer Zeit, als im Tal rund um die Tiroler Hauptstadt Innsbruck noch die Riesen wohnten, lebte ganz hoch droben im Gebirge in ihrem prächtigen Schloss die Riesenkönigin Frau Hitt. Man erzählte sich, die Wände ihres Palastes seien aus reinem Gold, die Fenster aus feinst geschliffenem Bergkristall und an allen Türen wären funkelnde Edelsteine angebracht. Ihren Wohlstand bekam die Frau Hitt aus ihrem blühenden Reich, von dessen Feldern, Wäldern, Höfen und dem Fleiß ihres Volkes.

Aber die Riesenkönigin war gleichermaßen hochmütig wie hartherzig und wurde von ihren Untertanen wegen ihrer Launen und Eskapaden sehr gefürchtet. Besonders das Personal im Palast litt unter ihrer Bosheit. Ihr müsst wissen, die Frau Hitt badete einmal in der Woche in lauwarmer Ziegenmilch, und das in einer Zeit, wo viele Kinder in ihrem Reich nicht einmal genug zu essen bekamen, weil ihre Familien so arm waren. Wehe der armen Magd, wenn die Temperatur des Milchbades für die Riesenkönigin nicht passte. Schimpfe und Schläge hatte die bösartige Frau jederzeit bereit.

Eines Tages ritt die Frau Hitt, gehüllt in Samt und Seide, geschmückt mit Gold und Rubinen, auf ihrem prächtigen Pferd einen steilen Bergpfad hoch. Da trat eine arme Bettlerin mit ihrem hungernden Kind an den Wegrand. Die verzweifelte Frau streckte der Königin bittend die Hand entgegen und flehte: »Herrin, habt Erbarmen, schenkt mir bitte ein Stück Brot für mein Kind. Wir haben seit drei Tagen nichts gegessen.«

Da brach Frau Hitt ein Stück Stein aus dem Fels, gerade so groß wie ein Laib Brot, reichte ihn der Bettlerin und sprach höhnisch: »Da habt Ihr Euer Brot! Lasst es Euch schmecken!«

Die Bettlerin ließ den Steinbrocken zu Boden fallen und rief verzweifelt, aber auch voller Zorn: »Hart wie Stein ist Euer Herz, Frau Hitt, und zu Stein sollt Ihr werden!«

Die größenwahnsinnige Riesenkönigin lachte nur über den Fluch, stieß die Bettlerin samt dem kleinen Kind grob zu Boden und ritt unbeeindruckt weiter hinauf zu ihrem Schloss.

Liebe, Mitgefühl und Zärtlichkeit kannte die grausame Frau nur für ihren Sohn. Er wurde verwöhnt, verhätschelt und durfte den ganzen Tag tun, was er wollte. Eines Tages spielte der Junge nun in Begleitung eines Försters im nahen Bannwald – ihr müsst wissen, ein Bannwald, das ist ein Wald, der in Bergen angepflanzt wird, um die Häuser und Höfe vor Lawinen oder Muren zu schützen –, da entdeckte der Riesenprinz ein besonders schönes, gerade gewachsenes Tannenbäumchen und rief: »Das will ich haben! Daraus machen wir ein Steckenpferd für mich.« Der Förster entgegnete vorsichtig: »Junger Herr, lasst diesen Baum bitte stehen. Dieser Bannwald ist den Bauern heilig. Er schützt ihre Familien und deren bescheidenes Hab und Gut.«

Das Riesenkind aber schrie seinen Begleiter an: »Halt deinen Mund! Ich bin der Sohn der Königin, und ich tue, was mir gefällt!« Wütend lief der Junge selbst zu dem Bäumchen hin und wollte es mit Gewalt knicken. Doch das biegsame Tannenholz schlüpfte ihm durch die Hände, der Stamm schnellte zurück und schleuderte das ungezogene Riesenkind ins Moor. Klatschnass und über und über von schwarzem, stinkendem Schlamm bedeckt, kroch der böse Königssohn aus dem Sumpfloch und lief jämmerlich heulend und klagend heim zu seiner Mutter. Frau Hitt tröstete das schluchzende Kind und befahl ihren Dienern: »Zieht dem Jungen die schmutzigen Kleider aus und säubert ihn mit weichen Brotkrumen, damit seine zarte Haut nicht wund wird.« Als die Dienstboten erschrocken die Augen aufrissen und ihren Ohren nicht trauen wollten, schrie Frau Hitt wie von Sinnen: »Habt ihr mich nicht verstanden! Holt sofort das Brot, löst aber ja die Rinde ab.« Kaum begannen die Mägde mit der gotteslästerlichen Reinigung des Königssohnes, da erschütterte ein unerhörter Donnerschlag das Riesenschloss. Grelle Blitze durchschlugen die Luft und die Sonne verfinsterte sich. Eine gewaltige Stein- und Schlammlawine ergoss sich von den Bergen herab und begrub das Land. Als der Himmel wieder aufklarte, war aus dem blühenden Reich der Riesenkönigin eine öde, vertrocknete, leere Wildnis geworden.

Der Fluch der Bettlerin hatte sich grausam erfüllt. Die herzlose Frau Hitt und ihr verzogener Riesensohn waren zu leblosen, grauen Felsfiguren geworden, die für alle Zeiten als steinernes Mahnmal gegen Geiz und Hartherzigkeit an der Nordkette über Innsbruck thronen. Dieser Berggipfel, der einer Frau auf einem Pferd ähnelt, trägt seit damals den Namen von Frau Hitt.

Alte Volkssage, mündlich überliefert

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