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Die Geschichte vom Rübezahl

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Der Riese Rübezahl ist eine sehr bekannte Märchenfigur, die vorrangig nicht Angst und Schrecken verbreiten sollte, sondern eine Art »Retter der Armen und Rächer gegen das Unrecht« darstellte. Der Berggeist erscheint den Menschen in verschiedener Gestalt. Insbesondere zeigt er sich gerne als Mönch in aschgrauer Kutte oder als Bergmann, Handwerker und in ähnlicher Gestalt und Verkleidung, jedoch auch in Tiergestalt oder als Gegenstand (Baumstumpf, Stein, Wolke). Gegen gute Menschen ist er im Allgemeinen freundlich, lehrt sie die Heilkunst der Kräuter und beschenkt insbesondere Arme. Wenn man ihn aber verspottet, rächt er sich schwer, etwa durch Unwetter. Bisweilen werden Wanderer von ihm in die Irre geleitet. Er soll einen Garten mit Wunderkräutern besitzen, den er gegen Eindringlinge verteidigt. Bescheidene Geschenke des Berggeistes wie Äpfel oder Laub können durch seine Macht zu Gold werden, umgekehrt verwandelt er gelegentlich Geld, das er bezahlt hat, in eine wertlose Währung.

Eine dieser überlieferten Geschichten erzählt von einem fahrenden Händler. Ja, die gab es früher sehr häufig, denn die Menschen konnten ja nicht einfach mit dem Auto in ein Einkaufscenter sausen. Damals waren diese Händler oft willkommene Abwechslung im Alltag der Menschen, die dadurch auch die eine oder andere Neuigkeit aus den Nachbarorten erfuhren. Denn auch Telefon oder Internet waren damals ja noch so etwas wie ein »Märchen«.

Rübezahl, der Geist des Riesengebirges – das liegt übrigens nicht in Tirol, sondern an der tschechisch-polnischen Grenze –, hatte seine Freude daran, den Menschen allerlei Streiche zu spielen. Dabei erwies er aber den Armen mancherlei Wohltaten und strafte die Hartherzigen und Geizigen. Einmal wanderte ein armer Glashändler mit einer schweren Kraxe voller Glasware auf dem Rücken über das Gebirge. Da er recht müde geworden war, hätte er sich gerne etwas ausgeruht, aber nirgends war ein Felsvorsprung oder dergleichen zu sehen, worauf er seine Last hätte absetzen können. Rübezahl, der ihn eine Weile beobachtet und bald seine Gedanken erraten hatte, verwandelte sich schnell in einen Baumstamm, der nun am Wege lag. Erfreut ging der müde Wanderer darauf zu, setzte seine Last ab und sich selbst auf den Stamm, um sich zu erholen. Kaum aber saß er da, so rollte der Stamm unter ihm weg den Berg hinunter und der Händler und die Scherben des Glases lagen auf dem Boden. Traurig erhob sich der arme Mann, und als er seine zerbrochenen Schätze betrachtete, fing er bitterlich zu weinen an. Da kam Rübezahl, der wieder menschliche Gestalt angenommen hatte, auf ihn zu und fragte nach der Ursache seines Kummers. Treuherzig erzählte der Händler sein Unglück und dass er bei seiner Armut nicht die Mittel zum Ankauf neuer Vorräte besitze. Rübezahl teilte dem Traurigen nun mit, wer er sei und dass er ihm helfen wolle, damit er wieder neue Glaswaren kaufen könne.

Nun verwandelte sich Rübezahl vor den Augen des erstaunten Mannes in einen Esel und gebot ihm, ihn zur nächsten Mühle zu führen. Der Müller bräuchte gerade einen Esel und würde ihm sicher gerne ein so schönes Tier, wie er es sei, abkaufen. Dann solle er sich aber um nichts weiter kümmern, sondern sich mit dem Gelde schnell fortmachen. Der Mann führte nun den Esel zur nächsten Mühle, und nachdem der knausrige Müller noch einen Taler vom geforderten Kaufpreis abgehandelt hatte, wurde das Grautier sein Eigentum. Der Händler nahm das Geld – er hatte noch zwei Taler mehr bekommen, als seine Glaswaren gekostet hatten – und machte sich damit schnell aus dem Staube. Der Müller freute sich recht über den guten, billigen Kauf, führte das muntere Eselein in den Stall und gab dem Knechte den Auftrag, demselben Futter zu geben. Darauf ging er in seine Stube. Sogleich aber kam ihm der Knecht, vor Furcht und Entsetzen zitternd, nachgelaufen und sagte: »Herr, der neue Esel ist verhext! Ich habe ihm Heu gegeben, aber da rief er: ›Ich fresse kein Heu! Ich will Braten und Kuchen haben!‹« Der Müller wollte die Geschichte nicht glauben und ging mit in den Stall. Dort stand das Eselein ganz ruhig und still. Der Müller nahm nun eine Handvoll Heu, hielt es dem Tier hin und streichelte dasselbe. Der Graue aber nahm ihm das übel, schlug mit dem Vorderfuß nach dem Müller und rief wieder: »Ich will Braten und Kuchen! Ich will Braten und Kuchen!« Entsetzt wich der Müller zurück. Der Esel aber drehte sich um, gab ihm noch einen Tritt mit den Hinterbeinen, sodass er ins Heu kugelte, und sprang dann durch die offene Tür hinaus ins Freie, wo er bald verschwunden war. Nachdem der Knecht seinem Herrn wieder auf die Beine geholfen hatte, rieb dieser sich die schmerzenden Glieder und jammerte: »Hätte ich doch meine zwölf Taler wieder! Mein schönes Geld!« Dem Müller aber war recht geschehen, denn er war geizig und hartherzig und hatte noch am Tage vorher einen armen Bauern um zwölf Taler betrogen, und so hatte Rübezahl den Geizigen bestraft und dem braven Glashändler sein Tagwerk erleichtert.

Hermann Weinert

Zeit für Märchen

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