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Iglau, Frühjahr 1318
ОглавлениеCuno wälzte sich ächzend auf die Seite. Sein Strohsack lag innen an der dem Regen ausgesetzten Wand der Knappenkammer – immer der Platz für Neulinge - und machte ihm bei starkem Regen die der Wand zugewandten Seite klamm vor Feuchtigkeit. Seine Glieder schmerzten von den Übungen des Tages, die Stelle am Oberarm, wo heute das Holzschwert Pritbors niederschlug wie ein Brechhammer, war geschwollen und sicher schon grün-blau. Er hatte Hunger und war aufgeregt wegen morgen:
Seit einem Jahr war er jetzt als Knappe bei Boleslav Přemisl. Der war wie Salwa ihn beschrieben hatte, so breit wie hoch – und er war groß! Er sah ihn täglich an der Tafel, selten beim Training, aber seine tiefe, wohlklingende Stimme zeigte den ganzen Tag, dass er in der Nähe war. Cuno war wie die anderen Knappen Pritbor von Jihlavy unterstellt, einem Ritter ganz aus der Nähe, der seit Jahrzehnten für Boris die Ausbildung der Knappen übernommen hatte, weil der Hausherr selbst zu wenig Zeit und Geduld dafür besaß. Das bedeutete aber auch, dass Pritbor fast nach Gutdünken mit den 7 Jungen verfahren konnte, die als Knappen dienten. Neben Cuno als dem bisher jüngsten waren das Miška, Tibor, Johann, Juri, Pjotr und Friedrich.
Miška, der Älteste hatte seinen Strohsack direkt hinter der Tür. Das war der Platz, von dem aus man am besten Handeln konnte, je nachdem, wer oder welche Anforderung zur Tür hereinkam. Und gegen diesen musste Cuno am Morgen im Tjost antreten.Miška war Tscheche und stolz darauf. Und überzeugt, dass er, sowie er zum Ritter geschlagen wäre, alle, die keine Tschechen waren, also nicht zur Česka gehörten, aus Böhmen vertreiben würde.Sein jüngerer Bruder Tibor war Cunos besonderer Freund: sie waren ungefähr gleich alt, versuchten, in der wenigen Freizeit, die sie hatten, ihren Schatz an Liedern gemeinsam zu erweitern und sie waren beide von dem gleichen Mädchentyp fasziniert. Cuno erkannte zunehmend, dass er alle weiblichen Wesen, die jünger waren als Boleslavs Frau Aljina, mit Salwa verglich! Tibor war ein Jahr länger in Jihlava als Cuno, aber Cunos Vorbereitung in Steigerthal hatte aus ihm einen ebenbürtigen Kämpfer gemacht. Johann war wie Cuno aus Thüringen, aus einem edlen, aber armen Rittergeschlecht, das auf einer halbverfallenen Burg nahe der Eger im Grenzgebiet zu Böhmen hauste. Trotzdem hielt er sich für den Vornehmsten unter den Knappen und ließ sich nur hin und wieder herab, mit den anderen die Zeit zu verbringen. Juri war der Sohn eines Bergmeisters aus Mähren, etwas weiter Richtung Mittag als Jihlava, der eigentlich nur zu Boleslav gekommen war, um mehr über das Bergwesen zu lernen, aber der Ritter hatte so viel Gefallen an ihm gefunden, dass er ihn seiner Knappenschar zugesellte, ganz zum Stolz von Juris Eltern. Pjotr war der Sohn eines polnischen Adligen, mit dem Boleslav Handel zu treiben pflegte und den der Böhme auf Bitten der Eltern als Knappe aufgenommen hatte, damit er bei Pritbor von Jihlavy Zucht und Ordnung lernte, was ihm seine Eltern wohl nicht beibringen konnten. Er war der Störenfried in der Gruppe – außer Miška natürlich – der immer wieder daran schuld war, wenn Pritbor sich genötigt sah, die ganze Knappenschar zu bestrafen. Und dann Friedrich: schmächtig, dunkles, dünnes Haar und einem Gesichtsausdruck, der zeigte, dass er gleich zu heulen anfangen würde, und er war in hohem Grad ängstlich. Seine bayrische Familie war sicher froh, ihn für eine Weile los zu sein! Er war auch schuld, dass Wolf nicht im Zimmer der Knappen schlafen durfte, sondern sich im Stall eine Kuhle bei Cunos Pferd machen musste.
Das Pferd! Cuno hatte es ja von zu Hause mitgebracht, damals noch jung, kaum geschult, aber der lange Weg hatte den Hengst einiges lernen lassen, und der Weiße Boris, der Stallmeister der Přemysliden in Jihlava, dem das Pferd sofort gefallen hatte, hatte ihn zu einem richtig guten Streitross erzogen, auch wenn er ein wenig zu klein und leicht war; deshalb hatte Boris ihm auch einen anderen Namen gegeben: statt „ Hasso“ hieß er nun „der Kleine“, auf tschechisch „ Váží “.
Morgen also Tjost gegen Miška. Für beide war es eine wichtige Entscheidung. Natürlich wäre es eine große Überraschung, wenn er gegen den fünf Jahre älteren und sicher doppelt so schweren Miška gewinnen würde, aber Pritbor hatte angekündigt, dass er aus dem Verlauf des Turnieres heraus entscheiden würde, ob Cuno weiterhin ganz die ritterlichen Übungen durchleiden musste, oder ob er zu gewissen Zeiten den Schwarzen Boris begleiten könnte, den Bergmeister Boleslavs, um das Berghandwerk zu erlernen.
Für Miška war der Tag entscheidend, weil er nach Vorgabe des Knappenmeisters die anderen Knappen, die das Gleiche wie er, nur noch nicht so lange, gelernt hatten, besiegen musste. Erst dann könne ihn Johann von Luxemburg, der derzeitige böhmische König, zum Ritter schlagen. Zweimal schon hatte Miška es nicht geschafft: beim ersten Mal hatte er zwar alle anderen besiegt, aber es gab keinen König, der ihn hätte in den Ritterstand erheben können. Und als Johann sich im Jahr, bevor Cuno nach Jihlava kam, endlich als König durchgesetzt hatte, war Miska seinem eigenen Bruder, gegen den er wohl nicht mit aller Macht gekämpft hatte, unterlegen! Für ihn ging es also um alles oder nichts, und dementsprechend würde er die anderen Knappen zu vernichten versuchen, Cuno als jüngsten zuerst.
Im Geist ging Cuno nochmal den Ablauf des Tjosts durch; er wusste, wie er die Lanze beim Gegner anzusetzen hatte, auch wenn es morgen um stumpfe, vorne gepolsterte Stangen ging; er wusste auch, wie er verhindern konnte, dass sich die Lanze in den anstürmenden Angreifer verhakt und ihn damit vom Pferd zog. Aber würde es so gehen? Und dann kam das Schwerste: mit stumpfem Schwert und dem kleinen Schild zu Fuß in der schweren Rüstung gegen den größeren Gegner durchhalten – er konnte sich nur auf seine Schnelligkeit verlasen, an Kraft hatte er Miška nichts entgegenzusetzen. Wenn der wieder, wie letzte Woche, es schaffte, ihm den Schild aus der Linken zu schlagen, könnte er sich das Wissen über den Bergbau, weswegen er ja seiner Meinung nach eigentlich hier war, noch für ein weiteres Jahr aus dem Kopf schlagen. Wenn er Váží dazu brächte, dass er einen Schritt zu der Seite machen würde, die dem anstürmenden Miška abgewandt ist, dann hätte der seine Lanze falsch gesetzt und Cuno hätte eine zweite Chance. Aber wie soll er das schaffen. Und dann kam ihm der Gedanke, Wolf mit auf den Turnierplatz zu nehmen; wenn der rechtzeitig seinen Freund Váží anheulen würde, lehnte der sich sicher auf Wolfs Seite und Miška stürmte ins Leere… „Euer Vater hat schon Recht: Betrug sollte nicht sein. Und Betrug lohnt sich nicht.“ Die Stimme Cuonrads von Hohnstein hallte in seinem Kopf wider. Er hatte das gesagt, nachdem der alte Gernot wutentbrannt gegangen war, weil ihm das Verschneiden der Münzen als Betrug erschien. Es war Betrug, auch wenn es die Landgrafschaft in dem Jahr gerettet hatte und unterdessen die meisten verschnittenen Münzen wieder eingesammelt und gereinigt waren.
Als Cuno in voller Rüstung auf Váží in die Kampfbahn ritt, war er froh, dass er Wolf nicht zum Betrug mitgebracht hatte; und er war froh über seinen Helm, der verbarg, dass ihm das Blut ins Gesicht schoss: Auf der einfachen Tribüne saßen Graf Heinrich von Pisek, seine Gemahlin Ermingilda und ihr Patenkind Salwa neben Boleslav Přemisl, um dem Tjost zuzuschauen und den Fortschritt der Knappen zu begutachten, während Pritbor Ausrüstung, Waffen und die Sattlung der Pferde bei den anderen Knappen ein letztes Mal überprüfte.
Miška war auf seinem Ross in die anderen Kampfbahn geritten. Beide warteten auf das Zeichen Boleslavs um die Pferde antraben zu lassen. Doch der unterhielt sich mit seinen Gästen und rief auch noch Pritbor hinzu. Nervös nestelte Cuno an seinem Waffenrock herum, zog das steigerthalsche Wappen gerade und versuchte, Salwa so gut wie möglich zu sehen. Die winkte ihm kurz zu und als Boleslav in dem Moment den Befehl zum Angriff gab, war Cuno zu überrascht, um an Taktik zu denken. Er setzte die Lanze auf den Oberschenkel, gab Váží die Sporen und raste auf Miška zu, dessen Lanze schon am rechten Ellbogen eingelegt auf Cuno gerichtet war. Als sie nur noch wenige Längen trennten, ließ Cuno seine Lanze nach vorne sinken und traf Miškas vom Schild geschützten linken Arm, während er selbst sich unter dem beim Aufprall etwas zu hoch geratenen Lanzenkopf Miškas durchbückte, so dass der halbe Schaft ihm über den Rücken glitt, ihn aber nicht aus dem Gleichgewicht brachte. Am Ende der Kampfbahn wendeten beide ihre Pferde und stürmten erneut aufeinander zu. Diesmal gab es kein Entrinnen. Cuno flog aus dem Sattel und krachte auf den sowieso schon schmerzenden Oberarm. Aber im Fallen hörte er den Aufschrei Salwas. Als er wieder auf die Füße kam, sah er, dass sie die Hand vor den Mund hielt und ihn mit Tränen in den Augen ansah. Das war der Kraftspender, der ihm gefehlt hatte. Miška und Cuno standen einander nun – so gebot es die Regel – zu Fuß gegenüber, Kurzschwert und kleines Schild. Miška stürmte auf Cuno zu, den Schild halbhoch gehalten, das stumpfe Schwert in der Faust, bereit, von unten nach oben zuzustechen. Cuno wartete, bis der Tscheche schon fast nah genug für einen Streich war und wechselte dann blitzschnell Schwert und Schild, so dass Miška nun vor seinem Schwert den Schild Cunos hatte, während dessen Linke einen mächtigen Schlag gegen den Kopf des Gegners landete. Miška stolperte kurz und warf sich mit einem lauten Schrei auf den Kleineren, der wieder Schwert und Schild zu tauschen versuchte, aber doch zu langsam war. Der Schild fiel ihm nach dem ersten Schlag aus der Hand, Miška setzte ihm das Schwert an die Halsbeuge und schlug zu. Stöhnend sank Cuno in den Matsch der Kampfbahn und gnädiges Vergessen legte sich um ihn.
Als er wieder zu sich kam und versuchte, die Augen zu öffnen, lag er in dem kleinen Zelt, das den Kämpfern als Ankleide diente. Draußen hörte er das Geschrei der Kämpfenden, drinnen lag Tibor bewusstlos neben ihm, und Friedrich wartete , nun wirklich heulend, auf seinen Einsatz. Aber da spürte Cuno, wie jemand ein feuchtes Tuch auf seine Stirn legte und ihm vorsichtig das Gesicht zu reinigen versuchte. „Du kannst es sicher nicht ertragen, schmutzig zu sein!“ sagte die helle Stimme Salwas hinter ihm. Er öffnete die Augen und schaute hoch. Ihre Stimme hatte geklungen, als ob sie sich über ihn lustig machen würde, aber als er ihr ins Gesicht sah, bemerkte er die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. „Warum müsst ihr nur immer kämpfen, es gibt doch Wichtigeres, das immer gilt – frag deinen Tasso!“ Mit Mühe hob er seinen Arm und legte seine Hand auf ihre. „Danke!“
Neben im rührte sich Tibor und Salwa konnte nicht anders als auch ihm die Stirn zu kühlen, bis er ganz erwachte. „Wie sieht es draußen aus?“ fragte Cuno, die unverfänglichste Frage, die dem Vierzehnjährigen einfiel. „ Miška hat bisher alle besiegt, aber so übel wie euch beide hat es keinen erwischt. Johann ist erst im vierten Anlauf gefallen und, Pjotr hat sich, glaube ich, von alleine fallen lassen und tat sich damit gar nicht weh. Juri fiel gleich, hat aber Miška im Fußkampf fast besiegt – jetzt ist noch Friedrich dran, aber sicher nicht lange!“ „Stimmt!“ Das war Pritbor, der gerade die Decke am Eingang des Zeltes zurückschlug. „Miška kann sich zum Ritter schlagen lassen und auch der Rest hat sich gut gehalten –bis auf Friedrich – der dürfte schon oben in eurer Kammer auf dem Strohsack liegen und heulen! Lasst sehen, was ist euch passiert?“ Salwa rückte zur Seite und der stämmige Ritter machte kein Federlesen aus seiner Überprüfung. Beide Jungen zogen vor Schmerz die Luft durch die Zähne ein, als er sich Arme, Beine und Brustkorb der beiden vornahm. „Sehr schön – nichts wirklich kaputt, auch wenn es noch ein paar Tage weh tun wird. Du, Tibor, brauchst nochmal ein paar Fußkampfübungen, damit dich so einer wie dein Bruder nicht wieder niederschlagen kann. Ich verstehe schon, dass er die Schmach vom letzten Jahr, gegen den kleinen Bruder verloren zu haben, tilgen musste, aber du hättest auch damit rechnen müssen und dich besser sichern. Und nun zu dir, Cuno: Dafür, dass du erst ein Jahr bei uns bist, hast du dich gut geschlagen; der Trick, Schild und Schwert erst in der einen, dann in der anderen Hand zu führen, hat schon manchen großen Ritter zu Boden gebracht. Was dir noch fehlt, ist Kraft und Sicherheit. Die Kraft wirst du bekommen, wenn du ab nächster Woche wieder richtig laufen kannst und der Schwarze Boris dich in den Berg scheucht!“ Damit verließ Pritbor die drei und gesellte sich wieder zu den Gästen, um einen ordentlichen Schluck auf die Erfolge zu nehmen. Cuno überlegte verzweifelt, wie er das Gespräch mit Salwa, die ihn jetzt fragte wo und wie es weh täte, so hinbiegen konnte, dass dabei mehr als nur das Gesagte gesprochen wurde, als die Decke des Zeltes wieder gehoben wurde. Eine der Mägde schaute scheu herein und überbrachte ihre Botschaft: „Ritter Přemisl bietet euch an, das Badehaus zu benutzen; Frau Aljina hat warmes Wasser bringen lassen. Neben dem Becken findet ihr ein Fläschchen mit einer Tinktur, die sollt ihr auf die schmerzenden Stellen reiben.“ Und damit war sie verschwunden. Salwa musste trotz immer noch rollender Tränen über das ganze Gesicht grinsen. „Da wird unser Cuno sich aber freuen! Und, ehrlich gesagt, ich auch, denn so, wie ihr beide gerade riecht, ist es keine Freude, heute Abend beim Festmahl neben euch zu sitzen! Bis später!“ Sie ließ ihre Hand etwas länger als notwendig auf Cunos Stirn liegen und verschwand dann ebenfalls durch die Zeltdecke.
„Ist das das Mädchen aus Pisek, von dem du erzählt hast?“ Tibor schien der Schlag seines Bruders schon weniger zu beschäftigen als seine Neugier. „Ja.“ „Die ist wirklich süß – diese Haare, diese Haut – aber das mit den grünen Augen war hier im Zelt gar nicht zu erkennen – ich glaube, da hast du aufgeschnitten!“ Cuno quälte sich auf die Füße. „Ich glaube nicht. Wenn wir nachher mit ihr zu Abend gegessen haben und die Halle wie üblich festlich erleuchtet ist, wirst du schon sehen. So, und jetzt lass uns baden gehen!“ Tibor war gar nicht so begeistert, seinen ganzen Körper nass zu machen, aber Cuno hatte schon so oft das Baden als etwas Schönes erwähnt, dass er sich ohne Murren ebenfalls aufrichtete und mitkam, und wenn es nur war, um seine Neugier zu befriedigen!
Das Badehaus war hinter dem Turm, der die Kemenate verbarg, in halber Höhe angebaut. Eigentlich war die Kemenate das Frauenhaus, aber BoleslavPřemisl hatte es wie viele andere als die Privatgemächer der Familie gebaut. Cuno und Tibor mussten erst einmal die Treppe im Turm hinauf, dann durch die von einem Gewappneten bewachte Tür in den eigentlichen Wohnbereich, und da erwartete sie schon die Magd, die ihnen vorher die Nachricht gebracht hatte und wies ihnen den Weg: Hinter einer festen Holztür öffnete sich ein wohl zwanzig auf vierzig Fuß großer Raum, angenehm erwärmt durch ein großes Feuer im Kamin und in das in der Mitte liegende Becken sprudelte – wie Salwa es erzählt hatte – dampfendes Wasser aus einem Holzrohr. Die beiden Jungen entledigten sich der Reste der Rüstungen, dann der Unterkleider und stiegen vorsichtig in das Becken. Kaum hatten sie es sich auf den gemauerten Bänken im Becken gemütlich gemacht, kam Pritbor herein, und rief nach draußen: „Genug Wasser! Abstellen!“ Dann wandte er sich an Cuno und Tibor: „Das warme Wasser hilft den Muskeln, den Schmerz zu vertreiben und es verhindert, dass Schlimmeres als Schmerzen daraus entstehen. Lasst euch erst einmal durchwärmen, und dann nehmt die Tinktur von Frau Aljina und reibt sie in die schmerzenden Stellen. Die Magd wird euch saubere Kleidung bringen, eure dreckige könnt ihr morgen waschen und die Rüstungen morgen polieren. Wir erwarten alle Kämpfer beim Abendmahl. Es wird schließlich das letzte Mal sein, dass Miška als Knappe in unserer Halle sitzt!“
Etwa eine Stunde später saßen zwei wohlriechende, saubere und aufgeregte Knaben neben ihren Knappenbrüdern und Salwa gegenüber. Cuno gratulierte Miška, der sich sichtlich freute, dass seine härtesten Gegner wieder auf den Beinen waren. „Danke für die guten Wünsche! Und ich muss sagen, du warst ein harter Brocken, genau wie Tibor. Und wenn ich euch nicht alle besiegt hätte, hätte ich wenigstens Baden wollen. Ich weiß noch, wie das mir beim ersten Kampf wohl getan hat!“ Alle waren durstig und hungrig, und wie es Brauch war in Jihlava, musste der Sieger des Tjost die Unterlegenen und die Gäste bewirten, so dass sich Miška erst einmal seinen Pflichten widmen musste. Tibor, Johann, Juri, Pjotr und Friedrich stürzten das erste Bier hinunter, Cuno blieb beim Wasser, da er wusste, dass das Bier ihn zu schnell wirres Zeug reden ließ, und das wollte er heute Salwa gegenüber nun wirklich nicht. „Wie war das Baden?“ „So, wie du gesagt hast: das warme Wasser fließt aus einem Rohr in der Wand und wenn du bis zum Hals darin liegst, kannst du dir vorstellen, wie das Paradies ist!“ „Schwärme du nur weiter – wenn das noch lange geht, werde ich Onkel Heinrich bitten, mir in Pisek auch ein Badehaus einzurichten!“ „Dann könnten wir zusammen baden“ platze es aus Cuno heraus, und bevor der Satz ganz heraus war, wurde der Junge puterrot, Salwa aber auch, obwohl sie die Geschichte von Cunos Urgroßmutter sicher nicht kannte. Und keiner von beiden vollendete den Gedanken in Worten.
Nach dem Essen kam der Schwarze Boris herüber an den Tisch der jungen Leute. Er war vierschrötig, mit kräftigen Armen und Beinen und trug einen dichten, schwarzen Bart und langes schwarzes Haar – der Name passte zu ihm. „ Pritbor hat mir gesagt, dass ich nächste Woche einen neuen Bergmann einarbeiten soll; hast du feste Schuhe, keine Stiefel? Und eine eiserne Kappe? Besorg dir beides von Boleslav und am Montag bei Sonnenaufgang bist du am ersten Schacht in Staré Hory, das ist gleich hinter der Burg!“ Ohne weitere Höflichkeiten drehte sich der Schwarze Boris um und stapfte zu seinem Tisch, wo er mit anderen Bergleuten weiter trank. „Warum willst du denn unbedingt das Berghandwerk lernen? Du fliegst als Knappe ja schon oft genug in den Dreck!“ Cuno schaute Salwa an – ja, ihre Augen waren so grün, wie er es Tibor erzählt hatte. Als er kurz zu dem hinübersah, konnte er feststellen, dass auch Tibor diese Augen suchte.
„Ich komme aus einer Familie, die nur ein sehr kleines Lehen hat – und du kannst beruhigt sein, wir haben keine Leibeigenen! Die Leute in unserem Dorf arbeiten entweder als Bergleute oder versorgen diese. Und das Silber, das wir gewinnen, erhält der Landgraf Friedrich von Thüringen, um Hof und Heer zu bezahlen. Aber wir haben wenige Kenntnisse, was Bergbau und Silbergewinnung angeht. Was wir wissen, das haben wir alles aus Erfahrung uns erarbeitet. Boleslav, eigentlich noch besser der Schwarze Boris, weiß viel, viel mehr darüber, und wenn ich das auch alles gelernt habe, dann können wir unseren Steigern ein besseres Leben sichern und unserem Landesherren die Ruhe für eine gute Politik!“ „Und du kannst den ganzen Tag baden!“ Es klang schnippisch, aber Salwa sah dabei eher verträumt aus. „Oder du kannst mit mir Schach spielen – jetzt!“ „Oh, Salwa – das ist etwas, was ich nun noch überhaupt nicht kann. Ich weiß, ich sollte es können, so wie Singen und Leier spielen, aber…“ Tibor beugte sich zu ihnen hinunter. „Hast Du Pritbor nicht gehört? Wir sollen sofort in unserer Kammer zusammenkommen. Die Arbeiten für morgen werden verteilt und da Miška heute seine erste Nacht im Saal der Ritter verbringen darf, müssen wir auch klären, wer im nächsten Jahr, bis ich zum Ritter geschlagen werde, wo seinen Schlafplatz hat. Bleibst Du überhaupt hier in der Burg oder wohnst du dann irgendwo beim Schwarzen Boris?“ Cuno stand auf, verbeugte sich höflich vor Salwa, flüsterte leise „Ich hoffe, ich sehe dich bald wieder“ und folgte Tibor, um sich von Boleslav und Aljina und den Gästen zu verabschieden. Heinrichs „Besuch uns bald in Pisek!“ nahm er gern zur Kenntnis und folgte dann Tibor in ihre Kammer. „Wo sind die anderen?“ „Unten in der Halle.“ „Was soll das? Warum hast du mich hierher gelockt?“ „Weil jeder sehen konnte, dass du völlig verschossen bist in dieses Mädchen und ich dich vor irgendwelchen blamablen Geschichten schützen wollte! Sie ist sehr nett und sehr schön und hat sehr grüne Augen, aber sie ist Tschechin, und du kennst die Meinung Miškas, die übrigens die Meinung meiner ganzen Familie und meine ist, dass dieses Land und seine Menschen unser Land sind.“
Cuno gab sich geschlagen. Er wusste, dass er von Salwa träumte und sie schöner, klüger, geistreicher fand, als alle anderen Mädchen oder jungen Frauen, und er war sich nicht sicher, ob er nicht bald irgendeinen Blödsinn gemacht hätte, den er zwar sich erträumen könnte, aber den er nicht im Beisein all dieser Männer zeigen durfte.
Deshalb half er Tibor, die Strohmatratzen herum zu schieben. Tibor erhielt nun den Platz hinter der Tür, Cuno rutschte an die trockene Wand zum Treppenhaus hin und der nasse Platz an der Außenwand blieb frei für den, wen auch immer, der neuer Knappe von BoleslavPřemisl werden sollte. „Ich soll meinen Bruder nach Prag begleiten, du kannst dann solange meinen Platz einnehmen.“