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Steigerthal, Thüringen, Frühjahr 1316

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„Hat dich die Vorstellung, Cuno bald wegzugeben zu müssen, so erschreckt, dass du nicht einmal dein vorzügliches Essen kosten kannst?“ fragte Gernot. „Ja“, war die einsilbige Antwort, „Weiß er schon davon?“ „Seit vorhin.“ Die Gedanken wirbelten in Adas Kopf. Sie kannte natürlich all die Geschichten vom Kreuzzug, der Befreiung Gernots und auch, wie dieser in Erfurt empfangen wurde, als er die Rüstung zurückbrachte und sie seinem unterdessen unversehrt heimgekehrten Herren übergeben konnte: Heinrich war so bewegt, dass er etwas tat, was seiner Umgebung und dem ganzen thüringischen Adel Gesprächsstoff für Jahre gab: Er bat Gernot, niederzuknien, schlug ihn zum Ritter und belehnte ihn mit dem Weiler Steigerthal, der nach dem Tod des alten Ritters an Heinrich zurückgefallen war, worauf ihm Gernot die Treue schwor. Die anwesenden Adligen murrten und klagten, dass Gernot schließlich eigentlich leibeigen sei und nie von ihnen als gleichwertig aufgenommen würde, aber Heinrich blieb stur, auch wenn er versuchte den anderen Rittern klar zu machen, dass das Lehen, das nur aus dem Weiler Steigerthal und das ihn umgebende Tal bestand, für keinen der anderen Adligen einen Verlust bedeuten würde. Für diese Ritter ging es nicht um weltliche Güter, sondern um Ehre, Reinheit des Blutes und Traditionen. Gernot aber wusste, dass der Name des Lehens – der ja jetzt auch sein Name war – eine tiefere Bedeutung hatte: An den Berghängen des Tals gab es einzelne Aufbrüche und Stollen, in denen die Dorfbewohner in ihrer kargen Freizeit Gestein ausbrachen, das sie mit Schmiedehämmern zerschlugen und in Holzkohlefeuern erhitzten, so dass zumindest meistens eine kleine Pfütze geschmolzenes Silber übrigblieb. Der verstorbene Ritter von Steigerthal hatte schon einen Teil der wenigen Bauern aus dem Weiler von der Leibeigenhaft befreit. Sie gaben daraufhin den größten Teil der Landwirtschaft auf den wenig ergiebigen Böden auf und versuchten, ihren Lebensunterhalt mit dem Berggewerbe zu verdienen. Da sie bald Hilfskräfte beschäftigten, um das Gestein zu bearbeiten und selber in die Schächte stiegen, nannten sich die Bergleute Steiger. Dadurch waren die Ritter von Steigerthal wohlhabend geworden und deswegen war das Lehen keineswegs so unbedeutend, wie Heinrich es darstellte. Dadurch würden Gernot und seine Familie sich vieles leisten können, wovon andere Ritter nicht einmal träumten, aber das Ansehen bei den benachbarten Adligen würde nicht wachsen, dafür der Neid, die Verdächtigungen und die Bosheiten, wie das Niederbrennen des Schachtturms und der Sicherungskammer gestern wieder deutlich gezeigt hatte. Gernots Vater, Gerfried von Steigerthal, hatte allen Bauern, die Steiger werden wollten, die Freiheit gegeben und damit den Ertrag des Bergbaus schnell ausgeweitet. Da die Steiger und ihre Arbeitskräfte nun ihre Nahrung und alle Dinge des täglichen Bedarfs kaufen mussten, aber auch kaufen konnten, hatte sich neben den Bergleuten eine ganze Gruppe von Handwerkern wie Bäcker, Metzger, Schreiner, Weber und Händler im Dorf angesiedelt, das so schnell wuchs und wohlhabender wurde. Es war Gerfried gelungen sich über Jahrzehnte aus den Händeln des Adels herauszuhalten und er hatte mit seiner Frau, der Enkelin eines lothringischen Ritters aus dem Gefolge Jean de Beaumonts, eine glückliche Ehe geführt, die nur dadurch beeinträchtigt war, dass von ihren Kindern nur Gernot überlebte. Gerade als der auf der Burg seines Großvaters seine Knappenzeit beendet hatte und vom französischen König zum Ritter geschlagen worden war, erreichte ihn die Nachricht, dass seine beiden Eltern im Sterben lagen. Er kehrte noch so rechtzeitig nach Steigerthal zurück, dass er von ihnen Abschied nehmen konnte, nicht ohne seinem Vater Gerfried versprochen zu haben, dass er sich dem friedlichen Berggewerbe und nicht dem Kriegshandwerk widmen würde.

Gernot „der Kleine“, der älteste Sohn, hatte in Erfurt am Hof des Landgrafen das Ritterhandwerk gelernt, und zwar erfolgreich, er war im Turnier, im Tjost und auf der Jagd kaum zu schlagen, aber Gernot war schon als Kind besessen davon gewesen, ein richtiger Ritter zu werden. Cuno dagegen war ein Träumer, ihr Nesthäkchen, und von vielen Ideen begeistert, die zwar im Hause Steigerthal, vielleicht auch noch im Hause Hohnstein vorgebracht wurden, aber in sonst keinem ritterlichen Haus: welches Kind käme zum Beispiel von sich aus auf die Idee, vor dem Essen Hände waschen zu müssen – davon, dass er schnell etwas verstecken musste, wusste sie ja nichts. Er war fast dreizehn. Ein verspieltes, liebenswertes Kind mit dicken Backen und blonden Locken, die sie an ihre eigene Kindheitszeit erinnerten, obwohl es eigentlich sehr ungewöhnlich war, dass sie selbst tatsächlich blond und blauäugig war, war doch ihr Vater eher ein dunkler Typ. Ihre Mutter aus Dänemark war zwar auch hellhäutig, aber ihre Großmutter väterlicherseits, die Landgraf Heinrich aus Zypern mitgebracht hatte, als er nach dem Sieg über die Grafen sich wieder König Ludwig von Franzreich angeschlossen hatte, war schwarzhaarig, mit dunklem Teint und liebenswert wie keine andere Frau, die sie kannte. Was sie über ihren leiblichen Vater von ihr geerbt hatte, war die Fähigkeit, andere Menschen schnell einzuschätzen und ihre Gefühlslage zu erkennen, so dass sie sehr selten enttäuscht wurde, wenn sie versuchte etwas zu verstehen oder ihre Ideen durchzusetzen. Insgeheim lächelte sie, als sie daran dachte, wie sie die Einrichtung von Bädern auf Burg Steigerthal durchgesetzt hatte: Gernot hatte festgestellt, dass sie anders roch, als bei ihrer Ankunft auf der Burg oder im Haus ihres Vaters. Seitdem genoss sie das tägliche Bad! Diesmal aber wusste sie nicht, was sie durch setzten wollte. Das Angebot Hohnsteins war ehrenwert und würde der Familie insgesamt sicher weiterhelfen. Aber Cuno war doch noch so klein! Und er hatte Angst – das war klar, auch wenn sie ihn selbst noch nicht gesehen und gesprochen hatte, aber diese überdrehte Fröhlichkeit, die er zur Schau stellte, als er die Treppe hinaufgerannt war, die kannte sie gut. Immer, wenn er sich fürchtete, gab er vor, bester Dinge zu sein.

Cuno kam jetzt wieder die Treppe herabgestürmt und nahm seinen Platz neben der Mutter ein. Als er sah, dass auf ihrer Platte nichts lag, griff er sich die nächstbeste Schüssel, nahm ein gegrilltes Hühnchen, mit Äpfeln und Rosinen gefüllt, legte Ada einen Hühnchenschenkel vor, nahm sich den anderen und biss herzhaft hinein. Ada nagte an ihrem Stück herum, während Cuno unter der grinsenden Beobachtung des ganzen Tisches, eigentlich des ganzen Saales, nach Wildschwein und Brot griff. „Ich bin so gerannt“, sagte er, als der Mund kurz leer war, „ich glaube, ich könnte ein ganzes Schwein essen!“ und biss wieder zu.

Als er seinen ersten Hunger ausreichend gestillt hatte, beugte er sich vor, blinzelte seinem Vater und seinem Patenonkel zu: „Habe alles erledigt“, und widmete sich dem Rest seines Fleischstückes. „Dann können wir ja zu Werkgehen!“ antwortete Hohnstein lächelnd und wandte sich an den Alten: “Könnt Ihr das Gesinde vom Zwinger fernhalten, so dass niemand das Holzkohlefeuer und uns sehen kann?“ „ Leute“, wandte sich Gernot der Ältere von Steigerthal an alle im Saal: „Ihr wisst, was gestern Abend passiert ist. Unser hoher Gast und ich werden heute Abend versuchen, eine Gegenwehr zu probieren, die den nächsten Angriff zumindest erschweren wird. Deshalb ein klarer Befehl: Alle, die heute Nacht nicht in der Burg bleiben, verlassen jetzt die Mauern. Die Wachtposten zu mir. Auf euer Wohl“, und er leerte seinen Pokal, „ und gute Nacht!“ Die für die Nachtwache eingeteilten Männer näherten sich dem erhöhten Tisch, erhielten ihre Instruktionen, einschließlich einer geänderten Parole, alle anderen leerten ihre Trinkgefäße, standen auf und räumten den Saal. Die Mägde eilten, alle Überreste des Abendessens wegzuräumen, da viele von ihnen drüben im Dorf wohnten und die Nacht nicht hier in der Burg verbringen wollten. Hohnstein und die Familie erhoben sich und verließen den Saal nicht über die Treppe nach oben zu den Wohnräumen, sondern durch das Tor hinaus in den Hofraum. „Was geht hier vor?“ fragte Ada, die zwar die Ereignisse kannte, nicht aber die Idee des Lösungsversuchs. „Mutter“, Cuno war der Schnellste, „der Landgraf braucht das Silber, das die Banditen uns gestohlen haben. Und da wir es so schnell nicht aus dem Berg holen können, müssen wir etwas anderes versuchen!“ „Cuno hat recht“, gab Hohnstein zu. „Wir müssen in dieser Notlage mit dem Möglichen auskommen, und deswegen, Burschen, holt, was ihr zu holen habt!“ Der Kleine und Cuno stoben davon, während Graf Hohnstein Ada seinen Arm anbot und sie durch den Lichthof in den Zwinger führte.

Der Köhler hatte in der Tat einen Berg Holzkohle herbeigebracht und ihn in der Ausbuchtung der südlichen Bastei der Wallmauer abgelegt. Der Alte bereitete mit wenig Zunder, Kienspan und kleinen Kohlestücken das Feuer vor und zündete es an. Während die Flamme Kraft bekam, eilten alle, die nicht bleiben wollten oder sollten, durch den Zwinger hindurch zum Tor, und sowie die Wachtposten nachgezählt hatten, dass alle Nichtbewohner die Burg verlassen hatten, schlossen sie das Tor und hoben die Zugbrücke über dem Wallgraben, nicht ohne den Gehenden zuzuraunen, dass man so etwas wie eine neue Kanone ausprobieren wolle.

Ada stand wortlos dabei und als ihre beiden Jungen wieder da waren, ahnte sie, was beabsichtigt war: „Ihr wollt nicht wirklich die ehrlichen thüringischen Thaler verschneiden?“ fragte sie empört. „Von Wollen keine Spur“, übernahm Hohnstein die Antwort. „Aber wenn wir bis September keine Thaler im Wert von 150 Pfund gemünzt haben, ist die Herrschaft Friedrichs von Thüringen Eures Vaters, sehr in Gefahr; seit Generationen bemühen wir Hohnsteins uns, die Landgrafschaft zu finanzieren. Wenn also wirklich nicht genügend Silber da ist, müssen wir aus dem bisschen Silber eben mehr Silber machen, wenn wir verhindern wollen, dass in Thüringen wieder der Kampf um die Herrschaft ausbricht. Aber“, und damit kam er dem Einwand Adas zuvor, „wir kennzeichnen diese Münzen, so dass wir sie im Lauf der Jahre wieder durch wirklichen Silbermünzen ersetzten können. Dafür allerdings“ und er schaute Gernot und Cuno an, „dafür müssen wir allerdings lernen, wie wir die Silberausbeute erhöhen.“ „Es ist also ganz wichtig, dass ich nach Böhmen zu dem Herrn Boleslav gehe? Den Nachnamen kann ich mir nicht merken, aber ich habe ihn ja heute auch das erste Mal gehört“ „Ja, Cuno. Es geht natürlich um dich und deine Familie, aber es geht auch um viel mehr – deswegen habe ich dir ja auch die Antwort offen gelassen und dir Zeit zum Überlegen gegeben. Aber jetzt: zur Sache! Kleiner, kannst du die Glut noch etwas anfachen? Hier, nimm den Sack, in dem die Holzkohle gebracht wurde und fächle. Und du, Cuno, lauf hinein und hole uns die Schmelztiegel.“ Als Cuno zurückkam, glühte die Kohle tiefrot. Der Alte nahm ein Stück Silber aus der Tasche: „Das ist genau ein Lot, also der sechzehnte Teil einer Kölner Mark, der normalerweise für einen Thüringer Thaler gebraucht wird,“ und gab ihn in den Tiegel, den der Kleine schon sicher auf der Glut platziert hatte. Nach wenigen Minuten begann das Silberstück zu schmelzen. „Jetzt beobachtet genau, wie es aussieht und wie es sich bewegt, und du Gernot, lege die bleierne Handrohrkugel ebenfalls in die Pfanne.“ Gespannt beobachteten fünf Augenpaare, was in der irdenen Pfanne geschah: auch das Blei fing an zu schmelzen und der Alte begann, mit Hilfe eines Holzscheits die beiden flüssigen Metalle zu vermischen. Zuerst sank das Blei unter das Silber, aber mit einigem Rühren entstand eine Mischung, die reinem Silber sehr ähnlich sah. Der Ritter von Steigerthal nahm die Pfanne und goss den Inhalt in den anderen Schmelztiegel, den Cuno in sicherer Entfernung von der Glut abgestellt hatte. Das Metall zischte, Funken sprühten, stinkender Dampf stieg auf.

Als Hohnstein vorsichtig ein Birkenblatt auf das Metall legte, schrumpelte es zwar zusammen, entzündete sich aber nicht. Daraufhin zog sich der Alte einen Falknerhandschuh über, hob den Tiegel vorsichtig auf und trat unter eine Fackel, die den Durchgang vom Lichthof zum Zwinger beleuchtete: „Das sieht jeder Fachmann, dass das kein reines Silber ist. Wie schwer,“ wandte er sich an seinen ältesten Sohn „war die Handrohrkugel?“ „Etwa drei Lot.“ „Dann fache die Glut nochmal an – wir trennen Blei und Silber und dann nehmen wir nur die Hälfte vom Blei!“ Wie beim ersten Versuch sank das geschmolzene Blei unter das geschmolzene Silber, und diesmal goss Gernot vorsichtig Silber aus der Pfanne in den anderen Tiegel. „Halt die Pfanne gut fest!“ flüsterte er dem Kleinen zu und benutzte seinen Holzscheit von vorhin, um etwa die Hälfte des flüssigen Bleis aus der Pfanne zu schieben. „Jetzt das Silber wieder dazu“ und warf Cuno den Handschuh hinüber. Der nahm vorsichtig das immer noch sehr heiße Silber auf und gab es in die Pfanne. Wieder wurden die beiden Metalle miteinander verrührt, und als der Alte diesmal das neue Gemisch in den Tiegel gab, sahen alle, dass es jetzt aussah wie reines Silber. Der Alte richtete sich auf und schaute Hohnstein und Ada an: „Wenn das beim Schlagen der Münzen keine Fehlstellen zeigt, dann ist Euer Problem und das des Landgrafen gelöst! Meines – unseres, nämlich das der Ehre und der Wahrheit, bleibt bestehen, aber Ihr beschriebt ja vorhin, dass ohne die Münzen die Herrschaft gefährdet sei und Bürgerkrieg drohe, und da gäbe ich eher meine Ehre, die ja sowieso keiner ernst nimmt, her, um das zu verhindern!“ Sprach‘s, wandte sich abrupt um und ging durch den Lichthof zurück in den Saal. Ada lief ihm nach und schloss die Tür hinter sich.

„Nun, ihr Burschen, Euer Vater hat schon Recht: Betrug sollte nicht sein. Und Betrug lohnt sich nicht. Aber in diesem Fall seid nicht Ihr und der Vater diejenigen, die etwas Unrechtes tun, sondern ich werde es zu lassen, indem ich einen meiner Leute mit dem Prägestempel herschicke, wenn wir die Mischung beim Münzenschlagen ausprobiert haben, und er wird genau die benötigte Menge Blei und einige vertrauenswürdige Bewaffnete mitbringen. Ihr müsst nur dafür sorgen, dass der Schachtturm wieder aufgebaut wird, Eure Steiger fleißig arbeiten und die Knechte und die Bauern an den Wochenenden eine Sicherungskammer errichten, die größer und stärker sein muss als die bisherige! Und schaut, dass ihr einen Schmelzofen baut, der mehr Hitze entwickelt als der alte, da hat es immer ewig gedauert, bis das Silber ausgeschmolzen war! So, und du, Cuno, überlegst bis zum Herbst, ob du im Frühjahr zu Boleslav Przsymel als Knappe willst, damit du dich noch vorbereiten kannst und uns keine Schande machst. Jetzt lasst uns hineingehen, euer Vater wird sich schon beruhigen, wenn ihr ihm berichtet, was ich gerade gesagt habe!“


Silber

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