Читать книгу Silber - Hans.Joachim Steigertahl - Страница 9

Der lange Weg, Frühjahr 1317

Оглавление

Als Cuno und sein Bruder Gernot in Steigerthal aufbrachen, meinte es das Wetter gut mit ihnen: Die Wege waren trocken, der leichte Wind umspielte die gerüsteten Gestalten, die Sonne schien gerade so, dass es angenehm war zu reiten.

Cuno - nur sein Vater nannte ihn jetzt Cuonrad – hatte lange darüber nachgegrübelt, ob er es sich zutraute, nach Iglau zu gehen und viele Jahre weit weg von Mutter und Vater zu verbringen. Er hatte mit dem alten Gernot gesprochen, und mit seinem Bruder, er hatte viele Zeit mit seiner Mutter Ada verbracht und auch seinen Spielkameraden in Burg und Dorf erzählt, was ihm möglicherweise bevorstand.

Er war jetzt dreizehn Jahre alt, fast das Alter, in dem man als Knappe auf eine befreundete Burg ging, um das Ritterhandwerk – oder wie seine Mutter sagte, das Kriegshandwerk – zu lernen. Er war relativ groß für sein Alter, das viele Trainieren mit den Stallburschen und seinem Bruder hatte Schulter und Brustkorb ein wenig geweitet, das Blondhaar des Vaters hatte er zu seinem Leidwesen als Lockenkopf geerbt, aber dafür die schwarzen Augen seiner zypriotischen Urgroßmutter – ein ansehnliches Kerlchen, wie Ada ab und an scherzte. All seine Kameraden beneideten ihn um die Möglichkeit, an einem andern Ort weiterzuleben, auch wenn keiner seine Angst davor zugegeben hätte. Cuno hatte versucht, sein Reiten, Schwimmen und Bogenschießen zu verbessern und seine Manieren zu vervollkommnen. Seine Mutter, Gernot und selbst sein Vater hatten das letzte Jahr viel Zeit dafür verwendet, auch Cunos Lesen, Schreiben und Singen zu vervollkommnen, wobei ihm das Singen am meisten Spaß machte – vielleicht weil er es bei Ada, seiner Mutter, lernte?

Auf jeden Fall war er jetzt gerüstet für die Knappenzeit in Iglau. Sein Vater hatte ihm mit vielen Geschichten über die Familie der Steigerthals und des Bergbaus klargemacht, wie wichtig es wäre, wenn er, Cuno, als Zweitgeborener, der das Lehen ja doch nicht übernehmen könne, Ritterschaft und Bergwerkskunst verbinden könne. Wichtig für Steigerthal, wichtig für Thüringen und die Familie seiner Mutter, wichtig aber auch für das Reich, in dem die Kämpfe um die Vorherrschaft einzelner Familiengeschlechter mehr Opfer forderten als die Unbilden des Wetters und der daraus folgende Hunger. Sein Pate, Graf Cuonrad von Hohnstein, hatte sich bei seinen zahlreichen Besuchen bemüht, den einen oder den anderen Aspekt genauer zu beleuchten.

Ohne das Silber aus Steigerthal und den Nachbartälern würde das Geschlecht der Wettiner kaum in der Lage sein, die Freiheit der Landgrafschaft Thüringen und seiner Bewohner zu sichern; das Fürstentum würde an die Luxemburger oder die Welfen fallen, Steuern in unermesslicher Höhe zur Finanzierung der Kriege um den Erhalt der Macht im Deutschen Reich würden die Leute verarmen lassen. Ohne das Silber aus Thüringen – und aus Böhmen – wären alle Fürsten auf die Kredite der jüdischen Geldhäuser angewiesen, die schon jetzt ihre Zinssätze nach Belieben festlegten… Auch was „Zinssätze“ bedeutete, hatte Cuno gelernt!

Und aus dem Abend, als Hohnstein unter widerwilliger Mitarbeit des Ritters Steigerthal ausprobiert hatte, wieweit man reines Silber „verschneiden“, also mit anderen Metallen verdünnen konnte, hatte er einiges zu lernen gehabt:

Da war die Frage der Ehre und der Wahrheit, da war aber auch die Frage, wie man Frieden am besten sichern könne; da war die Frage, wie sich die Ergiebigkeit der Schächte erhöhen ließe; da war die Frage, wie man aus den gebrochenen Gesteinsbrocken auch noch die letzten Reste an Edelmetall herauslösen könne; und dann war die entscheidende Frage, was er, Cuno, dazu beitragen könne und müsse.

All das ging Cuno durch den Kopf, als er den Händedruck seines Vaters und die letzte tränenreiche Umarmung seiner Mutter noch direkt spürte. Sein Bruder ritt voraus, den wohlbekannten Weg nach Nordhausen, wo sich noch einige seiner Freunde aus der Knappenzeit am Hof zur Reisegesellschaft gesellen wollten. Dem Abt des Klosters Himmelgarten war noch eine Nachricht zu überbringen und ein wertvoller Kelch, damit die Mönche für das Heil der Reisenden beten würden.

Die beiden Knechte aus Steigerthal, kaum älter als Cuno, die sich freiwillig der Reise angeschlossen hatten, um etwas von der Welt zu sehen, bildeten mit den beiden Packpferden die Nachhut. Ein fröhlicher Trompetenstoß aus der Wachstube, ein letztes Winken, die bis zum letzten Haus des Dorfes neben den Reitern herlaufende Schar der Dorfkinder – dann begann das Abenteuer.

Nach ereignislosem Ritt passierten sie gegen Abend das schwere Tor des Klosters Himmelgarten und wurden am südlichen Rand der Klosteranlage zu den Unterkünften für die edlen Reisenden gebracht. Die Knechte gingen die Pferde versorgen und bezogen in der Nähe der Stallungen ihr Quartier. Gernot traf vor dem Haus der Gäste schon seine Freunde aus alten Zeiten und begrüßte sie herzlich, nachdem sie Abt Ono, der gerade erst wenige Wochen das Kloster leitete, ihre Aufwartung gemacht hatten.

Heinrich von Hohnstein, der Sohn des reichsgräflichen Münzmeisters, der Cunos Pate war, hatte sich schon seit Monaten auf die Reise vorbereitet, denn auch er wollte von Boleslav Přemisl so viel wie möglich über die Gewinnung von Silber lernen; aber sein Vater hatte ihm aufgetragen, sich zurückzuhalten und keineswegs als Konkurrent zu erscheinen. Cuno kam aus einem kleinen Rittergeschlecht, der würde für Boleslav harmlos sein; aber der Sohn und Erbe des wichtigsten Beraters des benachbarten Fürstentums, eben der Landgrafschaft Thüringen, war schon eine andere Gefahr für die Macht und den Reichtum der Přemisliden. Walter war, wie sein Vater, ein hochgewachsener, schlanker Mann mit dunkelblonden Haaren, meergrünen Augen – die ihm noch manche Geschichte einbringen würden –und einem ungebrochenen Optimismus, der auch an einem völlig regnerischen Tag durchnässt vom Pferd steigen, dem braven Gaul eine Handvoll Futter hinhalten, sich das Wasser abklopfen würde und dann feststellte, dass es nicht geschneit habe.

Ganz anders der Knappenbruder Bodo von Schwarzburg. Er hieß so, wie er aussah, dunkle, stechende Augen unter einer flachen Stirn, die von einem schwarzen Haarschopf überstülpt wurde; sein Gemüt war eher umwölkt, was natürlich mit darin begründet war, dass er der legitime Sohn und Erbe seines Vaters war, der Bodos Mutter allerdings nie geliebt und nur unter Zwang in der Hochzeitsnacht geschwängert und sich dann wieder dem nächtlichen Vergnügen mit seinen Mägden gewidmet hatte. Trotzdem war er ein Schwarzburg, Spross eines der ältesten und bedeutendsten Geschlechter Thüringens, und dass er nicht nur Gernot von Steigerthals Freund geblieben war, sondern ihn auch auf dieser Reise begleiten wollte, zeigte, dass er viel weniger dünkelhaft war, als es den Anschein hatte. Sein Bruder Günter von Schwarzburg hatte, was das Erbe anging, das schlechtere Ende erwischt: als Sohn einer der Mägde, die der Vater nach dem Tod seiner Ehefrau geehelicht und damit Günter legitimiert hatte, war er nach glücklicher Kindheit an seinen Bruder herangeführt worden, dem zu dienen sein Lebenszweck sein sollte. Aber er war ganz das helle Gegenteilseines Bruders: Blond, blauäugig, mit offenem Gesichtsausdruck und der athletischen Figur des Vaters, war er eher das Idealbild eines Ritters als Bodo und stand im Ruf eines begnadeten Kriegers. Er sollte diesen zwar nach Meinung des Vaters auf dieser Reise begleiten und beschützen, aber er wäre auch von sich aus auf jedes Abendteuer, das ihn aus der Reichweite der heimischen Burg bringen würde, eingestiegen.

Der vierte Knappenbruder, Tasso von Weinbergen, war dagegen eher der verträumte Typ. Am Hof in Erfurt hatte er jeden Sängerwettbewerb gewonnen und fast jedes Turnier verloren; seine langen dunkelblonden Locken reichten ihm bis auf die Brust, sein meist umflorter Blick schien die Gegenwart kaum wahrzunehmen. Gernot fragte sich, warum Tasso sich ihnen auf dem Weg nach Böhmen angeschlossen habe. Der einzige Grund schien ihm, das Tasso seinen Minnesang üben und schulen wollte. Die damit verbundene Möglichkeit, adlige Frauen kennenzulernen, war sicherlich mit eingeplant.

Die Nacht war laut, kurz und sehr weinhaltig. Cuno erlebte zu ersten Mal das Wiedersehen alter Freunde.

Als die Sonne über den Kamm des Hügels im Osten gestiegen war, bestiegen sie ihre Pferde, nun eine stattliche Truppe von fünf Rittern,sieben Knechten, und mittendrin Cuno, und machten sich auf den Weg nach Erfurt.

Für Gernot und die Freunde war es ein Ritt in die alte Zeit der Knappenschaft. Für Cuno war es der Beginn des Neuen, denn er hatte bisher weder Bruder noch Vater nach Erfurt begleiten dürfen. Von Nordhausen ging es am Hang des Paßbergs über die Windleite nach Süden. Ein Mittagsimbiss beim Herrn der Jechaburg, den sie von früher gut kannten, ließ sie wieder beschwingter den Weg über den Urbach nehmen, immer den Übergang der Unstrutt als Ziel, die sie am nächsten Tag an der Straussfurt überqueren wollten. Dort angekommen, wurde das erste Nachtlager im Freien bezogen. Die Knechte versorgten die Pferde und banden sie dann in einem Wäldchen nahe des Lagerplatzes an. Der mitgebrachte Proviant reichte für ein abwechslungsreiches Mahl; geräuchertes und getrocknetes Fleisch, Brot, Speck, Wein; die Unstrutt lieferte das Wasser für Cuno, die Knechte und die Pferde. Die Ritter wollten sich im Lauf der Nacht als Wachen ablösen, wann immer der Wachhabende die Augen nicht mehr aufhalten konnte.

Der Junge hatte schon manche Nacht im Freien verbracht, wenn er Vater und Bruder zur Jagd, nach Hohnstein oder zu anderen Burgen begleitet hatte. Er suchte sich ein Plätzchen in der Nähe das Feuers, rollte seine Satteldecke zusammen, legte den Kopf darauf, deckte sich mit seinem Mantel zu und war eingeschlafen, bevor die anderen noch ausgetrunken hatten.

Lautes Wiehern, Heulen aus vielen Kehlen und raues Bellen riss ihn aus dem Schlaf. Günter von Schwarzburg, der Wache hatte, brüllte „Wölfe!“, riss einen brennenden Ast aus dem Feuer und stürmte zu den Pferden, die angstvoll auf die Hinterbeine stiegen und laut wieherten. Auch die anderen sprangen nun auf und suchten nach brennendem Holz, um die angreifende Meute abzuwehren. Cuno entzündete einen trockenen Zweig und lief hinüber in das Wäldchen, wo er eher die Szene beleuchtete als die Pferde verteidigte: Sieben oder acht große, graue Wölfe versuchten, auf die Rücken der Pferde zu springen, von wo aus sie dann die Kehlen der stampfenden und steigenden Pferde zerbeißen konnten. Ein Packpferd lag schon blutend am Boden und die zwei großen Hunde, die ganz offensichtlich zum Rudel gehörten, versuchten, Stücke herauszureißen. Weniger das Geschrei der Männer als die Flammen versetzten die Angreifer in Angst, die wohl größer war als der Hunger; sie ließen von den Pferden ab und verschwanden im Schatten des Waldes. „Das war knapp“ sagte Bodo von Schwarzburg zu seinem Bruder, „doch gut, dass wir die Wachen verteilt haben.“ Sie klopften sich gegenseitig auf die Schultern und widmeten sich dann beruhigend ihren Gäulen, während die beiden Knechte herauszufinden versuchten, ob dem verwundeten Packpferd noch zu helfen sei. Und wirklich hatte es zwar eine große Fleischwunde, aber die würde wieder verheilen und dazu am Morgen Spitzwegerich suchen, um die Heilung zu beschleunigen. Allerdings würde man die Ladung auf alle andern Pferde verteilen müssen.

Als Cuno zum Lagerplatz zurückging, fiel sein Blick auf ein Häufchen grau und beige geflecktes Fell. Als er sich danach bückte, bewegte es sich und es schaute ihn ein Welpe mit großen dunkelgrauen Augen an. „Schaut mal, ist der nicht putzig?“ Er nahm ihn am Nacken hoch und zeigte ihn den Rittern. „Der gehört sicherlich zu dem Rudel, das wir gerade vertrieben haben.“ „Dann lass ihn da, wo du ihn gefunden hast, vielleicht findet er selbst den Weg oder seine Mutter holt ihn zurück. Wir wollen wegen dem Vieh doch keinen neuen Angriff riskieren…“ Cuno sah ein, dass Heinrich von Hohnstein recht hatte und legte den Welpen ins Gras zurück. Gernot, der seinen kleinen Bruder gut genug kannte, wusste, wie schwer das Cuno fiel und setzte deswegen hinzu: „Wenn er morgen früh noch da ist, kannst Du ja immer noch überlegen, was wir mit ihm machen!

Die wenigen Stunden bis zum Sonnenaufgang nutzten alle bis auf Gernot, der die Wache übernahm, und Cuno, um noch etwas zu schlafen. Cuno schaute immer wieder vorsichtig in die Richtung des Welpen. Es wäre doch schön, wenigstens ein Wesen in Böhmen zu haben, das noch aus der Heimat kam!

Als nach dem Frühstück – Reste des Abendessens und ein frischer Schluck aus dem Fluss – das Lager abgebrochen wurde, hatten bis auf die beiden Steigerthals alle den Welpen vergessen. Cuno nahm ihn vor sich in den Sattel; der Kleine war schon so entkräftet, dass er das Pferd nicht sehr beunruhigte, obwohl er natürlich so roch wie die nächtlichen Angreifer. Gernot schaute herüber: „Decke deinen Mantel ein bisschen über ihn. Sobald wir an einen Bauernhof kommen, musst du versuchen, etwas Milch zu erwerben, sonst bringst du ihn nicht durch!“

Die Sonne brannte schon früh vom Himmel, so dass Reiter und Pferde froh waren, als sie nach einigen Stunden bei dem Dorf Vippach in den dichten Buchenwald kamen, der sich bis zur Residenzstadt Weimar erstreckte. Bei einem kurzen Halt im Dorf machte sich Cuno auf die Suche nach Milch. Er hatte sich von Gernot einen Heller geliehen und tatsächlich konnte er damit einer Bäuerin einen Krug mit Ziegenmilch abkaufen. Als er ihr erzählte, wofür er die Milch brauchte, gab sie ihm noch ein Stück Tuch mit und erklärte ihm, wie er damit den Welpen füttern könnte. Zeit hatte er genug während des Weiterritts, und der Kleine saugte gierig, was ihm Cuno vor das Maul hielt. Mehr als Flüssigkeit konnte er aber noch nicht aufnehmen, wie Cuno deutlich erfahren musste, als das Tier ihm ein Stückchen Brot wieder entgegenspuckte, das Cuno in Milch getaucht und dem Welpen ins Maul geschoben hatte.

Der Weg war wenig aufregend, es ging über den weichen Waldboden im Schatten mit friedlichem Trab weiter und weiter, und schon bald konnten die Reiter die Silhouette von Weimar, das die fünf Ritter nur zu gut kannten, erkennen: den wuchtigen Turm der Stadtkirche, noch übertroffen vom Friedturm der Burg. Es ging am Asbach entlang zum Gerbertor. Die Wachen fragten nach dem Begehr und als ihnen Antwort gegeben war, zog die kleine Schar dann durch die Rittergasse zum Zeughaus. Dort empfing Eginhard v. Weimar-Orlamünde, der Zeugmeister des Landgrafen, von Cuonrad von Hohnstein schon ins Benehm gesetzt, sie herzlich und wies ihnen entsprechende Schlafplätze zuwies: Cuno bezog mit dem jungen Eginhard, dem etwa gleichaltrigen Sohn des Grafen, eine Kammer im kleinen Turm des Zeughauses, ein Stockwerk über der Kemenate. Als er den Welpen mitbrachte, war Eginhard begeistert, denn er durfte keine Tiere im Haus halten, und wollte alles über den Kleinen wissen.

Die fünf Ritter bezogen das Gästehaus der Markgrafen von Weimar, die ja nun auch Landgrafen von Thüringen waren; die Knechte entluden die Pferde, verbanden das verletzte noch einmal mit zerstampftem Spitzwegerich und verzogen sich dann mit den anderen Stallburschen in den Gesindebereich.

Der Abend war noch einmal die Gelegenheit, Speis und Trank zu würdigen und dem Gastgeber und seiner Gemahlin mit manch frohem Lied zu danken. Eginhard und Cuno gaben vor, müde zu sein und schlichen mit Milch und einigen Leckereien nach oben, weil sie fürchteten, der Welpe würde sich bemerkbar machen. „Du musst ihn Wolf nennen“, beharrte Eginhard, nachdem sie festgestellt hatten, dass es ein Männchen war. „Stell dir vor, ihr seid unterwegs, du fühlst dich unsicher, rufst ‚Wolf‘ und er kommt mit Geheul in deine Richtung – da bist du doch gleich viel sicherer!“ „Wolf –Wölfchen!“ Der Welpe schaute Cuno an, rollte sich an seine Seite und schlief leise behaglich knurrend ein und die Burschen mit ihm.

Am nächsten Morgen ging es über die Sternbrücke weiter in Richtung Sonnenaufgang – die Ritter müde und verkatert, die beiden Knechte, die die halbe Nacht mit den anderen Knechten geredet hatten, nur müde. Cuno war putzmunter, den Welpen vor sich auf dem Sattel und einen Schlauch aus Ziegenleder mit nahrhafter Suppe, die ihm Eginhard organisiert hatte, hinter sich.

Das verletzte Packpferd konnte schon wieder ganz gut mithalten, die Pferde hatten alle noch einmal Hafer und gute Streu bekommen, die Menschen wussten – das hatte Graf Eginhard ihnen noch mal bestätigt – dass der weitere Ritt lang, eintönig, aber relativ sicher war. Bis zur nächsten festen Herberge würden Tage vergehen. Bergauf an Bächen entlang, über die Bergkuppe, am nächsten Bach entlang wieder ins Tal, um wieder anzusteigen. Das Wetter war wechselhaft, aber weder brannte die Sonne ihnen Löcher in die Kappen, noch durchnässte sie dauerhafter Regen – „Herrliches Reisewetter“ ,wie Heinrich von Hohnstein grinsend meinte, als die anderen sich ob der Strapazen der Reise beschwerten. Sie lagerten im Freien an irgendwelchen Bächen und lebten von dem, was das Packpferd trug und der Wald hergab. Wolf lernte, aus einer irdenen Schale zu schlabbern. Abends stellte Cuno den Milchkrug der Bäuerin ans Feuer, gefüllt mit Wasser und all den Resten des Abendessens – abgenagte Knochen, Brotrinden, Speckschwarten – und hatte am Morgen eine kräftige Brühe, die Wolf bald nicht nur aus zu schlabbern lernte; er fing auch an, die festeren Teile zu zernagen. Er wurde zunehmend kräftiger, und die Pferdedecke roch schon sehr intensiv nach Hund oder Wolf, aber Cunos Pferd hatte sich daran gewöhnt und scheute nicht mehr, im Gegenteil, es schien vor dem Abritt zu warten, bis Wolf auf dem Sattel lag.

Sie überquerten die Saale auf einem Fährboot, die Wälder wechselten von Laubbäumen zu Nadelbäumen, schließlich erreichten sie nach 7 Tagen ereignislosen Reitens Silberbach, den letzten Ort auf landgräflichem Gebiet. Walter inspizierte im Auftrag seines Vaters die wenigen Dörfler, die tatsächlich noch Silber aus dem Bach wuschen, die anderen schlugen das Lager auf der Almende am Bach auf, der hier vielleicht 20 Fuß breit und recht flach war.

Ihnen gegenüber auf der anderen Bachseite hatte eine andere Reisegruppe bereits ihr Quartier errichtet:

Drei hohe Karren, die offensichtlich von den 6 schweren Gäulen, die in einer Koppel grasten, gezogen wurden, waren zu einem zum Bach hin offenen Viereck zusammengeschoben worden. An der offenen Seite brannte ein Feuer, über dem an einem Dreibein ein Eisenkessel hing, aus dem Wohlgeruch zu den Beobachter hinüberzogen. Eine ältere Frau in langer, dunkler Kleidung rührte den Topfinhalt, warf immer wieder Salz oder Gewürze hinein und starrte - wie es Cuno schien – furchtsam herüber. Hinter ihr stieg aus einem der Karren ein ebenfalls dunkel gekleideter alter Mann mit langem grauen Bart und langen grauen Locken an den Schläfen und einem schwarzen Käppi, trat zum Bach und verneigte sich: „Ich bin Salomon Herschel, Händler aus Prag, auf dem Weg nach Meißen. Ich grüße euch und wünsche die Erfüllung der irdischen Wünsche. Wenn ihr erlaubt, möchte ich fragen, wer ihr seid und was euch hierherführt.“ Da Walter noch bei den Silberwäschern war, antwortete Bodo von Schwarzburg als der erhabenste der Anwesenden: „Wir sind eine Gruppe thüringischer Ritter aus der Gegend von Nordhausen, die diesen Knaben“, er wies auf Cuno, „als Kappen zu BoleslavPřemisl nach Iglau bringen.“ „Dann freue ich mich, dass ich sowohl Herren treffe, die dort herkommen, wo ich hin will, und gleichzeitig Herren, die meinen guten Geschäftspartner BoleslavPřemisl bald treffen werden. Wenn Ihr nichts anderes vorhabt, würde ich Euch gerne zum abendlichen Mahl einladen – ihr seht, dass meine Magd bereits reichlich Essen vorbereitet!“ Die Genannte erwachte aus ihrer Starre und begann, ein neben dem Feuer liegendes, schon gehäutetes Zicklein auf einen Spieß zu stecken um es zu grillen. Bodo schaute in den Kreis der Ritter, und da alle nickten, dankte er für die Einladung und sagte das Kommen bei Einbruch der Dunkelheit zu. Der Mann am anderen Ufer verbeugte sich und gab der Magd weitere Anweisungen, während zwei weitere Frauen und fünf oder sechs Knechte aus den Karren stiegen und begannen, eine Tafel vorzubereiten, gedeckt mit schwerem Tuch und metallenem Geschirr. Während die zwei Knechte begannen, für alle ein Zelt aufzubauen, denn es sah zum ersten Mal seit sie Kloster Himmelgarten in Nordhausen verlassen hatten aus, als ob es bald stark regnen würde, fragte Cuno seinen Bruder Gernot, was das für seltsame Menschen seien. „Das ist – wie du am Namen schon hörst – ein jüdischer Händler, einer von denen, die Silber aufkaufen und dafür Wein, Edelsteine und Gewürze liefern. Sie stehen eigentlich unter dem Schutz des Kaisers, aber wenn – wie nun schon viele Jahre – kein wirklicher Kaiser da ist, steht es um ihren Schutz nicht allzu gut. Und da sie mit ihrem Handel viel Geld verdienen, gibt es natürlich viele Neider, die sich gern holen würden, was ihnen nicht gehört. Wir hatten in Steigerthal mal einen jüdischen Viehhändler, der natürlich versucht hat, für sich so viel wie möglich herauszuholen, aber er hat nie betrogen und immer pünktlich bezahlt. Und dann hat er den Herren von Buchholz – du weißt, die Burg einen Tagesritt nördlich von Steigerthal – Geld geliehen, mit dem sie ihre Wehrmauern erneuert haben. Und auf dem Weg dorthin, um die verliehene Summe und die Zinsen wieder zu holen, verschwand er. Nie fand man ihn oder seinen Karren. Die Buchholzer haben allerdings ein „gutes Geschäft“ gemacht.“ „Ist der Herschel deshalb so freundlich, fast unterwürfig?“ „Klar! Wir sind Ritter, Edle; er ist Jude. Wenn er nicht auf seine Freundschaft zu Boleslav Přsymel oder Landgraf Friedrich bauen kann, ist sein Leben nichts wert und sein Besitz verloren!“ „Was ist eigentlich ein Jude?“

Günter von Schwarzburg, der die Frage gehört hatte, lachte laut auf: „Gut, dass du uns fragst, und nicht Tasso! Der würde dir jetzt das lange Lied von den vertauschten Ringen singen, bis dir alles zu den Ohren rauskommt!“ Tasso von Weinbergen, der in Hörweite sein Lager vorbereitete, grinste schief. „Kommt schon noch, die Reise ist noch lang!“ „Also“ setze Alexander wieder an, „die Juden haben unseren Herren Jesus Christus hinrichten lassen, weil sie glauben, dass ihr Gott Jahwe der wahre Gott ist. Weil sie sich dann gegen die Römer aufzulehnen versuchten, wurden die Juden von den Legionen des römischen Kaisers aus Palästina- das ist da, wo alle Kreuzzüge hin wollen – verjagt, so dass sie jetzt überall als kleine Gemeinden zu finden sind. Sie dürfen kein ehrliches Gewerbe betreiben und kein Amt übernehmen. Deshalb bleibt ihnen nur der Handel als Broterwerb. Man sagt ihnen viele komische Dinge nach, aber mir geht es wie Gernot: die Juden, die ich kennengelernt habe, waren auch nicht schlechter als unsereins – ein bisschen eigen eben.“

Als sich die Sonne den Hügelkuppen im Westen näherte, rief der alte Jude hinüber, dass das Mahl gerichtet sei. Die Ritter und Cuno überquerten den Bach auf ein paar über den Wasserspiegel hinausragenden Steinen und wurden zu Tisch gebeten.

Die Tafel war so gestellt, dass alle auf den Bach schauen konnten; an der einen Seite saßen Walter und Bodo in der Mitte, links davon Alexander und Tasso, rechts Gernot und Cuno. Ihnen gegenüber der alte Jude in der Mitte, rechts und links zwei kräftige junge Männer, ebenfalls mit Schläfenlocken, am linken Ende eine schüchterne junge Frau und am rechten Ende, Cuno gegenüber, ein junges Mädchen, etwa in seinem Alter, mit langen schwarzen Locken und schwarzen Augen in einem blassen Gesicht. Im Gegensatz zu der jungen Frau schaute sie keck umher und betrachtete die Gäste ausführlich. Als Heinrich von Hohnstein sich und seine Freunde vorstellte, musterte sie besonders Cuno gründlich, dem dabei gar nicht wohl war!

Dann stellte Salomon die Seinen vor: seine beiden Söhne Schmul und Jacob, Sara, die Frau von Jacob und seine Enkelin, die Tochter von Schmul und Eva, Rebecca. Seine Frau und Eva waren in Prag angeklagt worden, Hexen zu sein. Die Inquisition hatte die Gelegenheit genutzt, ihre Macht zu zeigen und Juden in die Schranken zu weisen, obwohl doch der Kaiser die Juden zu seinen Schützlingen erklärt hatte. Beide wurden verurteilt und öffentlich verbrannt, Rebecca entging nur knapp dem gleichen Schicksal, weil sie sich bei einem Vetter versteckt hielt.

Da hatte Salomon Herschel die Flucht ergriffen, denn der Streit über die Herrschaft von Böhmen zwischen Jan von Luxemburg, dem Gatten Elisabeths, der letzten aus dem Hause Przemysl, und den Habsburgern als Grafen von Österreich hatte die Lage in Prag noch verschlechtert. Deshalb hatte Salomon alles Hab und Gut verkauft und sich mit seiner Familie auf den Weg nach Thüringen gemacht, wo er hoffte, unter dem Schutz des Hauses Wettin sicherer leben zu können, bewacht von 10 schwerbewaffneten jüdischen Knechten, die sich nun – weil christliche Ritter zu Gast waren - unbewaffnet rund um das Feuer auf Holzklötzen zur Magd gesetzt hatten.

„Wir haben den Weg von Prag hierher fast ohne Pause zurückgelegt, deshalb sind wir froh, wieder einmal richtig zu essen. Lasst es euch als unsere Gäste schmecken.“ Mit diesen Worten winkte er der alten Magd, die für jeden eine irdene Schale brachte, in die sie von der Suppe geschöpft hatte, die sie seit Stunden kochte. Salomon sprach ein kurzes Gebet und alle griffen zu den Löffeln, denn auch die Thüringer hatten längst Hunger bekommen.

Verblüfft schauten sie nach dem ersten Löffel auf. „Das ist keine Suppe, sondern ein paradiesisches Gericht“ sprach Heinrich von Hohnstein für alle. „Was ist das?“ Die ganze Händlerfamilie lächelte, auch Rebecca, und Sara antwortete für ihre Seite: „Es ist eine Suppe, die wir eigentlich immer am Schawuot, ihr Christen nennt es Pfingsten, kochen und deshalb waren wir wirklich froh, als ihr euer Lager gegenüber aufgeschlagen habt, denn zu Schawuot teilt man das Mahl mit Nachbarn und Freunden. Deshalb hat Marja, unsere alte treue Magd, auch eine solche Menge gekocht – man weiß ja nie, wieviele Gäste kommen! Was es ist, habt ihr gefragt“ und sie war so in ihrem Element, dass sie gar nicht mehr verschüchtert wirkte und Hohnstein offen anschaute, „Schawuot ist das Fest der Weizenernte, und deshalb ist Weizen das Wichtigste in der Suppe, Damit sie aber Geschmack bekommt, wird der Weizen vorher in Honig angeröstet und dann mit Brühe aufgefüllt, in der vorher lange Rinderhüften gekocht wurden. Dann kommen Lauch, Zwiebeln, türkischer Kümmel, Minze und Rosinen dazu, am Schluss feingeschnittenes Fleisch vom vorher in der Brühe gekochten Rind.“ Während sie noch erklärte, hatte Cuno seine Schale schon geleert und eine grinsende Rebecca ging ihm Nachschub holen. Er bedankte sich und ließ schnell den Kopf sinken, damit sie nicht sehen konnte, dass er rot geworden war – es ärgerte ihn immer, aber er wusste nicht, wie er es verhindern könnte.

Als auch die anderen ihre Schalen geleert hatten, brachte die alte Marja das Zicklein, das sie vorher gegrillt hatte; Salomon verteilte das Fleisch, brach das ungesäuerte frisch gebackene Brot und lies den Korb herumgehen. Dann holte Schmul aus einem der Karren Becher und einen Weinschlauch, stellte Becher vor die Männer und goss dunkelroten Wein ein. „Zum Wohlsein! Und bevor ihr fragen müsst: Es ist Malvasier von der Insel Kreta…“ Der schwere, süße Wein passte hervorragend zum knusprigem Ziegenfleisch und es dauerte nicht lange, bis Schmul den nächsten Weinschlauch holen musste.

Die Knechte und die alte Marja hatten ein zweites Zicklein gegessen. Der Wein blieb allerdings an der Tafel. Als das Feuer eigentlich nur noch Glut war, legte die Alte ein großes, rundes Blech darauf und verstrich einen dünnen Teig mit einem Holzlöffel; der Duft von Pfannkuchen war bald nicht mehr zu verkennen, Marja strich eine braune Masse auf den Pfannkuchen, nahm ihn aus der Glut, rollte ihn zusammen und schnitt dann Streifen ab, die sie allen auf ihre Schalen legte: Pfannkuchen-Roulade mit Feigencreme.

Gesättigt, fingen beide Gruppen an zu berichten und zu diskutieren, über alles außer Religion! Cuno wurde es langweilig und er fragte seinen Bruder leise, ob er ins Lager gehen könne, er würde ihre Knechte ablösen, die auch was von dem Festmahl abbekommen sollten. Gernot beugte sich zu ihm: „Wenn ich dich nicht kennen würde, hielte ich dich jetzt für einen sooo guten Menschen! Aber da ich dich kenne: bitte die Alte um etwas Suppe und zieh ab, um Wolf damit zu füttern.“ Cuno sprang auf und ging mit seiner Schale zu den Bediensteten ans Feuer. Noch bevor er um Suppe bitten konnte, war Rebecca neben ihm und fragte völlig verwundert: „Bist Du etwa immer noch nicht satt?“ „Nein, doch, es ist halt so …“ unwohl drehte er sich zu ihr und flüsterte: „Ich habe vor einer Woche ein ganz kleines Wolfsjunges gefunden und es ist schwierig, für es etwas zu essen zu bekommen, da es noch nicht kauen kann, und da dachte ich, die Suppe wäre gut.“ Sie nahm ihm die Schale ab, füllte sie zum dritten Mal, drückte sie ihm in die Hände und befahl: „Geh du voran, du weißt, wo die Trittsteine liegen“, und schob ihn an das Ufer des Baches. Cuno hüpfte hinüber und wurde sofort von dem mauzenden Fellbündel begrüßt, das ihn mit der Schnauze ans Bein stupste, um Zuwendung bettelnd. Cuno schickte die beiden Knechte hinüber und sagte, dass er die Wache übernähme. Als er die Schale auf den Boden stellte, war er für Wolf allerdings nicht mehr von Bedeutung. Der Kleine stand da und schlabberte die Suppe in sich hinein, so schnell er konnte, „Ist der aber putzig!“ „Ja, das fand ich auch, und viel zu schade zum gleich Sterben“, und er erzählte ihr, wie er zu Wolf gekommen war. Während sie zusahen, wie er fraß, hörte man plötzlich von der anderen Seite zum ersten Mal die erhobene Stimme von Tasso von Weinbergen: „Gut, ich werde etwas singen, aber es ist nicht von mir, sondern von Süßkind von Trimberg, einem Glaubensbruder von euch.“ Er hatte vorher schon einen der Knechte zurückgechickt, um die Laute zu holen und fing nun nach einem kurzen Vorspiel mit seiner vollen, für einen Mann relativ hellen Stimme zu singen an:

„ Ich habe immer von Mannheit, der Tapferkeit, gesungen,

von maßvollem Leben,

von Treue und Freigiebigkeit der Ritter und Herren.

Der Zucht stand ich im Dienste,

viel mehr als der Minne und dem Schöntun.

Anstand und Wohlerzogenheit,

dem Knappen schon beigebracht mit festen Regeln.

Doch was war mein Lohn?

Ich bin wahrlich auf einer Narrenfahrt

mit meiner Dichtkunst.

Da mich die Herren nicht entlohnen wollen,

werde ich ihre Höfe meiden

und werde mir einen langen Bart

aus grauen Haaren wachsen lassen:

Nach der Art alter Juden

werde ich fortan davonziehen.

Mein Mantel soll bis auf den Boden reichen,

das Gesicht unter einem Hut verborgen.

Demütig wird mein Gang sein.

Und niemals mehr singe ich am Hof,

da mir die Herren ihre Belohnung vorenthalten.“

Der Beifall war lauter, als man es von so einer kleinen Runde hätte erwarten können. Tasso dankte, Heinrich von Hohnstein dankte Salomon für seine Gastfreundschaft, versprach ihm für den Morgen ein Schreiben an Eginhard v. Weimar-Orlamünde, den Zeugmeister in Weimar, und ging etwas unsicher auf den Beinen zum Bach hinunter, noch mehr verunsichert durch einen huschenden Schatte, der seinen Weg kreuzte – Rebecca, die schnell noch auf ihre Bachseite zurückgekehrt war, bevor ihre Abwesenheit auffallen konnte.

Am Morgen brachte Walter den versprochenen Brief hinüber und verabschiedete sich. Die anderen taten es ihm gleich, Das Mädchen steckte Cuno noch einen der leeren Weinschläuche zu. „Ich habe den Rest der Suppe hineingefüllt“, flüsterte sie und drückte seine Hand. Diesmal war sie es, die errötete, bevor sie in einem der Karren verschwand.

Sie ritten den Bach in seiner Fließrichtung entlang und überquerten ihn dann Richtung Sonnenaufgang, bevor andere Bäche ihn anschwellen ließen. „So“, sagte Walter, „nun sind wir über die Eger und damit raus aus Thüringen. Die ganze Herrschaft Böhmen liegt vor uns, an deren anderen Ende Mähren beginnt; dort, an der Grenze, liegt unser Ziel- ich hoffe, dass wir es in zwei Wochen erreicht haben. Und ich hoffe, dass sich mein Vater richtig erinnert hat, denn auch er war erst einmal bei Boleslav Přemysl.“

Ausgeruht und gestärkt wie sie waren, stellten sie sich auf lange Tagesetappen ein. Entlang eines anderen Bachbetts stiegen sie bis zur Höhe hinauf, dann an der anderen Seite wieder hinab, durch Wälder, über Wiesen. Das Land menschenarm. Nur hin und wieder ein kleiner Weiler, in dem es Cuno zunehmend schwerer wurde, Milch für Wolf zu bekommen, nicht, weil die Bauern nichts hatten, sondern weil er Schwierigkeiten hatte, sich mit ihnen zu verständigen. Ihr Deutsch war hart und seltsam betont, ihre eigene Sprache, die die Dörfler als „Česka“ bezeichneten, verstand Cuno nicht. Das machte ihm sehr zu schaffen, denn wenn er schon so weit weg seine Knappenjahre abdienen sollte, dann wäre eine andere Sprache, die so seltsam klang, nicht auch noch vonnöten gewesen.

Zwei Nächte lagerten sie im Freien, am dritten Abend rief sie Walter auf einem Hügelrücken zusammen. Selbst er hatte einen Teil seiner guten Laune verloren: der Weg war lang, und das Wetter wurde zunehmend schlechter. Regenschauer und Sturmböen deuteten auf eine weitere feuchte Nacht hin. Aber als er sie zusammenrief, zeigte er nach Süden und fragte: “Was seht ihr dort auf dem Hügel? Das ist doch eine Burg mit einem Bergfried, der von einer Kuppel gekrönt ist, oder? Und wenn es so ist, dann sind wir endlich in Nepomuk – Vater hat von Küche und Keller dort geschwärmt, und trockene Schlafstellen gibt es allemal in der großen Halle!“ Er drückte seinem Pferd die Hacken in die Seite und preschte den Hügel hinunter, um an der anderen Seite wieder den Aufstieg zu machen. Die anderen folgten ihm, angesteckt von der Hoffnung auf eine gute Nacht.

In Sichtweite des Burgtores lies sich Walter von einem der Knechte seine Lanze mit dem wappengeschmückten Wimpel reichen und ritt vor die verschlossene Zugbrücke. „Heinrich von Hohnstein, Sohn des Cuonrad von Hohnstein, erbittet für sich und seine Begleiter ein Quartier für die Nacht.“ „Wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?“ fragte eine deutsche, aber brummige Stimme aus der Wachstube. „Wir sind vor drei Tagen über die Eger und wollen zu BoleslavPřemisl – gib deinem Herrn, dem Grafen von Weißensee Bescheid!“

Es dauerte einige Minuten, bis die Zugbrücke sich senkte, das eiserne Gatter hochgezogen wurde und ein älterer Ritter unter dem Torbogen sichtbar wurde. „Willkommen auf Nepomuk“ rief dieser und begrüßte Walter mit „Ganz der Vater!“. Walter stieg mit seinen Gefährten von den Pferden, stellte sie dem Grafen vor und dankte für die Gastfreundschaft. Weißensee geleitete sie zur Halle und trug zwei Stallburschen auf, die herbeigelaufen waren, als sich die Zugbrücke quietschend senkte, die Pferde in den Stall zu bringen, abzusatteln, abzureiben und zu füttern.

Nachdem sie die Stufen zur Halle hinaufgestiegen waren, krumm und lahm vom langen Ritt, begrüßte sie der Sitte gemäß die Hausherrin mit Brot und Wein und bat sie, Platz zu nehmen. Die fünf Männer setzten sich zum Grafen an die erhöhte Tafel, Cuno suchte sich eine Ecke, in der er Wolf absetzten konnte, ohne dass es allzu sehr auffiel. Der Kleine war in der kurzen Zeit seit der Attacke durch das Wolfsrudel sichtbar gewachsen und zeigte deutlich, dass er ein Wolf war. Die Schnauze spitz mit ersten kleinen Zähnen, der Körper gedrungen, wie es bei Welpen üblich war, nur die Rute war ganz ungewöhnlich buschig. „Ist der putzig!“ hörte Cuno eine Frauenstimme neben sich. Als er aufschaute, sah er die Gräfin, die, den leeren Weinkrug in der Hand, auf dem Weg zur Küche war. „Lass ihn hier in der Ecke, ich bringe ihm eine Schale Milch. Setz‘ du dich zu den Männern, für dich gibt es gleich einen Krug Wasser.“

Als Cuno an die Tafel trat, begann Weißensee gerade zu berichten: „Ihr wisst, dass der letzte böhmische König aus der Familie der Přemisliden, König Wenzel, vor einer Generation in Olmütz ermordet wurde. Immer wieder hatte er wie seine Väter vor ihm versucht, Böhmen auszudehnen und als unabhängiges Reichsland zu erhalten. Nach seinem Tod wollten sowohl die polnischen Könige als auch die österreichischen Habsburger Böhmen in ihre Ländereien eingliedern. Da heiratete Wenzels Schwester Elisabeth Graf Johann von Luxemburg, der ja auch schon Friedrich von Thüringen geholfen hatte, sein Land frei zu halten, wie ihr“ – und er schaute Gernot und Cuno an „ mit eurer Familie selbst erfahren habt. Seit einigen Jahren herrschte wieder Ruhe und Frieden, als einige der alten Adelsgeschlechter der Česka, also der alteingesessenen Böhmen - ja, Cuno, sie nennen sich genauso wie die Sprache“ Cuno wurde wieder rot, weil er ungefragt herausgeplatzt war, „sich zusammenrotteten und versuchten, die deutschen Siedler, die schon Wenzel und dann Johann nach Böhmen geholt hatten, zu vertreiben und sich die urbar gemachten Gebiete anzueignen. In Böhmen gibt es kein Lehenswesen wie in Thüringen oder in anderen deutschen Landen; jeder versucht deshalb, sich soviel unter den Nagel zu reißen wie es geht und daraus entstehen Unfriede und Fehden. Deshalb hat mich Johann aus Thüringen geholt und als Statthalter für die Česka eingesetzt; Burg Nepomuk ist Königsgut und von hier aus suche ich, den Siedlern zu helfen. Ihr habt ja gesehen, dass das Burgtor verschlossen war, als ihr kamt. Bevor ihr euer Wappen gezeigt hattet, wussten die Wachen nicht, zu wem ihr gehört und hatten deshalb die Brücke hochgezogen. Fast täglich erwarten wir kleine Überfälle und Scharmützel, und immer wieder fliehen Siedler in den Schutz der Burgmauern. Da, wo ihr hin wollt, nach Jihlava, oder wie die Siedler sagen, Iglau, ist es einfacher, dort gibt es so viele Deutsche, dass die Aufrührer kaum Fuß fassen können.

Nun berichtet, was euch herführt: Wie geht es Cuonrad? Hat Landgraf Friedrich das Geldproblem gelöst? Ich habe deinen Vater“, wandte er sich an Walter „schließlich hier beherbergt, als er für Friedrich Silber in Böhmen kaufen wollte. Wie vertragen sich Meißener und Thüringer, die ja nun alle dem gleichen Herrscher unterstehen?“

Walter, Alexander, Bodo und Gernot antworteten gleichzeitig, ein ungeheures Stimmengewirr entstand, keiner verstand irgendetwas und nach kurzer Zeit brachen alle in Gelächter aus und versuchten, nach einander zu sprechen und nicht alles zu wiederholen. Die Gräfin ließ ein schnelles Abendessen für die Gäste servieren. Cuno hatte sich Wolf auf den Schoß gesetzt und lauschte den Berichten. Wer weiß, was er in Jihlava noch alles gefragt werden würde und dann wäre es gut, wenn er Antworten bereit hätte!

Am nächsten Mittag wurde sie Zeuge eines Vorgangs, wie ihn Graf Weißensee beschrieben hatte. Sie näherten sich gerade einem kleinen Weiler. Aus allen Kaminen kam Rauch, vor den recht neu aussehenden Häusern standen Karren mit Ochsen oder Eseln, und auf der Allmende graste eine ganze Reihe von Tieren. Cuno hoffte schon auf Milch für Wolf, als plötzlich mit wüstem Getöse ein Dutzend Reiter aus dem Wald hinter dem Dorf preschten und über die Felder den Hang hinunterjagten. Sie verteilten sich vor den Häusern und drangen mit gezogenen Schwertern ein. Lautes Geschrei, ängstliche Rufe, Schmerzenslaute und lautes Flehen waren das Ergebnis. Ohne lange zu überlegen, gaben die thüringischen Ritter ihren Pferden die Absätze und jagten nun ebenfalls auf das Dorf zu. Am ersten Haus angekommen, sprangen Bodo und Alexander aus dem Sattel, stürmten hinein und riefen laut: „Was ist hier los?“ „Sakra Germàn!“ war die Antwort und die beiden Schwarzenbergs sahen sich zwei ganz offensichtlich wütenden Bewaffneten gegenüber, die von ihren bäuerlichen Opfern abließen und nun ihre Schwerter gegen die Ritter richteten. Aber die Thüringer machten nicht viel Federlesens, schlugen die beiden nieder, riefen dem Bauern zu: „Bindet sie!“ und stürmten zum nächsten Hof, wo Gernot und Tasso Ähnliches erlebt hatten, während Walter, gefolgt von Cuno, schon zum dritten Haus geritten war. Dem fiel Wolf aus dem Sattel. Sobald der die Pfoten auf dem Boden hatte, fing er, wahrscheinlich aus Schmerz, an zu jaulen wie ein richtiger Wolf. Jemand rief. „Wölfe!“ und aus den restlichen Häusern rannten die Bewaffneten. Als sie die Ritter sahen, sprangen sie auf ihre Pferde und jagten wieder davon. Walter trat in das Haus und wäre beinahe gefallen, denn ein deutlich besser gekleideter und offenbar auch besser kämpfender Mann als die Geflohenen versuchte, ihm sein Schwert in die Seite zu rammen. Cuno sprang ebenfalls vom Pferd, griff nach Walters Lanze, die an dessen Sattel befestigt war und versuchte, den Fremden zumindest soweit abzulenken, dass Walter sich wieder wehren konnte. Nach kurzem Ringen hatte der andere Walters Schwertspitze an der Kehle und ließ sein Schwert fallen. „Was soll dieser Wahnsinn?“ fragte der Ritter und sein Gegner antwortete in gebrochenem Deutsch: „Das unser Land. Ihr Sakra Germàn, verdammten Deutschen, nehmt uns Wälder, macht Äcker und dann gehört euch Land. Wir wollen das nicht. Wir verlieren Land.“ „Wer seid Ihr?“ „Ich bin Rytíři Bobdan Rožmitâl, der Herr dieser Wälder!“ „Für mich seid Ihr ein Dieb. Ihr wartet, bis die Siedler das Land urbar gemacht haben, dann tötet ihr sie und nutzt das Land selbst! Bauer“ wandte sich Walter an den verängstigten Siedler, „ Gib mir ein starkes Seil und dann kannst du den gefesselten Bobdan Rožmitâlund seine Spießgesellen zu Graf Weißensee auf Burg Nepomuk bringen – er soll entscheiden!“ Bobdan ließ sich nur mit Mühe fesseln und wehrte sich so verzweifelt, dass Walter selber eingreifen musste. Dann schob ihn Cuno mit der Spitze der Lanze vor sich her ins Freie, wo sich unterdessen die anderen Dorfbewohner und die Thüringer Ritter versammelt hatten. Ein Mann in schwarzer Kutte nahm das Wort: „Ich danke Euch, Ihr Herren. Meine kleinen Gemeinden hier im Wald haben jahrelang bis zur Erschöpfung gearbeitet, um sich hier ihren Broterwerb zu sichern; als Zisterziensermönch hat mich mein Abt hierher beordert, damit ich mit den Siedlern die bestmöglichen Anbaumethoden ausprobiere – und wir waren erfolgreich!“ Die umstehenden Siedler klatschten zur Bestätigung. „Ohne Euch wäre auch diese Rodung verloren, denn den Česka fehlen die Arbeitskräfte, aber nicht der Hochmut. Lasst uns die glückliche Fügung mit einem guten Mahl feiern!“

Die Frauen des Weilers, von denen keine zu Schaden gekommen waren, genausowenig die Kinder, das Vieh, die Gebäude, beeilten sich, die Worte des Paters umzusetzen. Vor dem Haus, in dem Walter den Ritter gestellt hatte, wurde Glut zusammengetragen, mehrere Hühner und ein Lämmchen mussten den Tag vorzeitig beenden, und selbst das im Weiler gebraute Bier – Wasser, Hefe, Hopfen und Weizen – mundete allen, auch Bobdan, den Cuno mit allem Notwendigen versorgte. Während sich ein kleiner Trupp der Siedler mit den Gefangenen auf den Weg nach Nepomuk machte, richteten die Frauen den Rittern und Knechten ein Nachtlager, denn die waren viel zu müde und aufgeregt, um noch den fehlenden Halbtagesritt bis Pisek hinter sich zu bringen. So blieben sie in dem Weiler und verschoben die Weiterreise auf den nächsten Tag.

Der brach unerbittlich an, mit Sturm, Regen und Nebel. „Ihr müsst aufpassen, wenn Ihr gegen Mittag nach Pisek kommt – die Stadt liegt in einem Kessel, rundum von Bergen umgeben, und man hat das Gefühl, als würde man in diesen Kessel wie in einen Schlund gezogen“, hatte der Zisterzienser die Ritter noch am Abend ermahnt, „aber es ist nicht einfach, auch für mich als Mann der Kirche nicht, die Stadt zu betreten. König Ottokar hat Pisek befestigen lassen, um den Übergang über die Otava mit einer Brücke abzusichern. Pisek ist eine Königsstadt, das heißt, alle Rechte, die eine Stadt haben kann – auch das Gerichtsrecht – hat Pisek. Die Wachen sind unerbittlich. Das Schreiben von Boleslav Přemysl wird Euch allerdings helfen. Wenn Ihr Herberge sucht, wendet Euch nach dem Putimská-Tor nach Sonnenaufgang, dann kommt Ihr zur Burg. Graf Heinrich, der Statthalter, ist ein Neffe König Johanns, also aus dem Hause Luxemburg. Wenn Ihr Hilfe braucht: das Dominikaner - Kloster liegt direkt neben der Pfarrkirche zur Heiligen Elisabeth am Marktplatz. Pisek ist wichtig, denn hier kontrolliert der Herrscher Böhmens den „Goldenen Steig“-die Leute hier nennen das den Zlatá stezka:im Sand der Otava findet sich viel Gold, das dort herausgewaschen und dann über die Vitava – oder wie Ihr Deutschen sagt, die Moldau –nach Prag weitertransportiert wird.“

Als sie sich, an einem Nebenfluss der Otava entlangreitend, Pisek näherten, war alles anders als vom Mönch beschrieben: der Bergkessel, in dem Pisek liegen sollte, war in Regen und Nebel verborgen, das Stadttor stand weit offen, die Wachen ließen sie ohne Kontrolle passieren und wiesen ihnen sogar den Weg zur Burg. Die Straßen waren voller Menschen, die unter lautem Jubeln die Straßen auf- und abzogen. Als sie sich schließlich durch die Massen einen Weg gebahnt hatten und vor der Burg standen, erfuhren sie auch den Grund: König Johann hatte an eben diesem Tag der Stadt das Salzrecht gegeben; nun mussten alle, die in Südböhmen Salz brauchten, dieses in Pisek kaufen – es war ein reiches Geschenk. Der Wohlstand würde weiter wachsen und die Bürger noch treuer zum König stehen als bisher schon. Die Ratsherren der Stadt hatten sich schon zum königlichen Statthalter in die Burg begeben, um die Urkunde in Empfang zu nehmen. Als der Erste Magistrat aus dem Tor trat, die gesiegelte Urkunde über den Kopf schwenkend, brandete noch lauteres Rufen auf. „Heute Abend wird aus den Brunnen der Stadt Bier fließen – lasst uns diese Gabe feiern!“ Dann wandte er sich etwas erstaunt den nassen und schmutzigen Reisenden vor ihm zu, deren Kleidung aber doch noch erkennen lies, dass es sich um höheren Besuch handelte: „Meine Herren – was ist euer Begehr?“ „Wir wollen Graf Heinrich sprechen!“ Der Magistrat schickte einen Knappen zurück in die Burg und machte sich mit seinen Begleitern auf zum Marktplatz, wo weiter gejubelt und gefeiert werden würde.

Unterdessen kam der Knappe zurück, bat die Reisenden in die Burg, pfiff nach ein paar Stallknechten, die sich um die Pferde kümmern sollten und brachte die Herren in die Halle. Ein noch recht junger, hochgewachsener Ritter, deutlich gekennzeichnet durch das luxemburger Wappen, den aufrechtstehenden roten Löwen auf grauem Grund, erhob sich aus dem Hochsessel. „Was wünscht ihr?“ Heinrich von Hohnstein neigte wie die anderen seinen Kopf und sprach für alle: „Wir sind thüringische Ritter, geschickt von meinem Vater Cuonrad von Hohnstein, dem Münzmeister des Landgrafen von Thüringen, um diesen Knaben“, er deutete auf Cuno, „ zu Boleslav Přemysl in Jihlava zu bringen, bei dem er Knappendienste leisten soll.“ Er stellte die Ritter vor. Heinrich grinste immer breiter und streckte dann den Rittern die Hand hin: „Ihr kommt wie gerufen! Die ganze Stadt wird heute toben, das Saufen wird kein Ende nehmen und die Büttel werden eifrig zu tun haben. Gerade eben hat mich der Magistrat eingeladen, mit den Ratsherren und den Bürgern zu feiern, aber jetzt kann ich doch nicht so ehrenwerte Gäste einfach allein lassen!“ Er rief nach Mägden und Knechten, und bald wurde in der Halle aufgedeckt. Die Reisenden legten ihre nassen Mäntel ab und reinigten sich so gut es ging. Nur Gernot und Cuno gingen zum Brunnen im Lichthof und wuschen sich wenigstens oberflächlich. Dabei bekam Wolf auch gleich einen Krug voll Wasser.

Als die drei zurückkamen, saßen die anderen bereits am Tisch. Ein Krug kreiste, die Becher wurden gefüllt, und die Thüringer berichteten von der Reise. Graf Heinrich war besonders an dem Bericht über Salomon Herschels Flucht interessiert. „Er ist, nein, war einer der wichtigsten Kaufleute in Prag, und wenn er geht… Ich muss morgen mit dem Ältesten der jüdischen Gemeinde hier reden, um zu sehen, ob wirklich Gefahr besteht oder Herschel einfach nur langsam zu alt wurde. Aber lassen wir das Tagesgeschäft: Darf ich Euch meine Gattin Ermingilde vorstellen, die Hausherrin hier in Pisek!“ Eine großgewachsene, recht rundliche Frau mit einem freundlichen Lächeln trat an die Tafel und begrüßte die Ritter. „Und das ist mein Patenkind Salwa, die Tochter eines edlen Ritters aus der Nachbarschaft, die in den Unruhen der letzten Jahre leider alle engen Verwandten verloren hat und deshalb an Kindesstatt bei uns aufwächst, nachdem wir selbst keine Kinder haben!“ Ein Mädchen, etwa so alt wie Cuno, trat an den Tisch und knickste. Der kleine Steigerthal starrte sie an. Sie war gertenschlank, hatte rotbraune Haare, zu Zöpfen geflochten und wie einen Kranz um den Kopf gelegt, Augen, die so grün waren wie die saftigen Wiesen, durch die sie geritten waren, ein ovales Gesicht mit hohen Backenknochen und eine schneeweiße Haut mit ein paar winzigen Sommersprossen. „Setz dich zu Cuno, dann kannst du ihm alles über die Česka erzählen, zumindest alles, was er wissen muss, wenn er hier dienen soll!“ Salwa gehorchte und setzte sich Cuno gegenüber an die Tafel. „Das tut mir Leid mit Deinen Eltern.“ „Ist gut, es ist schon so lange her, dass ich mich kaum noch an sie erinnern kann, und außer, dass ich Tschechin bin, gehöre ich eigentlich zu Heinrich und Ermingilde – ich sage aber immer Hermine zu ihr! Sie senkte ein wenig ihre helle Stimme: „Wo sollst du dienen? Als was? Wie kommt es, dass nur du und dein Bruder sich gewaschen haben – ich habe euch am Brunnen gesehen?“ Cuno war verwirrt, dass ausgerechnet sie das Waschen mitbekommen hatte, aber eigentlich war das das Einfachste von allem, und deshalb begann er: „Also, das mit dem Waschen ist so eine verrückte Sache in meiner Familie: Mein Urgroßvater war bei dem letzten Kreuzzug dabei und lernte auf Zypern, als sie auf Schiffe warteten, die sie weiterbringen könnten, seine spätere Frau kennen. Die hat ihn die orientalischen Gewohnheiten der Körperpflege gelehrt, und als sie ihm dann später nach Erfurt gefolgt ist, hat sie natürlich auf diesen Gewohnheiten bestanden. Von ihr hat es meine Großmutter gelernt, von der meine Mutter und so haben auch wir heute zu Hause bei uns in der Burg einen Baderaum, in dem wir uns täglich waschen – was für Rittersleute wohl schon recht ungewöhnlich ist. Und irgendwann hast du dich dann daran gewöhnt, dass du dich nur noch sauber richtig wohlfühlst. Aber bitte mit warmem Wasser gewaschen! Ich fürchte, das wird mir fehlen, wenn ich nächste Woche meinen Dienst als Knappe bei Boleslav Přemisl in – wart mal, du würdest sagen Jihlava, oder? – antrete.“

„Beim dicken Přemisl? Da wirst du so manches erleben! Also dick ist vielleicht falsch, er ist so hoch wie breit, aber so kräftig, dass er immer noch manche seiner Bergleute eigenhändig aus dem Schacht schmeißen kann. Sollst du bei ihm als Knappe das Ritterhandwerk lernen oder den Bergbau – den kann er nämlich besser!“ „Kennst du ihn? Mein Pate, der Vater von Walter da drüben, sagte, er sei ein hervorragender Ritter.“ „Das war er sicher auch, aber seit ich ihn kenne, und es sind ja nur zwei Tage von hier nach Jihlava, ist er immer breiter geworden und wohl auch immer reicher. Er hat sogar, das wird dir gefallen, ein Badehaus gebaut, da soll es warmes Wasser direkt aus einem Rohr geben. Da war ich allerdings nie drin! Eigentlich soll ich mit dir aber nicht über Boleslav schwätzen, sondern dir erklären, was uns Tschechen von den Deutschen unterscheidet. Also, da ist natürlich Česka, die Sprache, aber in Jihlava wirst du mit Deutsch gut durchkommen, die Fachbegriffe der Knappen und Steiger in der anderen Sprache lernst du schnell.

Wir lieben die Freiheit, deswegen gibt es bei uns auch nicht das komische System wie bei euch. Ritter sind reiche Grundbesitzer, aber Menschen gehören ihnen nicht, wie es bei euch sein soll. Und Treue schwört man hier seinem Herrn und seinem Gemahl, aber nicht irgendeinem Fürsten. Und deshalb ist unser Ehrbegriff auch nicht an irgendwelche seltsamen Regeln gebunden, sondern Ehre hat, wer ehrlich, also ohne Betrügereien, seinen Lebensunterhalt verdient. Auch ein Bauer, Steiger oder Knappe hat seine Ehre. Wer ihm die wegzunehmen droht, bekommt allerdings Probleme! Auch wir Frauen,“ sie verbesserte sich, „auch wir Frauen und Mädchen haben unsere Ehre, die wir und unsere Familien mit allen Mitteln verteidigen. Komm‘ also nie einem tschechischen Mädchen zu nahe, auch keiner Magd, es sei denn, die Familien haben sich abgesprochen!“

„Da haut aber jemand auf den Putz!“ dröhnte Graf Heinrich, der die letzten Sätze mitgehört hatte, weil Salwa wieder lauter geworden war. „Aber im Grunde hast du recht, das macht das Leben hier in Böhmen so anders als im alten Reich der Lehnsmänner. Hier ist jeder für sich allein verantwortlich und handelt deshalb so, dass er es auch verantworten kann.“ Gernot wollte gerade mit den anderen Rittern über diesen ungewohnten Ehrbegriff disputieren, wusste er doch, wie das Hochhalten der Adelsregeln seine eigene Familie noch im letzten Frühjahr getroffen hatte, als lautes Gegröle von der Straße herüberklang. „Das ist es, was ich vorhin meinte! Lasst uns in Frieden hier oben das Mahl einnehmen und dann muss ich wohl noch einmal mit meinen Leuten zu Pferd und durch die Stadt reiten, um den übermütigsten Bürgern zu zeigen, dass die Ordnung aufrecht erhalten bleibt!“

Die Mägde trugen auf und Ermingilde erklärte den thüringischen Rittern, was die Frauen servierten. „Wir schmoren das Fleisch meistens, weil da eine kräftige Sauce entsteht, die gut zu dem passt, was die Menschen hier am liebsten essen, nämlich Knödel. Das sind große Kugeln aus Hefeteig, die in wenig heißem Wasser zum Aufquellen gebracht werden und dann geschnitten wie bei Euch Brot zum Austunken der Sauce dienen. In Böhmen gibt es alles, was das Herz begehrt, Feldfrüchte aller Art, Obst, besonders Zwetschgen, aus denen ein Brand hergestellt wird, der selbst mir schmeckt, Gemüse, Beeren, Pilze, Wildbret. Und die Grundlage ist das Fleisch von Schweinen und Rindern. Das, was vor Euch steht, ist geschmortes Schwein.“ Salwa schaltete sich ein: „Unser Urvater Čech hat gesagt, Tschechien sei das Land, in dem Milch und Honig fließen. Ich würde nie hier weggehen wollen! Und du, Cuno, wirst noch sehen, wie gut es einem hier geht.“ Gutmütig spottend setzte Heinrich den Gedanken seines Patenkindes fort: „Und da du Knappendienst leisten wirst, besteht auch nicht die Gefahr, dass dir das Essen solche Probleme bereitet wie meiner Ermingilda,“ und zwickte seine Gemahlin in die runden Hüften. Alle griffen zu, auch Cuno, der aber zunehmend unruhiger wurde, weil er glaubte, ein leises Winseln zu hören, das sein schlechtes Gewissen hervorrief. Salwa merkte etwas und fragte: „Was ist? Das Essen schmeckt doch gut, oder?“ „Ja, und wie, aber ich habe es versäumt, mich um etwas Wichtiges zu kümmern, und jetzt befürchte ich nichts Gutes.“ „Was ist das?“ „Ich habe vor drei Wochen ein Wolfskind gefunden, das ich als Hund behalten will, und die ganze Zeit habe ich es gefüttert, aber heute …“ „Wo ist es?“ „Da hinten hinter den Bänken, wo wir unsere Sachen abgelegt haben. „Komm!“ Sie stand auf und zog ihn mit. „Wo ist es?“ Cuno hörte Wolf ganz genau und fand ihn hinter der Pferdedecke, von Cunos Mantel fast zugedeckt. „Ist der putzig,“ rief sie. „Wer ist hier putzig?“ erkundigte sich Ermingilda. Cuno führte Wolf an seinem Strick näher an die Tafel und erklärte unter dem Grinsen seiner Reisekumpane noch mal, wie er Wolf fand, warum er ihn mitgenommen hatte und welche Mühe seine Ernährung bis heute machte. Eine der Mägde, die das Tier genau betrachtete, verschwand und kehrte nach kurzer Zeit mit einer Schale zurück, in der Milch, Bratensauce und kleine Knödelstückchen schwammen. „Vom Vortag“, wie sie ihrer Herrin versicherte. Wolf machte seinem Namen alle Ehre und machte sich wie ein Wolf über das Essen her, das er mit seinen wenigen kleinen Zähnen aufessen und ausschlabbern konnte.

Auch Cuno griff nun nochmals richtig zu, und während die Männer dem Bier zusprachen, spülten Salwa und Cuno ihre Knödel mit Wasser hinunter.

„So, Männer, meine Leute und mich ruft nochmal kurz die Pflicht. Hebt mir einen Krug Bier auf, wir sind gleich zurück.“

Salwa verabschiedete sich von Cuno und den anderen und verschwand mit Ermingilda in Richtung Kemenate. Die Ritter und die wenigen in der Halle zurückgebliebenen böhmischen Männer erzählten aus dem Alltag, und als Heinrich mit den anderen zurückkam, war ein fröhliches Zechen im Gange. Bodo hatte den anderen verraten, dass Tasso ein hervorragender Sänger sei, und als diese immer lauter „Singen, singen“ riefen, kam auch Ermingilda zurück in die Halle, und erst dann erklärte sich der Erbe von Weinbergen bereit, seine Laute zu holen und ein Lied anzustimmen. „Das Lied ist nicht von mir, ich habe es Walther von der Vogelweide abgeschaut:

Frau Erde, sagt dem Herrn dort oben,

dass ich ihm alles zurückgezahlt habe.

Meine große Schuld ist beglichen,

er soll mich von der Liste streichen.

Wer ihm noch etwas zu bezahlen hat,

der möge sich Sorgen machen.

Er schweigt zu uns bis an jenem Tag,

an welchem er die Strafe austeilt.

Frau Erde, ich habe gut gelebt,

es ist Zeit, dass ich mich entwöhne.

Du gabst mir viele süße Freuden.

Als ich dich im rechten Lichte betrachtete,

da war deine Schönheit - ohne zu leugnen –

in großer Wonne anzusehen.

Doch da war ebenso sehr das Böse

als ich hinter die Fassade schaute.

Gott schenke Euch, Herrin, eine gute Nacht,

ich will ein Nachtlager aufsuchen.

Möge mein Lied Euch ein Dank sein

und ein wenig Freude für Euch alle.“

Lauter Beifall klang auf, und als Tasso seine Laute zurücktrug, mahnte der Burgherr seine Gäste, die Nacht nicht noch mehr zu verkürzen und schickte seine Männer auf die Bänke, denn morgen sehr früh sollten sie die nächste Runde durch die Stadt drehen.


Als sich Cuno und seine Begleiter nach ein paar Scheiben gebratener Knödel und herzlichen Worten der Gräfin und von Salwa auf die Pferde begaben, waren der Graf und seine Männer schon längst unterwegs. Betrunkene beiseite schaffen, umgestürzte Verkaufsstände wegräumen, die Brunnen kontrollieren, dass überall wieder Wasser floss und vor allem die Wachmannschaften an den Toren wieder einsetzen und verstärken, denn die Nachricht über das neue Salzrecht hatte sich sicher schon weit verbreitet, so dass alle Welt versuchen würde noch Salz zu kaufen, bevor der Magistrat die neuen, höheren Preise beschlossen haben könnte. Als sie sich dem Brückentor näherten, sahen sie Graf Heinrich in voller Aktion, angetan mit seiner Rüstung, das Schwert einsatzbereit in der Hand, saß er mitten in der Torwölbung auf seinem schweren Streitross und hielt die Menschen zurück, die mit leeren Körben, Kiepen und Karren in die Stadt wollten. „Wenn die Kirchenglocken zur Terz rufen, wird euch Einlass gewährt, nicht vorher.“

Er ließ die deutschen Ritter passieren, verabschiedete sich von jedem und gab Cuno einen Schlag mit der behandschuhten Rechten auf die Schulter: „ Du wirst sehen, Jihlava ist nicht weit weg – wann immer du willst – du bist willkommen!“ Und dann leiser: „ Ich glaube auch, bei Salwa. Viel Glück!“ Und damit ließ er sie auf die steinerne Brücke über die Otava, auf dem Weg weiter in Richtung Sonnenaufgang.


Silber

Подняться наверх