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Ein befestigtes Haus an der Adriaküste, November 1248

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Gernot saß im hintersten Winkel des Kerkers und beschimpfte sich selbst zum hundertsten oder gar tausendsten Mal als Esel.

Es war der letzte Tag des Sommers auf Zypern gewesen, als Heinrich von Thüringen, angetan mit dem wappengeschmückten Kettenhemd seiner Vorfahren, wehendem Mantel, Schild und Schwert, begleitet nur von Gernot, der sich um das Gepäck kümmerte, den venezianischen Schnellsegler bestieg. Es war eine Sambuke, ein zweimastiges Segelschiff, das eigentlich nur in der arabischen Welt vorkommt. Aber die Venezianer hatten einige dieser Schiffe mit den leicht nach vorne geneigten Großmasten und den nach hinten geneigten Besanmasten gekapert und benutzten sie als Botenschiffe und schnelle Transporter. Heinrich erhielt einen Platz in der einzigen Kajüte, Gernot wurde mit dem Gepäck im Laderaum einquartiert, wo er auf die Knechte der anderen Mitreisenden traf. Sie musterten ihn von oben bis unten und fragten dann in gebrochenem Französisch, wer sein Herr sei. „Ein thüringischer Ritter aus dem Gefolge des Lothringers. Und eure Herren?“ „Geht dich nichts an!“ Schon da hatte er das Gefühl, dass die Fahrt nicht sehr erfreulich werden würde. Aber die paar Tage auf See würde er schon überstehen, solange kein Sturm aufkäme! Er lehnte sich an den Ballen mit dem Gepäck des Landgrafs und versuchte, es sich so gemütlich wie möglich zu machen. Die anderen Kerle steckten die Köpfe wieder zusammen und schnatterten in einer Sprache, die er für einen italienischen Dialekt hielt. Noch bevor sie ablegten, war er eingeschlafen.

„He, du da, dein Herr will etwas von dir!“ – unsanft wurde Gernot dabei an der Schulter gerüttelt. Er schlug die Augen auf und sah einen der Matrosen vor sich, der mit der anderen Hand nach oben zur Kajüte deutete. „Und sehr erfreut schien er nicht, als du auf sein Rufen nicht gekommen bist!“ Grinsend half er ihm aufstehen und überließ ihn seinem Schicksal.

Gernot kletterte die Leiter hoch, die den Laderaum mit dem Deck verband und erklomm dann die wenigen Stufen zur Kajüte. Bevor er anklopfen konnte, flog die Tür auf und ein in Seide und Brokat gekleideter Mann stürmte hinaus, ein anderer im dunklen Ornat der venezianischen Kaufleute lief hinterher: „No parli en la prossimità dé altri de questa materia!“Aber der Reichgekleidete war schon an den Bug gestürmt, wo er, den Blick auf die Wellen, verharrte. Der Kaufmann drehte sich um, schüttelte den Kopf und sagte noch etwas wie „Cretino“ und ging zurück in die Kajüte.

Als der Steigerthaler nach ihm eintrat, sah er, dass die Herren wohl beim Essen gesessen hatten, bevor es zum Streit kam: Ein Stuhl lag auf dem Kajütenboden, die Scherben eines Trinkglases aus buntem Murano-Glas lagen daneben und Heinrich von Thüringen saß mitten drin und schüttelte nur den Kopf. „Die ganze Geschichte ist faul, und wenn ich könnte, würde ich mit der Sambuke sofort nach Lemesós zurückkehren. Hol mir mein Schwert und den Helm, ich weiß noch nicht, mit wem sich hier wer schlagen will!“ Als Gernot den Raum verließ, folgte er ihm: „Du musst auf alles gefasst sein: soweit ich die beiden verstanden habe, holt das Schiff normalerweise nur die monatlichen Erträge der von Sklaven auf Zypern ausgebeuteten Kupferminen, sie gehören ja seit ewigen Zeiten den Venezianern. Aber diesmal ist offensichtlich noch mehr an Bord, ich glaube, dass es die Entschädigung König Ludwigs für den Verlust der zehn Galeeren und der Brigantine ist, die neulich Schiffbruch erlitten haben, du warst dabei, als Jean de Beaumont wegen der Kosten fluchte. Und der Kaufmann will natürlich nicht, dass bekannt wird, was alles an Bord ist, weil er fürchtet, dass durch irgendwelche Zeichen eine Person an Bord – und sie verdächtigen natürlich uns – Piraten einen Hinweis geben könnte.“ „Was tut oder ist der andere, der vorne am Bug?“ „Das ist ein Ritter des Ordens vom Hl. Johannes zu Jerusalem, die darauf hoffen, dass der Papst ihnen für die Unterstützung in den Kreuzzügen Zypern bald als Lehen übergegeben wird, und damit natürlich auch die Kupferminen. Und er behauptet jetzt, dass die Venezianer viel mehr Kupfer herausholten, als sie je zugegeben haben und nichts mehr zu holen sei.“

Nun war es an Gernot, den Kopf zu schütteln, er verstand eigentlich gar nichts mehr. Nachdem er Heinrich Schwert und Helm gebracht hatte, lehnte er an der Reling und schaute hinüber nach Zypern: sie umrundeten gerade Cap Gata, die Halbinsel südlich von Lemesós, die dessen Hafen vor den häufigsten Stürmen schützte. Mit einigem Glück und entsprechendem Wind, dem aus Osten blasenden Levante, würden sie, so hatte der Bote Eginhard gesagt, in einer Woche Kreta passiert haben und dann nordwestlich in die Adria hineinsegeln, immer nah genug am Ufer, um die Küste noch zu erkennen, aber weit genug, um vor Piraten flüchten zu können. Die Informationen, die ihm Heinrich gegeben hatte, damit er Vorsicht walten lassen könnte, konnte er nur mühsam verarbeiten. „Was bedeutet das für uns?“ „Wir müssen uns, bis wir in Venedig sind, so gut wie möglich nur auf uns selbst verlassen, deshalb habe ich dich auch rufen lassen – du im Laderaum, ich hier in der Kajüte. Und wenn etwas Seltsames passiert“ hier unterbrach er sich und suchte in seinem Mantel etwas „bläst, wer immer es entdeckt, auf dieser Pfeife, meiner Hirschjagdpfeife, und warnt den anderen – hast du verstanden?“ Gernot nickte und war entlassen. Als er wieder unten im Laderaum ankam, merkte er, dass auch die Knechte gestritten hatten: drei waren in die Ecke gedrängt worden und wurden von zwei breitschultrigen Kerlen bewacht, während die restlichen beiden die Ladung durchstöberten – auch Gernots Gepäck. „Pfoten weg, sonst sind die Pfoten weg!“ rief er ihnen zu, zog sein Messer aus dem Gürtel und stellte sich auf. Obwohl sie wohl kein Deutsch konnten, verstanden die zwei ihn sehr gut und widmeten sich dem Rest der Ladung. Und sie waren gerade den ersten Tag auf See!

Die Tage vergingen langsam, aber ereignislos. Gernot hatte schon fast vergessen, was ihm Heinrich am ersten Tag eingeschärft hatte, und er war auch nie wieder in die Kajüte gerufen worden. Morgens erhob er sich, stürzte sich nach der Sitte der Mannschaft mit einem Tau um die Hüfte ins Meer, erleichterte sich und zog sich dann wieder an Bord. Dann holte er sich sein trockenes Brot, seinen Löffel Olivenöl und das wenige Wasser, das ihnen zugeteilt wurde, und stellte sich mit einer leichten Angelrute an die Reling, immer auf einen Fang hoffend, den ihm der Schiffskoch mit einer Extra-Ration bezahlte. Die drei eingeschüchterten Venezianer gesellten sich häufig zu ihm, und auch wenn sie nicht miteinander reden konnten, gab es freundliche und Verständnis zeigende Gesten zwischen ihnen. Gernot hatte herausgefunden, dass die drei die Knechte des Kaufmanns waren, während die anderen vier dem Johanniter dienten. Zu gern hätte er gewusst, worum der Streit am ersten Tag gegangen war!

Wie Eginhard ihm angekündigt hatte, wechselte die Sambuke am achten Tag den Kurs und segelte nach Nordosten, aber das bedeutete auch, dass sie immer wieder vor dem Wind kreuzen mussten und dadurch recht langsam wurden. „Man hätte Venedig wo anders bauen sollen,“ hörte Gernot an einem Vormittag den Steuermann brummen, „dann wären wir schneller da!“ Doch die Langeweile der ereignislosen Reise ließ alle Eindrücke verschwimmen, die Geschwindigkeit des Schiffs spielte für die Passagiere kaum noch eine Rolle.

Am zehnten Tag kam Sturm auf. Der Levante blies heftig, und wenn sie nicht an die kalabrische Küste gedrückt werden wollten, musste die Sambuke mit immer kürzeren Wenden der Windgewalt trotzen, was immer wieder dazu führte, dass sie der Balkanküste sehr nahe kamen. Die Matrosen waren vom ständigen Wenden ermüdet, die Rahsegel an Haupt- und Besanmast standen unter vollem Winddruck, zum Sturm kam peitschender Regen, der alle durchnässte. Und alle, ob Venezianer oder Thüringer, Ritter oder Knechte, mussten sich am Ausschöpfen des Schiffs beteiligen, was vor allem die Herren und Landgraf Heinrich erzürnte, aber nur so war die Fahrt fortzusetzen – und im Windschatten der Küste Schutz zu suchen, kam für keinen in Frage. Zu Sturm und Regen gesellte sich Blitz und Donner. Lichtexplosion folgte auf Lichtexplosion, krachender Donner auf krachenden Donner.

Als ein dumpfer Schlag erklang, war das für die Mannschaft und die Passagiere völlig ohne Bedeutung, bis der Steuermann plötzlich schrie: „Piraten!“ Zwar hörten nur die Nächststehenden den Schrei, gaben ihn aber weiter, so dass sich alle an Bord schnell der Gefahr bewusst wurden, aber zu spät: Sonnenverbrannte Gestalten, die sich an Enterhaken über die Bordwand zogen, stürzten sich, den Krummsäbel schwingend, ein Messer quer zwischen den Zähnen, auf die Menschen an Bord, die sich nur mit ihren Schöpfkellen, Tauenden oder Baumniederholern verteidigen konnten. Der Kampf war kurz: Mannschaft, Kapitän, die venezianischen Knechte, der Kaufmann, Heinrich und Genot wurden an Händen und Füßen gebunden und an die Bordwand gefesselt, so dass sie zwar schöpfen, aber sich nicht mehr wehren konnten, als plötzlich aus der Kajüte der gerüstete Johanniter mit seinen vier Knechten stürmte und die Piraten angriff. Die Überraschung verwirrte die Piraten, die den Schwerthieben der wild um sich Schlagenden nichts entgegenzusetzen hatten und sich immer weiter nach Luv zurückzogen, wo ihr kleines Boot, mit dem sie sich angeschlichen hatten, festgemacht war. Aber bevor sie über Bord gingen, erledigte der Sturm ihr Werk: Der Kreuzritter verfehlte in einer plötzlichen Orkanböe wieder einmal einen Piraten, sein Schwert verfing sich in dem Tau, mit dem Gernot und Heinrich gefesselt waren, durchschnitt es und blieb in der Bordwand stecken. Durch das plötzliche Bremsen seines Hiebes stürzte der Johanniter und lag schwertlos im eingedrungenen Wasser. Diesen Moment nutzte einer der Piraten und hieb ihm mit seinem Krummsäbel mit einem Schlag erst den Schwertarm, dann mit einem zweiten den Kopf ab. Jetzt brachen die anderen über die Johanniterknechte herein. In kürzester Zeit waren sie besiegt, getötet und über Bord geworfen. Während des Kampfes war das Rahsegel am Hauptmast vom Sturm zerfetzt worden, aber unter der Besanrah lief das Schiff unter dem Wind zur Küste, und als sie aus dem Sturm heraus in den Windschutz der Küste kamen, zielte der Pirat am Steuerruder auf eine Bucht, die hinter Vorbergen und Klippen fast verborgen war. Die gespenstische Ruhe an Bord, die eingekehrt war, nachdem das Heulen des Sturmes und das Tosen des Gewitters vorbei war, enthüllte, wie es um die Sambuke stand: das Schiff war unversehrt, der Kaufmann und Landgraf Heinrich waren verletzt, aber nur leicht; die Knechte des Kaufmanns und Genot waren unverletzt, weil man sie geschont hatte, damit sie weiter schöpfen konnten. Als Heinrich sich mühsam aufrappelte, um gleich wieder an die Bordwand gebunden zu werden, sagte Gernot zu ihm: „Für uns ist es doch egal, wer gesiegt hat, wir wollen doch nur nach Hause! Ich hole Eure Waffen und die Rüstung, und dann werden wir sehen, was geschieht!“ Heinrich nickte nur und Gernot stieg, von den Piraten, die sich um das Tauwerk kümmerten, unbehelligt in die Kajüte hinauf. Als er das Kettenhemd, Schwert, Helm und Wappenmantel sah, wusste er, dass er das nicht auf einmal tragen konnte und streifte sich deshalb Hemd, Helm und Mantel über. Als er so gewandet aus der Kabine trat, brüllte der Anführer der Piraten, der am Steuer stand, lachend: „Was haben wir denn da noch für einen seltsamen Vogel? Der wird uns viel Lösegeld einbringen. Und dabei wollten wir doch nur das Geld für die Galeeren - umso besser, Männer, ab jetzt ist genug Geld da für ein Fest an jedem Tag!“ Während die Piraten jubelten, schaute Gernot zu Heinrich, der ihn anstarrte und dann nickte.

In der Bucht angekommen, wurde das Schiff entladen, der Kaufmann wurde in Ketten gelegt und in ein kleines Boot verfrachtet, das ihn nach Venedig bringen sollte, damit der Rat der Stadt das Kupfer zurückkaufen könnte; die Knechte und der vermeintliche Diener Heinrich mussten mit an Bord – als Ruderknechte, wenn es nötig würde. Gernot wurde gefesselt an Land gebracht und in diesen Kerker verschleppt, in dem er seitdem saß; ein Bote mit Lösegeldforderungen war auf dem Weg nach Erfurt!

Wenn Landgraf Heinrich viel Glück hatte, kam er überhaupt nach Hause zurück, aber sicher nicht vor dem Boten. Und was geschehen würde, wenn tatsächlich Lösegeld bezahlt würde und dann käme er, Gernot, anstelle von Heinrich nach Erfurt – und Heinrich selbst wäre nicht da, um zu erklären, was geschehen war… „Wie kann man nur so ein Esel sein – ich hätte das ganze Zeug liegen lassen sollen, statt den treusorgenden Diener zu spielen!“

Er richtete sich mühsam auf und schleppte sich zu der kleinen Schießscharte, die seinen einzigen Ausblick nach draußen möglich machte. Wie immer – kahle Felsen, das Meer, mal schwarz, mal blau, der Himmel über der Bucht, selbst jetzt im Spätherbst meist blau; irgendwo schien fast immer die Sonne, aber er sah sie eigentlich nie; offensichtlich zeigte die Öffnung ziemlich genau nach Norden. Gedankenverloren sah er hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Das Bild hatte sich in den letzten Wochen so eingeprägt, dass er es sicher niemals mehr vergessen würde.

Andererseits musste er zugeben, dass es Schlimmeres gab als Gefangenschaft bei Piraten, die auf Lösegeld hofften: er wurde nicht allzu schlecht behandelt, denn eine tote Geisel bringt nichts mehr ein, er erhielt ausreichend Essen und Wasser, fing an, in der beschäftigungslosen Zeit alle möglichen Rätsel zu erfinden oder die heimischen Methoden der Feldarbeit und des Erzabbaus im Kopf zu verbessern, versuchte, beweglich zu bleiben, nur die Kälte, die immer schärfer wurde und die Nässe des Gemäuers setzten ihm sehr zu. Sogar eine Art Zeitrechnung konnte er machen, denn die Piraten waren alle sieben Tage so besoffen, dass sie ihn nicht versorgten; damit konnte er zählen, wie viele Wochen er wohl schon hier saß, nicht ganz genau, denn am Anfang hatte er den Rhythmus noch nicht verstanden, aber es mussten sieben oder acht Wochen her sein, seit er gefangen genommen worden war…

Was war das? Eine Bewegung in seinem Gesichtsfeld ließ ihn aufmerksam werden. Das war nicht das Piratenboot, das hatte er oft genug gesehen in diesen Wochen, meist vollbeladen zurückkehrend und manches Mal mit einem erbeuteten Schiff. Diesmal sah er nur eine Mastspitze, an der der Wimpel der genuesischen Flotte flatterte. Und dann erfüllte Lärm die sonst so ruhige Bucht: Geschrei und dumpfe Schläge wechselten sich mit Kommandos ab, es flackerte, als wenn ein Teil der Burg brennen würde, und mit einem Krachen flog die Tür seines Kerkers auf: „Gernot von Steigerthal? Oder auch Heinrich, Markgraf von Meißen, Landgraf zu Thüringen?“ Vor ihm stand ein Mann in Kettenhemd mit Armschienen und Helm, dessen Visier er eben hochklappte. „Ich bin Bartolomeo Sforza, Kommandant der genuesischen Brigantine ’La Spezia‘ und soll Euch hier rausholen!“ Ein Grinsen ging über das Gesicht des Genuesers:“Das hättet Ihr nicht erwartet, was?“ Gernot blieb wie erstarrt an der Schiesscharte stehen, den Blick auf Bartolomeo gerichtet. „Euer Herr, Heinrich, ist ja als Ruderknecht nach Venedig gekommen und konnte im Gewimmel des Hafens fliehen. Auf dem Weg nach Mailand traf er meinen Bruder, Gabriele Sforza, den er als Käufer thüringischen Silbers und als Waffenlieferant gut kannte und erzählte ihm, was geschehen war. Da Heinrich Gabriele einmal aus einem Hinterhalt in eurem Gebirge, Herz oder Harz oder so, herausgehauen hatte, war es für meinen Bruder eine Selbstverständlichkeit, Euch und die ehrwürdige Rüstung hier ebenfalls herauszuhauen. Also hat er mich hierher geschickt, und es gelang uns, die Piraten nach ihrem eigenen Muster zu überraschen, als sie nämlich alle besoffen waren. Deshalb gab es nur wenig Gegenwehr, wir haben genügend Beute, um die Fahrt zu bezahlen, die Piraten verkaufen wir bei Pescara an Sklavenhändler und Euch bringen wir nach Ancona, von wo aus Ihr relativ sicher nach Thüringen kommen könnt.“


Silber

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