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Der Zusammenprall mit Rudi

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Am späteren Nachmittag radelte Paul zum Fußballtraining auf den Sportplatz am anderen Ende des Dorfes. Rudi würde auch dort sein, da war er sich sicher; der Albaner fehlte nie. Schließlich war er der ungekrönte Dribbelkönig unter den Nachwuchskickern und führte die anderen Jungs mit dem runden Leder vor wie Nasenbären in der Manege. Lob und Anerkennung heimste er von seinen Mitspielern selten ein, wenngleich er die Mannschaft im blau-weißen Trikot der E-Jugend meistens im Alleingang zum Sieg führte. Aber bewundert und beneidet haben sie den artistischen Albaner ob seiner Kabinettstückchen á la Diego Maradonna schon.

Als Paul auf dem Sportplatz eintraf, konnte er Rudi nirgends erspähen. Die anderen Jungs waren bereits aktiv und jagten dem Übungsball auf dem sattgrünen Rasen hinterher wie Windhunde dem Hasen. Paul schloss gedankenverloren sein Fahrrad ab, nahm seine kleinen Fußballschuhe vom Gepäckträger und drehte sich um - da stand Rudi vor ihm, mit geballter Faust .

Paul zuckte zusammen. Er spürte Feuchtigkeit auf den Handflächen sich ausbreiten und Trockenheit in der Kehle. Fragen flipperten durch seinen Kopf wie Metallkugeln. Wo lauern Rudis Brüder? Werden Sie mich überwältigen und fesseln, knebeln und martern? Wird meine Hilferufe irgendjemand hören können? Hat mein letztes Stündlein geschlagen? Panik bahnte sich ihren Weg vom Haupt zum Herzen.

“Du bist ja gefahren, als ob der Teufel hinter dir her wäre.” Rudis Stimme klang wie ein Reibeisen, und seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem spitzbübischen Lächeln.

Paul hielt sich krampfhaft an seinen Kickerstiefeln fest und suchte fiebrig nach der passenden Parade. “Nicht der Teufel ist hinter mir her gewesen, sondern Jogi Löw, der will mich unbedingt im deutschen Nachwuchsteam sehen.“ Die Antwort kam unerwartet und schlug ein wie ein direkt verwandelter Eckstoß. Paul selber war ganz verdattert und das dunkelbraune Augenpaar ihm gegenüber nicht weniger.

“Ha, ha“, höhnte der Albaner gereizt, “du in der Nationsmannschaft, dass ich nicht lache.”

Paul hatte sich vom ersten Schrecken erholt. Er fühlte Oberwasser unterm Kiel; dass Rudi alleine zu sein schien, entfachte in ihm neuen Mut. “Was geht überhaupt ab, willst du mich anmachen?“, fragte er mit schnippischer Schärfe.

Der säbelbeinige Albaner lief rot an, biss die Zähne zusammen und zischte: “Halt die Klappe, du Schwuchtel, sonst gibt es Saures. Ich bin hier, um dir zu geben, was du hast verloren.“

Paul war überrascht. Aber zugleich verleitete ihn Rudis sprachlicher Dreher zu einem mitleidigen Lächeln und zu einer ungläubigen Fragestafette, der purer Hochmut die Betonung gab: “Ich hab’ was verloren? Und du willst es gefunden haben? Du?”

Rudi öffnete die geballte Faust, und seine Augen begannen zu funkeln wie bei einem Spieler, der als letzte Karte das Kreuz-As auf den Tisch legt. In seiner Handmuschel leuchtete eine Zwei-Euro-Münze. Paul erstarrte. Während sein Blick fest am Albaner hing, durchstöberte seine rechte Hand die Hosentasche. Ohne Erfolg! Das Geldstück, das die Mutter ihm als Trinkgeld mitgegeben hatte, war verschwunden. Sofort machte es in seinem Kopf “klick”. Die Euromünze musste ihm aus der Hosentasche gerutscht sein, als er beim rasanten Einbiegen auf das Sportplatzgelände in einem Anflug von Kühnheit glaubte, er sei ein Sprinter auf der Zielgeraden der „Tour de France“.

Paul war platt, sein Mund stand torweit offen, der kleine Gehirnkasten ratterte wie ein Computerlaufwerk, das die passende Diskette sucht. Rudi ein ehrlicher Finder statt eines erbarmungslosen Fieslings? Das wollte nicht in seinen Schädel. Das konnte nicht sein. Das war Teil dieses miesen Spiels, das die Albaner mit ihm spielten. ‘Diese Saubande’, fauchte es durch seinen Kopf, und die Augen verengten sich zu schmalen Schießscharten.

“Danke,” grummelte Paul schließlich, grabschte die Münze, ohne Rudi noch eines Blickes zu würdigen, drehte sich um und dampfte ab in Richtung Übungsplatz, der ihm für den Rest des Nachmittags öde erschien wie ein abgeerntetes Maisfeld.

Pauls Erwachen

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