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Der Kampf mit dem Dämon

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Ein kurzes Gewitter durchzuckte die Nacht, und dann setzte heftiger Regen ein. Paul schlief tief und fest und nahm weder das Donnergrollen wahr noch die dicken Tropfen, die der böige Wind gegen die Fensterläden schleuderte. Der kleine Kerl wandelte im Reich der Träume und erlebte auch in dieser Versonnenheit des Schlafes emotionale Höhen und Tiefen. Gerade zu jener Stunde, als in der Ferne die Kirchturmglocke zwölf Mal schlug, wähnte er sich in einer beklemmend düsteren Höhle. Er war völlig alleine. Um ihn herum zirpte und zischte es, und ganz unvermittelt saß ein schauriges Insekt auf seiner Hand. Paul starrte das Tier an und das Tier ihn. Ihm war unheimlich, ihn fürchtete, und je stärker die Angst ihn niederdrückte, desto mächtiger erschien ihm das gruselige Getier.

Plötzlich hob das Insekt ab und verwandelte sich im Flug in ein riesiges Ungeheuer. Die Augen funkelten abwechselnd grün und blau, die Haut phosphoreszierte gelblich, und aus dem Maul quoll eine eklig milchige Flüssigkeit.

Dieses Monster umkreiste den Jungen, stieß widerliche Laute aus und hieb die behaarten Beine und sehnigen Tatzen mit den spitzen Krallen ständig links und rechts an Pauls Kopf vorbei wie ein Dompteur die knallende Peitsche an den auf Hockern harrenden Löwen in der Manege. Der gepeinigte Traumwandler zitterte am ganzen Körper und schrie aus Leibeskräften. Aber niemand hörte ihn, und das Monster verstärkte seine Attacken noch, kam so nah, dass die vor Angst erstarrten Augen des Jungen dem Ungeheuer bis tief in den feuerroten Höllenschlund blicken konnten und der schmächtige Paul sich bereits darin verschwinden sah wie der biblische Jonas im Rachen des Wals verschwunden war. In dieser furchtbaren Not raffte der kleine Paul allen Mut zusammen, grabschte sich den nächst besten Felsbrocken vom steinigen Boden der Höhle und hieb dem Untier beim nächsten Anflug mit ganzer Kraft und aller Wucht zwischen die Augen - und in einem grellen Blitz explodierte das Monster, und tausend Funken stoben durch die nachtschwarze Höhle…

Paul riss die Augen auf; er saß aufrecht im Bett und starrte in das grelle Licht der Deckenlampe. Seine Mutter stand im Türrahmen, die Hand am Beleuchtungsschalter.

“Was ist los?“, rief sie mit besorgter Stimme. „Du hast fürchterlich geschrieen, durch Mark und Bein gehend.”

Paul starrte die Mutter ungläubig an. Er war sich nicht sicher, ob er träumte oder wachte. Sein Blick senkte sich zur rechten Handfläche: dort klebte eine tote Stechmücke. Nun realisierte er, wo er war, aber er begriff den Zusammenhang nicht.

“Ja, schlecht geträumt”, murmelte er wie geistesabwesend vor sich hin. “Aber jetzt, denke ich, ist alles O. K.” Die Worte kamen nur stockend aus trockenem Munde.

“Tatsächlich? Oder soll ich lieber bei dir bleiben?” Die Mutter stand noch immer in der Tür und musterte ihren Sohn wie ein Sanitäter ein Unfallopfer ansieht, das zwar äußerlich unbeschadet erscheint, aber benommen wirkt und dennoch jedes gut gemeinte Hilfsangebot brüsk von sich weist.

Paul schüttelte den zerknautschten Kopf. “Nein, nein”, entgegnete er mit einer Heftigkeit, die in einem bizarren Kontrast zu seiner Verwirrung stand, “ich werde bestimmt gleich wieder einschlafen.”

Der Mutter Gesicht spiegelte Verständnislosigkeit, aber ihr eigenes Schlafbedürfnis wirkte stärker als die Zweifel an des Sohnes Beteuerungen. So löschte sie das Licht und sagte beim Hinausgehen: “Wenn du doch nicht wieder einschlafen kannst, dann komm zu mir und unter meine wärmende Decke.”

Paul nickte und ließ den Kopf zurück aufs Kissen plumpsen. Nun erst fühlte er den Stoff patschnass an der Haut kleben. Doch das störte ihn wenig. Weit heftiger marterte ihn die Frage, was der Traum zu bedeuten habe, wer oder was dahinter stecke. Ob das etwas mit den Albanern und ihren hinterhältigen Attacken zu tun hat?, fragte er sich und spürte augenblicklich einem unangenehmen Gefühl nach, das im Windschatten dieses Gedankens lauerte, und ihm war, als ob dieses diffuse Gefühl eine hässliche Fratze zöge und nur darauf wartete, ihn abermals mit Wucht zu überfallen.

Doch zugleich wurde er eines weiteren Gedankens gewahr, einer, der ihn mehr ermutigte denn niederdrückte: Ob ihm mit diesem Traum vielleicht eine Botschaft übermittelt werden sollte, woher auch immer kommend, eine Botschaft in Bildern, ein Gleichnis als Lektion, die sein Ameisenverstand aber nicht begreifen, nicht übersetzen, nicht in das Alltagsleben einordnen konnte? Jetzt noch nicht konnte? Und Paul dachte unwillkürlich an sein Gebet und die anschließenden Worte, die er in seinem Inneren erlauscht hatte, und ihn beschlich eine Ahnung, dass beide Botschaften etwas miteinander zu tun haben könnten. Aber was, das begriff er nicht. Und so blieb ihm kaum mehr, als sich innerlich zu wärmen an der dämmernden Gewissheit, dass die traumatische Heimsuchung ihn zwar hatte erschüttern, aber keineswegs überwältigen können.

Pauls Erwachen

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