Читать книгу 13 Wochen - Harry Voß - Страница 4

1. Kapitel

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Was für ein Gewitter! Simon starrte in das Dunkel der Nacht hinaus. Da, der nächste Blitz! Was für eine Wahnsinns-Naturerscheinung, wenn so ein Blitz wie eine gelbe Flusslandschaft den schwarzen Himmel durchpeitscht. In Gedanken zählte er mit. Einundzwanzig, zweiundzwanzig … der Donner kam so plötzlich und mit solch einer Wucht, dass Simon zusammenzuckte. Zum Glück war niemand außer ihm in seinem Zimmer. Eigentlich war er kein Typ, der zusammenzuckte. Simon war einer, der das Leben fest in der Hand hielt. Ein Siegertyp, vor dem die meisten in der Schule Respekt hatten. Umso ärgerlicher, dass er sich von so einem blöden Gewitter derart einschüchtern ließ. Zugegeben, ein so heftiges hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Früher, als er noch ein Kind war, war er schon bei viel kleineren Gewittern zu seinen Eltern gerannt und hatte sich bei ihnen versteckt. Das tat er natürlich jetzt, mit fünfzehn, schon lange nicht mehr. Simon trat auf das Fenster zu und griff nach dem Rollogurt. Normalerweise ließ er das Rollo über Nacht oben. Es gefiel ihm, wenn sich morgens die Dämmerung in seinem Zimmer ausbreitete und man Tag für Tag sehen konnte, wie es heller wurde und der Sommer näher kam. Simon mochte den Sommer und er hasste den Winter. Er hasste auch den Frühling. Dass es wieder grün wurde, war das einzig Gute am Frühling. Aber der Rest war totaler Mist. Alle hatten schlechte Laune: die Lehrer, die Schüler, die Eltern, alle. Jeder hatte die Nase voll von dem dunklen Winter. Jeder wartete nur darauf, endlich wieder im T-Shirt in die Schule gehen zu können. Seit gestern war nun endlich April und alles deutete darauf hin, dass es wieder hell und grün wurde. Und so ein Gewitter wie dieses schien der ganzen Welt mit aller Macht zeigen zu wollen, dass auch das zum April gehörte: schlechtes Wetter.

Simon ließ den Gurt vom Rollo wieder los. Nein. Nur wegen eines blöden Gewitters würde er nicht das Rollo runterlassen. Simon war ein Sieger und er würde sich nicht verstecken. Nicht hinter einem runtergelassenen Rollo, nicht unter seiner Bettdecke, und erst recht nicht bei seiner Mama. Er stand nah am Fenster und schaute in die Nacht hinaus. Blitze zuckten über den Dächern der Stadt. Der Regen prasselte mit einer Lautstärke gegen die Scheibe und auf sein Fensterbrett, als ginge die Welt unter. Simon kniff die Augen zu einem Spalt zusammen und versuchte, durch die Regenwand hindurch irgendetwas zu erkennen. Sein Zimmer lag im Erdgeschoss. Wenn das Licht in seinem Zimmer aus war, konnte er auch im Dunkeln die Umrisse der Bäume und Büsche im Garten erkennen, auch Teile des kleinen Holzhäuschens mit den Gartengeräten. Wenn allerdings das Licht im Zimmer an und es draußen dunkel war, so wie jetzt, dann erkannte er draußen nichts, es sei denn, irgendetwas würde direkt vor seinem Fenster stehen. Umgekehrt wusste er, wenn jemand draußen stehen würde, könnte der alles erkennen, was Simon hier drinnen tat. Wenn er sich abends vor dem Schlafengehen auszog, stellte er sich manchmal vor, wie Nadja zufällig vorbeikommen und ihn beobachten würde. Allein die Vorstellung daran ließ sein Herz schneller klopfen. Natürlich wusste er, dass das niemals passieren würde. Der Garten war von einer großen Hecke umsäumt. Und die Straße dahinter war weit genug weg. Selbst wenn jemand die Straße entlanggehen würde, könnte der sicher nichts erkennen. Außer natürlich, Simon würde sich direkt vor dem Fenster ausziehen. Aber das tat er selbstverständlich nicht.

Es blitzte wieder. Simon zählte. Fünfundzwanzig, sechsundzwanzig. Ein Donner. Harmlos. Weit weg. Kein Grund mehr zum Zusammenzucken. Auch der Regen ließ nach. Simon beschloss ins Bett zu gehen. Es war inzwischen nach Mitternacht. Eigentlich schon Montag. Zweiter April. Er hatte am Nachmittag mit Jan so lange am PC gezockt, dass er erst nach 10:00 Uhr abends zu Hause angekommen war. Das hatte ganz schönen Stress mit seinen Eltern gegeben, denn die wollten, dass er um zehn längst im Bett lag. Aber das war ja wohl lächerlich. Simon war immerhin keine zwölf mehr. Meistens ließ er seine Eltern in dem Glauben, er würde ins Bett gehen und chattete dann noch bis nachts um eins oder zwei mit seinen WhatsApp-Freunden oder er zockte Internetspiele. Natürlich mit Kopfhörern. Aber jetzt war er müde. Kurz vor halb eins war ein guter Zeitpunkt, um ins Bett zu gehen. Weiterhin seinen Blick auf das Dunkel des Fensters gerichtet, zog er sein T-Shirt aus.

Ein weiterer Vorteil, wenn das Licht an und es draußen dunkel war, bestand darin, dass er sein Fenster als Spiegel benutzen konnte. Simon hatte keinen Spiegel in seinem Zimmer. Aber manchmal wollte er seinen Körper eben doch auch mal kritisch begutachten. Für seinen Geschmack war Simon viel zu dünn. Dünne Arme, dünner Bauch, Hühnerbrust. Manchmal überkam es ihn und er machte tagelang so viele Situps und Liegestütze, dass er sich vor Muskelkater kaum bewegen konnte. Danach gab er es wieder für mehrere Wochen auf. Aber so was wie ein Sixpack ließ sich auf seinem Bauch nicht blicken. Da gab es manche in seiner Klasse, die sahen jetzt schon aus wie die Jungs aus den Vampirfilmen, die anscheinend schon mit Sixpack auf die Welt gekommen waren. Wie die das hinbekamen, war ihm schleierhaft, aber er fragte natürlich nicht nach. Unfair war es trotzdem. Auch mit seinem Gesicht war Simon nicht wirklich zufrieden. Viel zu weiche Gesichtszüge. Hart und kantig wäre ihm lieber. Irgendwie männlicher. Manche hielten ihn noch für einen Achtklässler, obwohl er schon in der neunten Klasse war. Wenigstens hatte er keine Pickel. Wenn er an Leon dachte − puh, der sah manchmal aus wie ein Streuselkuchen. Furchtbar!

Simon musterte sich weiter von oben bis unten. Mit seinen blaugrauen Augen war er eigentlich ganz zufrieden, obwohl er fand, dass so richtig himmelblaue Augen noch besser bei den Mädchen ankommen würden. Einige Mädchen in seiner Klasse waren trotzdem hinter ihm her, und blaugrau war immer noch besser als so ein langweiliges Braun. Seine Haare waren auch ganz okay. Blond und kurz. Nichts Besonderes, aber auch besser als dieses Kack-Braun, womit manche aus seiner Klasse gestraft waren. Außerdem hatte er es raus, wie man sich die Haare so stylte, dass es richtig gut aussah. Wenn er morgens das Haus verließ, war er mit seinem Gesamtbild meistens recht zufrieden. Ein Siegertyp eben. Simon drehte sich seitlich zum Fenster und spannte die Bauchmuskeln an. Nein, da könnte er wirklich noch an sich arbeiten. Wenn in ein paar Monaten die Freibäder öffneten, musste das anders aussehen.

Plötzlich geschah etwas, das Simon den Atem raubte. Sein Spiegelbild im Fenster teilte sich. Aus seinem Gesicht, das sich eben noch prüfend angeschaut hatte, trat ein zweites Gesicht daneben und gaffte mit großen Augen von außen durch sein Fenster hinein. Mit einem lauten Aufschrei krachte Simon auf den Boden, heftete seinen Blick aber weiterhin auf das Gesicht im Fenster. Kein Zweifel – da stand jemand zehn Zentimeter vor seiner Fensterscheibe und starrte hinein. Und wenn er nicht genau gewusst hätte, dass er hier gerade auf dem Boden saß, würde er sagen, er selbst stünde da draußen vor seinem eigenen Fenster und schaute rein. Sein Spiegelbild war lebendig geworden! Aber es konnte nicht sein Spiegelbild sein, denn der Typ da draußen trug einen Kapuzenpullover – Simons Kapuzenpulli! – und die Haare hingen ihm klatschnass vom Regen ins Gesicht. Obwohl Simon sich zusammenreißen wollte, schrie er noch einmal laut auf, krabbelte auf allen Vieren zur Tür, zog sich am Türgriff hoch und rannte aus seinem Zimmer. O nein, o nein, on nein! Jemand stand im Garten und schaute in sein Zimmer rein! Simon lehnte von außen an seiner Zimmertür und schnaufte wie nach einem 400-Meterlauf. Er fasste sich an sein Herz. Es pochte, als würde er jeden Augenblick ermordet. Wurde er ja vielleicht auch! Simon japste immer noch nach Luft. Ihm wurde schwindelig, so schnell atmete er ein und aus.

Dann zwang er sich zur Ruhe. Erst mal nachdenken. Licht aus. Genau. Ohne sein Zimmer zu betreten, streckte er seine Hand durch den Türschlitz und tastete nach dem Lichtschalter. Klick. Aus. Jetzt war es im Zimmer wieder dunkler als draußen. Wenn jemand reinschauen wollte, würde er nichts mehr sehen. Aber Simon würde draußen jeden sehen können. Vorsichtig setzte Simon sich auf alle Viere und schob langsam die Tür so weit auf, dass er seinen Kopf gerade so eben durchstecken konnte. Er schaute zum Fenster. Niemand. Sofort stand er auf und schaute genauer hin. Niemand zu sehen. Er ging mit zwei Schritten bis direkt ans Fenster und presste die Nase an die Scheibe. Der Garten war leer. Das war doch unmöglich!

Simon griff nach seinem Handy und schrieb an Jan: »Warst du gerade vor dem Fenster?«

Antwort nach wenigen Sekunden: »Alter, ich schlafe!«

In jede WhatsApp-Gruppe: »Ist von euch jemand bei mir und steht vor meinem Zimmer?«

Einige Male: »Nein.«, »Spinnst du?«, »Lass mich schlafen.«

Dann zog er sein Sweatshirt wieder an, schlüpfte in seine Turnschuhe und nahm sein Handy als Taschenlampe mit zur Haustür. »Simon, bist du das?«, rief seine Mutter von oben aus dem Wohnzimmer.

»Alles gut!«, rief Simon nach oben. »Muss nur kurz was nachschauen!«

Er schaltete die Taschenlampe an seinem Handy an. Die Haustür lehnte er an, sonst würde er nachher nicht mehr reinkommen. Dann ging er nach draußen und um das Haus herum. Es regnete immer noch, wenn auch nicht mehr so stark wie vorhin. Er spürte den Regen kaum − seine Gänsehaut unter dem Pullover fühlte sich an wie eine Schutzschicht aus Metall. Obwohl er sich selbst zwingen wollte ruhig zu bleiben, keuchte er wieder wie gerade eben, als er sich vor seinem eigenen Spiegelbild erschreckt hatte. Er bewegte sich langsam an der Hauswand entlang, um mit dem Schein der Lampe jeden Winkel ausleuchten zu können. Überall schien es zu rascheln und zu knacken, aber das war bei dem Regen ja kein Wunder. Bald war er einmal um das Haus herum gegangen, sodass er jetzt auf der Rückseite stand. Im Garten. Direkt vor seinem eigenen Zimmer. Es war niemand zu sehen. Simon ging einmal quer durch den Garten, vorbei an allen Büschen und Bäumen bis zur Hecke am Gartenrand. Da, war da was? Jetzt ärgerte er sich, dass er keine richtige Taschenlampe dabei hatte. Bis in die hintersten Ecken leuchtete sein Handy natürlich nicht. Also fand er niemanden. Er hörte auch niemanden, traute sich aber auch nicht, einmal laut: »Hallo, ist da jemand?«, zu rufen. Wenn da jemand wäre, würde der bestimmt nicht antworten: »Ja, hier hinter dem Busch, komm bitte und töte mich mit deinem messerscharfen Handy!«

Das Gartenhäuschen. Ob der Fremde da hinein geflohen war? Simon näherte sich dem Häuschen und fragte sich gleichzeitig, ob er sich überhaupt trauen würde da reinzugehen. Was, wenn da wirklich einer drinsaß? Ein Einbrecher, ein Mörder oder sonst ein Verbrecher? Der würde ihn doch im Handumdrehen überwältigen. Neben der Tür zum Gartenhaus lag ein Schraubenzieher von seinem Vater. Mit einem schnellen Griff hob er ihn vom Boden auf und hielt ihn in die Luft wie einen Dolch, mit dem man jederzeit zustechen konnte. Sollte hier wirklich jemand sitzen und sich auf ihn stürzen, würde er das gnadenlos tun. Das schwor er sich in dem Augenblick, als er den Riegel an der Tür öffnete.

Der Raum stank nach Holz, altem Stoff und Grillkohle. Aber so sehr Simon auch die Ecken ausleuchtete, hier war niemand. Auf unheimliche Weise erleichtert, verriegelte er das Häuschen von außen, behielt aber den Schraubenzieher in der Hand, während er zurück durch den Garten auf das Haus zuging. Vor seinem Zimmerfenster blieb er stehen und leuchtete hinein. Genau hier hatte jemand gestanden. Hundert Prozent. Oder hatte er vor lauter Gewitterangst schon Gespenster gesehen? Hatte sich nur sein Spiegelbild verschoben? Gab es dafür nicht sogar eine physikalische Erklärung? Während er da stand und die Fensterscheibe seines eigenen Zimmers ausleuchtete, fiel ihm auf, dass er noch nie nachts um diese Uhrzeit allein hier im Garten gestanden hatte. Es war immerhin nach 12:00 Uhr. Geisterstunde. Als Zweites wurde ihm klar, dass er gerade mit dem Rücken zum riesigen Garten stand. Irgendjemand könnte sich ihm von hinten nähern. Er versuchte, sein Spiegelbild im Fenster zu erkennen. Und das, was da gerade hinter ihm vor sich ging. Waren da nicht sogar Schritte im Garten ganz in seiner Nähe? Seine Finger umklammerten den Schraubenzieher. Er biss seine Zähne noch fester zusammen. Schon meinte er zu spüren, wie jemand seinen Atem in Simons Nacken blies. Mit einem Ruck drehte er sich um und stach zu.

Nur Luft. Niemand da. Simon schüttelte den Kopf. Das wurde ihm jetzt doch zu dumm. Er würde sich jetzt nicht noch weiter in alberne Gruselgeschichten hineinsteigern. Wahrscheinlich hatte er sich das vorhin nur eingebildet. Fertig, aus. Mit schnellen, entschlossenen Schritten ging er um das Haus zurück bis nach vorne zur Haustür. Sie war immer noch angelehnt, aber während er sich hineinschlich und die Tür von innen schloss, krochen schon wieder unheimliche Gedanken in ihm hoch. Jemand hätte, während er selber hinten im Garten war, vorne zur Haustür reingehen können. Unweigerlich schaute er sich in seinem eigenen Hausflur um, ob er beobachtet wurde. Er leuchtete jeden Winkel ab.

Was ihm niemals irgendwie schlimm vorkam, war ihm jetzt plötzlich doch unheimlich: Nicht nur Simons Zimmer lag in der unteren Etage des Hauses. Weil das Haus keinen Keller hatte, befanden sich auch der Heizungsraum und eine große Abstell- und Gerümpelkammer im selben Stockwerk. Wohnzimmer, Küche, Badezimmer – alles lag eine Etage höher. Nur das Schlafzimmer seiner Eltern war noch hier unten, direkt neben Simons Zimmer. Aber seine Eltern saßen oben im Wohnzimmer. Die hatten natürlich nicht mitbekommen, was sich hier unten in den letzten Minuten abgespielt hatte und wer hier rein- oder rausgegangen war. Wieso waren die eigentlich noch so lange auf? Die gingen doch sonst nicht so spät ins Bett.

Einem Impuls folgend flitzte er die Treppe nach oben und betrat das Wohnzimmer. Für einen Augenblick erwartete er schon, seine Eltern dort tot aufzufinden. Aber sie saßen vor dem Fernseher. Irgendein alter Krimi.

»Was ist los?«, fragte seine Mutter in dem Tonfall, als sei ihr kleiner Sohn krank geworden.

»Nichts, alles gut.« Simon versuchte, mit einem Blick alle Ecken des Raumes zu erfassen.

»Hattest du Angst vor dem Gewitter?« Wieder dieser ekelhafte Ich-besorgte-Mama-du-armer-kleiner-Sohn-Tonfall.

»Quatsch!«

»Was hast du denn mit dem Schraubenzieher vor?«

»Nichts!«

Simon verließ das Wohnzimmer wieder. Er hasste diese völlig überflüssigen und kontrollierenden Elternfragen. Das hatte schon wieder was von: »Na, Simon, du hier im Wohnzimmer mit einem Schraubenzieher? Du wirst doch nicht um diese Uhrzeit noch an deinem PC rumschrauben? Du solltest doch schon längst im Bett sein!« Oder irgend so eine Eltern-Kacke. Die sollten mal froh sein, dass er überhaupt nach ihnen geschaut hatte! Er wäre der Erste gewesen, der die Leichen gefunden und der dann die Polizei und den Notarzt gerufen hätte! Obwohl er dann sicher eine gute Erklärung gebraucht hätte, warum die Eltern tot waren und er einen Schraubenzieher in der Hand hielt. Egal. Es war ja niemand tot und der böse Simon trug trotzdem um 1:00 Uhr nachts noch einen Schraubenzieher durch die Wohnung. Klarer Fall fürs Jugendamt.

Schnell, aber ohne Hektik knipste er in allen Räumen im oberen Stock die Lichter an, schaute sich um, löschte sie wieder und ging die Treppe nach unten. Zur Sicherheit noch ein Blick ins Schlafzimmer der Eltern – Licht an, Licht aus – alles in Ordnung. Unter dem Bett der Eltern hatte er nicht nachgeschaut. Man musste es ja nicht übertreiben. Er war ja nicht in einem Horrorfilm. Doch als er das Licht in der Abstellkammer einschaltete, nahm er den Schraubenzieher lieber noch mal in Kampfstellung in die Hand. So viele Kisten, Bretter, Regale und andere Sachen, hinter denen sich jemand verstecken könnte. Aber den Gefallen würde er dem Verbrecher jetzt nicht tun, jede Kiste zu öffnen und so was wie: »Na, wo ist denn der böse, böse Mörder?« zu faseln. Also. Licht aus, Tür zu. Außen steckte ein Schlüssel. Zur Sicherheit drehte er ihn einmal um. Auch die Tür zum Heizungsraum hatte außen einen Schlüssel. Zack – drehte er den Schlüssel um, ohne in den Raum zu schauen. Wenn dort jemand saß, wäre er für ihn zumindest in dieser Nacht ungefährlich.

Zuletzt kam er wieder in sein Zimmer. Licht an – und als Erstes: Rollo runter! Egal, ob er sich selbst damit als feige abstempelte. Für heute Nacht ging Sicherheit vor. Schnell zog er sich aus und den Schlafanzug an. Bevor er ins Bett stieg, warf er doch noch mal einen Blick darunter. Nein, da lag kein Monster mit aufgerissenen Augen, das ihn jetzt mit seinen langen Armen unters Bett ziehen würde. Da lag gar nichts. Nur Staub. Vielleicht war da soeben ein Vampir gestorben. Sollte er doch. Simon würde jetzt schlafen und den ganzen Spuk vergessen. Licht aus.

In der Nacht hatte Simon einen Albtraum: Jemand zog seine Bettdecke weg, riss ihn am Schlafanzug in die Höhe und verpasste ihm einen Kinnhaken, der es in sich hatte. Simon flog in die Ecke neben seinen Schreibtisch und verletzte sich dabei am Hinterkopf.

»Du Dreckskerl!«, hörte er eine vertraute Stimme rufen. »Wer bist du?«

»Was soll das?«, presste Simon hervor und versuchte, seine Augen aufzukriegen. »Ich bin Simon. Simon Köhler. Und wer bist du?«

»Ich!«, brüllte der andere. »Ich bin Simon Köhler! Ich allein! Und ich verlange jetzt eine Erklärung! Was hast du vor? Was ist dein Plan? Warum sollte ich sterben?«

Simon war noch viel zu benommen, um irgendwas zu kapieren: »Was soll das? Was willst du? Niemand muss hier sterben. Verschwinde aus meinem Zimmer!«

»Das ist mein Zimmer!«, schimpfte der andere. »Du schläfst in meinem Bett! Und das findest du auch noch lustig, was? Ich sag dir was. Es kann nicht jeder Simon Köhler sein. Sieh das ein. Versuch, dich zu akzeptieren und du selbst zu werden. Dann musst du nicht andere kopieren wie ein billiger Doppelgänger! Hast du verstanden?«

Simon fasste sich an sein Kinn und an seine Nase. Er hatte das Gefühl, es würde überall bluten. Mit Mühe blinzelte er und versuchte die Augen zu öffnen. Es war viel zu hell im Zimmer. Jemand hatte das Licht angemacht. Er war total geblendet, darum konnte er die Gestalt nicht richtig erkennen, die da vor ihm stand. Aber das, was er sah, sah aus wie er selbst. Sein Spiegelbild. Was war das? War er tot? Konnte er sich jetzt selbst von außen sehen? »Ich bin Simon Köhler«, sagte Simon müde und fragte sich gleichzeitig, warum er überhaupt so eine bescheuerte Diskussion mitten in der Nacht führen musste. »Und ich will ins Bett.«

»Na gut«, sagte der andere wieder mit bedrohlicher Stimme. »Dann schlaf von mir aus diese Nacht in meinem beknackten Bett. Aber morgen verschwindest du ein für alle Mal aus meinem Zimmer, verstanden? Und wenn ich dich morgen oder in den nächsten Tagen noch einmal hier in der Nähe meines Hauses sehe, dann prügel ich dir die Birne weich! Ist das klar?«

Ich träum das alles nur, dachte Simon. Ist doch logisch, dass hier nichts logisch ist. Träume sind nie logisch. Wahrscheinlich kommt gleich noch Oma rein, die schon seit Jahren tot ist. Und wahrscheinlich nimmt die mich gleich mit in den Himmel und dann bin ich eh tot und dann ist es egal, in welchem Bett ich schlafe oder nicht schlafe. »Alles gut«, schloss Simon müde seine wirren Gedanken ab und hatte die Augen längst wieder geschlossen. »Morgen bin ich weg. Versprochen.«

Ohne ein weiteres Wort verschwand die Gestalt.

13 Wochen

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