Читать книгу 13 Wochen - Harry Voß - Страница 9
6. Kapitel
ОглавлениеDonnerstagabend ging er mit Jan zusammen wieder in den Teentreff. Beat-Bernd mit der Gitarre begrüßte sie schon fröhlich mit Namen: »Hallo Simon, hallo Jan!« Wieder quälten sich alle tapfer durch Gesang, wieder wurde etwas aus der Bibel vorgelesen. »Gott, ich sehe den Himmel, den du gemacht hast. Den Mond, die Sterne, alles hast du gemacht. Wie winzig klein ist der Mensch dagegen. Trotzdem hast du ihn mit Würde gekrönt – beinahe göttlich.« Simon rollte innerlich mit den Augen, während Bernd seine Meinung dazu darlegte. Wieso sollte sich jemand klein fühlen, wenn er sich den Mond und die Sterne anschaute? Damals beim Durchlesen seiner Weltall-Bücher hatte er sich nie klein gefühlt. Na ja. Vielleicht mussten sich Christen selbst kleinreden, damit sie sich anschließend darin bestätigen konnten, dass sie Gott zum Überleben brauchten. Später wurde wieder gebetet. Diesmal betete sogar einer, dass Gott Helge Schürmann gesund machen sollte. Na, da war Simon aber mal gespannt, dachte er sich. Welche Macht war wohl stärker? Die von diesem Gebet oder die des geheimnisvollen Zettelschreibers?
Wieder saß Simon den ganzen Abend neben Nadja. Und je mehr sie im Laufe des Abends miteinander lachten und quatschten, umso lockerer wurde Nadja. Und umso mehr verlor er seine Scheu ihr gegenüber. Und je lockerer es zwischen ihnen beiden wurde, umso mehr verknallte er sich in sie. In ihrer Nähe fühlte er sich einfach glücklich. Bald würde er sie ganz für sich haben.
Weil in den nächsten vierzehn Tagen Osterferien waren, fand an den kommenden Donnerstagen kein Teentreff statt. Deshalb lud Bernd am Ende des Abends die Teilnehmer zu den Gottesdiensten an Ostersonntag und Karfreitag ein. Der Gottesdienst am Karfreitag sollte was Besonderes sein, weil er nicht in der Kirche gefeiert wurde, sondern nebenan in einem alten, ausgegrabenen unterirdischen Gewölbe. Das klang ganz interessant. Aber der Gottesdienst sollte schon um 10:00 Uhr beginnen. Spätestens nach dieser Ankündigung war für Simon dieser Termin abgehakt. Wer könnte wohl so bescheuert sein und in den Ferien vor 11:00 Uhr aufstehen? Aber wie er die Leute hier in der Runde einschätzte, waren sie alle bescheuert genug. Diesen Gedanken behielt er aber für sich. Er durfte es nicht riskieren, es sich mit Nadja zu verscherzen.
»Bis morgen«, rief er ihr fröhlich zu, als sie sich verabschiedeten. Und wieder schenkte sie ihm ein Bild des Lächelns zum Abschied, das er die ganze Nacht vor Augen hatte.
Umso schockierter war Simon, als Nadja am nächsten Tag wie ausgewechselt war. Es war der letzte Schultag vor den Osterferien. An der Klassenzimmertür hatte er schon auf sie gewartet und wollte sie locker und fröhlich mit einem »Hallo« begrüßen. Aber sie warf ihm einen so hasserfüllten Blick zu, dass Simon vor Schreck sein Lachen verlor.
»Wie bist du so schnell hier hochgekommen?«, fragte sie barsch und zischte an ihm vorbei in die Klasse.
»Über die Treppe«, versuchte Simon fröhlich zu bleiben. Aber irgendwas stimmte hier schon wieder nicht. Und diesmal war es Nadja, die ihm gerade durch die Lappen ging. Er ging ihr hinterher: »Was ist denn los?«
»Fass mich nicht an!«, brüllte sie durch das ganze Klassenzimmer, sodass alle Schüler ihre Gespräche unterbrachen und die beiden anschauten. »Oder soll ich noch mal?«
»Noch mal was?«, fragte Simon, aber er ahnte schon, dass wieder irgendjemand irgendwas gemacht hatte.
»Du weißt genau, was ich meine! Und ich warne dich. Ich kann noch fester!«
»Ich schwöre dir, ich hab nichts gemacht!«, verteidigte sich Simon, aber er hatte keine Chance.
»Das stimmt!«, schimpfte Nadja. »Und das ist ganz bestimmt nicht dein Verdienst! Und jetzt lass mich bloß in Ruhe und sprich mich nie wieder an, oder ich ruf die Polizei! Verstanden?«
»Verstanden«, antwortete Simon. Viel zu kleinlaut für seinen Geschmack. Alle starrten ihn an. Grinste da etwa jemand? Dem würde er es aber so was von heimzahlen!
Simon setzte sich ohne ein weiteres Wort auf seinen Platz. Das war zu viel. Irgendwas stimmte hier nicht. Irgendjemand, der ihn kannte, mobbte ihn. Jemand sah ihm ähnlich oder kam aus einer anderen Welt, um ihn zu quälen. War das ein himmlisches Strafgericht? Oder ein teuflisches? Hatte er einen Doppelgänger? Einen Zwillingsbruder, von dem er nichts wusste? Wer auch immer das war – er hatte ihn die ganze Woche über drangekriegt. Simon hatte sich alles gefallen lassen. Aber jetzt war ihm Nadja genommen worden. Und das würde übelste Rache geben. Aber wirklich allerübelste. In diesem Moment schwor sich Simon, diesen Kerl ausfindig zu machen und ihm eine Abreibung zu verpassen, die sich gewaschen hatte. Und wenn es das Letzte wäre, das er tun würde.
Am Sonntag verbreitete sich über Internet die Nachricht, dass Helge Schürmann an inneren Blutungen gestorben wäre. Simon kramte den Zettel mit der geheimnisvollen Vorhersage aus der Tasche und zerknüllte ihn in seiner Faust. Sein feindliches Gegenüber musste ein überirdisches Wesen sein, das Dinge aus der Zukunft vorhersagen konnte. Ein Engel oder ein Dämon. Das würde die Jagd nicht einfacher machen. Aber Simon würde den Kampf auf sich nehmen. Koste es, was es wolle.
In der nächsten Woche fühlte sich Simon müde, leer und ausgelaugt. Dass Nadja ihm am Donnerstagabend so zugelächelt hatte, das hatte ihm so viel Energie gegeben. Er hatte sich wie im siebten Himmel gefühlt. Und dann diese kalte Dusche am Freitagmorgen. Und seitdem Funkstille. Nadja war aus allen WhatsApp-Gruppen ausgetreten, in denen Simon drin war. Sie hatte seine Nummer blockiert, antwortete auf keine Nachricht und meldete sich nicht, wenn er anrief. Schöne Scheiße.
An den Vormittagen schlief Simon bis kurz vor Mittag. Und wenn er wach war, fühlte er sich immer noch zu müde und erschöpft, um überhaupt aufzustehen. Irgendwann tat er es dann doch, schob sich oben in der Küche irgendeine Müslipampe zwischen die Zähne und ging entweder zu Jan, um mit ihm sinnlos zu zocken, oder er verkroch sich in seinem Zimmer, um am PC in sämtlichen Spielen, die er draufhatte, seine Level zu steigern und Rekorde zu brechen. Nur nicht nachdenken.
Zwischendurch ging er immer mal kurz raus, um nach dem geheimnisvollen Fremden zu schauen. Aber es war niemand Auffälliges zu sehen. Er ging die Straße auf und ab. Nichts Verdächtiges. Manchmal versteckte sich Simon im Garten hinter einem Busch und hoffte, so seinem Doppelgänger auflauern zu können. Nichts. Einmal schwang er sich sogar auf sein altes Fahrrad und fuhr suchend und sich umschauend bis zum Haus von Nadja. Dort stand er mindestens eine halbe Stunde an sein Fahrrad gelehnt und starrte auf ihre Hauswand in der Hoffnung, sie würde sich blicken lassen oder sogar zur Haustür rauskommen. Aber nichts davon geschah. Zu klingeln traute er sich nicht. Noch nicht.
Wenigstens erlebte er in diesen Tagen auch keine übersinnlichen Geschichten. Niemand, der ihn beschuldigte, etwas Merkwürdiges getan zu haben oder so was Ähnliches. Sollte der Spuk damit ein Ende haben? Ging es der geheimnisvollen Macht nur darum, ihn von Nadja zu entfernen? Und jetzt, wo das gelungen war, hatte sie sich in ihr Machtzentrum zurückgezogen und quälte von dort aus andere Erdenbürger? Nein, Simon würde sich nicht geschlagen geben. Er würde für Nadja kämpfen. Und er würde seinen überirdischen Foltermeister ausschalten, falls der es noch mal wagen sollte, in seinem Leben aufzutauchen.
Am Donnerstagabend um halb acht musste Simon, ohne dass er es sich vorgenommen hatte, an den Teentreff denken. Wären jetzt keine Ferien, hätte er hingehen können. Vielleicht hatte sich Nadja inzwischen wieder beruhigt. Immerhin war sie im Teentreff wesentlich zugänglicher als in der Schule. Aber in den Ferien fand diese Veranstaltung nun mal nicht statt, das wurde ja ausdrücklich angekündigt.
Aber hey! Am Freitag! Freitag war Feiertag, Karfreitag! Hatte nicht Bernd zu einem Gottesdienst in das unterirdische Gewölbe neben der Kirche eingeladen? Das war ja wohl eine öffentliche Veranstaltung. Da würden sicher mehr kommen als nur die Leute aus dem Teentreff. Und Nadja würde mit Sicherheit auch kommen. Ja, das war eine gute Idee. Über WhatsApp fand er niemanden, der sich bereit erklärte, sich am Karfreitag vor 10:00 Uhr aus dem Bett zu schälen. Auch Jan nicht, so sehr er ihn auch bedrängte. Na ja. War eigentlich auch verständlich. Hätte er sich nicht in den Kopf gesetzt, wieder bei Nadja landen zu wollen, wäre es ihm niemals in den Sinn gekommen, freiwillig einen Gottesdienst zu besuchen.