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7. Rottas

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Freilich musste Amon berichten, was er bei der Durha erfahren hatte. Reichlich erstaunt waren seine Hausgenossen über die plötzliche Herausforderung, die sich Amon stellte und auch darüber, welche Wertschätzung Mira im Kreise der Magier genoss. Amon wechselte das Thema, indem er seine Genossen über deren Baufortschritte befragte. Aber es dauerte einige Tage, bis nicht mehr andauernd darüber gesprochen wurde.

Mira war für ein paar Tage gekommen. Sie hatte Moran mitgebracht. Moran war ein begnadeter Musiker, der eine große Anzahl Instrumente beherrschte. Er widmete sich hauptsächlich der Musik und trat bei Festen mit seiner Gruppe auf. Aber er half den Hausgenossen ab und zu beim Hausbau oder den Bauern beim Anbau der Früchte und des Getreides auf den Feldern. Er wohnte wie Mira in Citta und war der Freund von Britta. Auch Ult hatten sie mitgebracht.

Mira, Ult und Amon nutzten die Gelegenheit, um sich über den Vorschlag der Durha zu beraten. Alle Drei waren gewillt, die Aufgabe anzunehmen, wenn ihnen diese genauer erklärt werden würde. Mira würde ihre Meisterin fragen, zu welchem Ergebnis der Rat der Magier gelangt sei.

Es kam der Tag der Götter. Britta hatte die Idee, diesen am Meer zu verbringen. Für den kürzesten Weg würden sie über den Pass von MonTark hinunter ins Tal nach Talipo reiten müssen. Dort könnten sie dem Flusslauf bis zum Meer folgen. Sie brachen in der Dämmerung des Morgens auf und würden etwa vier Stunden reiten. Sie wollten den Tag und die Nacht unter freiem Himmel verbringen und am nächsten Tag zurückkehren. Es war keine Wolke am Himmel zu sehen, Regen war nicht zu erwarten. Im schlimmsten Fall könne man in einer Höhle Unterschlupf finden.

Entspannt ritten die sieben jungen Samobalikis mit ihren Pferden den steilen Pass den Mon Tark hinauf. Auf dem Pass angekommen pausierte die Gruppe. Man ließ die Pferde, die die Last des Anstiegs trugen, grasen und aus Gebirgsquellen Wasser trinken. Sie selbst aßen von dem mitgebrachten Brot und Obst. Der Ausblick war phantastisch. Im Westen sah man das Tal von Talipo und das Meer. Auch im Norden konnte man über die sanften Hügel hinweg auf das Meer hinaussehen. Im Osten sahen sie den Lichtsee leuchtend glitzern, an dessen Ufern die große Stadt Citta lag. Dahinter mäanderte der sich windende Auslauf des Lichtsees, der ebenfalls ins Meer mündete. Der Blick nach Süden offenbarte die noch höheren Gipfel der Berge. Die Berghänge waren allesamt bewaldet, nur die höchsten Spitzen strahlten kahlfelsig empor. Den höchsten Berg Mon Föt mit seinen über 2.000 Metern Höhe krönte gar ein Kranz aus Schnee.

Die nächste Etappe war der Abstieg ins Tal. Unten angekommen ritten sie im fröhlichen Galopp nach Talipo ein. Sie kauften ein paar Köstlichkeiten im wunderschönen Ort ein und setzten ihren Weg im lockeren Trab fort, bis sie das Meer erreichten. Frohlockend rissen sie ihre Kleider vom Leib und rannten über den weißen Sand ins Meer, um lachend und singend zu baden und zu schwimmen. Die Pferde freuten sich an dem saftigen Grün, unweit des Ufers, in den Auen des Ach. Mikel und Ult stiegen in Ufernähe auf die Klippen und schauten aufs Meer hinaus.

Die Sonne hatte ihren Höhepunkt gerade erreicht, als Mikel und Ult vom Felsen herab riefen: „Ein Schiff kommt!“ Die übrigen hatten das Schiff noch nicht bemerkt. Ult besaß ein Fernrohr und spähte hinaus. „Das ist kein Schiff aus Samobali!“, rief er. „Es ist eines der Transportschiffe der Dumpos!“, stellte er fest. „Wie das?“, kam es fast einstimmig von den anderen entsetzt zurück. Geschwind kamen sie herbeigelaufen. Jeder wollte durch das Fernrohr sehen, um einen Blick auf das sich schnell nähernde Schiff zu werfen. Es hatte keine Segel, sondern große Wasserräder, die sich drehten. Rauch stieg vom Schiff auf. „Wie, zum Teufel, kamen die durch den Schutzwall?“, entfuhr es Amon. Es hatte sich soweit genähert, dass man durch das Fernrohr Blicke auf die Besatzung werfen konnte. „Das sind keine Dumpos!“, erkannte Ult als Erster. „Es sind Rottas an Bord!“, verkündete er unheilvoll. „Was tun wir?“, fragte Mikel in die Runde. „Wir warnen die umliegenden Orte!“, rief Britta. Linus ritt zurück nach Talipo, Mikel nach Norden in das Küstendorf Fitzendamm, Britta nach Süden in das Dorf Lakota. Die Übrigen warteten auf das Schiff und überlegten, wie man diese nicht willkommenen Eindringlinge aufhalten könnte.

Angestrengt wägten die Vier ab, was zu tun sei. Mira dachte darüber nach, welche Zauber sie einsetzen könnte, um die Ankömmlinge zu vertreiben. Amon schlug vor, sie mit etwas Unerwartetem zu überraschen. Wirklich aufhalten würden sie die Meute wohl nicht. Sie wussten nicht einmal, was diese vorhatten. Ult schätzte, dass sich etwa dreihundert Rottas an Bord befänden. „Mit diesen würden wir schon fertig werden. Wir müssen nur verhindern, dass sie in die Höhlen der Berge gelangen und sich dort festsetzen.“ Sie schauten sich um. Die Hänge der anliegenden Berge waren voller von Höhlen. Einige waren bewohnt von Zwergen, die in den Bergen Minen und Schmieden betrieben. Wie schnell konnten die Menschen aus den Nachbarorten, die seit über dreißig Jahren in Frieden lebten, eine Kampftruppe zusammenstellen? Man hatte sich auf die Zauberkraft der Magier verlassen, deren Schutzwall bisher keine feindlichen Völker durchließ. Kaum jemand war kampferfahren. Die Rottas dagegen waren allesamt räuberische Krieger, ob Männlein oder Weiblein. Würden die Magier so schnell reagieren können, oder könnten sie auf Hilfe aus der für Normalsterbliche unsichtbaren Welt hoffen?

Ult erklärte weiter: „Das Problem mit den Rottas ist, dass sie sich rasend schnell vermehren. Sie bringen im Jahr etwa sechzehn Junge zur Welt. Die Jungen sind bereits nach einem Jahr geschlechtsreif. Dann stünde uns eine Bevölkerungsexplosion bevor. Sie rauben alles Essbare, verwüsten die Felder und greifen die Menschen an. Zur Not fressen sie auch Menschen. Die Rottas machen vor nichts Halt!“ „Wir werden das verhindern!“, sagte Mira entschlossen. Das Schiff war inzwischen so nahe gekommen, dass man die Rottas mit bloßen Augen erkennen konnte. Amon entdeckte zwei Gestalten, die nicht wie Rottas aussahen. Sie schienen doppelt so groß. „Es müssen Menschen unter Ihnen sein!“, sagte er leise. Auch die anderen hatten diese nun entdeckt. Aus dem nächstgelegenen Fitzendamm hörte man Signalhörner, nicht allzu lange später antwortete Talipo und letztlich, kaum hörbar, das weiter entfernte Lakota. Die Genossen waren angekommen.

Die Signale wurden auch von den Rottas gehört. Sie erwiderten ein schauriges Pfeifen, dem ein rhythmisches Klappern mit Knochenwaffen und Klopfen auf dem Blechschiff folgte. Das Tempo des Schiffes verlangsamte sich. Sie waren kurz davor, an Land zu gehen. Anker wurden ausgeworfen und kleine Boote ausgesetzt, in denen Rottas Platz nahmen und begannen, Richtung Land zu rudern. Sie sahen auch die beiden Menschen in ein Boot steigen. In ihrer Mitte befand sich eine kleinere Person, möglicherweise ein Kind oder doch ein Rotta? Die Vier waren mittlerweile in Deckung gegangen, um ihrerseits nicht von den Rottas gesehen zu werden.

Die Sonne senkte sich nahe dem Horizont, es war Abend geworden. Amon beobachtete Mira, wie sie immer wieder etwas Unverständliches murmelte. Es kamen daraufhin Vögel auf Mira zugeflogen und sie schien mit ihnen zu kommunizieren. Die Vögel flatterten in ihrer Nähe und flogen dann zielstrebig in alle Richtungen der Insel davon. „Sie sendet Botschaften“, dachte Amon, der dem Schauspiel am Strand genauso Aufmerksamkeit schenkte wie dem auf dem Wasser. Er hatte noch keine Idee, wie sie mit etwa 300 Rottas fertig werden sollten. Er hoffte darauf, dass sich in den Ortschaften genügend Kampfeswillige zusammentrommeln ließen. Doch gleichzeitig fürchtete er, dass diese den Rottas kämpferisch unterlegen wären und es viele Tote geben würde. Vielleicht würden die Magier rechtzeitig alarmiert und Zwerge und Elfen kämen zu Hilfe.

Mittlerweile war die Meute in drei Wellen am Strand eingetroffen. Sofort begannen Späher, die Umgebung zu erkunden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Vier entdeckt würden. Sie beobachten, wie ihre Pferde durch einen Späher aufgeschreckt wurden und flussaufwärts Richtung Talipo flüchteten. Die Vier schauten sich fragend an. Plötzlich entdeckte sie einer der Rottaspäher in ihrem Versteck und ließ einen lauten Pfiff los. Ein Gruppe Rottas stürmte in ihre Richtung. Moran stand unvermittelt auf und rief für jeden gut hörbar: „Amon hat recht! Wir müssen etwas Unerwartetes tun!“ Darauf zückte er eine Flöte, die er immer dabei hatte. „Moran, nein!“, versuchte ihn Amon abzuhalten. „Lass ihn!“, fiel im Mira ins Wort. Und er sah, wie sie eine Formel sprach und mit einem Zauberstab eine Ellipse in der Luft zeichnete. Mit einer Handbewegung begann sie sich in Richtung Moran zu bewegen, um ihn schließlich leicht leuchtend zu umschließen. Moran ließ eine wunderschöne Melodie auf der Flöte erklingen. Und erstaunlicherweise waren die Rottas überrascht stehen geblieben. So etwas war den Rottas noch nicht passiert, dass sich ein einzelner Mensch ihnen gegenüberstellte und - statt zu kämpfen – ein Liedchen pfiff. Verdattert standen sie da, keiner rührte sich. Nur die Späher, die sich bereits außer Hörweite befanden, liefen weiter. Rottas waren schneller, als ein Mensch es je sein könnte.

Da geschah etwas weiteres Unerwartetes: Mit einem Zischen kam ein steinalter Magier in einem glitzernden, spiegelndem Gewand auf einem leuchtendem Schild herbeigeflogen. Er hatte einen zerzausten schlohweißen Bart, der fast zu seinen Füßen reichte. Mit der einen Hand seinen Zauberhut festhaltend, mit der anderen einen Zauberstab schwingend, versuchte er offensichtlich das Gleichgewicht zu halten. „Bei dem Zorn der Götter!“, rief er wild entschlossen mit der Stimme eines zahnlosen Greises. Er erhob seinen Zauberstab, zielte auf die Rottas und schrie: „Potzblitz!“ Dem Zauberstab entfuhr ein mächtiger Blitz, dessen Ende ein paar Rottas tot umfielen ließ. Unglücklicherweise verfing er sich bei seiner Bewegung in seinem Gewand, so dass der Blitz auch seinen Bart versengte und er vom Schild in die Mitte der Rottahorde stürzte. Das außer Kontrolle geratene Schild rasierte im Tiefflug einigen Rottas die Schädel herunter und ging dann laut krachend zu Boden. Schnell erholt von diesem Angriff stürzten sich die Rottas laut und wütend pfeifend auf Moran und den alten Zauberer. Da stand plötzlich Mira bei ihnen, ihrem Zauberstab entflammte gleißendes Licht. Die an die Dunkelheit gewöhnten Augen der Rottas waren geblendet. Der Moment reichte Ult und Amon aus, um herbeizueilen, Moran und den Zauberer hinter einer Klippe zu verstecken und vor den Knochensäbeln der Rottas zu bewahren. Als die Energie des leuchtenden Zauberstabs nachließ, rauschte die nächste Überraschung heran. Eine uralte, in grünem Samt gekleidete Zauberin raste auf einem Besen sitzend heran. Kräftige Schimpftiraden kreischend landete sie in der Mitte der Rottas und schlug mit dem Besen auf sie ein. Die Rottas, die sie traf, schrumpften auf Fingerhutgröße. Die Rottas ergriff die Furcht. Sie flüchten in ihre Boote, um zu ihrem Schiff zurück zu gelangen. Doch zu ihrem Entsetzen hatte das Schiff seine Anker gelichtet. Mit lautem Ächzen und Stöhnen begannen sich die Wasserräder zu drehen.

Ult hatte auf dem Schiff einen einzelnen Dumpo und ein paar Dunkelgnome erspäht. Sie hatten die Tumulte am Strand genutzt, sich ihrer Bewacher zu entledigen und ohne die Rottas das Weite zu suchen. In diese ausweglose Situation geraten, versuchten etwa hundert Rottas, dem Schiff in ihren Booten zu folgen. Der größere Teil der Rottas, die nicht in die Boote gepasst hatten, traten schrill pfeifend die Flucht nach vorne an. Sie wichen der alten Zauberin aus und rannten ins Landesinnere.

Die beiden Menschen, die mit den Rottas gekommen waren, hatten sich mit Knochensäbeln bewaffnet und droschen auf den wild gewordenen, flüchtenden Haufen ein. Zwischen sich nahmen sie schützend das kleine Wesen. Ult war aus dem Versteck gestürmt und erschlug mit seinem Schwert jeden Rotta, den er erwischen konnte. Amon beschränkte sich darauf, aus seinem Versteck heraus mit gezielten Steinwürfen den einen oder anderen Rotta niederzuwerfen. Moran war von einem Knochensäbel verletzt worden und lag regungslos neben dem Zauberer, der langsam sein Bewusstsein zurückerlangte und benommen aufstand. Mira sendete Zauberwellen aus, die die Rottas von den Beinen holten. Sie stolperten und wurden für den hinterhereilenden Ult zur leichten Beute.

In der Zwischenzeit hörte man Signalrufe und Lärm aus dem Norden. Und auch aus Talipo kam ein Haufen wild Entschlossener der Rottahorde entgegen. Der alte Zauberer erblickte die wild um sich schlagende Zauberin und rief: „Amramin, was machst du denn da? Hahaha!“ Er lachte und bekam dabei einen Hustenanfall! Amramin erwiderte: „ Donar, du alter Trottel, da bist du ja!“, und setzte hinterher „Wie konntest du mit deinen 195 Jahren noch auf dem Schild reiten, du bist irre!“ „Ja, tut mir leid, alte Dame!“, rief er zurück, nachdem er seinen Husten unter Kontrolle bekam. Amramin schimpfte wütend: „ Sieh, was du angerichtet hast! Komm jetzt und hilf mir. Es sind zu viele und der Großteil dieser Höllenkreaturen entkommt uns!“ Eilig nahm der alte Zauberer seinen Zauberstab und richtete ihn auf die flüchteten Rottas. Auf ein erneutes „Potzblitz“ schoss ein Blitz aus dem Stab und tötete etwa zehn Rottas.

Die Rottas in den gefüllten Booten sahen sich außerstande, das sich schnell entfernende Schiff zu erreichen. Doch genauso wenig wollten sie zurück an den Strand, an dem es gerade zwei alte Zauberer, eine junge, sehr begabte Zauberin und ihre drei Begleiter geschafft hatten, sie in die Flucht zu schlagen. Sie trieben auf dem Meer und suchten nach einer anderen Stelle, an der sie anlegen könnten.

An Land hatten sich zu Beginn etwa dreißig Späher von der Meute getrennt und waren in alle Richtungen auf der Insel ausgeströmt. Dreißig Rottas schlugen sich seitwärts in die Büsche und suchten Verstecke. Zwanzig Rottas wurden von Amramin geschrumpft und waren im Getümmel totgetrampelt worden. Etwa Fünfzehn hatte Donar mit seinen Blitzen und dem Schild getroffen. Noch einmal 20 wurden von Ult, den beiden Menschen oder Amons Steinwürfen erlegt.

Es blieben etwa fünfundachtzig mit Knochensäbeln bewaffnete Rottas, die auf die Bürger aus Talipo trafen. Diese hatten eilig Äxte, Heugabeln, Dreschflegel, Knüppel und dazu ein paar brennende Fackeln ergriffen, um die Horde ins Meer zurückzujagen. Es waren rund dreihundert tapfere Männer und Frauen, die von Linus angeführt wurden. Ein wüster Kampf brach aus, bei dem die Menschen trotz ihrer Überlegenheit an Größe und Anzahl an Kampfkraft unterlegen waren. „Schnell, alter Trottel! Schwing deine wackligen Beine noch einmal auf dein Schild. Wir müssen den Leuten aus Talipo helfen!“, herrschte Amramin den alten Zauberer an. „Und was machen wir mit denen da draußen auf dem Meer?“, fragte Donar zurück. „Um die kümmern wir uns später!“, entgegnete sie, schwang sich auf ihren Besen und flog in Richtung Talipo. Donar stellte sich auf sein Schild, murmelte ein paar Worte. Es erhob sich leuchtend mit dem wacklig stehenden alten Zauberer und sie flogen hinterher.

Ult, Amon und die beiden Menschen verloren den Anschluss zu den flüchteten Rottas, die trotz ihrer kleineren Beine viel schneller waren. Mira sorgte sich um den verletzten Moran und hatte von den beiden Menschen ihr Kind anvertraut bekommen. Amon hatte etwas Furcht, dass die allein zurückgebliebene Mira von zurückkehrenden Spähern angegriffen werden könnte. Als er sich umdrehte, war er beruhigt: Circa fünfzig Leute aus Fitzendamm hatten den Strand erreicht. Mit dem Eintreffen der Zauberer konnten die Menschen aus Talipo das Blatt schnell wenden. Die meisten Rottas wurden erschlagen, doch leider gab es auch einige Verluste bei den Leuten aus Talipo. Nach dem Sieg an Land flogen die beiden Zauberer ans Meer zurück. Die Blitze des alten Donars erwiesen sich sehr wirkungsvoll, die noch auf dem Meer befindlichen Boote zu zerstören und die Rottas zu vernichten, die dort schutzlos dem Zorn des Alten ausgesetzt waren. Die beiden Zauberer verfolgten auch das Dumposchiff aus Stahl und setzten es mit einem mächtigen Blitz fest.

Es war bereits Mitternacht, als die sieben Ausflügler wieder am Strand vereint waren. Sie hatten Gesellschaft von den beiden Zauberern, der Menschen und ihrem Kind, etwa hundert Bürgern aus Fitzendamm und Lakota sowie einzelnen Bürgern aus Talipo. Die meisten Bürger aus Talipo hatten mit der Versorgung ihrer Verletzten noch alle Hände voll zu tun. Man räumte das Schlachtfeld und vergrub die Kadaver der Rottas.

Nun war es Zeit, die beiden Menschen zur Rede zu stellen. Zu seiner großen Überraschung erkannte Amon in dem Mann seinen Bruder Gorgen. Ult hatte das schon früher bemerkt, aber bei dem Tumult keine Gelegenheit gehabt, Amon darauf hinzuweisen. „Gorgen!“, rief Amon und die beiden Brüder fielen sich um den Hals. „Warum bringst du diese Räuber nach Samobali? Bist du verrückt?“, hob er an, ihn zu schelten. „Es ging doch gut!“, entgegnete Gorgen trocken. „Es ging überhaupt nicht gut!“, polterte Amon. „ Es kostete ich weiß nicht wie vielen Menschen aus Talipo das Leben. Dazu rennen noch etwa 60 dieser Kreaturen auf der Insel herum. Wehe, wenn sie Fuß fassen! Das ist ein hoher Preis für deine Rückkehr!“ „Ja, ich weiß.“, entgegnete Gorgen. „Ich konnte es nicht einschätzen und ergriff einen Strohhalm, der sich mir und meiner Familie bot! Aber es hinterließ eine Spur der Verwüstung!“ Er senkte den Kopf und fühlte sich offensichtlich schuldig.

„Darf ich dir meine Frau Selma und meinen anderthalbjährigen Sohn Tobi vorstellen?“, versuchte Gorgen das Thema zu wechseln. Eine dunkelhäutige Schönheit trat hervor, der man genauso wie Gorgen ansah, dass sie harte Zeiten hinter sich hatte. Selma hatte funkelnd schwarze, große Augen. Unter ihrem rechten Auge befand sich eine große Narbe, die ihre Schönheit in keiner Weise beeinträchtigte. Sie streckte Amon ihre feingliedrige Hand entgegen, die Amon mit einem festen Händedruck willkommen hieß. Dann kam der kleine, fast dunkelhäutige Tobi hervor und lächelte Amon mit einem Strahlen an, der ihn seinen Groll fast vergessen ließ. „Wie kamt Ihr mit einem Dumposchiff durch unseren Schutzwall?“, fragte er immer noch vorwurfsvoll. „Amon, ich habe noch immer das Schlüsselamulett, wie jeder Samobaliki, der Samobali verlässt und beabsichtigt, zurückzukehren!“, entgegnete Gorgen.

Donar hatte das Gespräch der beiden verfolgt. „Amon, ich trage Mitschuld!“, sagte er mit dünner Stimme, „Ich bin wohl zu alt, um Wache am Schutzwall zu halten. Ich schlief ein und als ich erwachte, war das Schiff bereits durch den Schutzwall gelangt. Das wäre nicht ohne das Schlüsselamulett gelungen. Nur hätte ich bei wachem Geist und dem Blick in die Kristallkugel das Dumposchiff erkannt und den Zauber verstärken müssen, um es nicht durchzulassen. Immerhin half es deinem Bruder und seiner Familie. Aber es ist nicht zu verzeihen, wie viele Menschen dadurch starben, denn ich habe als Schutzzauberer versagt und bin kläglich vom Schild gestürzt, als ich die Sache bereinigen wollte.“

Da kam Amramin hinzu und nahm Donar in den Arm: „Ja, du hast recht, Donar, du bist mittlerweile zu alt, um wache zu halten. Und du hast über vierzig Jahre auf keinem fliegenden Schild mehr gekämpft. du bist eingerostet.“ Dann lachte sie. „Aber alter Krieger, nach anfänglicher wackliger Tollpatschigkeit hast du dich doch wieder an die alte Größe erinnert und mit gezielten Blitzen die Boote samt Inhalt versenkt und auch das Dumposchiff elektrisiert. Die Raubfische finden Futter, alter Mann. Und auch dein Einsatz in der Schlacht an Land war für dein Alter beachtlich!“

„Danke, Amramin. Nur dass so viele der Rottas entkamen, ist meine Schuld. Und das so viele Menschen aus Talipo zu Tode kamen, ist untröstlich. Wir werden nun auch den Krieg auf Samobali haben, bis die 60 entkommenden Rottas eingefangen sind. Hoffentlich werden nicht zu viele weitere Leben gelöscht! Und hoffentlich können die Rottas keine Nester bauen, in denen sie sich in teuflischer Geschwindigkeit vermehren!“

„Berechtigte Sorge, Donar. Wir werden auf unsere alten Tage wieder kämpfen lernen müssen und es den Jungen beibringen!“, entgegnete Amramin.

Amon verfolgte das Gespräch der beiden Zauberer nicht weiter. Er hatte viele Fragen an seinen Bruder. Gorgen musste ihm von dieser Flucht aus Hatallma ausführlich berichten. Er erfuhr, warum die Rottas auf einem Dumpo-Transportschiff kamen. Die Rottas hatten es im Hafen von Hatallma gekapert und waren trotz heftigem Beschuss durch ein Kanonenschiff ins Zentrische Meer entkommen. Auf der Reise nach Samobali musste er allerdings einige Raubzüge und Morde mitansehen.

Gorgen war in die Gefangenschaft der Rottas gelangt, als ein Angriff der Rottas auf ihren Stollen nicht rechtzeitig abgewehrt wurde. Wegen der Geschichte über Samobali konnte er sein Leben und das seiner Familie retten. Er hatte ihnen reiche Beute und keine Warmardare versprochen. Amon wusste nicht, ob er Gorgen dafür hassen sollte. Doch er konnte auch verstehen, dass ihn die Verzweiflung und die Sorge um die schöne Selma und den sonnigen Tobi zum Verräter an seiner Heimat hatten werden lassen.

Moran wurde von Mira mit Heilkräuterwickeln versorgt, so dass die hässliche Schnittwunde am Hals bereits nach wenigen Stunden fast verheilt war. Er stand wieder auf den Beinen und erschien putzmunter. Mira war einfach großartig. Wie sie Donar rettete, als dieser so ungeschickt die Show von Moran beendet hatte, verriet, dass sie wirklich eine große Zauberin werden könnte. Amon war sehr stolz auf sie. Moran hatte sich heldenhaft den Rottas entgegengestellt. Ult zeigte sein Können als Kämpfer. Nur Amon war mit seiner Rolle irgendwie unzufrieden. Er sah nicht viel positives, dass er zu seinen Gunsten hätte verbuchen können: Sein Bruder war ein Verräter, seine Schwester eine Suchtkranke. Er hatte nicht mit dem Schwert gekämpft, sondern nur ein paar wenige Rottas mit Steinwürfen niedergestreckt. Die Verfolgung der flüchtenden Rottas war ergebnislos. Und als sie vor Talipo eintrafen, war die Schlacht bereits entschieden. Er hatte sich, als sie zur Verfolgung losrannten, den Knochensäbel eines erschlagenen Rottas genommen, den er jetzt entsetzt musterte. Er hatte nicht einen Streich damit geführt, doch er roch nach Tod.

In dieser Nacht am Strand tat keiner ein Auge zu. Die Ereignisse des Tages boten reichlich Gesprächsstoff. Doch die entkommen Rottas und die Verluste in den eigenen Reihen überlagerten die Freude, die bei der Schilderung der gewonnen Schlacht, Morans Idee oder Donars Sturzfluges kurz aufzukommen schien. Erst im Morgengrauen kehrten die Bürger in die umliegenden Orte zurück. Auch die Gemeinschaft trat den Heimweg an. Die Pferde, die vor den Spähern flüchteten, waren zwar zurückgekehrt. Da auch Gorgen, Selma und Tobi mit ihnen reisten und der Anstieg in den Berg auf den Pferden nicht zu bewältigen war, gestaltete sich der Rückweg zunächst mühselig. Erst als sie den Abstieg vom Mon Tark gemeistert hatten, saßen sie wieder auf und ritten hinunter in das Isental. Erschöpft erreichen sie am späten Nachmittag ihr Haus in Gran Bellisen.

Gorgen und seine Familie brachte man vorerst im Vogelhaus unter. Sie bekamen Mikels Zimmer, der sich nun bei Linus einquartierte. Es wurde reichlich eng, so dass Mikel oder Linus in den nächsten Tagen oft auswärts schliefen. Moran blieb noch eine Weile bei Britta.

Selma blühte nach ein paar Tagen in Gran Bellisen förmlich auf. Noch nie empfand sie so viel Glück in ihrem Leben wie auf Samobali. Sie zeigte sich sehr geschickt bei der Gartenarbeit und verstand es zu töpfern. Sie entfaltete von Tag zu Tag mehr Schönheit und alle mochten sie und den kleinen Tobi.

Der kantige Gorgen wirkte dagegen etwas unbeholfen. Er sah Amon durchaus ähnlich, war aber etwas kräftiger und größer. Seine Haare waren dicker, fast drahtig, und sein Bart kräftiger. Er war mehr ein Haudrauf. Ihn könnte man im Wald gut gebrauchen, doch dort gab es gerade keine Arbeit. Und so hackte er auf dem Feld die Unkräuter, als wolle er einen Rotta erschlagen.

Es hatte sich auf der ganzen Insel herumgesprochen, was an der Ach-Mündung am Meer geschehen war. Die Samobalikis stellten Suchtrupps auf, um die entkommenen Rottas aufzuspüren. Diese wurden oft von Ult und Gorgen angeführt und hier erwiesen die beiden sich als sehr wirkungsvoll. Einige Rottas wurden von den Samobalikis gefangen genommen, statt sie zu töten. Sollten die Magier über deren Schicksal entscheiden. Gorgen war unbarmherziger, er erschlug eigenhändig jeden, den er ergreifen konnte. Ein paar wurden auch von Elfenpfeilen in den Wäldern getötet, ein paar von Zwergenbeilen, als sie dabei erwischt wurden, wie sie in eine Höhle einbrachen. Ihre Spur zog sich immer weiter in die Insel herein. Da ein geplünderter Garten, dort ein geraubtes Schaf, Kuh oder Pferd. Nach zwei Wochen liefen immer noch etwas 40 Rottas frei auf Samobali herum. Sie schlugen auf ihren Beutezügen immer nachts zu. Die Natur Samobalis, und besonders das Gebirge, boten viele Verstecke. So gestaltete es sich schwierig, die gefährlichen Räuber zu finden. In allen Orten, in den es Plünderungen oder Raubzüge gab, stellte man nachts Wachen auf, auch in den Nachbarorten, da man damit rechnen konnte, dass die Rottas weiterzogen. Die nächtlichen Wachen zeigten Erfolg und die Zahl der frei umherstreifenden Rottas schrumpfte in den nächsten zwei Wochen auf zwanzig. Die Magier überließen Amramin die Justiz, und sie ließ alle überbrachten Rottas auf Fingerhutgröße schrumpfen. Sie wurden in einem magisch überwachten Waldstück im Gebirge ausgesetzt und dort selbst zur Beute von Raubvögeln, Füchsen, Igeln und Schlangen. Sie war vorsichtig genug, die freigelassenen Rottas zu kontrollieren, damit nicht aus deren Vermehrung eine neue Plage in deren winziger Größe entstehen konnte.

Amon war in diesen Wochen sehr oft bei Mira in Citta. Mira hatte mit ihrer Meisterin, der Durha Lilly Lula, gesprochen. Es wurde ein Termin vereinbart, an dem Ult, Mira und Amon vor den Rat der Magier treten sollten, um die ihnen angetragene Mission und ihre Reise genauer erklärt zu bekommen. Nebenher erfuhr er, dass es Mira gelungen war, bei der Forschung über die Krankheit seiner Schwester aus der übersinnlichen Welt einen Rat zu bekommen. Sie hatte von den Heilkräutern erfahren, die giftig, aber das richtige Mittel waren, um die Drogenwirkung der Dumpoalchemisten zu stoppen. Wita bekam seither einen Trunk, der aus Tollkirsche, Alraunwurzeln, Bilsenkraut, aber zum größten Teil aus Aroniabeerensaft bestand. Nach anfänglicher Gegenwehr nahm sie ihn nun freiwillig und er zeigte erste Erfolge. Witas ursprüngliches Wesen schien zurückzukehren.

Steine der Macht

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