Читать книгу Im Schatten des Wolfes - H.E. Otys - Страница 7
2.
ОглавлениеSeine Rückkehr stand unter keinem guten Stern. Wulf beobachtete die noch immer unruhige See, die nun in der Sonne gleißte. Der Sturm hatte sie weit vom Kurs abgebracht. Sie hatten mindestens einen halben Tag verloren.
In der Sonne schimmerte das Wasser einladend, die Wellen schienen ihre Arme auszubreiten, verbreiteten kühlen, klaren Geruch, nachdem der Sturm über sie hinweggefegt war. Wulf atmete tief ein und ließ sich berauschen. Er hatte zu lange ohne all das auskommen müssen. Jetzt endlich kehrte er heim und war seiner Pflicht entlassen, einem fremden Herrn zu dienen. Nur aus Ehrerbietung seinem Vater gegenüber hatte er jene Pflicht erfüllt.
Ungeduld war ihm fremd, trotzdem beäugte er den Stand der Sonne, rechnete, wie lange sie brauchen würden, um ihr Ziel zu erreichen. Zwei Tage, wenn nichts dazwischenkam. Die Reise bis hierhin hatte ihn schon mehr Zeit gekostet, als er beabsichtigt hatte. Basileios, gerechter, aber unnachgiebiger Kaiser von Byzanz, hatte bis zuletzt Entschuldigungen gefunden, um die Fähigsten unter seiner Leibgarde am Weggehen zu hindern. Aber ihr Eid war nach fünfzehn Jahren erloschen. Die Abmachung zwischen ihm und seinem Vater hatte ihr Ende gefunden. Mehr als sein halbes Leben hatte Wulf dem Kaiser gedient. Nur für einige Zeit war er heimgekehrt, um seinen ältesten Bruder sterben zu sehen, um ihn zu bestatten, um zu sehen wie der Jähzorn seines Vaters wuchs. Er hatte versucht, seine anderen beiden Brüder zu erinnern, dass ihr Vater den Zwist im Volk nur noch verstärkte, dass sie dagegen steuern mussten, um das Schlimmste zu verhindern. Aber seine Brüder waren dem Vater nicht gewachsen.
Seine Heimkehr wurde davon überschattet. Wulf blickte über das Deck und sah in die Gesichter jener Männer, die mit ihm gedient hatten. Sie kehrten zu ihren Familien zurück. Familien, die unter der Zwietracht zu leiden hatten, der Uneinigkeit, der Unentschlossenheit, wie es weitergehen würde. Die Zukunft schien unberechenbar. Er kannte sie gut, wusste um ihre Sorgen und teilte sie. Sie waren ein zerworfenes Volk, deren Führer uneinsichtig blieben.
Wulf atmete mit leicht geöffnetem Mund leise aus und sah kurz zu Boden. Wie konnte ein solches Volk einem Mann wie Olaf Tryggvason trotzen? Ihm mit Selbstvertrauen entgegentreten, um zumindest eine gewisse Unabhängigkeit zu behalten und ein eigenständiges Königreich zu bleiben? Sie würden es nicht mehr lange können. Vasallen waren sie seit vielen Jahren, seit dem Tage, da Olaf sich zum König über ganz Norwegen ausgerufen hatte. Er erdrückte sie mit einem neuen Glauben, gleich wenn er seinen Vasallen Zugeständnisse machte und sie in gewissem Maße selbstbestimmen ließ.
Er schloss kurz die Augen. Es bekümmerte ihn, sein Volk so zu sehen, aber was konnte er schon tun? Es lag nicht in seiner Macht. Jene einzige Hoffnung blieb verschollen bis in alle Ewigkeit. Dafür hatte sein eigener Vater gesorgt. Gut gesorgt. Wulf wünschte ihn in diesen Sekunden in die tiefsten Abgründe Ginnungagaps. Diese Schuld würde nie gesühnt werden.
Eine einzelne Planke stieß in Wulfs Nähe an die Seite ihres Schiffes. Er sah auf, zog die Augenbrauen zusammen. Die Planke war an den Enden zerfetzt. Fast ruckartig hob er den Blick höher, streifte damit über die See, erkannte weitere Wrackteile zu seiner Rechten.
Egill, der zur Wache eingeteilt gewesen war, kam mäßigen Schrittes an der Reling entlang.
»Ich denke, da gibt es wenig Hoffnung, Überlebende zu finden«, stellte er fest. »Weiter südwestlich könnten sie am Riff zerschellt sein, wenn ihnen der Wind den Weg zum offenen Meer verwehrte.«
Wulf hatte nicht aufgesehen, aber Egill wusste, dass er stets aufmerksam zuhörte. Sein Kommandant, und das würde er für ihn immer sein, hatte nicht umsonst den Respekt seiner Männer, der Leibgarde des Kaisers. Jene Fertigkeiten, einen Mann zu schützen und ihm Sicherheit zu bieten, hatte Egill von Wulf gelernt, aber nicht allein das. Mehr noch. Egill erkannte durch ihn eine noch größere Aufgabe für sein eigenes Volk. Sicherheit und die daraus entstehende Zufriedenheit hatten Egill und die anderen Wächter bewogen an ihre Heimat zu denken und an das, was sie erwartete: ein Volk seit fünfzehn langen Jahren in Unfrieden. Wulf hatte sie vorbereitet. Es gab kein Zurück zu ihrer alten Sicherheit, nur das Wissen, das es eine solche in der Heimat schon lange nicht mehr gab.
»Eines unserer eigenen Schiffe«, stellte Wulf nach einer Weile nicht minder sachlich fest.
»Aus unserem Dorf?«, wollte Egill wissen.
»Nein«, Wulf erkannte die Planken. »aus dem Westdorf.«
»Dann ist es nicht unsere Sorge«, entgegnete Egill missbilligend.
Wulf richtete sich auf, maß Egill einen Moment lang und sah zurück aufs Meer.
»Niemand wird je ändern, wie wir fühlen«, sagte Egill dann.
»Ihr belügt euch doch nur selbst.« Wulfs Worte waren ruhig gesprochen und verbargen den Zorn dahinter. Er wollte es nicht wie einen Vorwurf klingen lassen, denn dazu bedeuteten ihm seine Männer zu viel. »Dieses Schiff wurde von Männern des Westdorfes, des Süddorfes und unseres Dorfes gebaut. Zumindest diese Männer führen keinen Krieg untereinander, arbeiten gemeinsam, erzählen von ihren Familien, lassen den ewigen Streit nicht ihr Urteilsvermögen trüben.« Wulf wandte ihm wiederum den Blick zu. »Wir haben noch nicht vergessen, dass wir alle einmal zu einem Königreich gehörten; einmal ein Königreich waren.«
Egill bemerkte die Betonung des Wortes wir nur allzu gut. Wulf war Schiffsbauer. Seit er ein Junge war, hatte er das Handwerk bei jenen Männern gelernt. Wann immer er einige Monate zu Hause gewesen war, hatte er bei ihnen gearbeitet, ihre Kunst erlernt, die eigentlich nur von Vater zu Sohn weitergegeben wurde. Doch Wulfs väterlichem Freund, Arnulf, war es gestattet worden, Wulf auszubilden. Er gehörte mit jeder Faser zu dieser Gemeinschaft, die sich über den jahrelang schwelenden Streit erhoben und aus Mitgliedern aller drei verfehdeten Dörfer bestanden. Ein Dorn im Auge jener zwei Könige, die einander hassten und ein ganzes Königreich damit ins Unglück gestürzt hatten.
»Du solltest solche Gedanken in Gegenwart deines Vaters und einiger anderer schweigen lassen.« warnte Egill ihn. Obgleich viele aus allen drei Dörfern Wulfs Meinung teilten. »Wir werden nie stark genug sein, um jene zu fordern, die unser Volk in dieses Unglück stürzten. Angst herrscht und zu wenige haben Mut wie du.«
»Ich weiß, Egill.« Wulf bedauerte die Entmutigung seines Freundes und hasste seine eigene zuweilen aufflammende Gleichgültigkeit. »Aber warum - warum kehren wir dann zurück?«
»Meine Frau und meine Kinder brauchen mich, Wulf. Ich will nicht, dass sie dieses Leben allein führen müssen.«
»Ein Leben führen müssen«, lachte Wulf bitter auf. »Ja, wie Recht du doch hast.«
Wie so oft in all den Jahren wusste Egill keine Antwort darauf und sie schwiegen. Sie hingen mit ihren Gedanken an der Heimat und ließen dabei die eines Nordmannes unwürdige Schwermut zu. Beide wussten, dass der andere genauso dachte.