Читать книгу Im Schatten des Wolfes - H.E. Otys - Страница 9
4.
ОглавлениеMit steifen Gliedern ließ Wulf sie wenig später unsanft auf Deck gleiten. Der Aufprall führte zu einem Hustenanfall, bei dem Robyn minutenlang das Wasser hervorwürgte.
»Eine schöne Fracht.« Egill stand mit verschränkten Armen über ihr, neben sich Wulf, der einige Male tief ein- und ausatmete. »Warum hast du sie nicht gehen lassen? Es schien ihr Wunsch sein.«
»Seit wann gewähren wir einem Menschen in Not nicht mehr unsere Hilfe?«, fuhr Wulf ihn an. Er hatte Egills ewiges Jammern satt. »Ist es nicht dein Wunsch, jene im Westdorf zu verurteilen? Sie hätten vielleicht so gehandelt. Aber nicht wir. Wir pflegen nicht wie sie auf Raubzug zu gehen. Nicht mehr. Hast du das vergessen?«
»Nein, Wulf. Aber du weißt, dass Frauen an Bord nur Unglück bringen. Noch dazu eine, die wie eine Nixe leblos im Wasser trieb.«
»Verdammt sei dein Aberglaube.« Wulf zog sich das Hemd aus, die untergehende Sonne würde nicht mehr lang Wärme spenden. »Sag zwei Männern, sie sollen ein Feuer machen und dann sieh zu, dass du irgendwelche trockene Kleidung für sie findest.«
Egill gab ein zustimmendes Brummen von sich und ging, bellte wenig später zwei der Männer an, damit sie Holz zusammentrugen.
Robyn fühlte zum ersten Mal seit Stunden ihre Beine. Sie zog sie heran, spürte keinen Schmerz, nur Kälte.
Eine Reise. Sie trat erneut eine Reise an.
Sie stöhnte leise. Warum nur? Warum?
Sie betastete ihren Kopf. Er hämmerte unerträglich. Der Nordmann am Strand hatte sie mit bloßer Faust bewusstlos geschlagen. Ihre Hand wanderte weiter. Fast hätte sie aufgeschrieen. Die gesamte linke Seite schien zu zerspringen. Sie versuchte stillzuliegen, damit der Schmerz nachließ. Befremdet zerrieb sie das geronnene Blut, das aus ihrem Ohr gelaufen war, in ihrer Hand. Sie benötigte einige Atemzüge, um den Blick endgültig zu schärfen, um ruhig aufzublicken, ohne Drehen, ohne verschwommene Bilder. Der Nordmann hatte abwartend über ihr gestanden.
Wulf bemerkte ihren schweren Augenaufschlag, sah gleichzeitig, wie sich ihre Lippen aufeinanderpressten. Sie war bemüht, ihren Schmerz zu verbergen, durchaus gekonnt, aber seine Augen waren zu gut trainiert.
»Nimm einige der Decken dort.« Er wies hinter sie auf einige Decken in Reichweite. »Zieh deine nassen Kleider darunter aus, dann begib dich zu dem Feuer, dass die Männer für dich anzünden. Und fürchte dich nicht. Niemand wird Hand an dich legen. Ich stehe zu meinem Wort.«
Wulf beobachtete sie noch kurz. Sie brauchte eine Weile. Er glaubte nicht, dass sie ihn nicht verstanden hatte. Vielmehr sammelte sie all ihre Konzentration, um seinen Worten folgen zu können. Sie zog sich langsam zu den Decken hin, ergriff eine. Damit hatte er genug gesehen. Er wandte sich ab, um selbst seine Kleidung gegen trockene einzutauschen.
Robyn konnte ihm nicht einmal hinterherblicken. Sie musste ihre Augen schließen, während sie die Decke um sich legte und das Kleid auszog. Ihre Schuhe hatte sie im Wasser verloren. Wozu hatte sie sie auch behalten sollen? Sie hatte sterben wollen. Für einen Augenblick bettete sie ihren Kopf auf die anderen Decken, sehnte sich zurück in die See, nach dem Horizont, dem kalten Wasser, da es sie nach all den Stunden zärtlich umarmt hatte, ihre Sehnsucht erwidert hatte.
»Weib!«
Sie schreckte auf. Woher kam das? Undeutlich erkannte sie die Konturen des Hünen wieder. Sie schärfte den Blick, diesmal mit Erfolg. Die kurze Entspannung hatte ihr gut getan. Er trug trockene Kleider, hatte sein Haar im Nacken zusammengebunden. Die Sonne war längst untergegangen, der Himmel in seinem Rücken rötlich.
»Wir riskieren eine Menge, indem wir ein Feuer an Deck entzünden. Hab die Güte und nutze es aus.«
Wieder brauchte es eine Weile, dann reagierte sie, zog sich an der Reling hoch, stützte sich auf sie, während sie langsam nach vorn strauchelte.
Wulf nahm einige Decken und folgte ihr im kurzen Abstand. Seine Männer beobachteten ihre Silhouette aufmerksam, vorsichtig. Wulfs Entscheidung, sie an Bord zu lassen, hatten einige nicht gutgeheißen und ihren Kommandanten dies auch wissen lassen. Er hörte ihren Eingebungen zu, bestimmte aber trotzdem, dass sie bleiben würde. Die Überfahrt näherte sich ihrem Ende. Zwei Tage noch, dann hatten sie ihr Ziel erreicht. Bis dahin mussten sie die Nixe an Bord dulden, hernach würde ihr König über sie entscheiden. Vielleicht würde einer der Nordmänner sie zur Frau begehren. Eine Heirat hatte den Vorteil, dass sie niemandem außer ihrem Mann und dem König Rechenschaft schuldig war. Für den Fall, dass sich niemand für sie fand, würde sie einfachen Arbeiten im Dorf nachgehen müssen, jedoch ohne den Schutz eines Ehemannes. Aber sie würde dieselben Rechte erhalten wie all die anderen. Sklaven gab es unter ihnen seit einer Generation keine mehr.
Und ein Zurück gibt es für dich auch nicht mehr, dachte Wulf, während sie kraftlos am Feuer niedersank. Wer immer du bist, deine Familie, dein Mann wird dich unter Nordmännern wissen; keine Schande dürfte größer sein.
Seine eigenen Gedanken widerten ihn an, aber er kannte den Ruf seines Volkes, wenngleich die Wahrheit anders war. Sehr anders.
Sein Blick streifte seine Männer. Große, starke Männer, kampferprobt seit vielen Jahren, in jeder erdenklichen Waffe trainiert, geschickt, furchtlos, ihre Haut gebräunt von der unerbittlichen Sonne in Byzanz. Versteinert sahen sie auf die Nixe, deren weiße Haut sich von der dunklen Decke absetzte wie ein unheimliches Omen. Misstrauen lag in Egills Bewegungen, als er sich hinabbeugte und ihr einige Kleidersachen hinlegte. Männerkleidung. Sie würde genügen müssen.
Wulf legte zwei weitere Decken zu ihr. Als sie sie bemerkte, ließ allein ihr Anblick ihre Augen zufallen. Ohne auf die Nordmänner zu achten, ließ sie sich nieder. Furcht und Schmerz verloren sich für den Moment und sie gab sich dem Schlaf hin. Der Nordmann würde zu seinem Wort stehen.