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Eine komplizierte Kindheit und Jugend (1820–1839)
ОглавлениеFlorence Nightingales Kindheit und Jugend spielte sich vor allem auf den beiden Landsitzen der Familie ab, wo sie die gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Probleme des viktorianischen Zeitalters kennenlernte. Sie liebte vor allem Lea Hurst. Dort hatte sie größere Freiheiten als in Embley, wo sie bereits in jungen Jahren stark in die Zwänge des gesellschaftlichen Lebens eingebunden war. Sie genoss eine privilegierte Kindheit in einem wohlhabenden Elternhaus und einer weitverzweigten Familie mit vielen Tanten, Onkeln, Großtanten und etwa 25 Cousins und Cousinen. Ihre Briefe und Notizen vermitteln einen guten Eindruck davon, was es hieß, in einer großen, eng verbundenen viktorianischen Familie aufzuwachsen. Während die väterliche Familie sich um Lea Hurst in den Midlands gruppierte, wohnten die Verwandten der Mutter im Süden Englands. Vor allem die Familien ihrer mütterlichen Tanten, die Nicholsons und die Bonham-Carters, waren in Florences Kindheit ein fester Bezugspunkt, aber auch die Angehörigen der Tante väterlicherseits, Mary Shore Smith (Aunt Mai), die mit Frances Nightingales Bruder Samuel Smith verheiratet war. Häufig besuchte Florence Verwandte oder diese hielten sich für längere Zeit in Embley Park auf. So waren die Nightingale-Schwestern in ihrer Kindheit selten allein, sondern meist in Gesellschaft von Cousins und Cousinen, die oft wochen- oder gar monatelang blieben.
Zu ihrer Tante Mai entwickelte Florence eine besonders enge Beziehung, ja sie betrachtete sie mit zunehmendem Alter immer mehr als eine Seelenverwandte, mit der sie eine kritische Neugierde und spirituelle Interessen teilte. Um deren 1831 geborenen Sohn kümmerte sich die damals elfjährige Florence mit großem Eifer und Hingabe. Und das blieb über Jahrzehnte so. In ihren Briefen ist er stets „my boy“ oder „my boy Shore“.
Vor allem drei weitere Frauen – zwei ledige Tanten und die Großmutter väterlicherseits – führten Florence die Möglichkeiten und Grenzen ihres Geschlechts beispielhaft vor Augen. Von ihrer Tante Patty schrieb sie 1850, sie sei verrückt geworden, weil sie nichts zu tun hatte. Die außerordentlich intelligente Frau hatte ihren Vater in seiner politischen Arbeit unterstützt und pflegte eigenständige Kontakte mit der zeitgenössischen politisch-gesellschaftlichen Avantgarde. Doch gesundheitliche Probleme, Einsamkeit und die vornehm zu verbergende Armut ließen sie immer exzentrischer werden. Letztendlich isolierte sie sich völlig. Tante Julia hingegen blieb der Familie verbunden und kümmerte sich bei Bedarf um Kranke und Kinder. Soweit war dies nichts Besonderes für unverheiratete Frauen, sie hatte jedoch darüber hinaus ein eigenes und ein öffentliches Leben. Julia Smith engagierte sich für die Abschaffung der Sklaverei und in der Kampagne gegen die corn laws, die durch den Wegfall von Getreidezöllen billigeres Brot für die wachsende Bevölkerung durchsetzen wollte. Ihr Herzensanliegen aber war der Ausbau der Mädchenbildung, wofür sie zusammen mit unitarischen Freundinnen, wie etwa der Schriftstellerin und politischen Journalistin Harriet Martineau, kämpfte. Die väterliche Großmutter Mary Shore beeindruckte Florence Nightingale, die sie als Kind oft besuchte, durch Einfachheit, Intelligenz und Frömmigkeit.