Читать книгу Florence Nightingale - Hedwig Herold-Schmidt - Страница 17
Die Debütantin
ОглавлениеDa die Umbauarbeiten auf Embley noch nicht abgeschlossen waren, richtete sich die Familie zunächst in London ein. Es sollte Florence Nightingales erste „Saison“ in der Hauptstadt werden, in die vor allem die Mutter große Erwartungen setzte. Im Mai wurde Florence bei Hof vorgestellt, im Salon Königin Victorias, in einem weißen, in Paris gekauften Kleid. Die Eltern mieteten eine ganze Etage im eleganten Carlton Hotel, wo sie mit ihren Erzählungen von einer langen Europareise geschätzte Gastgeber und Gesprächspartner waren. In diesen Wochen konnte Florence Nightingale zusammen mit ihrer Cousine und Freundin Marianne Nicholson, ebenfalls Debütantin, ausgiebig ihrer Leidenschaft für Musik und die Oper frönen sowie Spaß und Tratsch der Jugend teilen. Marianne wird als eine überschwängliche, lebhafte und dominante Jugendliche beschrieben, zu der sich Florence seit ihrer Kindheit sehr hingezogen fühlte. In diesen Wochen trat ihre Berufung deutlich in den Hintergrund. Ihre Briefe zeugen vielmehr von den Aufregungen gesellschaftlicher Aktivitäten. Auch die gesundheitlichen Probleme der Jugend schienen überwunden. Sie zog allenthalben Aufmerksamkeit auf sich, und wenn sie ihre typische Zurückgezogenheit und Reserviertheit aufgab, waren Gesprächspartner beiderlei Geschlechts fasziniert. In dieser Londoner Saison erlebte sie nach Italien erneut das, was sie später als den „Wunsch, in Gesellschaft zu glänzen“, beschrieb (Cook 1, 22). Die Eltern waren sehr erfreut.
Das Jahr, in dem Florence Nightingale bei Hof vorgestellt wurde, war ein aufregendes für die gesellschaftlichen Eliten Englands. Seit zwei Jahren war die junge Victoria Königin, und nun schickte sie sich an, ihren Cousin Albert von Sachsen-Coburg und Gotha zu heiraten. Durch enge Freunde waren die Nightingales nahe am Hofgeschehen und gut informiert. Für junge Frauen wie Florence und ihre Schwester war eine Königin in ihrem Alter faszinierend, und die romantische Liebesgeschichte zumal, aber auch Victorias Amt und ihre öffentliche Rolle. Im Laufe der Zeit wurde Albert zu Victorias wichtigstem Berater, und ein mögliches Modell für eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau wurde sichtbar. Später schrieb Florence Nightingale, dass sie in ihren Zwanzigerjahren ständig davon geträumt habe, einen Seelenverwandten zu finden, mit dem sie ihre Gedanken und Ambitionen teilen konnte, jemand, der selbstlos mit ihr zusammen für eine große Sache arbeitete.
Die zweite für Florence wichtige Freundin, Vertraute und ebenfalls Cousine war Hilary Bonham-Carter. Sie war eher die Ansprechpartnerin für das Ernste, für Sorgen und Nöte. Hilary verlor in jenen Tagen ihren Vater, die Mutter blieb mit acht Kindern zurück. Fortan standen für sie als Älteste, die ernsthafte künstlerische Ambitionen hatte, die Familienpflichten im Vordergrund. Ein Studium der Malerei, das sie sich erträumt hatte, war damit in unerreichbare Ferne gerückt. Florence Nightingale konnte an ihrer Freundin sehen, wie häusliche Aufgaben eine Frau, ihre Fähigkeiten und Talente auffressen konnten. Allerdings war eine professionelle und unabhängige Künstlerin für die Viktorianer unvorstellbar und Aktstudien ebenso undenkbar wie eine Ausbildung inmitten der Unmoralität der Ateliers. So blieb die Freundin unverheiratet und unterstützte die Mutter. Hilary Bonham-Carters frühen Krebstod lastete Florence dann auch zum Teil der familiären Ausbeutung an.
Den Sommer verbrachten die Nightingales in Lea Hurst und kehrten im September 1839 nach Embley zurück – ihre erste Eisenbahnreise übrigens. Zusätzliche, edel ausgestattete Räume, darunter ein großer Salon und die erweiterte Bibliothek, erwarteten sie und unterstrichen die mittlerweile erreichte gesellschaftliche Position der Familie. Nun konnte man gleichzeitig fünf Familien zu Besuch empfangen, da auch Dienstbotenzimmer, Küchen und Vorratsräume neu gestaltet worden waren und fünfzehn dienstbare Geister sich fortan um das Wohl der Bewohner und Besucher kümmerten. Überall auf dem Anwesen war das Wappen der Nightingales zu sehen, wodurch der gesellschaftliche Status für alle sichtbar dokumentiert wurde.