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Vorwort

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Am Waterloo Place mitten in London hat Großbritannien einer Frau ein Denkmal gesetzt, die in der Geschichte der Stadt einen besonderen Platz einnimmt. Florence Nightingale (1820–1910) ist weithin bekannt als Begründerin der weiblichen weltlichen Krankenpflege. Dass ihr Name weltweit ein Begriff ist, verdankt sie ihrem Engagement im Krimkrieg (1853–1856). Dadurch entstand das legendäre Bild einer sich aufopfernden, religiös motivierten jungen Frau, die unter widrigsten Umständen kranke und verwundete Soldaten pflegte. Als Lady with the Lamp, die nachts durch die Krankensäle wandelte, ist sie in das kollektive Gedächtnis eingegangen.

Doch Florence Nightingale darauf zu reduzieren hieße, viele wichtige Felder ihres Schaffens während ihres langen, neunzigjährigen Lebens zu vernachlässigen, in dem sie sich mit großer Leidenschaft und Einsatz einem breiten Spektrum weiterer Themengebiete widmete. So galt sie als Expertin für alle Fragen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge und des Militärsanitätswesens, als international anerkannte Krankenhausreformerin, als Propagandistin für Sozialreformen, als Spezialistin für Kolonialfragen in Indien, als Kämpferin für Frauenrechte und als Pionierin der Statistik. Sie führte eine umfassende Korrespondenz mit Politikern, Sozialreformern und Wissenschaftlern – mehr als 10.000 Briefe sind überliefert – und versuchte mit großem Nachdruck, eine Vielzahl innovativer Projekte voranzubringen. Sie agierte meist wenig sichtbar aus dem Hintergrund, doch mit bewusstem Einsatz ihrer öffentlichen Bekanntheit, mithilfe eines beeindruckenden Netzwerks persönlicher Beziehungen und einer wohldurchdachten Medienstrategie. Indem sie versuchte, auf Parlament, Regierung, Verwaltung und Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen, bewegte sie sich auf Gebieten, die Frauen ihrer Zeit üblicherweise verschlossen blieben. In ihren Vorstellungen zeichneten sich bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts Kernprinzipien des späteren modernen Wohlfahrtsstaates ab. Die Überwindung von Krankheit war für sie untrennbar mit Prävention verbunden, und zur Schaffung gesundheitsförderlicher Lebensverhältnisse hatten Staat und Gesellschaft ihren Beitrag zu leisten.

Im Krimkrieg schwer erkrankt, führte Florence Nightingale in ihrer zweiten Lebenshälfte mehr oder weniger das Leben einer Invalidin, die sich öffentlich nur noch sehr selten zeigte. Ihr umfassendes Werk entstand zu einem großen Teil in der Abgeschlossenheit ihres Krankenzimmers.

Heroisierung und Mythenbildung begannen bereits zu Lebzeiten. Nightingale wurde nichts Geringeres als die Rettung der britischen Armee und die Erfindung der modernen Krankenpflege im Alleingang zugeschrieben. So wurde sie zu einer Ikone des 19. Jahrhunderts, beinahe zu einer Heiligen. Daher ist es kaum verwunderlich, dass das Pendel irgendwann zur anderen Richtung ausschlagen musste. Bereits wenige Jahre nach ihrem Tod sah der Schriftsteller und Kritiker Lytton Strachey in ihr nicht mehr das Ideal viktorianischer Weiblichkeit, sondern in ihren – durchaus bewunderten – Taten das Produkt von Herrschsucht und unterdrückten sexuellen Trieben. Spätere Veröffentlichungen erweiterten dieses Bild zu dem einer alleinstehenden, sexuell frustrierten, hypochondrischen und machtbesessenen Intrigantin, deren Leistungen sie gleichzeitig relativierten oder gänzlich infrage stellten. Kein Schutzengel der Soldaten sei sie gewesen, sondern vielmehr ein Todesengel. Auch manche in der Krankenpflege Engagierte distanzierten sich von ihrer berühmten Vorgängerin und machten sie für allerlei aktuelle Missstände im Beruf verantwortlich. Dies gilt ebenso für einige Vertreterinnen der feministischen Bewegung, die nicht nur Nightingales mangelndes emanzipatorisches Engagement beklagten, sondern sie sogar mitunter als Frauenhasserin abstempelten. Andere hingegen schrieben den Mythos fort, der sich im 20. Jahrhundert, z.B. während der Weltkriege, immer wieder trefflich aktualisieren ließ. Obwohl neuere Biografien sich um eine ausgewogenere Beurteilung dieser komplexen Persönlichkeit und ihrer vielfältigen Interessen- und Tätigkeitsfelder bemühen, kursieren noch häufig historisch fragwürdige Nightingale-Bilder, die zwischen dem Bild einer Heiligen und dem einer snobistischen (und bisweilen rassistischen) Machtbesessenen aus der britischen Oberschicht changieren.

Wer also war diese so kontrovers beurteilte Frau, die die Journalistin Rachel Swaby unlängst zu den 52 Women Who Changed Science – and the World zählte? Wie dachte sie? Welche Motivationen leiteten ihr Handeln? Welche Zeitumstände prägten ihr bewegtes Leben?

Eine Bemerkung vorab: Das englische nurse/nursing, das Pflege/n in einem sehr weiten Sinne umschreibt, wurde je nach Bedeutungsgehalt mit verschiedenen Begriffen ins Deutsche übertragen. Hospital und Krankenhaus wurden – trotz möglicher Nuancierungen – synonym verwendet, wie auch die Bezeichnungen England/Großbritannien analog zum zeitgenössischen Gebrauch so benutzt wurden. Die Protagonistin wird, wo immer sinnvoll, mit ihrem Nachnamen angesprochen, um den verniedlichend-despektierlichen Vornamengebrauch bei Frauen zu vermeiden. Nur aus stilistischen Gründen verwendet der Text die männliche Form für beide Geschlechter.

Florence Nightingale

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