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England im 19. Jahrhundert

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Im 19. Jahrhundert stieg das viktorianische England zu einer politischen, militärischen und ökonomischen Weltmacht auf. Sein Kolonialreich erstreckte sich von Australien bis in die Karibik. Die Industrialisierung veränderte für viele Menschen in rasanter Geschwindigkeit Leben und Arbeiten, Denken, Fühlen und Glauben von Grund auf. Textil- und Schwerindustrie, Kohlebergwerke und Schiffswerften, Eisenbahnen und Kanäle drückten nicht nur der Landschaft ihren Stempel auf. Die Bevölkerung stieg stark an, und immer mehr Menschen zog es vom Land in die Städte, in die industriellen Zentren. Lange Arbeitstage, gefährliche Arbeitsbedingungen, Frauen- und Kinderarbeit bei schlechtem Lohn waren vielerorts die Regel. In den Städten galt es, oft unter erbärmlichen Umständen, ums tägliche Überleben zu kämpfen. In überbelegten und ungesunden Mietskasernen, auf Straßen, die von Schmutz aller Art und Fäkalien überquollen, meist ohne zureichende Trinkwasserversorgung und Kanalisationssysteme und zudem schlecht ernährt, fristeten viele ein freudloses Dasein. Zahlreiche Arbeitslose, Invalide und Kinder lebten auf der Straße oder waren in Arbeitshäusern untergebracht. Die Sterblichkeitsziffern, insbesondere die der Säuglinge und Kleinkinder, wiesen bedrohlich nach oben. Die städtischen Armen litten besonders unter den gesundheitlichen Problemen und waren oft so geschwächt, dass Epidemien, im 19. Jahrhundert vor allem die Cholera, leichtes Spiel hatten. Bildung war ein Privileg für wenige. In der patriarchalisch geprägten Gesellschaft hatten es Frauen noch schwerer als Männer: Harte Arbeit, weniger Lohn, zusätzliche familiäre Verpflichtungen und die Bürde der Schwangerschaften lasteten auf ihnen.

Es gab also reichlich Reformbedarf im England des 19. Jahrhunderts. Diesem Anliegen nahm sich vor allem ein Teil der Mittelschichten an, und er tat dies unter dem Banner einer philosophischen Idee, des Utilitarismus. Dahinter stand die Vorstellung, dass „der größtmögliche Nutzen für die größtmögliche Zahl“ anzustreben sei, wobei sich der Staat möglichst wenig einmischen sollte. Ob nun Innen-, Außen- oder Handelspolitik, ob Erziehungswesen oder Wahlrecht, Todesstrafe oder Sklaverei: All diese Debatten wurden geführt unter der Doktrin der Nützlichkeit. Dabei wurde die ursprüngliche Variante dieses Denkens, wie sie Jeremy Bentham formuliert hatte, durch John Stuart Mill an die Realität angepasst. Gegenüber der absoluten Zurückhaltung des Staates im Dienste einer freien Entfaltung des Individuums wurden nun Eingriffe zur Lösung drängender Probleme nicht mehr ausgeschlossen, war es doch offensichtlich, dass das, was dem Einzelnen nützte, nicht zwangsläufig auch zum Nutzen aller sein musste.

Die Industrialisierung hatte in einigen Segmenten der Gesellschaft immense Reichtümer geschaffen. Mit den sehr heterogenen Mittelklassen entstand eine neue gesellschaftliche Schicht, die sich Schritt für Schritt mehr Macht und Einfluss eroberte. In unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Schwerpunkten erkannten beide große Parteien, die konservativen Tories und die liberalen Whigs, die Notwendigkeit sozialer Reformen an. Keine von beiden stellte allerdings das herrschende Klassensystem infrage, die Ordnung der Gesellschaft. Dahinter stand die Überzeugung, Gott habe jeden an seine Stelle gesetzt, und ein rechtschaffener Mensch, egal ob reich oder arm, akzeptierte dies und tat seine Pflicht. Religion spielte im viktorianischen England eine wichtige Rolle, auch wenn sich die Industriearbeiter immer stärker von den etablierten Kirchen entfernten.

Florence Nightingale

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