Читать книгу Sinfonie der Herzen - Heidi Dahlsen - Страница 5

1

Оглавление

Christine zuckt zusammen, als die Tür zu ihrer Schneiderwerkstatt heftig aufgerissen wird.

„Mensch, Olli, du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt. Ich befürchtete schon einen Überfall“, sagt sie etwas verärgert.

„Verzeih mir, mein Schatz.“ Er umarmt sie herzlich. „Ich habe es ziemlich eilig. Wollte dir nur Bescheid geben, dass ich eben die Nachricht bekam, dass unser Anwalt seine Kanzlei schließen musste. Frag nicht nach dem Grund, den weiß ich nämlich selbst noch nicht. Er hat mich an einen Kollegen verwiesen.“

„Hol doch erst mal Luft“, fordert Christine ihn auf.

Er winkt ab. „Ja, ja. Es ist sehr wichtig. Je länger wir mit dem rechtlichen Mist nicht fertig werden, umso weiter schiebt sich unser Hochzeitstermin raus.“

„Ich weiß. Das ist nicht zu ändern. Es ist vielleicht besser, nichts zu überstürzen.“ Sie grinst, fasst sich an den Hals und umklammert die Kette, an der zwei Eheringe hängen. „Hiermit hast du mich bereits als deine Frau gebrandmarkt. Unsere Eheschließung ist doch nur noch ein formaler Akt. Wir sind eine Familie, egal ob mit Trauschein oder ohne.“

„Mir ist es aber wichtig, sehr sogar, also pass auf, weswegen ich komme, ich habe den neuen Anwalt bereits angerufen und der will sich mit uns und den Kindern persönlich unterhalten, sich einen ersten Überblick zu unseren Familienverhältnissen verschaffen.“

„Das kann ich mir gut vorstellen.“ Christine lächelt verschmitzt. „Für Außenstehende ist es nicht einfach, unser verwandtschaftliches Chaos zu durchschauen.“

„Würdest du bitte alle zusammentrommeln, denn er will heute gegen 17 Uhr zu uns kommen.“

„Was? Wie soll ich das bewerkstelligen, ich kann nicht hexen. Du weißt doch, dass Daniel beim Fußball ist, Richard in der Kirche zum Klavierunterricht. Bertram … oh je, den sollte ich vorher baden, sonst ist der Anwalt schneller wieder weg, als uns lieb ist. Wir sind doch auf dessen Unterstützung angewiesen.“

„Du machst das schon“, antwortet Olli und ist fast wieder zur Tür hinaus. Er dreht sich noch einmal um, wirft ihr eine Kusshand zu. „Ich sammle die Jungs ein und putze sie raus, dass du sie kaum erkennen wirst. Rufe bitte Tilly an, damit sie pünktlich ist. Baby Becky können wir bei Oma Hedi lassen, denn sie kann ihren Wunsch noch nicht äußern.“

Als die Tür geräuschvoll ins Schloss fällt, atmet Christine tief durch. Mit einem Blick auf die Uhr stellt sie fest, dass ihr nur noch zwei Stunden bleiben. Sie legt die Stoffe zusammen, schaltet die Nähmaschine aus und macht sich auf den Weg zu ihrer Mutter.

Sie findet sie in der Küche des angrenzenden Reiterhofes.

„Mhmm, lecker. Wie das hier wieder duftet. Gut, dass du Kuchen gebacken hast. Darf ich ein großes Stück mitnehmen? Wir bekommen nämlich nachher hochrangigen Besuch.“ Sie berichtet ausführlich, was sie von Olli erfahren hat.

„Oh je, der arme Anwalt. Ehe ihr ihm erklärt habt, wer von euch zu wem gehört, ist es Nacht.“

Christine winkt ab. „Ganz so schlimm wird es nicht, ich habe alles akribisch aufgeschrieben und einen Lebensbaum erstellt. Auch bereits alle Dokumente von den Geburtsurkunden bis zum aktuellsten Schriftverkehr kopiert, alles liegt bereit.“ Sie schaut sich um. „Wo ist Becky?“

„Onkel Heinrich hat sie mitgenommen. Er macht seinen Kontrollgang rund ums Gelände. Schaut nach, ob die Zäune dicht und die Pferde munter sind. So ist auch sie an der frischen Luft.“

„Können wir sie hier lassen, bis das Gespräch beendet ist?“

„Na klar, ich mache sie dann gleich bettfein, notfalls übernachtet sie bei uns. Sie ist so ein kleiner lieber Engel, der morgens länger schläft als wir.“

„Das ist ja keine große Kunst. Ihr beide fallt doch mit den Hühnern aus dem Bett. Ich hoffe sehr, dass das nicht nötig sein wird. Ihr kümmert euch schon genug um sie. Ab und zu wollen wir sie auch mal bei uns haben. Nun muss ich noch Bertram aufgabeln. Weißt du, wo er steckt?“

„Wo schon? Im Stall.“

Christine seufzt. „Nur gut, dass wir hier viel Platz haben, nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Kinder.“

Als sie in die Nähe der Ställe kommt, ruft sie laut: „Bertram, wo bist du?“

„Hier bei meinem Hundi“, kommt die spontane Antwort.

Als er sie sieht, hopst er von dem Heuballen runter und läuft auf sie zu. „Mama Christine, weißt du, was mein Hundi schon kann?“

„Nein, aber das darfst du mir noch schnell zeigen. Wir bekommen nachher wichtigen Besuch. Da musst du dabei sein und wenn wir es noch schaffen, müssen wir dich vorher unbedingt baden und schick anziehen.“

„Kommt ein König?“ Ihm bleibt vor Staunen der Mund offen stehen.

„Nein, ein Anwalt, der mit uns reden möchte wegen der Hochzeit. Wenn man es jedoch genau betrachtet, ist der Anwalt so etwas wie ein König für uns.“

„Juhu, ein König kommt uns besuchen.“ Seine Augen leuchten auf, und er klatscht in die Hände.

„Jetzt zeig mir geschwind, was dein Hundi gelernt hat.“

Mit großen Schritten stapft der Kleine in den Stall und ruft: „Hundi, komm her.“

Sogleich erhebt sich die Mischlingshündin. Schwanzwedelnd läuft sie zu Bertram und schaut ihn erwartungsvoll an.

„Sitz!“, sagt er, worauf sie sich vor ihn setzt. „Gib Pfötchen!“ Auch diesen Befehl führt sie prompt aus. „Hundi, hopp ins Heu!“ Beide laufen los und springen gleichzeitig in den Haufen, sodass es in alle Richtungen staubt.

Bertram lacht und drückt die Hündin fest an sich. Dann schaut er überglücklich zu Christine.

„Klasse“, sagt sie. „Ihr seid ein tolles Team. Aber nun los. Sonst riechst du unangenehm, wenn alle Oma Hedis leckeren Kuchen essen wollen.“

Er fasst nach ihrer Hand, hopst neben ihr her in Richtung Haus und singt: „Ein König kommt, ein König kommt, er kommt uns gleich besuchen.“

Pünktlich 17 Uhr sitzen Olli, Christine und die Kinder aufgeregt im Wohnzimmer.

Als ein Auto vorfährt laufen sie zum Fenster. Bertram ist enttäuscht. „Das ist kein König. Och, schade“, sagt er und geht wieder zu seinem Platz.

Olli schüttelt den Kopf. „Nein, das ist eher ein Prinz, so jung wie der ausschaut. Vielleicht hat unser neuer Anwalt nur seinen Praktikanten geschickt.“

„Nun warte doch erst mal ab“, beschwichtigt ihn Christine.

Olli öffnet die Tür, um ihn willkommen zu heißen.

Bertram lugt hinter seinem Papa vor und fragt: „Bist du ein König oder ein Prinz oder nur der Praktikant?“

Erstaunt zieht der junge Mann die Brauen nach oben.

„Kommen Sie erst mal rein“, sagt Olli. „Und gehen Sie gleich durch ins Wohnzimmer. Sie werden sehnsüchtig erwartet.“

„Sie trinken doch sicher einen Kaffee mit uns?“, fragt Christine, um ihre Aufregung zu überspielen.

„Gern“, antwortet er und zieht geräuschvoll Luft durch die Nase.

Bertram reißt entsetzt seine Augen auf: „Ich müffel nicht, Mama Christine hat mich gebadet.“ Er ist den Tränen nahe.

„Nein, nein“, erwidert der Anwalt. „Ich genieße den Duft eurer Kaffeetafel. So leckeres Gebäck konnte ich schon lange nicht mehr schlemmen.“

„Dann greifen Sie zu“, fordert Olli ihn auf und verteilt die Pflaumentarte.

Der schweifende Blick des jungen Mannes verrät auch Christine, dass er sich einen ersten Überblick über die Familie verschafft. Alle sind aufgeregt, benehmen sich aber vorbildlich.

Als er bemerkt, dass er beobachtet wird, lächelt er freundlich. „Keine Angst, ich beiße nicht. Sie sind einer meiner ersten Fälle … und gleich so ein umfangreicher Auftrag.“

„Mit uns hast du zu tun wie in der Ernte“, sagt Daniel. Als alle lachen, ergänzt er: „Was??? Das sagt Onkel Heinrich doch auch immer.“

Christine winkt ab und versucht den Anwalt zu beruhigen. „Keine Angst, ich habe alles übersichtlich aufgeschrieben und alle Dokumente bereitgelegt.“

Er kramt in seinem Aktenkoffer und holt einen Block und den Terminkalender heraus. „Das ist gut. Wir werden alles in Ruhe der Reihe nach erledigen, Herr Wagner.“

„Sagen Sie doch einfach Olli zu mir, wenn es die Amtshandlungen erlauben.“

„Ja und ich bin Christine, noch Schumann und das sind unsere Kinder, also nicht unsere, nur meine und Ollis … ja, womit wir schon beim Chaos wären.“

„Hallo, ich bin Tilly Schumann, das älteste Kind und die Zwerge sind …“, sie zeigt auf die Jungen und fordert sie mit einer Handbewegung auf, sich selbst vorzustellen.

„Richard Wagner“, flüstert Richard.

„Bertram Wagner“, ruft der Kleine aus und ergänzt: „aber ich will wie Tilly, Mama Christine heißen … und wie Daniel.“

„Das geht doch nicht“, sagt Richard.

„Klar, geht das, wir sollen doch sagen, was wir wollen und ich will das so.“

„Du Dödel“, ruft Daniel, „wir wollen doch alle Wagner heißen nach der Hochzeit.“

Bertrams Gesicht zieht sich zusammen. „Dann eben nicht.“ Er kreuzt seine Arme vor der Brust. „Ich habe extra gebadet, damit ich nicht müffle und mich fein angezogen, damit ich wie Mama Christine heißen kann.“

„Bertram“, sagt Christine, „warte ab, alles wird gut.“

Der älteste der Jungen stellt sich nun vor. „Ich heiße Daniel Schumann und möchte von Oliver Wagner adoptiert werden und dann Daniel Wagner heißen.“ Höflich streckt er seine Hand aus.

„Wow, seid ihr alle gut erzogen.“ Der Anwalt ist sichtlich beeindruckt. „Wie wäre es wenn wir Namenskärtchen verteilen, die ihr euch anheftet, dann habe ich schneller einen Überblick.“

„Tilly, hol doch bitte Klebezettel. Das machen wir umgehend“, sagt Olli.

Der Anwalt legt ein Kärtchen auf den Tisch. „Ich stelle mich dann auch mal noch kurz förmlich vor. Hier ist meine Visitenkarte.“

„Kolja Michael König-Sandro … no … witzsch, Anwalt, Familienrecht“, liest Daniel stotternd vor. „Oh, das bekomme ich nicht hin, obwohl ich gut im Lesen bin.“

Der Anwalt lacht. „Nennt mich einfach Kolja, das würde mich freuen.“

„Und wo steht da genau, dass er wirklich ein König ist?“, fragt Bertram dazwischen und reißt Daniel das Kärtchen aus der Hand. Er kann gar nicht glauben, was er gehört hat. Wieder lachen alle. „Was??? Mama Christine hat gesagt, dass der Anwalt unser König ist und Daniel hat es vorgelesen. Stimmt´s, Mama Christine?“

„Ja, so ungefähr“, sagt sie. „Ein Anwalt hat die Macht, uns zu unserem Recht zu verhelfen. Und König ist nur sein Name. Welch ein Zufall, das wussten wir nicht.“

Kolja nickt. „Von meiner Mutter habe ich den Königstitel. Mein Vater ist Russe. Sie konnten sich bei meiner Namensgebung nicht einigen.“

Bertram runzelt seine Stirn. „Aber … wenn dein Papa der König ist … dann bist du doch nur ein Prinz.“

Bevor wieder alle losprusten vor Lachen, klärt Olli ihn auf. „Sein Nachname ist König, so wie deiner Wagner ist. Verstehst du das jetzt?“

Bertram denkt angestrengt nach. „Ja, aber ich will Schumann heißen, wie Mama Christine.“

Olli seufzt. „Darüber reden wir noch, versprochen.“

Kolja winkt ab. „Ich merke schon, es wird nicht leicht mit euch. Ach Olli, bevor ich es vergesse, ich muss dir diesen Brief geben. Der lag in den Unterlagen, die mir euer bisheriger Anwalt übergeben hat.“

Olli nimmt das Schriftstück entgegen, schaut auf den Absender und fragend zu Kolja.

„Wow, kann ich die tolle Briefmarke haben?“ Daniel streckt Olli seine offene Hand erwartungsvoll entgegen.

„Wow, du bekommst aus den USA Post?“ Christine macht einen langen Hals, um den Absender genau erkennen zu können.

Olli setzt sich neben Christine und öffnet den Umschlag. Er liest den Inhalt, seine Gesichtsfarbe wechselt von rot zu blass. Immer wieder schüttelt er seinen Kopf. „Das darf doch nicht wahr sein?!“, ruft er aus und springt auf. Mit dem Brief in der Hand, läuft er zur Tür. „Ich muss raus hier“, sagt er und ist schon verschwunden.

„Was war das denn?“ Christine schaut Kolja erwartungsvoll an.

„Tut mir leid, darüber darf ich keine Auskunft geben.“

„Olli bringt mich mit seiner Geheimniskrämerei noch um den Verstand.“

„Auch, wenn er jetzt nicht anwesend ist“, sagt Kolja, „reden wir über die Adoptionen. Christine, gib mir bitte alle Unterlagen. Wenn die Jungs wollen, können sie vorerst spielen gehen. Ihre Wünsche haben sie bereits deutlichgemacht.“

Das lassen sich die Drei nicht zweimal sagen. Mit Indianergeheul verlassen sie das Wohnzimmer und stürmen nach oben in ihre Zimmer.

„Mama, soll ich Becky bei Oma abholen?“, fragt Tilly.

Christine nickt ihr zu. „Ja, das wäre lieb von dir.“

Danach wendet sie sich Kolja zu und erwartet seine Fragen.

„Hier ist ein Stammbaum“, erklärt sie ihm. „Ich bin Christine geb. Schumann, ledig, meine Kinder sind Tilly, 16 Jahre alt und Daniel ist sieben. Ich möchte Olli heiraten und er meine Kinder adoptieren. Die leiblichen Väter haben nichts dagegen. Einverständniserklärungen sind hier beigefügt.“

„Super übersichtlich, danke.“

„Ich habe zu danken“, erwidert Christine. „Und hier ist Ollis amtliches Zeug. Er ist geschieden von Sybille von Schönbeck, die die Mutter von Richard und Bertram und auch dem Baby Rebekka ist. Die beiden Jungs stammen aus der Ehe mit Olli. Er hat das alleinige Sorgerecht. Sybille hat der Adoption durch mich bereits zugestimmt. Ach ja, das Baby Rebekka … das hat uns Sybille in die Wiege gelegt. Sie fühlt sich nicht zur Mutter berufen, möchte eher ein ungebundenes Leben. Der Erzeuger ist ein Herr Max Schöne, der ebenfalls der Erzeuger meiner Tochter Tilly ist, eine lange unschöne Geschichte, die hier nicht zur Diskussion steht. Jedenfalls ist Rebekka noch während der Ehe von Sybille und Olli geboren, sodass er rechtlich ihr Vater ist. Herr Schöne lehnt jegliche Verantwortung, wie auch bereits für Tilly ab, sodass Olli sich als Vater hat eintragen lassen. Und ich adoptiere sie dann auch. Bitte sortiere dieses Kuddelmuddel und prüfe, ob das so rechtlich möglich ist. Für uns ist das okay. Wir haben lange und gründlich darüber nachgedacht. Unser Entschluss steht fest, wir möchten rechtmäßig Mama und Papa aller Kinder werden und alle Wagner heißen. Es soll zum Besten der Kinder sein.“

„Hmmm …“

„Lass dir ruhig Zeit.“ Vom Obergeschoss ist lautes Poltern und Kindergeschrei zu hören. Christine steht auf. „Ich schaue mal nach, ob ich noch was retten kann.“

„Nichts kaputt, Mama“, schreit Daniel die Treppe runter.

Tilly kommt gerade zur Haustür herein und lacht. „Warte, Mama, ich geh schon und beschäftige sie. Jungs, ich komme. Ich glaube auf euren Wunschzetteln für den Weihnachtsmann ist noch etwas Platz.“

„Juhu, Geschenke …“, hört Christine Bertram jubeln und ist sich sicher, dass nun für längere Zeit Ruhe einkehren wird.

Als sie zurück ins Wohnzimmer kommt hört sie ein weiteres: „Hmmm …“

„Oh, so schlimm?“

„Nein. Alles gut vorerst“, versucht er sie zu beruhigen. „Es gibt nur ein kleines Problem mit dem Familiennachnamen. Ob Wagner möglich ist, muss ich erst prüfen.“

„Warum das denn?“, fragt Christine leicht verärgert.

„Ich will dich nicht verunsichern, aber das hängt mit meiner Schweigepflicht zusammen. Olli wird das dann entscheiden müssen. Lass ihm etwas Zeit.“

Christines Gesichtsausdruck wechselt nun von irritiert zu besorgt. „Muss ich mir Sorgen machen?“

„Nein, warte einfach ab.“ Er blättert in den Unterlagen. „Ich schaue gleich mal weiter alles durch, ob mir etwas Rätsel aufgibt. Dann kann ich sofort nachfragen und muss später nicht erst anrufen oder einen neuen Termin machen.“

„Ja, das ist gut so. Dann lasse ich dich jetzt allein. Ich muss in meiner Schneiderwerkstatt noch einiges erledigen. Bin bald wieder zurück.“

Nach einer Stunde verabschiedet sich Kolja mit den Worten: „Christine, mach dir nicht so viele Gedanken über Olli. Ich muss mich an meine Schweigepflicht halten, möchte dich jedoch etwas beruhigen. Es ist keine schlimme Nachricht, die Olli bekam. Eigentlich eine gute. Aber das muss er dir selbst berichten. Mach´s gut, ich melde mich, wenn die Anträge unterschriftsbereit sind.“

„Ich danke dir. Bis bald.“

Auch heute ist es ein Kommen und Gehen. Kaum ist Koljas Wagen auf die Hauptstraße abgebogen, sieht Christine Lydias Auto heranfahren. Auch Alex ist dabei. Sie winkt ihnen zu.

„Wer war das?“, fragt Lydia. „Du schaust unglücklich aus. Hast du schlechte Nachrichten bekommen?“

„Kommt erst mal rein. Ihr könnt gleich mit uns zu Abend essen. Ab in die Küche.“ Christine ruft nach oben. „Jungs, Lydia und Alex sind da. Wir werden gemeinsam essen.“ Sie lauscht. „Ich werde mir ein Megafon anschaffen müssen. Die hören wieder mal nichts.“

„Lass nur.“ Alex stürmt die Treppe hoch. „Ich mache das schon. Ihr könnt euch in Ruhe unterhalten. Außerdem kann ich so ganz nebenbei die Zähnchen meiner jungen Patienten kontrollieren. Das wird sie sicher freuen.“

Christine schüttelt amüsiert den Kopf.

„Na, die werden begeistert sein“, ruft Lydia ihm hinterher.

„Ist doch toll, wenn man einen Zahnarzt im Freundeskreis hat“, meint Christine. „Ich muss die Kinder nicht mehr ermahnen ihre Zähne zu putzen. Bei uns heißt es nur noch: `Alex lässt grüßen.´“

„Hihihi, das werde ich ihm mal stecken, dass er hier der Gebiss-Buhmann ist.“

Der Jubel der Jungs ist groß, als sie Alex sehen.

„Spielst du mit uns Räuber?“, fragt Bertram.

„Klar, wenn ich der Hauptmann sein darf. Wo ist meine Augenklappe?“

„So viel zum Buhmann. Sie lieben ihn. Er wird sicher mal ein toller Papa.“

„Später vielleicht“, antwortet Lydia. „Wir sind uns einig, dass wir erst mal unsere Zweisamkeit genießen. Und wenn uns jetzt schon der Sinn nach Kindern steht, dann sind wir bei euch hier sicher jeder Zeit willkommen und können uns vorerst mit euren Rangen austoben.“

„Gerne, das wissen wir zu schätzen. Nun sag aber, weshalb ihr kommt. Dass es Neuigkeiten gibt und deshalb der Anwalt da war, konntet ihr ja nicht wissen.“

„Das war euer Anwalt? Ist der in einen Jungbrunnen gefallen? Oder hat der Chef nur den Lehrling geschickt?“

„Nein, der alte Jurist musste seine Kanzlei schließen und hat unseren Fall an seinen Nachfolger übertragen.“

„Hach! Na da kann er gleich beweisen, ob er während des Studiums gut aufgepasst hat und klar kommt mit dem Sortieren eures familiären Durcheinanders.“

„Er macht das schon.“

„Christine“, beginnt Lydia, „ich bin gekommen, weil ich mal wieder mit dir reden muss. Aber erst mal zu euren Sorgen. Welche schlimmen Nachrichten hat der Anwalt euch überbracht? Könnt ihr nun doch nicht heiraten und die Kinder adoptieren? Ach, das würde mir leid tun.“

Christine schüttelt den Kopf. „Nein, die Anträge laufen. Kolja ist zuversichtlich, dass alles problemlos über die Bühne gehen wird … außer …“

„Kolja? Wer ist Kolja?“

„Der Anwalt, er hat uns das DU angeboten. Er ist sehr nett und hat sich über die Kinder amüsiert. Bertram hielt ihn für einen König. Die Geschichte erzähle ich dir später, sag erst mal, was du auf dem Herzen hast.“

„Es geht um Jutta, aber das hat Zeit. Wichtiger ist mir … also ich weiß noch nicht, weshalb du so sorgenvoll dreinschaust.“

„Hallo Lydia.“ Tilly kommt mit dem Baby auf dem Arm herein und freut sich sehr, ihre Patentante zu sehen. Rebekka streckt ihre Ärmchen nach Christine aus, sodass Tilly sie übergibt. „Mama, hast du schon was von Olli gehört?“

„Nein. Ich reiße ihm den Kopf ab, wenn er nach Hause kommt. Uns einfach so im Ungewissen zu lassen.“

„Olli?“, fragt Lydia. „Ich weiß wo er ist. Nun sagt doch endlich, was los ist.“

„Wo ist er???“, platzen Tilly und Christine zeitgleich heraus.

„Im Büro. Als ich gehen wollte, kam er angehastet. Total durchgeschwitzt. Ich dachte, er war joggen. Er hat mir einen schönen Feierabend gewünscht. Mehr weiß ich nicht.“

„Oh Mann, hätte er wenigstens den Brief hiergelassen …“, sagt Tilly.

Christine schüttelt den Kopf. „Der ist privat, den würde ich ohne seine Erlaubnis nicht lesen. Obwohl es mich in den Fingern juckt.“

„Welchen Brief? Von Sybille?“

„Nein, von der hören wir nur über ihren Anwalt. Außer … sie wäre jetzt in Amerika“, sagt Christine. „Der Brief kam aus den USA. Also ich wüsste nicht, wer Olli über unseren Rechtsbeistand kontaktiert und ihn dermaßen aus der Fassung bringt.“

Lydia zuckt mit den Schultern. „Warte einfach ab. Es wird sich alles aufklären. Kennst ja Olli … immer alles mit sich allein ausmachen und erst wenn er eine Lösung hat, dann überfällt er uns. Das war doch schon immer so.“

Da Rebekka unruhig wird, bietet Tilly an, sie ins Bett zu bringen. „Oma hat sie bereits fertig gemacht. Ich lege sie hin und mache danach Abendessen. Lydia, esst ihr mit uns?“

„Ja, das wäre toll. Alex ist bei den Jungs und wird dir sicher helfen.“

Tilly nimmt ihrer Mama das Baby ab. „Komm, Schwesterchen. Da will ich dich mal ins Land der Träume befördern.“

Lydia schaut verträumt hinter den beiden her. „Hach … ist die Kleine süß. Es ist toll von euch, dass ihr sie aufgenommen habt.“

„Du sagst es, sie ist süß. Aber sicher auch, weil sie hier sehr viel Liebe bekommt. Irgendjemand ist immer bei ihr. Das macht sicher auch viel aus. Und außerdem ist sie Tillys Halbschwester und auch die von Bertram und Richard. Tilly musste mich nicht lange überzeugen, auch ihre Mama zu werden. Und bei Olli genügte ein Blick und schon war es um ihn geschehen. Du weißt ja, wie er zu Kindern steht. Wenn es nach ihm ginge, könnten hier noch mehr für Stimmung sorgen. Aber nun erzähle doch mal, was mit Jutta ist. Hat sie Probleme mit ihrer Tochter? Ihr sagtet doch, Jenny hätte sich so sehr zum Positiven verändert. Und mit ihrem Baby hat Jutta sicher nicht viel zu tun, da ihre Schwiegermutter in ihrer Oma-Rolle mehr als aufgeht und ihr die Betreuung sowie alle Arbeiten abnimmt.“

„Ich weiß auch nicht“, meint Lydia. „Ich habe ja keine Erfahrung mit dem Muttersein, aber mein Gefühl sagt mir, dass Jutta nicht glücklich ist. Sie arbeitet seit kurz nach der Geburt von Natalie bereits wieder in der Agentur, kommt früh beizeiten und hat es abends nicht eilig, nach Hause zu gehen. Frage ich sie nach Jenny oder dem Baby, antwortet sie nur kurz: `Ja, alles okay.´ oder `Weiß ich nicht, muss ich Schwiegermutter mal fragen.´ Sie stürzt sich in die Arbeit, als müsste sie alles allein erledigen. Sie ist früh als Erste da und bleibt bis es dunkel wird. Das ist doch ungesund und nicht normal. `Lass nur, Lydia, das kann ich doch machen´, sagt sie ständig. Dabei können wir froh sein, dass Olli und Markus unsere Chefs sind und unsere Freundschaft einen größeren Spielraum lässt, auch was persönliche Dinge angeht. Ich habe beiden schon erklärt, dass ich keine Arbeit an Jutta abschiebe, sondern sie mir diese regelrecht aus den Händen reißt und dass mir ihr Verhalten ein Rätsel aufgibt. Olli wollte ihr ins Gewissen reden, und Markus hat traurig abgewunken. Er sagte, dass auch er nicht an sie rankommt, sie Gespräche abblockt und er das Gefühl hat, dass sie sich zu Hause nicht wohlfühlt. Er befürchtet, dass ihre Beziehung der Belastungsprobe vielleicht nicht stand halten wird und das, obwohl Jutta sich ja nichts sehnlicher gewünscht hatte, als endlich eine liebevolle Familie zu haben. Hast du einen Rat?“

„Hmmm“, macht Christine. „Juttas Schwiegermutter ist fast täglich mit Natalie bei meiner Mutti. Die beiden hüten die Babys um die Wette. Ich habe den Eindruck, dass das allen gut tut. Wir können nur Vermutungen anstellen, wo Juttas Problem liegt.“

„Kannst du nicht mit den beiden darüber reden. Deine Mutti hat doch immer einen guten Rat, und wir warten noch ab, wie Juttas Schwiegermutter die Sache einschätzt. Mit Vermutungen spekuliere ich nicht mehr. Dabei kann man so danebenliegen, so entstehen bloß Gerüchte. Irgendjemand Außenstehendes sollte Jutta mal auf den Zahn fühlen.“

„Alex?“, fragt Christine, die denkt, dass das eine Anspielung auf ihn ist.

„Siehst du, wie schnell man falsch liegt? Ich meinte das umgangssprachlich, also keinen Zahnarzt. Ein Allgemeinmediziner oder Psychologe wäre da geeigneter.“

„Essen ist fertig.“ Die Jungen kommen angerannt und umarmen Lydia nacheinander.

Mit dem Öffnen der Tür kommt ein Duft aus der Küche geweht, der Lydia begeistert ausrufen lässt: „Oh mein Gott, riecht das lecker. Was habt ihr gezaubert?“

„Pizzzaaaaaa“, rufen alle drei begeistert aus und Daniel fügt hinzu: „Kommt schnell, sonst essen Tilly und Alex uns alles weg.“

Sinfonie der Herzen

Подняться наверх