Читать книгу Die Nymphomanin - Heidi Hollmann - Страница 3
Ach, du dickes Ei
ОглавлениеZur Zeit führte Irene zur österlichen Zeit, von wegen Winterspeck und so, eine Gewichtsreduktion durch.
Sie wusste genau, wie es sich anfühlt, vor allem abends mit hungrigem Bauch im Bett zu liegen. Dabei fiel ihr regelmäßig um diese Jahreszeit ihre arme blasse Tante Grete, „Gott hab sie selig,“ ein.
Die Dürre war damals im Hungerjahr 1945 weit davon entfernt, abnehmen zu wollen. Im Gegenteil, sie stürzte sich auf alles, was sie für essbar hielt. Sie verschmähte sogar geschmorte Kartoffelschalen nicht, klagte jedes mal hernach über einen scharfen Geschmack im Mund und ärgerte sich, das Mistzeug überhaupt gegessen zu haben.
Es war wieder einmal Ostersamstag und Irenes Oma und deren älteste Tochter, eben jene Tante Grete, hatten sich bemüht, für Irene und ihre Cousinen Eier zu ergattern. Falls sie tatsächlich welche „hamstern“ sollten, würden sie die ovalen Kostbarkeiten, wie alle Jahre vor dem unseligen Krieg, färben. Wie es sich zu Ostern, jedenfalls zu Friedenszeiten gehörte. Die Lage schien jedoch ziemlich aussichtslos.
„Morgen wird der Osterhase wahrscheinlich nicht kommen,“ wurde den Kindern vorsorglich mitgeteilt.
Aber oh Wunder! Am nächsten Morgen fanden sie voller nicht zu beschreibender Freude, drei dicke, schneeweiße Eier in ihren Bechern vor! Ihnen lief das Wasser im Mund zusammen. Es störte sie nicht im mindesten, dass sie ungefärbt waren. Voller Gier und unter Schnauben zerdepperten sie mit den Kaffeelöffeln in Windeseile die Spitzen, machten sich genussvoll schlürfend und schmatzend an den köstlichen Inhalt. Irene hörte die Tante in der Küche hantieren. Das Kind muss der Teufel geritten haben. Es drehte sein sorgsam ausgelöffeltes Ei um und stellte das total leergefressene Gebilde in den Becher zurück. Von allen Seiten hielt das Ei einer Überprüfung stand. Jawoll, es sah makellos, wie frisch gelegt aus.
„Tante Grete, komm doch mal bitte her!“ sagte das Kind arglistig wie es war.
„Ich möchte dir was zeigen!“ Die Tante kam, fragte ungehalten, weil sie sich nicht gern in der Hausarbeit unterbrechen ließ:
„Was ist es denn los?“ „Hier mein Ei, du kannst es haben.“
Irene verzog angeekelt den Mund. Die Tante stutzte.
„Ich mag es nicht mehr!“, vernahm sie ungläubig schüttelte den Kopf, wobei ihr Gesicht vor Freude fast die Röte ihres Haares annahm. Nach der Entdeckung der Missetat kehrte ihre ungesunde Blässe jedoch zurück. Sie sah ihre Nichte durchdringend mit ihren grünen Augen an, so lang, bis diese beschämt den Blick senkte. Kein Sterbenswörtchen kam über die Lippen der Gefoppten. Das traf die Frevlerin wie ein Keulenschlag. Vor allem, dass die Tante ihr lange Zeit danach kaum mehr Beachtung schenkte, ließ sie fast verzweifeln.
„Warum hat sie dir damals keine runter gehauen?“ quälte sie sich noch lange in all den vielen verflossenen Jahren. Eine saftige Ohrfeige hätte sie entlastet, die Sache wäre erledigt gewesen. Vor allem brauchte sie sich nach über einem halben Jahrhundert nicht mehr zwanghaft vor jedem Osterfest an ihre arme Tante, „Gott hab sie selig!“ und ihre eigene einzigartige Gemeinheit erinnern.