Читать книгу Die Nymphomanin - Heidi Hollmann - Страница 4
All(tag).
ОглавлениеSeit Egon nicht mehr erwerbstätig ist, hat sich nicht nur sein, sondern auch das Leben von Eleonore grundlegend verändert.
Bisher brauchte sie auf niemanden während der Verrichtung ihrer hausfraulichen Notwendigkeiten Rücksicht nehmen, konnte vor allem Krach machen, so viel sie wollte. Sei es, dass sie ihre unsachgemäß aufgeschichteten Töpfe samt den Deckeln mit atemberaubendem Getöse auf den gefliesten Küchenboden fallen ließ. Oder auch das Radio in voller Lautstärke aufdrehte. Sie braucht sich vor nichts und niemandem verantworten, bisher jedenfalls nicht. All zu oft bekommt sie von dem Pensionär gesagt, wenn er beim Zeitungslesen wieder einmal wie von der Tarantel gestochen hochfährt:
„Ich befinde mich im Ruhestand, denke bitte daran. Du trägst in kürzester Zeit noch dazu bei, dass ich einen zweiten Hörsturz kriege.“
Einzig und allein um den zu verhindern, hat Egon verfrüht das Erwerbsleben eingestellt. Sei’s drum. Er ist immer noch wendig und hat Abhilfe geschaffen, wenigstens, was die Töpfe angeht. Nein, nein, keine Sorge, er hat Eleonore nicht so weit in den Griff gekriegt, dass sie diese verfluchten Dinger, wie sich das seiner Meinung nach gehört, klassisch ineinander schachtelt. Weit gefehlt, er hat aber einen Ausweg gefunden und ihr einen Satz neuer Kochtöpfe gekauft. Solche mit Glasdeckeln. Ganz schön listig! Seine Frau kann es nicht mehr riskieren, sie zu Fall zu bringen. Sie stapelt weiter wie gehabt, hat aber den Lageplan genauestens im Kopf. Durch vorsichtiges Öffnen der Schranktür, wobei sie wie ein Panzerknacker ihr Ohr lauschend an die Schranktür presst, fällt ihr kein einziger Deckel mehr entgegen. Aber ihrem ordentlichen Mann, der seit kurzem, und wie konnte sie das ahnen, seine Vorliebe für’s Kochen entdeckt hat. Vor seiner Pensionierung war er Handballtorwart in der Altherrenmannschaft. „Gelernt ist gelernt,“ denkt sie bei sich und kann beruhigt davon ausgehen, dass er die Deckel mit Links sozusagen und im freien Fall, falls nötig, auffangen wird.
Für sie ist es eine große Umstellung, ihren Mann Restlebens im Haus zu haben. Zudem weiß sie gar nicht, wie sie all die Dinge in grauer Vorzeit ohne ihn geschafft hat.
Wieso war sie früher bloß ohne seine weisen Ratschläge in der Lage, z. B. Kartoffeln zu schälen? Er hat ihr erst neulich beigebracht, wie man sie vorschriftsmäßig von der Schale befreit. Die Schale muss, wie sie andächtig lauschend vernahm, auf jeden Fall hinterher transparent sein, damit die Vitamine, die ja bekanntlich unter ihr sitzen, diesem wertvollen Lebensmittel erhalten bleiben. Die Saucen sollten sämig sein, was immer er darunter versteht. Sie eignen sich durch ihre Dünnflüssigkeit vorzüglich zum Beplempern seiner Schlipse. Aber zum Glück trägt er seit seiner Pensionierung kaum mehr welche. Sein mittägliches Gläschen Wein schmeckt ihm auch schon nicht mehr, wenn sie es ihm nicht von links serviert. Er ist nämlich Linkshänder. Das hat er früher nie bemerkt. Wie gut, dass ihm jetzt zum Erkennen dermaßen wichtiger Dinge, die nötige Zeit zur Verfügung steht. Auch lehnt er neuerdings den Gebrauch eines Messers ab, wobei er seiner Frau beinahe leid tut. Wie muss er sich mühen, um die von der Gabel heruntergefallenen Nudeln wieder aufzuschaufeln. Dabei muss er ja müde werden. Sehr bald zieht er sich zu einem Schlümmerchen zurück, was ihm aber nur bekommt, wenn das Radio orgelt, so wie bei kleinen Kindern die Spieluhr.
Ach, es gibt so viele Dinge unter der Sonne, die sie bisher als Ehefrau nicht erkannt hat.
„Wie gut, dass unsere Männer uns wenigstens im Alter beistehen und uns, vor allem um unserer selbst Willen, auf unsere untüchtigen Finger schauen, wirklich zu unserem eigenen Nutzen und Frommen,“ denkt Eleonore dankbar. Auch sonst bekommt sie die wohlwollende, obgleich indirekte Unterstützung ihres Mannes zu spüren. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht irgendwo im Haus einen liebevollen handschriftlichen Hinweis von ihm zu Gesicht bekommt.
Wie zum Beispiel in der Waschküche. Über dem Kran hängt ein nicht zu übersehender Zettel mit der Aufschrift: Bitte jedes mal nach dem Waschen den Wasserhahn zudrehen. Dabei ist ihr Keller erst ein einziges Mal vollgelaufen, und das, ohne Eleonores Dazutun. Es blitzte und donnerte damals. Ein sintflutartiger Regen ließ die Gullys überlaufen. Es war ein richtiges Hexenwetter. Eleonore liebte solche Wetterlagen. Ihr war damals nach einem Schlückchen Wein zumute. Sie stieg in den Keller, stutzte. Der Korbpuppenwagen ihrer beider Tochter schaukelte in ihre Richtung. Dabei hatte sie noch kein einziges Schlückchen intus, als die Wasserflut sie vollends einkreiste.
„Man sollte Gefahrenquellen, wo immer es geht, ausschalten,“ wurde Eleonore ermahnt. Sie fand dann auch im Gästeclo, das sie seit Egons Pensionierung für sich ganz alleine hatte, weil keine Gäste seit Egons Pensionierung mehr kamen, einen wichtigen Hinweis vor. Bitte die leeren Rollen entsorgen. „Ob sie wohl leicht entflammbar sind,“ fragte sich die besorgte Eleonore. Dankbar erkannte sie, dass sie schon längst ertrunken oder auch verbrannt sein könnte, wenn sie nicht einen solchen Mann zu ihrer Unterstützung vom Himmel geschenkt bekommen hätte. Wie gut, dass er fürsorglich ein Auge auf sie und ihr äußerst gefahrenträchtiges Umfeld warf. Aufseufzend stellte sie gerührt fest:
„Ach, wie muss ich doch dankbar sein, einen solch guten Ehemann mein eigen zu nennen. Er ist der beste Ehemann von allen!“