Читать книгу Die Nymphomanin - Heidi Hollmann - Страница 5
Angst
ОглавлениеDie Trauergäste saßen an dem viereckigen Tisch, an dem unser verstorbener Vater noch einige Tage zuvor, sein karges Frühstück eingenommen hatte.
Zu beiden Seiten ausgezogen, bot er unserer Familie und den beiden Schwestern meines Vaters, die den Unfalltod ihres jüngsten Bruders nicht verwinden konnten, genügend Platz.
„Kommt heil aus dem Krieg und dann so was!“, stöhnte Tante Alma, die immer nach Möhren roch und ihre rundliche Schwester Emma fügte bedauernd hinzu: „Meine Güte, ich dachte, endlich haben wir wieder einen Beschützer im Haus! Wer weiß wann und ob unsere Männer jemals wiederkommen?“
Tante Emma faltete ihre fetten Hände über ihrem dicken Bauch zusammen.
„Woher ist sie nur so dick?“ fragte ich mich nicht zum ersten Mal. Wir hatten alle kurz nach Kriegsende denkbar wenig zu beißen.
„Emma ist so fett, weil sie mit Krawatten handelt, und die Dinger gegen Naturalien eintauscht,“ hatte ich Oma einmal sagen hören. Das musste wohl stimmen. Ich, als eine ihrer Nichten, profitierte auch davon. Ich besuchte sie häufig, möglichst zur Mittagszeit. Meistens erwischte ich sie beim Schneiden von fettem Speck und meine begehrlichen Blicke hat sie nicht übersehen können. Wohl oder übel gab sie mir von ihrem Reichtum etwas ab.
Emma, völlig in Schwarz, bekam einen verklärten Blick, schaute in die Runde.
„Sollen wir wieder mal „Tischerücken?“ fragte sie?
„Ich bin sicher, wir können mit Max kommunizieren!“ Unsere Trauergäste, durchweg weiblich, kreischten zustimmend auf. In mir kroch die Angst hoch. „Kommunizieren, was ist das?“ fragte ich mich und kletterte schutzsuchend auf Omas Schoss.
„Reicht euch bitte die Hände, und legt sie auf die Tischplatte,“ ordnete die Tante mit ihrer schrecklich schrillen Stimme an. Sie schloss ihre Augen.
„Max, hörst du mich?“ fragte sie. Ihre Stimme klang nun ganz anders. Sie hörte sich eher wie ein Knurren an. Ich habe sie noch niemals so tief reden hören.
Ich bekam eine Gänsehaut. Das war nicht mehr meine Tante Emma. Ich drückte mich fester in Omas Arme.
„Wenn du mich hörst, gib mir ein Zeichen!“ Emma neigte den Kopf, lauschte.
Einen Augenblick lang wackelte die Tischplatte.
Die Frauen schrieen hysterisch auf, nur meine stattliche Oma blieb gelassen.
„Geht es dir gut, da wo du bist?“ tönte es hohl aus Emmas sonst so schriller Kehle.
Wieder wackelte der Tisch. Mein Herz klopfte, ich kuschelte mich in panischer Angst in Omas Schoß, wollte nichts mehr hören und sehen, drückte mein Gesicht an ihren mächtigen Busen.
„Nun lass es mal gut sein,“ hörte ich Oma sagen. Schluss mit dem Hokuspokus
Emma! Du machst dem Kind ja Angst.“ Die anderen weiblichen Trauergäste protestierten.
„Sag mal,“ Oma beugte sich vor, „glaubst du, ich wäre so dumm, dir deine angeblichen Kontakte zum Jenseits abzukaufen?“ Emma fuhr in die Höhe.
„Was heißt hier Hokuspokus,“ schrie sie schrill mit ihrer altgewohnten Stimme. „Ich war schon etliche Male Medium.“
Das war wieder meine alte Tante Emma, wie sie leibte und lebte. Ich wurde ruhiger.
„Hat der Tisch sich vielleicht von selbst gehoben?“ schrie sie voller Empörung.
„Gut, dass ich euch vorher gebeten habe, eure Hände auf den Tisch zu legen.
Das ist der Beweis!“ Wieder überfiel mich eine Unruhe. Die Tante hatte recht.
Alle hatten ausnahmslos ihre Hände auf dem Tisch liegen, auch Oma. Von alleine konnte der Tisch sich ganz sicher nicht bewegen. Das verstand sogar ich mit meinen fünf Jährchen.
„Oma, die sollen gehen,“ verzweifelt flüsterte ich Oma meinen Hilfeschrei ins Ohr.
„Pass mal auf Kind,“ Oma ließ mich von ihrem Schoß rutschen.
Ich klammerte mich ängstlich an sie und sie setzte mich vor sich auf die Kante des Tisches.
Sie rückte mit ihrem Stuhl vom Tisch ab. „Guck mal auf meine Beine,“ forderte Oma mich auf. Sie hob den Saum ihres Trauerkleides.
Ich stierte auf ihre dünnen Oberschenkel. Sie saß da ganz lässig, hob ihre Hacken ein wenig an, wobei ihre Oberschenkel sich unter die Tischplatte schoben.
Wie von Geisterhand hob und senkte sich das Teil. „Was sagste nu, Kind?“ schmunzelte Oma Die schreckliche Angst löste sich in Luft auf.
„Noch mal Oma, noch mal,“ schrie ich begeistert.