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Das Ereignis

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Der Anfang 1974.

HP – sein eigentlicher Name lautet Hans-Peter – ist der jüngste Sohn der bäuerlichen Familie Graf.

HP ist zwar erst sechzehn Jahre alt, aber als Sohn eines Bauern muss er, besonders während der Erntezeit, nach der Schule und den Hausaufgaben auf den Feldern helfen.

Und es ist noch immer Erntezeit.

Somit fällt für alle in der Familie Arbeit an, bis die Ernte endlich von den Feldern ist.

Es ist ein sehr trockener Sommer in diesem Jahr, in der Gegend, in der sie leben, und die Ernte muss von den Feldern, bevor sie zu vertrocknen droht.

Jedes Mal, wenn HP aus der Schule zurück ist und seine Hausaufgaben gemacht hat, setzt er sich auf sein Fahrrad und fährt zu dem Feld, auf dem sein Vater mit der Ernte beschäftigt ist, um zu helfen.

Meistens löst er seinen Vater ab, der auf dem Traktor sitzt um das Saatgut, das gerade geerntet wird, zur Genossenschaft zu bringen.

Als Bauerssohn hat er das Vorrecht, schon mit sechzehn Trecker fahren zu dürfen. Das ist etwas, was er lieber macht als alle anderen Arbeiten auf dem Hof.

Sie müssen sich an dem Tag beeilen, denn es ist das letzte Feld, was sie abernten und es zieht ein Unwetter auf.

Den Regen, der da kommen soll, hätten sie über den Sommer verteilt gebraucht, aber jetzt, da sie die Ernte einholen müssen, kommt er recht ungelegen.

Sie haben es gerade noch geschafft, die letzte Fuhre mit der Ernte an der Genossenschaft abzuladen und machen sich auf den Weg nach Hause, als es anfängt zu regnen.

Es schüttet wie aus Eimern und man bekommt fast das Gefühl, dass die Welt untergehen will.

Endlich, denkt sich HP. Endlich haben wir die Felder abgeerntet.

Jetzt ist es ihm egal, ob es anfängt zu regnen oder nicht.

Nicht, dass es ihn selber stört, wenn es während der Ernte regnet. Nein, es stört ihn vielmehr, danach die Fahrzeuge wieder alle saubermachen zu müssen, die auf den Feldern vom Regen eingesaut wurden.

Denn das bedeutet, dass sie tagelang mit dem Hochdruckreiniger arbeiten müssen, um allen Dreck von den Fahrzeugen herunterzubekommen.

Wenn sie das alles an einem Tag schaffen könnten, wäre es kein Problem, da der Dreck noch nass ist.

Aber meistens brauchen sie mehrere Tage, weil ihr Vater es immer ganz gründlich haben will. Dadurch trocknet der Dreck, der an den Fahrzeugen klebt und verhält sich fast wie Beton, den sie nur mühselig wieder abbekommen.

Als sie auf dem Hof ankommen und die letzten Fahrzeuge in die Scheune fahren, ist endlich Feierabend.

Jetzt noch etwas sauberzumachen, lohnt sich nicht, ist die Meinung seines Vaters. Morgen wäre es ausreichend, damit anzufangen, und außerdem habe auch er keine Lust mehr, im Dunkeln und bei Regen noch irgendetwas zu machen, da auch er froh sei, dass die Erntezeit endlich ein Ende gefunden habe.

Der Tag war lang genug. Als sie am Hof ankommen, ist es schon fast dreiundzwanzig Uhr.

Nur gut, dass der nächste Morgen ein Samstag ist und HP nicht zur Schule muss.

Dazu wäre er wohl nicht in der Lage, und es würde bestimmt wieder in einem Desaster enden.

Er kennt das noch aus dem letzten Jahr.

Damals mussten sie wegen des Wetters das letzte Feld unter der Woche abernten, und sie kamen erst gegen Mitternacht wieder auf dem Hof an.

Der nächste Tag in der Schule war für HP daher nicht gut. Er schaffte es kaum, dem Unterricht zu folgen und schlief prompt im Klassenzimmer ein.

Dafür bekam er damals auch einen blauen Brief nach Hause, den er den Eltern vorlegen musste, damit diese ihn lesen und unterschreiben konnten.

Den musste er am nächsten Tag beim Schuldirektor vorlegen zum Beweis, dass die Eltern ihn gelesen hatten.

Danach gab es erst einmal richtig Theater in der Schule, und die Eltern wurden zum Direktor bestellt.

HPs Vater hatte darunter notiert, dass er das Schreiben zur Kenntnis genommen hätte, aber die Ernte nun einmal vorrangig sei.

Und dass es bei der nächsten Ernte, die schnell von den Feldern müsse wegen eines heranziehenden Unwetters, wieder so wäre.

Der Direktor der Schule fühlte sich damals nicht ernst genommen und von HPs Vater veralbert.

Aber da sowohl HPs Vater als auch der Schuldirektor zwei ausgesprochene Dickköpfe waren, gerieten die beiden dermaßen aneinander, dass HPs Mutter zu guter Letzt keine andere Möglichkeit mehr sah, als ihren Schwager anzurufen. Der war mit dem Schuldirektor sehr gut befreundet und konnte den Streit zwischen den beiden sturen Köpfen letztendlich schlichten.

HP fällt an dem Tag nur noch müde und vollkommen geschafft in sein Bett und will nicht einmal mehr etwas essen.

Er hat es gerade noch geschafft, sich zu waschen, um den Staub, der an ihm haftete, wieder loszuwerden.

Zudem wird es draußen immer ungemütlicher.

Aus dem anfänglichen Regen wird langsam ein richtiges Unwetter mit Sturm und Gewitter.

So müde HP auch ist, er kann einfach nicht einschlafen.

Der Sturm, der draußen tobt und das Gewitter dazu sind dermaßen heftig geworden, dass man selbst in der ruhigsten Ecke im Haus jeden einzelnen Regentropfen hören kann.

HP holt daher seine kleine Schachtel, die unter seinem Bett steht, hervor, schaltet das Licht an seinem Bett noch einmal ein und öffnet die Schachtel, wobei ein glückliches Lächeln über sein Gesicht huscht.

In dieser Schachtel sind drei Briefe, die er im letzten Monat von Juliette bekommen hat.

Juliette ist das Mädchen, das er in seinem Urlaub, als er ausnahmsweise im Sommer mit seinem Onkel verreisen durfte, kennengelernt hat.

Normalerweise musste er nämlich in den Ferien immer auf dem Hof mithelfen, nur in diesem Sommer nicht.

HP und Juliette haben sich während der Zeit, die sie mit anderen Jugendlichen auf einem Weingut an der Rhône verbrachten, um sich ein wenig Taschengeld zu verdienen, kennengelernt und ineinander verliebt.

Er nimmt alle drei Briefe aus der Box und öffnet einen nach dem anderen.

Zuerst liest er sich den Brief durch den sie ihm zuerst geschickt hat, danach den zweiten und dann den dritten.

Eigentlich kennt HP den Inhalt aller Briefe mittlerweile auswendig, dennoch liest er sie immer wieder gern und erinnert sich dabei an die Zeit zurück, die sie auf dem Weingut verbrachten.

Er spürt jedes Mal, wenn er die Briefe liest, wie schön sie sich anfühlte und wie schön es war, wenn sie ihn berührte.

Er kann ihren Duft wahrnehmen, den sie an sich hatte, da auch die Briefe den gleichen Duft verbreiten.

Sie wollen sich in diesem Jahr auf jeden Fall noch einmal treffen, nur wann, das haben sie noch nicht festgelegt.

HP wartet eigentlich auf eine Antwort von ihr. Eine Antwort auf seinen letzten Brief, in dem er einen Vorschlag für dieses Treffen gemacht hat.

In der Zeit, in der er die Briefe noch einmal liest, wird das Gewitter draußen immer heftiger. Bei dem Regen hört es sich fast so an, als ob auch Hagelkörner dabei sind, so laut trommeln die Regentropfen auf das Dach und sogar gegen die Fenster.

Nachdem HP im Bett noch ein wenig verträumt über das, was Juliette ihm in den Briefen geschrieben hat nachgedacht und sich gewünscht hat, dass sie jetzt bei ihm wäre, packt er die Briefe wieder sorgsam in die Box und schiebt diese zurück unter sein Bett.

Er macht das Licht aus und versucht zu schlafen, was ihm allerdings nicht gelingt.

Plötzlich hört er einen lauten Knall und erschrickt dermaßen, dass er beinahe senkrecht in seinem Bett steht. Er überlegt, was das wohl gewesen sein kann, kommt dann aber zu der Überzeugung, dass das Gewitter sich direkt über ihnen befindet und er deshalb das Donnern des Gewitters so laut wahrgenommen hat.

Er lässt sich zurück auf das Kopfkissen fallen, bemerkt aber schon kurz darauf, dass auf dem Flur, auf dem alle ihre Schlafzimmer haben, Unruhe herrscht.

Er steht auf und will nachsehen, was der Grund für diese Unruhe ist.

Als er seine Tür öffnet, kommt ihm sein älterer Bruder Klaus entgegen, der ihn aber wieder in sein Bett schickt.

Auf die Frage, warum er sich angezogen habe und nach draußen ginge meint der, dass er einmal nach dem Rechten sehen wolle, da es schließlich mittlerweile ein sehr heftiges Gewitter sei.

So richtig beruhigt hat HP die Antwort seines Bruders nicht, zumal er bemerkt, dass nun auch noch sein Vater die Treppe heruntergeht. Wahrscheinlich will auch er nach dem Rechten sehen.

HP begibt sich zu seinem Zimmerfenster und sieht noch einmal hinaus, aber er kann nichts Außergewöhnliches feststellen.

Bis er die Tiere laut rufen hört. Und das ist schon etwas ungewöhnlich.

HP schiebt das allerdings zuerst einmal auf das Gewitter und ist daher der Meinung, dass die Tiere Angst davor haben.

Dennoch beunruhigt ihn diese Tatsache, sodass auch er sich wieder anzieht.

Er geht nach unten und will nach den Tieren schauen, als ihm sein Bruder an der Haustür entgegeneilt und völlig außer Atem ruft, er solle sofort mitkommen.

Auf die Frage, was denn los sei, meint der, dass der Blitz in die Scheune eingeschlagen habe und es dort brenne.

Vater ist schon an der Scheune, die auch gleichzeitig der Stall für die Tiere ist. In dem Moment, als der das große Tor öffnet, kommt ihnen schon eine riesige Stichflamme entgegen.

Vater dreht sich um, schaut HP an und meint recht hektisch zu ihm, er solle sofort ins Haus zurückkehren und die Feuerwehr anrufen, damit die zum Löschen käme. Das Feuer, das im Stall wütet ist größer, als dass sie es selbst löschen könnten.

HP wird vorgeschickt, weil er durch seine Ausbildung bei der DLRG gelernt hat, wie man einen Notruf korrekt absetzt.

Er läuft ins Haus zurück und ruft die Feuerwehr an, meldet den Brand mit ruhiger, aber bestimmter Stimme, gibt die genaue Adresse an und erklärt den Feuerwehrleuten, was sie bereits selbst unternehmen, um den Brand einzudämmen.

Danach beendet HP das Gespräch und eilt wieder nach draußen.

Vater, sein Bruder Klaus und er versuchen, die Tiere, die noch im Stall sind, herauszutreiben, was ihnen allerdings nicht mehr bei allen gelingt.

Einige der Tiere sind durch das Feuer schon so eingeschlossen, dass sie vor Panik versuchen, durch die Wände zu laufen und sich dabei schwer verletzen.

Andere hingegen schaffen den rettenden Sprung durch die Flammen in die Freiheit.

Es ist zu diesem Zeitpunkt allen erst einmal egal, wohin die Tiere laufen. Hauptsache, sie sind im Freien und man muss sich um sie keine Gedanken mehr machen.

Jedenfalls in diesem Augenblick.

Bei den Tieren, denen sie nicht mehr helfen können, schmerzt das Herz.

Sie hören, wie jämmerlich sie schreien und wissen genau, dass sie ihnen nicht mehr helfen können, ohne sich selbst dabei in Gefahr zu bringen. Vater hat beschlossen, dass es das nicht wert ist, so leid es ihm auch um die Tiere tut.

Es dauert nicht lange, bis die Feuerwehr auf dem Hof der Familie Graf eintrifft und sofort ihre Geräte aufbaut und die Schläuche zum Löschteich legt, um das Feuer zu bekämpfen.

Der Löschteich neben dem Hof ist zum Glück noch recht gut gefüllt, trotz der Trockenheit während der Sommerzeit, sodass die Feuerwehr genug Wasser zur Verfügung hat und auch ihre mobilen Pumpen einsetzen kann.

Auf die Frage eines Feuerwehrmanns, ob noch jemand in dem Stall wäre, verneint der alte Graf dieses.

Er erklärt ihnen, dass sich nur noch ein paar Tiere darin aufhielten, die sie aber nicht mehr herausbekämen, weil diese sich schon verletzt hätten und nicht mehr laufen könnten oder vor Panik nicht wüssten, wohin sie sollten. Es sei für alle zu gefährlich, in die einzelnen Boxen zu gehen, in denen die Tiere sich noch befänden.

Der Feuerwehrmann ist besonnen und ordnet seinen Männern an, so schnell wie möglich, aber mit Ruhe den Löschvorgang zu beginnen.

Reflexartig dreht Klaus sich kurz um und schaut in die Richtung des Haupthauses, wobei er zu einer Salzsäule erstarrt.

Der Feuerwehrmann, der neben ihm steht, wie auch sein Vater und HP bemerken dieses und schauen daraufhin auch zum Haupthaus. Die einzige Bemerkung, die Vater in dem Moment herausrutscht ist das WortScheiße!

Jetzt sehen nämlich alle, dass das Feuer schon zum Haupthaus übergesprungen ist, ohne, dass es jemand bemerkt hat.

Vater schreit sofort, dass in dem Haus noch die Frauen und der Junge sind. Der Feuerwehrmann hat nicht im Entferntesten die Chance, seine Leute mit Schutzanzug hineinzuschicken. Schon rennen Klaus, HP und der Vater los, in Richtung des brennenden Hauses.

Der Feuerwehrmann will sie noch zurückrufen, da er der Meinung ist, dass es zu gefährlich für sie sei ohne Schutzausrüstung. Aber die drei hören ihn nicht mehr, da sie bereits im Hauseingang verschwunden sind.

Klaus stürmt direkt in sein Schlafzimmer, um seine schwangere Frau, die noch im Bett liegt, zu retten.

HP rennt in das Schlafzimmer seines Neffen Thomas, der von dem Ganzen nichts mitbekommen hat, da er tief und fest schläft.

Ihr Vater hingegen begibt sich direkt in sein Schlafzimmer, um seine Frau zu holen. Von allein wird sie es kaum schaffen, da sie sich ein paar Tage zuvor das Bein gebrochen hat und nicht in der Lage ist, die Treppe allein herunterzugehen.

Klaus ist der erste, der aus dem brennenden Haus kommt, mit seiner Frau auf dem Arm. Er eilt sofort zum Rettungswagen, der mittlerweile eingetroffen ist.

Er will, dass die Sanitäter seine Frau untersuchen, ob sie nicht zu viel Rauch abbekommen hat. Sie ist schwanger und er will natürlich wissen, ob es dem Baby in ihrem Bauch auch gut geht.

In dem Moment kommt auch HP mit seinem Neffen Thomas auf dem Arm aus dem Haus. Der Junge ist noch immer schlaftrunken und versteht gar nicht, was um ihn herum geschieht.

Thomas schreit und weint auf einmal vor Angst, da er erst jetzt bemerkt, was eigentlich passiert ist. HP hustet stark.

Die Rettungssanitäter untersuchen Klaus‘ Frau, sind aber der Meinung, dass es ihr und dem Baby ihn ihrem Bauch gut ginge. Danach sehen sich die Sanitäter den Jungen an. Der heult jedoch nur vor Aufregung und durch den Schrecken hat glücklicherweise auch nichts, dafür aber geht es HP nicht gut.

Als die Sanitäter ihn untersuchen stellen sie fest, dass er wohl zu viel Rauch eingeatmet hat. Sie stellen eine leichte Rauchvergiftung fest, weshalb er sofort ins Krankenhaus muss.

HP dreht sich um, genauso wie Klaus, und wie aus einem Mund kommt die Frage, wo eigentlich Vater sei?

Kaum ausgesprochen kommt aber auch dieser mit seiner Frau auf dem Arm aus dem Haus.

Vater ist von dem anstrengenden Tag erschöpft und kann daher mit Mutter auf dem Arm nicht so schnell rennen wie seine Jungs.

In dem Moment, in dem ihr Vater mit der Mutter auf dem Arm die Türschwelle überschreitet bemerken alle, dass der Giebel des Hauses so instabil geworden ist, dass er über Vater und Mutter mit einem lauten Getöse zusammenbricht.

Der Giebel kippt dabei nach vorne weg.

Alle befürchten, dass Vater und Mutter davon erschlagen werden.

Doch wie durch ein Wunder öffnen sich während des Kippens die zwei Flügel der Tür, die in dem Giebel eingebaut ist, da von dort aus immer das Stroh auf den Speicher geschafft wird. Nachdem der Giebel vollends auf dem Boden mit einem lauten Knall aufgeschlagen ist, stehen Vater und Mutter mitten in dieser Türöffnung und haben nichts abbekommen.

Der Feuerwehrmann, der den Einsatz leitet atmet tief durch und meint dazu, dass sie noch mal richtig Glück gehabt hätten.

In dem Moment aber sehen alle mit Entsetzen, was nun passiert. Nicht nur, dass es ringsherum um Vater und Mutter brennt, das ist nicht so schlimm. Doch das Stroh, welches unter dem Dach lagert, hat sich entzündet und kommt ins Rutschen.

Ohne, dass irgendjemand etwas sagt wissen alle genau, was jetzt passieren wird.

Das Glück, dass die zwei zuvor noch hatten, als der Giebel einstürzte, sollten sie jetzt nicht mehr haben.

Die Strohballen, die ins Rutschen kommen, begraben die beiden mit einem lauten Rauschen und Prasseln unter sich. In dem Moment fangen diese noch mehr an zu brennen, und was das bedeutet, weiß jeder Anwesende.

Alle Feuerwehrleute halten instinktiv die Löschschläuche auf das brennende Stroh, in der Hoffnung, es doch noch schnell löschen zu können, damit sie den alten Grafen und seine Frau, wenn auch verletzt, aber zumindest lebend retten können.

Die Löschversuche bleiben jedoch vergeblich. Das Stroh brennt einfach weiter, und egal, wie viel Wasser sich darüber ergießt, die Flammen kommen nicht zum Erlöschen.

Selbst der starke und ergiebige Regen kann daran nichts ändern, da der dazu herrschende Wind das Feuer immer weiter anfacht.

Der Einsatzleiter der Feuerwehr schüttelt nur noch den Kopf. Er weiß, dass keine Rettung mehr möglich ist und hofft nur, dass beide durch die Strohballen, die auf sie fielen, entweder direkt bewusstlos waren oder sie direkt durch die Strohballen erschlagen wurden.

Der Einsatzleiter der Feuerwehr hofft inbrünstig, dass sie nicht bei lebendigem Leibe verbrennen. Das ist so ziemlich das schlimmste Szenario, was sich der Mann in dem Moment vorstellen kann.

HP ist mittlerweile bewusstlos geworden, und der anwesende Notarzt ordnet eine sofortige Einlieferung in das nächstgelegene Krankenhaus an. Der Rettungswagen, der ja vor Ort ist, bringt HP danach auch mit Blaulicht und Sirene dorthin.

Die Tage darauf sind für alle sehr hektisch.

Klaus und seine Familie kommen bei den Schwiegereltern unter, die selbst einen Bauernhof führen und dafür extra etwas zusammenrücken.

HP liegt schon seit Tagen ohne Bewusstsein im Krankenhaus, und die Ärzte können sich nicht so recht erklären, warum das so ist.

Peter Graf, der auch der Patenonkel von HP ist besucht den Jungen jeden Tag im Krankenhaus.

Ebenso kommt auch jeden Tag sein Bruder Klaus oder dessen Frau Julia, und alle müssen immer wieder feststellen, dass HP einfach nicht aufwacht.

Eine Woche ist fast herum, die Brandursache wurde von der Feuerwehr und der Polizei als Blitzschlag ermittelt, und die Aufräumarbeiten auf dem alten Hof sind im vollen Gange.

Der Pfarrer aus dem Ort, der sich auf dem alten Hof einfindet, nachdem er einen Anruf von Peter Graf bekommen hat, geht zu Klaus. Dabei hält er sich ein Taschentuch vor Mund und Nase, das er mit einem guten Schluck 4711 Kölnisch Wasser getränkt hat, des Geruches wegen. Er sagt ihm, dass sein Onkel ihn angerufen habe, damit er ihm ausrichte, dass HP im Krankenhaus aufgewacht sei.

Klaus beendet sofort sämtliche Aufräumarbeiten auf dem alten Hof und verabschiedet sich von den Helfern. Er lässt sich vom Pfarrer direkt zum Krankenhaus fahren, da er im Moment kein Fahrzeug besitzt.

Alle Fahrzeuge, welche die Familie besaß, sind dem Feuer zum Opfer gefallen.

Im Krankenhaus angekommen trifft er schon Peter an, der an HPs Bett auf ihn wartet.

Klaus freut sich tierisch, dass sein Bruder endlich wieder aufgewacht ist, umarmt ihn, drückt ihn und will direkt wissen, wie es ihm geht.

Als Klaus HP diese Frage stellt, betritt auch der Chefarzt das Zimmer. HP schießen Tränen in die Augen, und obwohl er mit aller Anstrengung versucht, dieses zu unterdrücken, fängt er fürchterlich zu weinen an.

Der Chefarzt rümpft im ersten Moment etwas die Nase. Ein beißender Geruch ist in dem sterilen und karg eingerichteten Zimmer wahrnehmbar, der wohl von Klaus ausgeht, dessen Kleider immer noch den Brandgeruch an sich haben. Der Arzt meint, dass genau da das Problem anfinge.

Peter und Klaus drehen sich direkt um, sehen den Chefarzt an und wollen wissen, wie er das meint.

Dieser erklärt, dass er seine Frage, wie es dem Jungen ginge, meinte.

Er stellt ihnen die Frage, ob sie erst die weniger schlechte oder die ganz schlechte Antwort zum Wohlergehen des Jungen haben wollten.

Klaus und Peter wird es in diesem Moment heiß und kalt zugleich. Beide spüren ein komisches, mulmiges Gefühl in der Bauchgegend, nachdem der Chefarzt das ausgesprochen hat.

Wie er das meine, will Klaus wissen? Peter Graf sagt in dem Moment gar nichts und hört einfach nur zu, was der Chefarzt ihnen zu sagen hat.

Mit einem sehr ernsten Gesicht meint der, dass er ihnen dann erst einmal die nicht so schlechte Nachricht mitteilen wird.

„Die nicht so schlechte Nachricht ist, dass der junge Mann, Herr Hans Peter Graf, wohl an so etwas ähnlichem wie dissoziativem Erinnerungsverlust leidet. Das heißt, sein Langzeitgedächtnis ist im Moment nicht verfügbar für den Jungen“, meint der Chefarzt mit einer ernsten Miene.

In dem Moment hätte man in dem Krankenhauszimmer hören können, wie eine Stecknadel auf den Boden fällt, so still ist es.

Bevor jedoch Klaus oder Peter eine Frage stellen können, redet der Chefarzt weiter.

„Inwiefern er sich noch erinnert und was er wirklich nicht mehr weiß, müssen wir erst anhand einiger Gespräche mit einem Psychologen feststellen. Aber eines steht fest – alles, was sich vor dem Brand in seinem Leben ereignet hat, ist vermutlich davon betroffen“, erklärt der Chefarzt den beiden mit ruhiger und nüchterner Stimme, wobei sein Gesichtsausdruck immer noch sehr ernst ist.

„Der junge Mann kann sich zwar daran erinnern, dass er in zwei Jahren sein Abitur machen will, aber inwiefern der Gedächtnisverlust auch das Erlernte beeinflusst, wissen wir noch nicht.“

Danach schweigt der Chefarzt und wartet die Reaktion von Klaus und Peter auf diese Nachricht ab.

HP selbst versucht immer noch, ein lautstarkes Heulen zu unterdrücken. Das, was der Chefarzt als die schlimmere Nachricht bezeichnet hat, soll erst noch bekanntgegeben werden.

HP weiß schon, worum es geht, und das ist für ihn wirklich das Schlimmste.

Peter fragt den Arzt nach einer Weile, ob sich das irgendwann wiedergeben wird.

„Vermutlich in ein paar Tagen, vielleicht auch erst in ein paar Wochen oder Monaten. Wenn er ganz viel Pech hat, vielleicht in einem, zwei oder mehreren Jahren.

Nach einer kurzen Unterbrechung fährt er fort: „Auch aus der Fachliteratur kenne ich einige Fälle, bei denen die Betroffenen ihre Erinnerungen nie wieder zurückbekommen haben.“

Für einen Moment schweigen wieder alle, dann will Klaus aber wissen, was denn eigentlich die noch schlimmere Nachricht sei. Der Chefarzt atmet erst einmal tief durch, nickt ein paarmal und meint darauf, dass er gar nicht wisse, wie er ihnen das jetzt sagen solle.

„Das wirklich Schlimme ist …“ Er stockt in seinem Erklärungsversuch.

„Das wirklich Schlimme ist, dass, obwohl es weder körperliche noch physische Gründe dafür gibt, Hans Peters Beine den Dienst verweigern.“

Danach schweigt der Arzt wieder.

Peter und Klaus sehen sich gegenseitig an, danach schauen sie HP an und verstehen in dem Moment eigentlich gar nicht, was der Arzt ihnen damit sagen will.

Auf Peters Nachfrage erklärt der Arzt ihnen das Ganze ausführlicher.

„Es gibt eigentlich keine logische Erklärung dafür, aber er kann seine Beine nicht bewegen. Vermutlich hat das mit den Gedächtnisverlust zu tun, sodass er innerlich eine Blockade aufgebaut hat die verhindert, dass er seine Beine bewegen kann. Genaueres kann ich dazu noch nicht sagen, da es, wie ich schon sagte, dafür im Moment keine plausiblen Erklärungen gibt. Eine genauere Aussage kann man vermutlich erst in ein paar Tagen oder Wochen dazu machen.“

Betroffenes Schweigen breitet sich plötzlich im Krankenhauszimmer aus.

Alle sehen HP an, der mittlerweile geschwollene Augen vom stillen Weinen hat. Langsam begreifen sie, warum der Arzt meint, dass dies die schlimmere Nachricht sei.

Klaus fragt noch einmal zögerlich nach, ob denn das mit den Beinen auch wirklich so wie mit dem Gedächtnis sei und dass es irgendwann zurückkäme und HP wieder laufen könne.

Der Arzt will sich aber diesbezüglich auf keine Spekulationen einlassen und meint lediglich dazu, dass die Zeit es zeigen wird.

Er selbst hat so etwas noch nie erlebt, und auch Kollegen, die er um Rat fragte, konnten ihm dafür keine logische Erklärung geben, erklärt der Chefarzt.

Danach fragt der Arzt noch, was denn mit den Eltern sei, und Klaus schüttelt nur den Kopf, was dem Arzt zu verstehen geben soll, dass die wohl bei dem Brand ums Leben gekommen seien.

Wer denn jetzt der Erziehungsberechtigte des Jungen sei, will der Chefarzt daraufhin von den beiden wissen.

Klaus antwortet sofort, dass er das jetzt sei, schließlich sei er der Bruder und in der Familie hielte man zusammen.

Diese Antwort schießt aus Klaus schon fast trotzig und genauso wütend hervor, ohne, dass er darüber nachdenkt.

Peter ergänzt erklärend und genauso trotzig, dass er sie unterstützen werde, wo immer er nur könne.

Danach bittet der Arzt HPs Bruder, mitzukommen, und sie verlassen zusammen das Zimmer.

Peter sagt in der Zeit zu HP, dass das schon wieder werde, davon sei er überzeugt.

Für HP ist dies aber in dem Moment kein wirklicher Trost, denn er muss immer noch an das Feuer denken, in dem seine Eltern ums Leben gekommen sind und das vermutlich der Auslöser für das Dilemma ist, was ihm widerfährt.

Nachdem Klaus von dem Gespräch mit dem Arzt zurückgekehrt ist, setzt er sich erst einmal wieder zu HP ans Bett.

Nach einer Weile meint er zu Peter: „Ich muss beim Amt einen Antrag stellen, damit ich die Vormundschaft übernehmen kann, da sich sonst das Jugendamt um ihn kümmert. Und je nachdem, mit wem man es da zu tun bekommt, könnten die HP sogar in ein Heim stecken.“

Peter meint sofort, dass HP die obere Wohnung in seinem Haus bekommen könne.

Da diese sowieso leer stünde, sei das kein Problem.

Und dass das überhaupt nicht infrage käme, da bräuchte nicht einer auch nur einen Gedanken darüber verschwenden, dass HP in ein Heim käme.

Er will sogar, wenn es sein muss, einen Aufzug im Haus einbauen lassen.

Oder sie würden nach oben ziehen und HP würde die untere Wohnung bekommen.

Klaus meint dann, dass sie den Leuten vom Amt klarmachen müssen, dass sie sich alle um ihn kümmern werden.

Und dass alle dafür sorgen, dass es ihm gut geht und er auch eine ordentliche Ausbildung bekäme, ergänzt Klaus noch.

Der Schicksals Sommer

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