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Am Samstagmorgen nehme ich Struppi an die Leine und verlasse mit ihm die Wohnung. Normalerweise kommt David mit, aber er kann mich nicht begleiten, weil er am Vormittag einen wichtigen Termin hat. Wettermäßig war der Juli bis jetzt durchzogen, aber heute brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel und bringt die Straßen zum Flimmern. Kaum liegt das Dorf hinter mir, wähle ich den Weg durch den schattigen Wald. Ich liebe die Natur und die Abwechslung, die die Jahreszeiten mit sich bringen. Aber heute erfreue ich mich wenig an den Schönheiten dieses Sommers. Meine Erwartungen sind, was diese Frau betrifft, zwiespältig. Hoffentlich wird sie schleunigst die Flucht ergreifen, wenn sie erfährt, dass ich sie durchschaue. Für Vater wird das Ende dieser kurzen Episode nicht schmerzfrei sein, aber das Netz der Familie wird ihn auffangen und ihm darüber hinweg helfen.

Um zum Birkland zu gelangen, muss ich den Wald verlassen und auf Feldwege einbiegen. Ich schlendere an Getreidefeldern mit Mohn- und Kornblumen und frisch gemähten Wiesen entlang. Auf einer Wiese verzettelt ein Bauer Gras und winkt mir von weitem zu. Ich kenne ihn vom Sehen, da ich ihm öfters begegne, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin. Wenig später biege ich auf die asphaltierte Straße ein, die direkt zum Birkland führt. Das Restaurant ist bereits in Sichtweite, als ich hinter mir ein herannahendes Auto höre. Ich ziehe Struppi an den Straßenrand und beuge mich zu ihm hinunter. Langsam fährt ein Auto mit offenem Verdeck an mir vorbei. Aus den Augenwinkeln erkenne ich auf dem Beifahrersitz meinen Vater, der mir fröhlich zuwinkt. Perplex richte ich mich auf und blicke dem Cabriolet hinterher, das aufgrund der Marke aus einer hohen Preisklasse stammt. Dieser Frau habe ich aufgrund ihrer Schulden eine alte Kiste, aber niemals einen so teuren Schlitten zugetraut. Sie steuert den Parkplatz vor dem Birkland an und bleibt mit Vater sitzen, bis ich bei ihnen bin. Ich will Vater beim Aussteigen helfen, doch er übersieht es und stemmt sich allein fast sportlich aus dem Sitz hoch. Erstaunt sehe ich ihm zu und stelle fest, dass der gut aussehende Mann, der er einmal war, im Ansatz wieder zum Vorschein kommt. Die Liebe scheint ein echter Jungbrunnen zu sein. Ich hadere mit mir, meinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Als er vor mir steht, stülpt er die Unterlippe vor, zeigt mit einer Hand auf das Cabriolet und nickt anerkennend. Im Gegensatz zu ihm bin ich nicht beeindruckt. Für Leute, die auf der einen Seite Schulden haben und auf der anderen Seite protzen, habe ich kein Verständnis. Vater ist scheinbar nicht so anspruchsvoll. Auf der Fahrerseite steigt eine sexy angezogene und auf den ersten Blick sehr attraktive Frau aus. Sie knallt die Türe zu, läuft um den Wagen herum, stellt sich an Vaters Seite, schiebt ihre linke Hand in seine rechte Armbeuge und streckt mir ihre andere Hand entgegen.

»Das ist Rita«, strahlt Vater.

Wir reichen uns kritisch die Hände und mustern uns gegenseitig, nur bin ich dabei diskreter. Rita ist etwas kleiner, wie ich, hat eine gute Figur und schulterlange schwarze Haare. Sie trägt ein hellblaues Minikleid mit schmalen Trägern, das viel von ihrer braungebräunten Haut sehen lässt und an den Füßen Sandalen mit hohen Absätzen. Das Gesicht ist stark geschminkt und auch die Finger- und Fußnägel sind bunt bemalt. Für meinen Geschmack könnte sie sich, als Fünfundvierzigjährige, etwas eleganter kleiden. Dazu gehört auch der graue Balken auf ihrem Scheitel, der darauf schließen lässt, dass die letzte Tönung ihrer Haare Wochen zurück liegen muss, denn dieser verpasst ihrer aufgetakelten Aufmachung einen ungepflegten Touch. Sie führt keine Handtasche auf sich, die eine Geldbörse enthalten könnte, in den Händen hält sie lediglich ein Feuerzeug und eine Zigarettenschachtel. Mein Vater wird sie heute nicht zum ersten Mal einladen, sie erwartet es bereits. Ein leiser Groll steigt in mir hoch. Nicht weil er sie für ihre Gesellschaft bezahlt, sondern weil er gelogen hat, als er versicherte, sie würde für ihre Auslagen selbst aufkommen. Es gibt keinen Grund, die Wahrheit zu verschweigen, außer, er will etwas vertuschen. Das Gefühl, das sich nicht einordnen lässt, steigt wieder in mir hoch. Auf dem Weg zum Restaurant laufe ich den beiden voraus. Der Garten vor dem Lokal ist mit grünen Hecken umzäunt, an deren Seiten Kletterrosen in die Höhe wachsen. Die einfachen Tische sind mit rotkarierten Tüchern überzogen und dort, wo das Dach keinen Schatten spendet, sind Sonnenschirme aufgestellt. Wegen der guten Küche kommen viele Leute hierher und die meisten Tische sind bereits besetzt. Ich sehe mich um und nicke grüßend ein paar Personen zu, die mich und Vater kennen. Viele sind gerade beim Mittagessen und machen Stielaugen, als Vater und Rita Arm in Arm, in das Gartenrestaurant eintreten. Bei einigen bleiben die Münder offen, als sie dem ungleichen Pärchen hinterher sehen, das an ihnen vorbei zur Mitte läuft. Vater bleibt dort mit geblähter Brust stehen, um den Gästen Zeit und Gelegenheit zu geben, ihn und seine Begleitung zu bewundern. Leider merkt er nicht, dass man ihn und sein Flittchen aus Neugier anstarrt und nicht, weil man ihn für einen heißblütigen Lover hält. Da der verbale Applaus ausbleibt, dreht er sich gekränkt um.

Als die Wirtin auf ihn zuläuft, beginnt er wieder zu strahlen. Mindestens von ihr erwartet er ein Kompliment zu seiner Eroberung, weil er meint, ihre Stellung müsste sie dazu verpflichten. Sie wischt sich die Hände an einem Zipfel ihrer weißen Schürze ab und schüttelt dann Vaters Hand. Währenddessen mustert sie Rita von oben nach unten. Vater versucht vergeblich, seine Begleitung der Wirtin vorzustellen, da sie ihn nicht zu Wort kommen lässt und Anekdoten aus ihrem Leben erzählt. Mit ihrer Lebenserfahrung weiß sie mit solchen Situationen umzugehen, ohne dass sie heucheln muss.

»Frank und Lore werden ebenfalls hierher kommen und uns Gesellschaft leisten«, informiert mich Vater, nachdem wir uns an einen Tisch gesetzt und die Bestellung für die Getränke aufgegeben haben. Ich freue mich darüber. Frank muss Rita eine Abreibung verpassen, wenn er begreift, welche Show sie gegenüber Vater abzieht. Patentochter hin oder her. Vater steckt sich eine Zigarre an, reckt das Feuerzeug zu Rita hinüber, die sich eine Zigarette in den Mund gesteckt hat und gibt ihr Feuer. Er zelebrierte damit Manieren, die ich beim ihm längst vergessen glaubte. Beide sitzen nebeneinander, mir vis-à-vis und schauen mich erwartungsvoll an. Vater schmunzelt, während Rita mich wie eine Schlange fixiert. Ohne zu blinzeln starrt sie mich an. Bestimmt will sie herausfinden, ob ich, wie Vater, leicht um den Finger zu wickeln bin, denn bekanntlich fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Vater legt Rita einen Arm um die Schultern, formt einen Kussmund und will sie an sich ziehen. Doch sie dreht ihren Kopf zur Seite und lächelt aus Distanz seine Enttäuschung weg. An Kellys Geburtstagsfest hatte Vater ausführlich geschildert, wie sie sich an ihn heran geschmissen hat und ich bin sicher, dass er in diesem Punkt die Wahrheit sagte. Jetzt weicht sie seinen Zärtlichkeiten aus, denn mit einem offen gezeigten Liebesverhältnis könnte sie sich ihre wahren Absichten gleich auf die Stirn schreiben. Am liebsten würde ich sie darauf ansprechen, aber so, wie sie offenbar alles vermeidet, was den Eindruck einer intimen Beziehung erwecken könnte, wird sie es nicht zugeben. Ich sitze am kürzeren Hebel und überlege, ob ich sie provozieren soll, damit es Vater die Augen öffnet, wenn er aus ihrem Mund hört, dass sie nicht daran denkt, seine Geliebte zu sein. Wenn er von selbst noch einmal darauf hinweisen würde, dass sie seine neue Frau ist, wäre es einfacher, sie der Lügen zu überführen. Aber so sind mir die Hände gebunden, denn die anderen Gäste gaffen inzwischen so interessiert zu uns herüber, dass ich nicht noch mehr Aufsehen erregen will. Gerade weicht Vaters Angebetete seinem erneuten Versuch, sie an sich zu ziehen, wieder aus. Er schaut mich danach mit einer um Entschuldigung bittender Miene an, als wäre meine Anwesenheit der Grund für ihre Zurückhaltung.

»Und was meinst du?«, spricht mich Vater an. »Sie ist sehr nett, wie ich es gesagt habe«, meint er hoheitsvoll.

Rita glotzt mich grinsend an. Sie freut sich, weil sie meint, dass ich mich meinem Vater zuliebe gleich positiv über sie äußern werde. Was sie nicht weiß, ich verfüge über gute Antennen und deshalb entgehen mir diese Details nicht. Zudem ist sie leicht zu durchschauen. Man müsste Vater eher kondolieren, statt gratulieren.

»Ähm, ich kenne sie noch zu wenig«, antworte ich diplomatisch.

Rita verzieht die Lippen zu einem schmalen Strich, behält mich aber im Visier. Sie ist verunsichert, weil sie mich nicht mehr einzuschätzen vermag. Ich habe nicht so reagiert, wie sie es erwartet hatte. Kein Wunder. Bisher kennt sie nur Frank und Lore, und Lore trägt mit ihrem einfachen Gemüt nicht viel dazu bei, den Durchschnitt der Familienintelligenz zu heben. Nun, Rita wird noch früh genug erfahren, dass der Rest der Familie ein anderes Kaliber ist, das sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt.

»Siehst du, sie ist sehr nett«, schwärmt Vater ahnungslos.

Ich erwidere nichts und weiß auch nichts mehr zu sagen. Mir ist diese Frau schon jetzt ein Gräuel ersten Grades. Am liebsten würde ich gehen, aber ich habe hier eine Mission zu erfüllen und brauche dafür Franks Hilfe. Die beklemmende Stimmung wird erst unterbrochen, als er und Lore eintreffen.

Obwohl Frank die sechzig bereits überschritten hat, zeigt sein braunes Haar keine Anzeichen eines Ausfalls und ist nur an den Schläfen leicht ergraut. Seine Frau Lore, die ein Jahr älter ist als er, trägt eine Brille und ihre rötlichblonden Haare stets kurz frisiert. Sie ist in ihrer Aufmachung eher bieder, aber immer gepflegt. Dass ihre Ehe kinderlos geblieben ist, entsprach nicht ihrem Wunsch.

Erstaunt sehe ich zu, wie sich Frank und Rita in die Arme fallen und frage mich, was Lore davon hält. Da sie sich aufrichtig zu freuen scheint, sie zu sehen, und sie mit Küsschen links und Küsschen rechts begrüßt, ist die Art und Weise ihrer Begegnung anscheinend normal. Nachdem sie sich gesetzt und mit der Wirtin ein paar freundliche Worte gewechselt haben, nimmt mich Lore wie immer in Beschlag. Mit ihrem Geschwätz geht sie mir manchmal auf die Nerven, weil sie zu Übertreibungen neigt. Ich tue so, als würde ich ihr zuhören, denn ich will das, was mir gegenüber passiert, nicht verpassen. Vater legt Rita einen Arm um die Schultern und streicht ab und zu mit einer Hand über ihre Wange. Seltsamerweise lässt sie das jetzt zu. Ist ihr Glas leer, springt Frank wie ein verliebter Gockel auf, greift nach der Flasche und füllt es wieder auf. Alle paar Minuten dreht er den Sonnenschirm nach dem Sonnenstand, damit sie immer im Schatten sitzt, oder legt das Besteck zurück, das sich aufgrund des steten Herumfuchtelns von Senior und Junior auf dem Platz verschoben hatte. Rita zieht nach jeder Aktion ihre Augenbrauen hoch und schießt mir über den Tisch hinweg triumphvolle Blicke zu. Ich weiß nicht, was sie damit bezweckt, ich bin für sie keine Konkurrenz. Gerade wirft sie mir wieder einen dieser überheblichen Blicke zu. Es reicht. Ihre Anwesenheit und das Benehmen meines Vaters und meines Bruders bieten bereits genügend Stoff für Klatsch und Tratsch. Es ist nicht nötig, dass man noch mehr mitbekommt. Ich sehe mich um und entdecke außerhalb des Lokals, in etwa acht Meter Entfernung, am Wegrand eine Sitzbank im Schatten eines Baums.

»Rita und Frank. Ihr kommt jetzt mit mir, zu dieser Bank dort drüben«, befehle ich leise und stehe, auf die Bank zeigend, auf. Ich wundere mich, dass sie gleichzeitig aufstehen und mir folgen, ohne zu fragen. Frank und ich lassen uns je auf einer Seite der Bank nieder und Rita setzt sich zwischen uns in die Mitte. Frank stützt die Ellbogen auf die Knie und legt den Kopf auf seine zu Fäusten geballten Hände. Rita streckt ihre Beine aus und klemmt ihre Hände unter die Oberschenkel. Beide sehen geradeaus und stellen noch immer keine Fragen.

Während ich nach den richtigen Worten suche, fällt mein Blick auf Vater und Lore, die synchron mit langen Hälsen ihre Köpfe über den Hag strecken und neugierig zu uns herübersehen. Das Bild ist so lustig, dass ich beinahe laut gelacht hätte. Leider ist mir nicht nach Lachen und ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Nie habe ich deutlicher gespürt, wie tief Mutters Erziehung, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen, in mir verwurzelt ist. Jeder normale Mensch würde zu Rita sagen, dass sie ihren Arsch bewegen und dorthin gehen soll, wo der Pfeffer wächst. Leider bin ich zu wenig mutig und zudem diese Ausdrucksweise nicht gewohnt.

»Weshalb willst du dich um Vater kümmern?«, frage ich höflich und könnte mich ohrfeigen, dass ich nicht fähig bin, das brisante Thema anzusprechen. Rita und Frank drehen einander die Köpfe zu und ich wundere mich, dass Frank an ihrer Stelle antwortet: »Rita ist sehr sozial und sie macht das gern. Sie hat oft alte Leute bis in den Tod betreut.«

Und nachher kassiert, denke ich. Frank kriecht ihr, genau wie Vater, auf den Leim. Sobald er erfährt, welche Erkundigungen ich über sie eingezogen habe, wird auch er erkennen, mit welcher Absicht sie sich an Vaters Hals geworfen hat, man muss dazu keine Intelligenzbestie sein.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es für dich ein Vergnügen ist, die Freizeit mit einem alten Mann zu verbringen, den du bisher nicht kanntest! Vater kann manchmal sehr schwierig sein«, wende ich mich subtil an Rita, weil ich mich nicht getraue, sie vor Frank zu denunzieren.

»Ich mache das gern und habe keine Hintergedanken.«

»Und warum meint Vater, dass du seine neue Frau bist?«, wage ich doch noch einen Vorstoß, in der Hoffnung, sie der Lügen zu überführen.

»Wenn er es so sieht, kann ich nichts dafür. Für mich ist es ein sozialer Dienst an alten Menschen. Zudem habe ich einen Freund.«

»Vater braucht keinen sozialen Dienst. Dafür hat er uns. Er geht davon aus, dass du in ihn verliebt bist.«

»Ich kann nichts dafür, wenn er es so sieht.«

»Doch. Das hast du ihm selbst gesagt.«

»Hat sie nicht«, mischt Frank sich mit grobem Ton ein.

»Warum der Austausch von Zärtlichkeiten? Das war vorhin nicht zu übersehen«, wage ich die Tatsachen anzusprechen. Von der Seite sehe ich zu Frank hinüber und hoffe, dass sich bei ihm endlich ein Misstrauen entwickelt.

»Die haben nichts zu bedeuten«, entgegnet Rita.

»Vater sieht das anders!«

»Das ist nicht meine Schuld.«

»Sie macht doch nichts. Und Vater erwartet auch nichts«, nimmt Frank sie überraschend in Schutz.

»Doch macht er. Er meint, Rita ist in ihn verliebt.«

»Was erfindest du da?«, weist Frank mich zurecht und bringt mich damit endgültig aus dem Konzept.

Meine Bedenken interessieren ihn nicht im Geringsten, stattdessen plädiert er stets für ihre Interessen. Allerdings war ich beim Ausflug an den Rennsteig nicht dabei und weiß nicht, was dort vorgefallen ist. Aber ich kenne das Ergebnis. Man müsste Rita vor Vater darauf ansprechen, nur würde sie es, wie jetzt, bestreiten. Sie hat im Birkland schon genug Aufsehen erregt und ich will keinen Streit vor Zeugen austragen. Ich stecke im Dilemma.

»Wieso hast du so viel Zeit für Vater? Arbeitest du nicht?«

»Doch. Schon. Aber das geht trotzdem«, antwortet Rita, beugt ihren Oberkörper nach vorne und sieht auf den Boden.

»Bist du verheiratet?«, frage ich desillusioniert, weil Frank alles bagatellisiert und mir nichts mehr in den Sinn kommt, das mich ans Ziel bringen könnte.

»Nein, ich bin geschieden.«

»Was ist mit deinen Schulden und Betreibungen?«

Rita zuckt zusammen und ringt nach einer Antwort. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich das weiß. Spätestens jetzt müsste Frank hellhörig werden. Aber er starrt nur still geradeaus und äußert sich nicht dazu.

Nach einer Weile antwortet Rita mit einer abwertenden Handbewegung: »Schulden? Das ist Schnee von gestern.«

»Woher kennst du sie?«, wende ich mich an Frank.

Frank erzählt exakt dieselbe Geschichte, die ich von Vater schon gehört habe. Ich glaube es nicht, aber es wäre möglich. Frank ist fast zehn Jahre älter als ich und deshalb bekam ich nicht alles mit, was er als junger Bursche trieb. Frustriert muss ich eingestehen, dass ich nichts erreicht habe. Von Frank bin ich enttäuscht. Bisher haben wir immer am gleichen Strick gezogen. Vermutlich ist er hinter ihrem Rock her, hat anscheinend sein Ziel noch nicht erreicht und will es sich deshalb nicht mit ihr verscherzen.

»Es darf nie Geld fließen und sei bitte ehrlich zu meinem Vater. Er glaubt, dass du ihn liebst. Nimm Rücksicht auf sein Alter und seine Gefühle, es ist bestimmt nicht in deinem Sinn, ihn zu täuschen«, wende ich mich hoffnungsvoll an Rita. Sie schaut mich weder an, noch erwidert sie etwas darauf.

Gleichzeitig stehen wir auf und laufen zum Restaurant zurück. Unterwegs lege ich einen Arm um Franks Schultern. Diese Geste ist nichts Ungewöhnliches. Mal umarme ich ihn, mal er mich. Wir haben uns auf diese Weise schon immer unsere Vertrautheit und Zuneigung gezeigt. Jetzt erinnere ich ihn damit daran, was er verliert, sollte er schlechte Absichten haben, denn seine Reaktionen haben mir nicht gefallen. Als wir wieder bei Vater und Lore sind, finden wir Lore in Tränen aufgelöst.

»Was ist los?«, fragen Frank und ich gleichzeitig, während Rita eine schadenfrohe Miene aufsetzt.

»Ich durfte nicht mitkommen«, schluchzt Lore und wischt sich mit dem Finger die Tränen ab, die über ihre Backen kullern.

»Bitte entschuldige. Ich musste mit Frank etwas Vertrauliches besprechen«, besänftige ich sie, während ich mich setze.

Lore streckt ihren Arm über den Tisch und zeigt mit einem Finger auf Rita. »Die durfte mit und ich nicht! Frank lässt mich in letzter Zeit sowieso sehr viel allein und verbringt mit der viel mehr Zeit, als mit mir«, schluchzt sie.

Damit bestätigt Lore meine Vermutung, dass Frank an einer schnellen Nummer mit Rita interessiert ist. Seine Untreue ist für uns nicht neu. Neu ist, dass Lore ihm dieses Mal eine Szene macht. Die Wundernasen um uns herum spitzen die Ohren und machen keinen Hehl daraus, wie sensationell sie das Theater an unserem Tisch finden.

Mit Wehmut denke ich an die himmlischen Zeiten zurück, als sich meine Familie zu benehmen wusste. Unsere Mutter brachte uns Umgangsformen bei, mit denen wir locker von der englischen Queen zum Tee eingeladen werden könnten, wir beherrschen die sogenannte Etikette. Am liebsten würde ich im Boden versinken. Und alles nur wegen dieser Frau, die hämisch grinst und sich hemmungslos an diesem Drama ergötzt. Dem Gespür der Wirtin ist das Geschehen nicht entgangen. Sie kommt an unseren Tisch und stellt vor jedem eine Schale mit Vanilleeis ab. »Ein Geschenk des Hauses, zum Abkühlen«, zwinkert sie spitzbübisch in die Runde. Dann legt sie mir eine Hand auf meine Schulter und flüstert mir ins Ohr: »Nimm es nicht so ernst, es sind eben Männer.«

Es ist noch nicht so lange her, seit wir in dieser Formation, natürlich ohne Rita, im Birkland in Eintracht zusammengesessen sind. Die Stimmung hier ist weit davon entfernt und ich habe genug gehört und gesehen, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich rufe die Wirtin an den Tisch und bezahle nur, was ich konsumiert habe. Wenn Vater es sich leisten kann, diese Frau einzuladen, ist er nicht mehr auf meine finanzielle Unterstützung angewiesen. Nur aus Anstand gebe ich allen die Hand und trete ernüchtert den Heimweg an.

Meine Gefühle fahren Achterbahn und im Laufschritt ziehe ich Struppi hinter mir her, der sich dagegen sträubt und versucht, seine Interessen durchzusetzen. Ich lasse ihn nicht wie sonst gewähren und will so schnell wie möglich nach Hause.

Erleichtert höre ich Davids Stimme, als er Struppi begrüßt, der ins Wohnzimmer gerannt ist. Aufgewühlt laufe ich dem Hund hinterher und werfe mich im Wohnzimmer in einen Sessel.

»Du machst dir keine Vorstellung, was im Birkland passiert ist. Frank und Vater schwänzelten um diese Frau herum, die überhaupt nicht in unsere Familie passt. Selbst Lore ist nicht von ihr begeistert.«

»Brich den Kontakt ab«, sagt David, der meine Vorurteile kennt und wiederholt es, als ich wieder von vorne beginnen will.

»Wenn wir Papa nicht helfen, läuft er blind in sein Elend.«

»Dann brich den Kontakt zu Frank ab.«

»Einfach so?«

»Was willst du dann?«

»Ich will, dass diese Frau aus Papas Leben verschwindet. Einfach wird es nicht, da Papa blind und Frank die Knacknuss ist.«

Ich schnappe das Telefon und verziehe mich ins Schlafzimmer. Ich rufe zuerst Toni, dann Robert und zum Schluss Kelly an. Keiner interessiert sich für die Hintergründe, sie finden nur die Geschichte lustig.

»Was? Lore hat Frank eine Szene gemacht? Da passiert die Story des Jahres und wir waren nicht dabei«, ist alles, was sie dazu sagen.

»Herrgott noch mal. Bin ich die einzige, welche die Indizien zu deuten versteht?«, beende ich frustriert das letzte Telefon und gehe hinaus auf den Balkon.

Am Himmel sind inzwischen dunkle Wolken aufgezogen und aus einiger Entfernung ist Donnergrollen zu hören. Da ein frischer Wind aufzieht, gehe ich zurück ins Wohnzimmer. David kramt in Papieren und steht mir im Moment nicht zur Verfügung. Vielleicht weicht er mir auch nur aus und will sich mit diesem Thema nicht mehr auseinandersetzen.

»Wie könnt ihr alle so sorglos ein«, maule ich. »An dieser Frau ist etwas faul und niemand interessiert sich dafür.«

»Ich habe dir gesagt, was du tun sollst«, erwidert David.

Um auf andere Gedanken zu kommen, schalte ich den Fernseher ein. In vielen Teilen Deutschlands haben sich am Nachmittag schwere Gewitter entladen, die zu großflächigen Überschwemmungen geführt haben. Hagelschlag und ein paar Tornados sind übers Land gezogen und haben in den Unwetterzonen massive Schäden hinterlassen. Die Bilder, die das Fernsehen zeigt, lassen meine Sorgen verblassen. Die Menschen dort haben echte Probleme.

Liebe-VOLL AUSGENOMMEN

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