Читать книгу Liebe-VOLL AUSGENOMMEN - Heidy Fasler - Страница 13
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ОглавлениеIn der letzten Septemberwoche schaue ich am Sonntagabend bei Vater vorbei. Ich will ihn noch einmal sehen, bevor er morgen ins Tirol verreist. Letzte Woche habe ich in einem Fachgeschäft eine Packung seiner Lieblingszigarren besorgt, die ich ihm, wie jedes Jahr, in den Ferienkoffer legen will. Der fertig gepackte Koffer liegt mit aufgeklapptem Deckel bereits hinter dem Esstisch auf der Eckbank. Ich verspreche ihm, in seiner Abwesenheit den Briefkasten zu leeren und den Kühlschrank zu füllen. Gutgelaunt malt er sich aus, welche Ausflüge er mit Rita unternehmen will und erwähnt so nebenbei, dass er ihr das Benzin bezahlen wird.
Bei uns ist es ihm noch nie in den Sinn gekommen, uns zu entschädigen. Obwohl wir mit ihm schon so oft ins Tirol gefahren sind und ich, wenn ich nicht dabei war, für ihn Milch, Brot, Käse und Wurst besorgt habe, damit er mit dem Nötigsten versorgt war, wenn er nach Hause kam. Er hat sich nicht einmal nach unseren Auslagen erkundigt.
»Wieso bezahlst du das Benzin?« frage ich empört.
»Weil sich das so gehört. Weißt du, was das Benzin heutzutage kostet?«
»Natürlich weiß ich das. Ich gebe es nicht für mich aus, wenn ich dich herum chauffiere«, motze ich. Bisher habe ich über seinen Geiz hinweggesehen und mir deswegen keine Gedanken gemacht, weil er uns alle gleich behandelt hat. Jetzt sehe ich das in einem anderen Licht. Die Zigarren bleiben unberührt in meiner Tasche. Ich verabschiede mich von ihm, wünsche ihm schöne Ferien und bitte ihn, mal anzurufen, damit ich weiß, wie es ihm geht.
Am Montagmorgen fährt Rita mit ihrem teuren Schlitten vor, bugsiert Vater und Koffer in den Wagen und braust Richtung Tirol davon. Die Fahrt dauert mehr als vier Stunden und sie ist in dieser Zeit sehr gesprächig. Er versteht nicht alles, was sie sagt, nickt aber stets mit dem Kopf und stellt ab und zu eine nichtssagende Frage, um ihren Redefluss am Leben zu halten.
»Woran denkst du«, fragt Rita, als sie bemerkt, dass er nicht mehr nickt und nachdenklich neben ihr sitzt.
»An Corinne. Normalerweise schenkt sie mir vor den Ferien eine Schachtel mit meinen Lieblingszigarren. Sie kam zwar vorbei, aber dieses Jahr hat sie wohl vergessen.«
»Ach, vergiss Corinne, die ist nur neidisch.«
Als eine Raststätte auftaucht, stellt Rita den Blinker, fährt von der Autobahn, parkiert den Wagen und bittet Vater sitzen zu bleiben. Sie steigt aus, knallt die Türe zu und verschwindet in der Raststätte. Als sie zurückkommt, drückt sie Vater eine Packung mit Zigarren in die Hand. Die billige Marke erkennt er auf den ersten Blick. Weil er sie dafür küssen darf, ist er wieder versöhnt. Mehrmals drückt er seine feuchten Lippen auf ihren Mund, das sie passiv über sich ergehen lässt. In ihrem Leben gab es schlimmere Dinge, die sie über sich ergehen lassen musste.
Im Hotel kümmert sie sich um die Formalitäten, lässt sich vom Concierge zwei Zimmerschlüssel aushändigen und drückt einen davon Vater in die Hand. Abwechselnd sieht er auf die Schlüssel, den in seiner und den in ihrer Hand. »Haben wir kein Doppelzimmer?«, fragt er.
»Nein. Es ist besser so. Ich schlafe bei Licht schlecht ein und du willst vor dem Einschlafen bestimmt noch lesen.«
Dass er dafür ein paar ‚Jerry Cotton‘-Romanhefte im Gepäck hat, weiß sie nicht, aber ihr fiel nur diese naheliegende Ausrede ein.
Er hat es sich anders vorgestellt, akzeptiert es aber stillschweigend, um die gute Stimmung nicht zu trüben. Wenigstens trägt sie seinen Koffer in sein Zimmer hoch. Nach dem Abendessen gehen beide früh zu Bett.
Am anderen Morgen treffen sie sich im Speisesaal und Rita zeigt sich von ihrer besten Seite. Sie stellt für ihn am Buffet das Frühstück zusammen und gibt sich sehr fürsorglich. Beim Schmieden des Tagesplans driften ihre Interessen allerdings auseinander. Er will mit der Seilbahn auf einen Berg hochfahren und sie im Dorf flanieren. Um ihr zu gefallen, gibt er nach. Nach dem Frühstück verlassen sie das Hotel und schlendern Arm in Arm durchs Dorf. Stolz erklärt er Rita die Umgebung, die fast zu seiner zweiten Heimat geworden ist. Mit seiner Familie ist er so oft hier gewesen, dass er die Gegend wie seine Hosentasche kennt. Ritas Begeisterung hält sich in Grenzen. Sie interessiert sich mehr für die Auslagen in den Geschäften. Als sie erfährt, dass Vater keine Kreditkarte hat, sinkt ihre Laune. Die Aussicht, eine ganze Woche mit dem alten Mann, ohne ausreichende Entschädigung, verbringen zu müssen, macht es nicht besser. Sie beschließt, das Beste heraus zu holen und bringt Vater ins Hotel zurück.
»Mach was Du willst. Ich habe starke Kopfschmerzen und muss mich hinlegen. Und stör mich bitte nicht.«
Enttäuscht blickt er ihr hinterher, als sie zum Aufzug stöckelt. Da ihm nichts Anderes übrigbleibt, geht er in die Bar und bestellt sich ein Bier. In ihrem Zimmer ruft Rita einen ihrer Bekannten namens Andy an und bittet ihn, herzukommen. Sie braucht eine Abwechslung, denn ihr steht eine öde Woche bevor. Danach lässt sie sich den ganzen Tag nicht mehr blicken. Vater ist froh, als Toni am anderen Morgen im Hotel eintrifft.
In Tonis Gegenwart zeigt sich Rita wieder von ihrer freundlichsten Seite und benimmt sich, als wären sie und Toni alte Freunde. Toni findet nichts an ihr auszusetzen und sie verbringen zu Dritt einen angenehmen Tag. Als Toni mich am Abend anruft, schwärmt sie von Rita in den höchsten Tönen. Ich finde es unglaublich, aber Toni ist noch blauäugiger, als Vater.
Am nächsten Tag werden sie von Vaters ehemaligem Vorgesetzten zum Mittagessen im Fünfsternehotel erwartet. Toni zieht einen Ausflug vor und will deshalb nicht mit. Vater bedeutet die Einladung sehr viel und er freut sich, weil er meint, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Sein ehemaliger Chef wird von seiner neuen jungen Frau beeindruckt sein und Rita wird überrascht sein, dass er so wohlhabende Leute kennt. Vater hatte sich für diesen Höhepunkt extra in Schale geschmissen. Rita kreuzt in einem Minirock, Pumps und einer tief ausgeschnittenen Bluse unter ihrer Lederjacke auf. Als sie in Peter Sanders Hotel eintreffen, werden sie von ihm in der Halle in Empfang genommen. Kaum hatte Vater Rita mit seinem Chef bekannt gemacht, wird er von ihr wie Luft behandelt. Rita hat mit ihrem Jägerinstinkt sofort erkannt, dass Peter Sander finanziell in einer anderen Liga spielt. Ein Kellner nimmt Rita die Jacke ab und Peter geleitet seine Gäste durch die Halle in den Speisesaal. Rita läuft mit Peter voraus und Vater, der sich schon jetzt als fünftes Rad am Wagen fühlt, trippelt ihnen enttäuscht hinterher. Der Speisesaal macht einen prunkvollen Eindruck. Die Vorhänge an den großen Fenstern sind aus dem gleichen dunkelblau gemusterten Stoff, mit dem auch die Stühle überzogen sind. Überall stehen frische Blumen und Nippes aus Silber. Die Tische sind wunderschön mit weißen Stofftüchern, Silberbesteck, Kristallgläsern, Kerzenleuchtern und Blumengestecken eingedeckt. Die Kellner tragen schwarze Anzüge und weiße Handschuhe. Diskret halten sie sich im Hintergrund, sind aber sofort zur Stelle, wenn man sie braucht. Galant zieht Peter seinen Gästen den Stuhl hervor, bevor sie sich setzen. Noch bevor etwas zum Trinken auf dem Tisch steht, beginnt Rita, Peter aufreizend zu umgarnen. Sie flirtet mit ihm, legt ihre Hand auffällig viel auf seinen Arm und zeigt was sie hat. Ihr Benehmen gefällt weder ihm, noch Vater. Da Peter es versteht, in jeder Situation Haltung zu bewahren, übergeht er geschickt ihre Avancen. Er lässt sich auch nichts anmerken, dass Rita seinem eigentlichen Gast keine Beachtung schenkt und bezieht beide in den Small Talk ein. Rita interpretiert seine Höflichkeit als Interesse und legt, als sie erfahren hat, dass er Witwer ist, weiter ihre Köder aus.
Vaters Stimmung ist inzwischen im Keller. Enttäuscht lehnt er sich zurück, nimmt nicht mehr an der Unterhaltung teil und beschäftigt sich mit seinem Essen. Ab und zu wirft er einen Blick durch die Fenster auf die farbigen Blumenrabatten im gepflegten Garten. Währenddessen redet Rita unaufhörlich auf Peter ein. Die zu Beginn noch freundliche Atmosphäre, weicht zunehmend einer steifen Stimmung. Peter findet sie nicht sonderlich attraktiv und weil er seinen ehemaligen Mitarbeiter nicht brüskieren will, macht er bis zum Schluss gute Miene zum bösen Spiel. Als sie sich verabschieden, ist Vater grenzenlos enttäuscht und Rita hoch erfreut. Wenn sich dieser Fisch angeln lässt, hat sich die Woche für sie doch noch gelohnt. Peters Förmlichkeit schreibt sie seiner Rücksichtnahme auf Vater zu. Sie nimmt sich vor, am Abend noch einmal hierher zu kommen, um noch mehr aus ihrem Register zu ziehen. In Wahrheit ist Peter froh, als diese Frau, mit ihrem schrillen Gelächter und ihrer penetranten Aufdringlichkeit, endlich gegangen ist. Die Unterhaltung beim Mittagessen hat er mangels Ritas fehlender intellektueller Bildung, als sehr mühsam empfunden und hat nicht vor, ihr noch einmal freiwillig zu begegnen. Wenn Walter Graf Freude an dieser billigen Nutte hat, soll er sie haben, für ihn ist sie definitiv keinen Gedanken mehr wert.
Als der Portier ihm am Abend über das Haustelefon ausrichten lässt, dass eine Frau Elsino an der Rezeption steht und ihn sprechen will, lässt er sich verleugnen.
Am anderen Tag ist Vater auch am Morgen wieder beleidigt, weil Rita mürrisch und schnippisch ist. Ihre Laune wird erst besser, als Toni zum Frühstück erscheint, Frank und Lore im Hotel eintreffen und mit großem Hallo in den Frühstücksraum stürmen. Vater trotzt, als er hört, dass sie durchs Dorf schlendern wollen. Er würde jetzt endlich gern den Ausflug mit der Seilbahn machen. Weil es ein wunderschöner Herbsttag ist, erfüllen sie ihm diesen Wunsch, ziehen sich nach dem Frühstück um und laufen mit ihm zur Talstation der Gondelbahn. Als die Vierer-Gondel in die Station einfährt, lässt Frank Toni und Lore zuerst einsteigen und schiebt sofort Vater hinterher. Als sich die Türe schließt, schaut Vater enttäuscht aus dem Fenster und sieht, wie Rita und Frank in die nächste Gondel einsteigen. Dabei hatte er sich, wegen den engen Sitzplätzen, nicht nur auf die Tuchfühlung mit Rita gefreut, sondern auch auf ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Nimm es nicht so tragisch. Wir haben hier nicht alle Platz«, tröstet ihn Toni.
Vater lässt das Argument gelten und im Moment ist seine Vorfreude auf das Wiedersehen mit dem einheimischen Personal im Bergrestaurant grösser, als die aufsteigende Eifersucht. Nach der Gondelfahrt spazieren sie dem Panoramaweg entlang und bewundern die schöne Aussicht. Für Vater ist es der Höhepunkt der Woche, nachdem beim ersten, in Peter Sanders Hotel, der Schuss nach hinten losgegangen ist. Stolz zeigt er Rita die Gipfel, auf denen er gestanden ist. Er kennt jeden Berg mit Namen und hebt besonders das Legerhorn hervor. Die Hütte unterhalb des Gipfels ist nur über eine anspruchsvolle Bergwanderroute zu erreichen. Mit bloßem Auge versucht er die Hütte zu erkennen, mit der er schöne Erinnerungen verbindet.
Jahrzehntelang ist er jeden Sommer mit seiner Familie zu dieser Hütte aufgestiegen. Seine Kinder, und später seine Enkelkinder, brachten jeweils ihre Freunde mit. Nach dem anstrengenden Aufstieg artete der Abend in der Hütte jedes Mal in ein feuchtfröhliches Fest aus. Zum Schlafen kam man wenig. Obwohl der Weg gefühlsmäßig jedes Jahr länger und steiler wurde, trugen alle den Termin früh im Jahr in die Agenda ein, weil niemand diese zweitägige Tour verpassen wollte. Im Bekanntenkreis kursierte das Gerücht, wer zur Familie Graf gehören will, muss mindestens einmal in der Legerhornhütte gewesen sein. Als die Tour für Mutter zu beschwerlich wurde, blieb sie zu Hause und erwartete dafür die ganze Gesellschaft, nach der Rückkehr am Sonntagabend, zum Spaghetti-Essen an ihrem Tisch. Diese Traditionen fanden erst ein Ende, als auch Vater aus Altersgründen aufgeben musste. Immerhin stand er mit achtundsiebzig Jahren zum letzten Mal auf dem Legerhorn.
Frank und Toni tauschen Erinnerungen aus, necken sich ungezwungen und passen auf Vater auf, der nur Augen für die Bergwelt hat und über kleine Felsbrocken stolpert, die verstreut auf dem Weg liegen. Auf einer Aussichtsplattform blicken sie auf das weit unten im Tal liegende Dorf, das mit seinem herausragenden Kirchturm aus dieser Entfernung wie ein Spielzeugdorf wirkt. Die Wälder zeigen die ersten Anzeichen des bevorstehenden Herbstes und auch der Himmel hat nicht mehr das intensive blau des Sommers. Die Schwalben sind bereits auf dem Weg übers Meer und bald werden auch die Kühe die Sommerweiden auf den Almen verlassen und in ihre Winterquartiere im Tal ziehen. Es ist um diese Tageszeit bereits kühl und Vater beginnt zu frösteln. Sie drehen um und kehren im Bergrestaurant ein, wo Vater vom Personal erkannt und ihm der Hof gemacht wird. Vater ist darüber sehr erfreut und für einen Moment glücklich. Nach dem Mittagessen beschließen Frank und Rita, zu Fuß ins Dorf hinunter zu laufen und schicken Toni und Lore mit Vater zur Gondelbahn. Kaum sitzen die drei in der Kabine, liefern Vater und Lore ein Eifersuchtsdrama erster Güte ab und schaukeln sich gegenseitig hoch. Das Gejammer geht Toni ans Herz und sie ist froh, dass sie mit den beiden Heulsusen allein in der Gondel ist.
»Weshalb lässt du dich nicht scheiden?«, wendet sich Toni an Lore.
»Weil uns das Geld dazu fehlt. Bis jetzt wollte ich euch nichts sagen, aber wir haben finanzielle Schwierigkeiten. Ich habe keine Ahnung, wofür Frank unser Geld ausgibt. Sogar der Steuerprüfer war schon bei uns zu Hause«, schluchzt sie.
»Das war der Pfändungsbeamte. Die Steuern schicken keinen vorbei«, klärt Toni sie auf.
»Meinst du?«, fragt Lore.
Vaters Gesichtsfarbe wechselt von blass auf Rot. »Ich werde Rita nichts mehr bezahlen, das kann sie jetzt vergessen«, ereifert er sich, während er in ein Taschentuch schnäuzt und sich mit einem Zipfel Tränen aus den Augen wischt.
Als sie ins Hotel zurückkehren, gehen Vater und Lore auf die Terrasse. Sie wollen die Ankunft von Frank und Rita nicht verpassen, weil sie sich vorgenommen haben, den beiden ordentlich die Meinung zu geigen. Als sie eintreffen, vergisst Vater bei Ritas Anblick seinen Vorsatz, nimmt ihr gekünsteltes Lächeln für bare Münze und bestellt beim Kellner eine Flasche Weißwein. Frank, der bei der Aussicht auf ein Glas Wein einen trockenen Hals bekommen hat, weigert sich, Lore aufs Zimmer zu begleiten. Lore geht schließlich allein hinauf, setzt sich aufs Bett und heult sich die Augen aus, während Vater, Frank und Rita eine zweite Flasche Weißen bestellen und zusehen, wie die Sonne langsam hinter den Gipfeln verschwindet. Rita bezirzt Vater, dass sie doch noch einmal seinen Chef besuchen könnten. Ohne Vater, das ist ihr bewusst, hat sie keine Chance, an Peter Sanders heranzukommen. Vater tut, als hätte er es nicht gehört.
Am nächsten Tag erhalte ich am Freitagabend einen Anruf von Toni. Dass bei ihr der Groschen endlich gefallen ist, merke ich an ihrer Erzählung.
»Du hast keine Vorstellung, was hier passiert. Vater sitzt mit Frank, Lore und Rita draußen auf der Hotelterrasse beim Aperitif und ich bin in meinem Zimmer. Ganz ehrlich, mir geht das Ganze auf den Wecker. Ich würde am liebsten die Koffer packen und nach Hause fahren. Rita und Vater tauschen in der Bar Zärtlichkeiten aus und ziehen dadurch die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich. Selbst der Hotelier, der einiges gewohnt sein muss, verdreht hinter dem Tresen die Augen und wirft mir mitleidvolle Blicke zu. Gestern Abend haben Frank und Rita beschlossen, eine Bar weiter zu ziehen und Vater ging aus purer Eifersucht mit, obwohl er nach dem Ausflug hundemüde war. Heute Morgen erzählte er mir, dass er vom Barhocker gefallen ist. Er kann von Glück reden, dass er sich nicht verletzt hat.«
»Aus Rücksicht auf sein Alter wäre es besser gewesen, wenn sie sich mit ihm auf eine Sitzgruppe gesetzt hätten. Vermutlich war er ihnen im Weg und sie wollten ihn, weil er sie nicht alleine ziehen ließ, dafür büßen lassen. Wie auch immer, Vaters Wohl ist für sie Nebensache.«
»Stell dir vor, Vaters Geldbörse ist in Ritas Handtasche, damit er das schwere Ding nicht mit sich herumtragen muss.«
»Super. Sieh mal nach, wie viel Geld noch drin ist. Er nimmt immer so viel mit, dass er das Hotel bar bezahlen kann. Bleib dran, die darf man nicht mehr alleine lassen«, bitte ich Toni, bevor wir auflegen.
Am nächsten Abend rufe ich sie an, neugierig auf die Fortsetzung. Die Geschichte, wie sich alle benehmen und Rita immer dreister wird, wird niemand mehr für möglich halten.
Toni gibt mir am Telefon das Neuste durch. »Frank und Lore sind abgereist. Dafür tauchte einer auf, den Rita kennt. Sie haben sich zufällig hier getroffen. Er heißt Andy und sitzt jetzt mit Rita vorne auf der Terrasse. Ich bin mit Vater in der Hotelbar und darf ihn wieder trösten. Er hat die Hände zwischen die Knie geklemmt und schüttelt verständnislos den Kopf. Sein Bier rührt er nicht an und will unbedingt aufbleiben. Ohne Ritas Gutenachtkuss will er nicht ins Bett. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich tun soll.«
»Dieses Miststück. Macht sich auf Vaters Kosten eine Woche Ferien und geht nur ihrem eigenen Vergnügen nach. Die soll mir noch mal kommen, sie wäre so sozial«, ärgere ich mich.
»Ich glaube, Frank und Rita stecken unter einer Decke. Es ist schlimm. Wirklich. Ich rufe dich wieder an, wenn ich zu Hause bin.«
Als Vater und Rita am Samstag im Hotel auschecken, lässt Rita an der Rezeption für ihres und Vaters Zimmer separate Rechnungen ausstellen. Nächste Woche wird sie Vater zur Post begleiten und sich von ihm, sobald er die Rechnungen am Schalter einbezahlt hat, die Quittung mit ihrer Adresse aushändigen lassen. Dann kann ihr keiner vorwerfen, sie würde dem alten Mann auf der Tasche liegen. Die Quittung ist der perfekte Gegenbeweis. Sie hat aus ihren Fehlern gelernt.
Am Montagmorgen schicke ich Lena kurz vor zehn zum Bäcker. Beim Zurückkommen hat sie Vater im Schlepptau, den sie auf dem Gehsteig angetroffen hatte. Weil er auf sie einen verstörten Eindruck machte, zog sie ihn herein. Als ich auf ihn zugehe, fallen mir die dunklen Ringe unter seinen Augen auf.
Lena geht in die Küche und ich mit Vater ins Sitzungszimmer. Noch bevor Lena ihm einen Kaffee serviert, beginnt er sich zu beschweren, dass Frank seine Getränke, und das waren nicht wenige, vor allem teure Spirituosen, auf Vaters Hotelrechnung schreiben ließ und Vater an den Tagen, an denen Frank im Tirol war und auch sonst, nicht in Ritas Zimmer durfte.
»Glaubst du, die haben was zusammen?«, fragt er traurig.
»Ich bin davon überzeugt«, antworte ich mitfühlend.
Lena versucht Vater zu trösten: »Herr Graf, wenn Sie dieser Frau den Laufpass geben, geht es Ihnen wieder besser. Sie leiden nur unter dieser Beziehung.«
Er ist für Lenas nette Worte nicht empfänglich.
»Rita hat keine Affäre mit Frank, sie hat mehrmals versichert, dass sie außer Alfred nur mich liebt.«
»Und Sie glauben das?«, fragt Lena.
»Dir ist wirklich nicht zu helfen. Und wer ist Alfred?«, frage ich, während Lena im selben Moment sagt: »Sie dürfen dieser Frau auf keinen Fall mehr Geld geben.«
»Das empfehlen mir auch meine Stammtischkollegen. Von mir erhält sie keinen Cent. Das kann ich euch versichern.«
Ich hole tief Luft und presche los.
»Nein, nur die fünftausend Euro vor einem Monat und die Bezahlung der Ferien im Tirol.«
Wegen den Ferien bin ich mir nicht sicher, stelle es mir aber vor.
Vater schweigt und zieht die Hände in die Höhe. Ich habe voll ins Schwarze getroffen.
»Die Ferien hat sie selbst bezahlt«, wehrt er sich.
»Lüg mich nicht an. Wer ist Alfred?«
»Ihr Freund. Er ist verheiratet und seine Frau darf nichts von Rita erfahren. Sie würde sonst die Scheidung einreichen.«
»Bist du dir bewusst, dass du ein Verhältnis mit einer Frau hast, die mit Alfred, Frank und dir ins Bett geht? Hast du keinen Stolz?«
Im selben Moment schießt mir durch den Kopf, dass Mutter ihm früher oft die gleiche Frage stellte.
»Ich kann Rita in dieser Hinsicht nichts mehr bieten und habe deshalb nichts dagegen. Schließlich ist sie eine junge Frau und wir haben uns zu diesem Thema ausgesprochen.«
»Diese Frau muss ein Superstück sein, wenn ihr so viele Männer hinterher rennen«, bringt Marc sich ein, der mit gekreuzten Beinen am Türrahmen lehnt und interessiert zugehört hat.
»Halte dich raus, du hast keine Ahnung«, zische ich ihn an und wende mich wieder an Vater.
»Papa, wir würden dir eine neue Frau von Herzen gönnen. Nur keine wie Rita. Sie lügt dich hemmungslos an und lässt dich fallen, wenn du kein Geld mehr hast.«
»Das ist nicht so! Sie hat versprochen, bis an mein Lebensende für mich da zu sein.«
»Sie treibt ein teuflisches Spiel mit dir und verfolgt rücksichtslos ihre Interessen. Brich den Kontakt ab.«
»Ich werde darüber nachdenken«, verspricht er und steht auf.
Marc verzieht sich nachdenklich in sein Büro. Am Anfang fand er das Gespräch zwar amüsant, aber der anfängliche Unterhaltungswert schlug bei ihm zum Schluss in ein Missfallen um, das ihm nicht gefällt.