Читать книгу Liebe-VOLL AUSGENOMMEN - Heidy Fasler - Страница 7
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ОглавлениеAußer in der Natur ist mein Vater ein unsicherer Mensch. Zumindest ist das unser Eindruck, weil er oft, wie jetzt, Mühe hat, die Sache mit Rita richtig einzuschätzen. Ich schreibe diese Unfähigkeit seiner Kindheit zu, obwohl es durchaus ein paar Dinge gab, die sein Selbstbewusstsein hätten stärken können.
Er ist als uneheliches Kind bei seiner Mutter aufgewachsen, die Zeit ihres Lebens ledig geblieben ist. Seinen Vater, obwohl bekannt, hat er nie kennen gelernt. Nur ein einziges Foto ist Zeugnis seiner Existenz und zeigt das Portrait eines jungen flotten Soldaten, der durch den ersten Weltkrieg in das Heimatdorf seiner Mutter gespült wurde. Der junge Soldat und Vaters Mutter wurden ein Liebespaar und wollten, da sie schwanger war, heiraten. Doch bevor sie die Verbundenheit amtlich besiegeln lassen konnten, wurde er an die Front berufen und kam dort vermutlich ums Leben, denn obwohl er versprach zurückzukommen, hat man nie mehr etwas von ihm gehört. Um sich und ihr Kind – unseren späteren Vater - durchzubringen, verdiente sich die junge Mutter - unsere spätere Großmutter – ihren Lebensunterhalt in der nahen Fabrik. Sie lebte bis kurz vor ihrem Tod in der spartanisch eingerichteten Wohnung, die ihr von der Fabrik zur Verfügung gestellt und für die ihr die Miete vom Lohn abgezogen wurde. In seinem Umkreis galt Vater als schönster Knabe weit und breit, und auch als schnellster, weil er jeden Wettlauf gewann. Später wurde er in der Leichtathletik ein As und hätte es weit gebracht, wenn nicht der zweite Weltkrieg seiner sportlichen Karriere ein Ende gesetzt hätte. Dafür entwickelte er im Krieg, er war in der Gebirgsinfanterie, die Leidenschaft zum Klettern und bestieg, Jahre später, fast alle Viertausender in der Schweiz.
Schon in seiner Kindheit hielt er sich am liebsten in der freien Natur und bei den Tieren auf. Einer seiner Onkel sorgte dafür, dass er nach der Schulzeit eine Lehre absolvieren und ins Berufsleben einsteigen konnte. Im zweiten Weltkrieg lernte er auf einem Heimurlaub seine erste Frau kennen. Die beiden heirateten und Frank kam im letzten Kriegsjahr zur Welt. Um besser über die Runden zu kommen, vermieteten sie in ihrem Haus ein Zimmer. Mit dem letzten Untermieter machte sich seine Frau auf und davon und überließ Mann und Kind ihrem Schicksal. Frank war damals zwei Jahre alt. Mein Vater verlor nie ein Wort über seine Kindheit, selten über seine Jugend und schon gar nicht über seine erste Ehe. Alles was ich weiß, hat mir meine Mutter erzählt.
Niemand in der Familie traute unserem Vater das selbständige Leben zu, das er nun als Witwer führt. Er ist trotz seinem hohen Alter kerngesund, braucht keine Medikamente, aber zum Lesen eine Brille. Wir empfinden es als großes Glück, dass er so rüstig ist. Seinen Haushalt besorgt er nahezu allein, nur alle vierzehn Tage sieht eine Haushalthilfe, zum Rechten.
Von unserer Mutter ließ er sich, kurz bevor sie starb, erklären, wie man eine Waschmaschine bedient, Einzahlungen tätigt und Rechnungen bezahlt. Wir haben uns gewundert, dass er das in seinem Alter noch gelernt hat und jetzt alles selbstständig alles auszuführen weiß. Wir müssen uns um ihn auch keine finanziellen Sorgen machen. Soviel wir wissen, fließt auf ein Konto auf der Dorfbank eine Altersrente, mit der er seinen Lebensbedarf deckt und die regelmäßig anfallenden finanziellen Verpflichtungen, werden im Lastschriftverfahren jeden Monat von einem Konto abgebucht, das er auf der Citybank eingerichtet hat und auf das die Rente seiner Pensionskasse eingeht. Er profitiert heute davon, dass die Firma, bei der er bis zu seiner Pensionierung angestellt war, das Pensionskassensystem sehr früh eingeführt und er zusammen mit dem Arbeitgeber über Jahrzehnte in diese Kasse eingezahlt hat.
Für unsere Bedenken, was seine Selbständigkeit betrifft, hatten wir gute Gründe. Unsere Mutter ließ selten, aber doch ab und zu die Bemerkung fallen, dass sie fünf Kinder großziehen musste. Damit traf sie den Nagel auf den Punkt, denn sie musste unseren Vater gelegentlich an einfache Anstandsregeln mahnen, die wir seit unserer Kindheit intus hatten. Ich habe nie verstanden, weshalb sich Vater diese nie merken konnte. Und Mutter hielt sich immer an die Sache. Nie hörten wir sie ein wüstes Wort aussprechen, so wie sie auch uns verboten hat, Schimpfwörter in den Mund zu nehmen, wenn wir Kinder uns gestritten haben. Hin und wieder deutete Mutter an, dass unser Vater und sein Sohn Frank dem Schicksal dankbar sein können, dass die beiden unter ihre Fittiche gekommen sind, denn ohne sie hätten die Zwei mit größter Wahrscheinlichkeit ein Leben am Rande der Gesellschaft gefristet. Damit konnten wir nicht viel anfangen. Wir gingen davon aus, dass sie Vaters fehlendes Rückgrat meinte, das sie oft bemängelte, oder weil sie bei ihm stets mit den Benimmregeln missionieren musste. Solche Sachen halt. Auch bei Frank gab es keine Anhaltspunkte, außer vielleicht, dass er jeweils liebend gern seine Auslagen anderen aufbürdet. Hatten er und Lore bei sich zu Hause Besuch erwartet, rief Frank immer unsere Mutter an und jubelte ihr unter einem Vorwand seine Gäste unter. Nachdem sie nicht mehr da war, versuchte Frank mir, oder meinen Geschwistern, seine Gäste aufzudrücken, aber wir wiesen seine Selbsteinladungen immer öfters ab. Worüber wir uns aber ärgern und dem Frieden zuliebe nichts sagen, ist, wie er sich bei gemeinsamen Restaurantbesuchen die Bezahlung der Zeche vorstellt. Er bestellt immer den teuersten Wein und die besten Gerichte, während wir uns nach der Decke strecken. Geht es ans Bezahlen, besteht Frank auf die Teilung der Rechnung durch die Anzahl Personen am Tisch, wobei er sich und Lore jeweils als eine Person rechnet. Zähneknirschend dulden wir das, weil es das einzige ist, das uns an ihm stört. Ansonsten haben wir ihn gern, finden seinen Humor toll, er ist immer freundlich und, das muss man ihm lassen, immer zur Stelle, wenn man ihn braucht. Und schließlich haben wir alle einen Makel.