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Fünf Mann über Bord

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Der Ort : Das Meer. Die Antillen. Möglicherweise aber auch ein paar Inseln in der Ostsee. Je nachdem, wie viel Fantasie man mitbringt.

»Papa, aber hier gibt es doch keine Quallen?«

»Hm. Das ist hier die Ostsee, die ist eigentlich bekannt für …«

»Nein, Marie, hier gibt es keine Quallen. Nie. Nicht eine einzige!«

»Sicher, Mama?«

»To-tal. Quallen sind in diesem Meer unbekannt. Besonders in dieser Ecke dieses Meeres.«

»Und was ist das hier dann?«

»Keine Ahnung, Jonathan. Ich sehe hier nichts. Jedenfalls keine Qualle.«

»Oha. Na gut, wenn das hier ›keine Qualle‹ ist, dann möchte ich nicht sehen, wie es hier aussähe, wenn es Quallen gäbe.«

»Eins, zwei, drei … 15, 16 …«

»Was zählst du da, Lena?«


»Diese durchsichtigen, pfannkuchenförmigen Tiere mit Tentakeln, die gelegentlich tot am Strand antreiben.«

»Tintenfische sind nicht durchsichtig!«

»Diese hier schon.«

Die Protagonisten : ein kleines, aber ungewöhnlich gutmütiges Segelboot, drei Kinder unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Bereitschaft zu segeln, eine besserwissende Mutter und ein praktischer, wenn auch ein wenig segelunerfahrener Vater. Ein ziemlich gleichgültiges Meer.

Marie: fünf Jahre

Jonathan: zwölf Jahre

Lena: vierzehn Jahre

Papa Paul: irgendetwas zwischen vierzig und unendlich

Mama: dito

Meer: irgendwann nach dem Urknall. Heute aber friedlich.

»Mama, du hast doch gesagt, es gibt hier keine Quallen! Aber hier ist alles voll … Mama, mir ist sooo schlecht!«

»Lena, verschwinde mal da vom Bug, komm mal ins Boot, lass mal Marie … Aaah, Marie, häng dich ganz schnell über Bord!«

»Lasst ihr Marie bitte vor dem Mast sitzen? Bitte?!«

»Wenn sie sitzt, können wir keine Manöver mehr machen. Dann kriegen wir die Fock …«

»Ja, okay, Paul, schon verstanden! Marie, leg dich bitte auf den Bauch! Lena, kannst du mal die Beine einziehen?«

»Wenn ich so sitze, wird mir auch schlecht!«

»Klar zur Wende!«

»Paul?«

»Ja?«

»Das wird keine Wende, das wird eine Halse, weil eine Halse …«

»Ja ja, schon klar. Klar zur Halse?!«

»Ist klar!«

»Haaalse …«

»Hey, stopp! Du musst erst die Schoten dichtholen!«

»Wenn du mich immer unterbrichst, schaffe ich nie einen Kurswechsel und wir knallen irgendwann gegen den Nordpol!«

»Auch gut. Aber willst du nicht lieber eine Wende machen? Ich meine jetzt, statt einer Halse? Weil die Vorzüge einer Wende gegenüber einer Halse …«

»Papa? Ist klar. Papa, ist klar! Ist klar … Raaah, siehst du den Stein da …?«

»Das, mein Lieber, war eine Patenthalse!«

»Oha, oha. Großartig. Meine erste Halse und gleich eine Patenthalse. Das muss mir mal einer nachmachen!«

»O Mann, Papa … eine Patenthalse heißt, dass man die Halse total verkackt hat!«

»Danke, Jonathan, für die gewohnte Deutlichkeit deinerseits. Na ja, immerhin fahren wir jetzt gegen keinen Felsen mehr.«

»Das ist nicht ganz korrekt. Wir fahren nicht mehr gegen den Felsen von vorhin, dafür fahren wir jetzt aber … siehst du den Felsen da?«

»Klar zur Wende … Marie, halt dich fest!«

»Woran denn, Papa?«

»An deiner Schwimmweste … ist klar?«

»Ist klar was?«

»Zur Wende! Ach, Mann, ich mach die jetzt einfach …«

»Aaah, Hilfe, Papa, Marie ist über Bord!«

»Hihi, Marie ist in die Quallen gefallen.«

»Sehr witzig.«

»Ich habe ihr doch extra gesagt, sie soll sich festhalten!«

»Paul, Paul, das Mann-über-Bord-Manöver kannst du aber noch?«

»Im Prinzip ja, sprach Radio Eriwan. Gut, dass sie eine Schwimmweste anhat.«

»Und gut, dass wir nicht im Nordpolarmeer kreuzen, nicht, Papa?«

»Ja … ich denke … das ist auch …«

Die Handlung : Eine Reise zu den Antillen. Oder das, was das jüngste Kind dafür hält. Dabei werden gewisse Segelmanöver erlernt sowie zahlreiche Möglichkeiten erkundet, drei Kinder und zwei Erwachsene auf einem seiner Größe wegen ungeeigneten Segelboot unterzubringen. Der unglücklicherweise unregelmäßige Boden des Meeres sowie zahlreiche Quallen spielen farbige Nebenrollen.

»OMG, Papa, das war Patenthalse Nummer zwei.«

»Kann mal jemand Marie aus dem Wasser fischen?«

»Ich habe sie!«

»Großartig, Lena, einfach festhalten, während ich …«

»Während du das Groß dichtholst, damit der Baum nicht Jonathan fast von Bord fegt, Paul?«

»Ja … auch.«

»Kann mal jemand auf die Bremse treten?«

»Warum?«

»Weil wir sonst Marie nicht aus dem Wasser bekommen. Das Boot ist ziemlich steil, sozusagen.«

»Kinder, ein Boot hat keine Bremse. Leider, zum Kuckuck.«

»Nein, Mama, das bringt nichts, wenn du uns hilfst. Das bringt nur das Boot zum …!«

»Manno, kann vielleicht mal jemand trimmen?«

»Was ist denn trimmen, Papa?«

»Ich finde trimmen blöd.«

»Sehr witzig, Lena.«

»Hurra, wir haben sie, Marie ist wieder an Bord!«

»Hör auf zu tropfen, Marie, du machst meine Hose ganz nass.«


»Wir sind auf dem Meer. Auf einem Segelboot. Da darf man keine Angst vor Wasser haben.«

»Lena, wir sind auf dem Meer. Auf einem Segelboot. Da darf man keine Angst vor Wasser haben. Da tropft jeder gelegentlich einmal.«

»Tja, besonders wenn man ein viel zu kleines Boot gemietet hat, nicht, Papa?«

»Sie hatten kein größeres mehr. Außerdem wären die auch zu teuer gewesen. Ich glaube, wir sind jetzt am Wind.«

»Nicht ganz, Paul. Diesen Zustand nennt man ›vor dem Wind‹. Wo willst du denn eigentlich hin?«

»Auf die Antillen. Das hatte ich mit Marie so besprochen.«

»Huch?«

»Wieso ›huch‹, Lena?«

»Ich wusste doch, dass Herr Lehmann ein Vollpfosten ist.«

»Ist Herr Lehmann dein Erdkundelehrer? Dann redet man nicht so über seine Lehrer, Lena.«

»Ich sage nur die Wahrheit. Er hat nämlich behauptet, dass die Antillen nicht in der Ostsee liegen.«

»Na ja, auch ein Lehrer kann sich mal irren … Nein, Marie, Papa hat natürlich recht, wir legen hoffentlich gleich an den Antillen an … Kannst du mal aufhören zu tropfen?«

»Mir ist kalt. Und ich will nach vorn.«

»Sind wir denn bald auf einem Antill, Paul? Oder auf dem, was du und Marie dafür haltet?«

»Zur Beantwortung dieser Frage müsstet ihr mir einmal die Seekarte reichen. Nein, das ist nicht das Ding mit dem vielen Text drauf, Jonathan.«

»Das kannst du aber wenigstens lesen, Papa.«

»Das blaue Ding da hätte ich gern!«

»Könnten wir mal drüber diskutieren …«

»Hier wird nicht diskutiert, zum Kuckuck! Ein Segelboot ist keine Demokratie, ein Segelboot ist … irgendwas anderes mit ›-ie‹ am Ende.«

»Hierarchie? Bist du dann ein Hierarch, Paul?«

»Ja … Mensch … Das klingt doch gut. Paul Müller, Hierarch. Ist was für die Visitenkarte.«

»Papa meint eigentlich Diktatur.«

»Ist Papa dann ein Diktat, Jonathan?«

»Ja, Marie, genau …«

»Wer von euch möchte so lange an die Pinne, während euer Papa sich mit der Karte beschäftigt?«

»Was ist eine Pinne, Papa?«

»Eure Mutter. Außerdem bin ich multitaskingfähig. Ich kann sehr wohl eine Karte lesen und ein Boot steuern.«

»Aha.«

»Soso.«

»Könntest du dann, während du die Karte liest, vielleicht um diese Insel herumsteuern?«

»Welche Insel? Auf der Karte ist keine Insel verzeichnet.«

»Das ist ja auch die falsche Seite. Das ist die, auf der nur Meer verzeichnet ist. Daher das viele Blau. Vielleicht drehst du die Karte einfach um, Papa.«

»Halt die Klappe, Lena, oder ich mache eine Patenthalse.«

Das Ende : Harmlos. Sogar die Quallen überleben. FSK dennoch erst ab sechs. Wegen der nervenzerreißenden Segelmanöver.

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