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Auf SaarFari

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Ich saß heulend neben meiner besten Freundin Sara auf dem Sofa. Freund weg. Urlaub weg. Geld weg. Ohne rosa Brille sah ich meinen Ex endlich so, wie er war: Fabian kommunizierte in Bierkastenzoten und vögelte alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Ein Schwerenöter, vor dem mich Sara immer gewarnt hatte. Aber jetzt war Schluss!

»Isabell! Ich hab da was!«, rief meine Freundin aus. Sie hatte ihren Laptop auf den Knien stehen und stöberte nach Urlaubsangeboten für No-Budgets wie mich. Denn mein bezahlter Ibiza-Urlaub, bei dem auch Fabian mit von der Partie war, schwamm gerade in meinen Tränen der Erkenntnis weg. »Kannst du dein Geplärre mal für einen Moment einstellen und zuhören?«

»’tschuldige mal!«, flennte ich, »mein Leben liegt in Scherben und …«


Saarschleifen-Tour im Kanu. Erleben Sie Stromschnellen und Wasserfälle und beobachten Sie Grasfrösche und Eisvögel.

»Unsinn, hör zu, hier steht: Saarschleifen-Tour im Kanu. Erleben Sie Stromschnellen und Wasserfälle und beobachten Sie Grasfrösche und Eisvögel. Im 1er- oder 2er-Kanu inklusive Rettungsweste für 21,50 Euro pro Person. Unser erfahrener Guide Martin begleitet Sie.«

Ungläubig sah ich sie durch meinen Tränenschleier an. »Kanu-Tour? Dir ist schon klar, dass das was mit modrigem Flusswasser zu tun hat?«

Isabell nickte. Sie konnte zwar schwimmen, aber nur in glasklarem Poolwasser. Vor natürlichen Gewässern in jedweder Form hatte sie panische Angst. Keiner hatte sie je dazu bewegen können, auch nur den großen Zeh in einen Badesee zu halten. »Ja, eben drum, ich will endlich etwas gegen meine Aquaphobie unternehmen.«

Gesagt, getan. Zwei Tage später, als Fabian mit seiner Fußballhorde und vermutlich einem Koffer voll Kondome im Flieger nach Ibiza saß, checkten Isabell und ich für die SaarFari-Tour ein. Im strahlenden Sonnenschein standen wir am Ablegesteg und warteten auf unseren Guide, der jeden Moment mit einer Touristengruppe eintreffen musste.

Sara war so bleich im Gesicht, als probte sie für einen Gastauftritt bei The Walking Dead. Die Hände zu Fäusten geballt, war sie unfähig, den Blick von der dunkel glitzernden Wasseroberfläche abzuwenden. Das konnte ja heiter werden. Am Ende paddelte ich allein durch die Stromschnellen. Jeden Moment würde sie bestimmt verkünden, dass sie viel lieber die »Cloef« besteigen wollte – den bewaldeten Aussichtsfelsen der Saarschleife. Hinauf zum neu errichteten Baumwipfelpfad. Doch auf das Gekraxel verspürte wiederum ich keine Lust, denn das setzte mindestens einen Gamsbock und eine Bergziege in der Ahnenreihe voraus.

Ich sah auf meine Uhr. Unser Guide war überfällig. Ich ließ den Blick zum Gegenufer schweifen. Auf der waldigen Landzunge, um die die Saar ihre Schleife zog, erhob sich von Baumkronen verdeckt die Burg Montclair. Sara und ich waren seit dem Klassenausflug in der Sechsten nicht mehr hier gewesen. Die Vögel zwitscherten und die hochsommerlichen Temperaturen konnten mit denen auf Ibiza spielend mithalten. Wir trugen Bikinis unter unseren Tops und den Jeanshotpants und in den Rucksäcken befand sich neben Handtuch, Sonnencreme und Insektenschutz das typische Saarland-Survival-Picknick: Klappschmieren (zu Deutsch: Stullen) mit Läwerwurscht (logisch: Leberwurst) sowie ein halbes Baguette mit Lyoner. Allerdings ahnte Sara nicht, dass ich für jede noch eine Dose Prosecco dabeihatte, damit wir nach der Tour auf ihre überwundene Aquaphobie anstoßen konnten. Aber wie es aussah, würde daraus nichts werden. Sara kehrte der Saar den Rücken zu und starrte mit vor der Brust gekreuzten Armen auf ihre rot betupften Zehennägel, die in ihren Flipflops nervös auf- und abzuckten. »Was hältst du davon, wenn wir die Wanderschuhe anziehen und …«

Lautes Hupen brachte Sara zum Verstummen und ich sah zum Parkplatz des Bootshauses. Mir klappte der Mund auf. Fünf schwarz gelackte Wohnmobile mit dunkel getönten Scheiben fuhren dort im Konvoi ein. Angeführt von einem Van in Neonrot, der einen Anhänger mit Kanus zog.

»Nun guck dir das an!« Ich grinste. »Das Mission-Impos­sible-Team macht Drehferien im Saarland.«

Die Wohnmobile parkten ein, während die Neonröhre auf Rädern mitsamt dem Kanu-Anhänger rückwärts auf den Steg rollte und zentimetergenau vor der Wasserkante zum Halten kam. Anerkennend bog ich die Mundwinkel nach unten. Punktlandung. Die Türen des Leuchtgefährts gingen auf und ich schob meine Sonnenbrille bis zur Nasenspitze. Zwei durchtrainierte Surfertypen, der eine dunkelhaarig, der andere blond, stiegen aus. SaarFari prangte in azurblauen Lettern auf ihren Neopren-Shirts.

»Okay«, machte ich gedehnt und beobachtete, wie Sara ebenfalls über ihren Sonnenbrillenrand hinweglinste.

»Bin mal gespannt, wer aus den schwarzen Lacksärgen steigt. Edward Cullen vielleicht und die Volturi?« Sie kicherte und ich war erleichtert, dass die Neugier sie ein wenig ablenkte.

Der dunkelhaarige Surfer hob grüßend den tätowierten Arm und machte sich daran, die Kanus vom Anhänger zu laden. Der zerzauste Blondschopf kam auf uns zu. Er streckte mir die gebräunte Pranke hin und ich ging beim Einschlagen unwillkürlich in die Knie.

»Isch bin daa Maatin«, outete er sich als waschechter Saarländer. Er gab meine Hand frei und ich japste vor Entzücken, dass er sie nicht zu Brei gedrückt hatte. »Sorry, dat et so spät gän is«, fuhr er im breitesten Dialekt fort. »Awwa die Touris, die ma debei han, sin e bissje speziell.« Er funkelte aus meerblauen Augen auf mich hinab.


Auf diese Sorte Sportsfreund würde ich so schnell nicht wieder hereinfallen.

Ich zog die Brauen zusammen und musterte ihn argwöhnisch. Auf diese Sorte Sportsfreund würde ich so schnell nicht wieder hereinfallen. »Ich bin Isabell«, stellte ich mich vor und nickte in Richtung meiner Freundin. »Das ist Sara.«

Martin wandte sich zu ihr um. »Ah, dat Mädel mit der Wasserphobie«, frotzelte er.

Sara rutschte der Anflug von guter Laune aus der Miene. Sicherheitshalber hatten wir ihr Handicap bei der Buchung angegeben. Sie nickte steif.

»Nur kän Stress, ich verpass dir gleich en Reddungswest, außerdem bischte in beschta Gesellschaft.« Mit dem Kopf deutete er zum Parkplatz. »Vermutlich noch mehr, die net ordentlich schwimme kenne. Alles kän Problem, mein Kumpel Freddi un isch sin ausgebildete Reddungsschwimmer.«

Während Martin und Freddi die Plastikboote vom Hänger luden, passierte auf dem Parkplatz erst einmal gar nichts. Die Türen der schwarzen Lacksärge blieben geschlossen. Doch dann, wie auf ein Kommando, öffneten sie sich gleichzeitig und es purzelten einige blasse Gestalten in Neoprenanzügen heraus. Aliens. Männlein wie Weiblein. Die Jungs drückten sich die Fotoapparate vors Gesicht, um die Saarlandschaft für die auf ihrem Stern Verbliebenen zu dokumentieren, und die Mädels schossen grüppchenweise Selfies. Ich schmunzelte. Die Aliens waren Asians.

Aus den Wohnmobilen kletterten vier betagte Damen im Wanderoutfit, die Knirps-Schirme gegen die Sonne aufgespannt, und vier ältere Herren mit Videocams. Ich zählte durch und staunte nicht schlecht. Fünf Leute teilten sich ein Wohnmobil – wahre Verschachtelungskünstler, diese Asians.

Die Touris setzten sich über die Straße in Bewegung und ich drehte mich zum Fluss um. Auf dem Steg standen jetzt die Plastikkanus bereit.

Neben mir tauchte Martin mit einer neonroten Rettungsweste auf, die er mir reichte. »Dat sin Koreaner«, klärte er mich auf. »Die älleren han vor, of die Cloef zu wanneren. Do owe gibt’s nämlich en Pannekuchehaus.«

»Pfannkuchenhaus?«, rief Sara und stand im nächsten Moment neben mir. »Ist das weit?«

»Knapp vier Kilometer zu laufen, direkt oben beim Baumwipfelpfad«, wechselte Martin ohne Schwierigkeiten ins Hochdeutsche.

»Super, da will ich auch hin!« Die Schweißperlen auf ihrer Stirn und der umherjagende Blick straften ihr heiteres Getue Lügen. Sie hatte Schiss! Sie wollte nur noch weg.

»Du kannst mein Boot wieder wegräumen, Martin. Hat mich gefreut, tja, dann …« Sie wirbelte herum und stapfte, so schnell ihre Flipflops dies erlaubten, in Richtung Parkplatz davon.

»Ja, und was ist mit mir?«, empörte ich mich.

Doch Martin hatte sie schon eingeholt und versperrte ihr den Weg. Sara versuchte einen Haken um ihn zu schlagen, aber er fasste sie bei den Schultern. »Na, kalte Füße gekriegt?« Er bleckte die Zähne und Sara bekam Schnappatmung.


»Ich merke nur, ich bin unterzuckert, ich brauch dringend ’ne Cola und ’n Pfannkuchen …«

»Nein, nein«, hyper­ventilierte sie. »Ich merke nur, ich bin unterzuckert, ich brauch dringend ’ne Cola und ’n Pfannkuchen …«

Er schüttelte sie sanft. »Vergiss es, auf dem Ausreden-Ohr bin ich gerade taub. Aber wenn wir wieder zurück sind, lade ich dich zum Pfannkuchenessen ein. Was hältst du davon?« Er zwinkerte.

»Ausgeschlossen, hinterher kriegen mich da keine zehn Pferde mehr rauf.« Sie machte eine hilflose Geste zur Cloef.

»Wenn’s sein muss, nehm ich dich huckepack.«

Sara bekam rote Flecken im Gesicht und riss sich von ihm los. »Lieber nicht, ich halte hier nur den ganzen Betrieb auf.«

Martin schlang den Arm um sie und bugsierte sie zum Bootsanhänger, wo noch mehr Rettungswesten bereitlagen. Ich verkniff mir ein Grinsen und folgte. Martins voller Körpereinsatz hatte sich gelohnt. Sara starrte ihn hingerissen an und steckte schneller in einer Neonweste, als sie Nein sagen konnte.

Unterdessen legten die Koreaner kräftig Sonnenschutz auf. LSF 80 stand in Riesenlettern auf den Flaschen. Ich nickte beeindruckt. Das Zeug deckte wie Innenbinder.

Martin ließ Saras Kanu zu Wasser und erklärte ihr, wie das Einsteigen glückte, ohne in die Saar zu fallen.

Die Touris umringten die beiden und schossen Fotos. Aus der Nummer kam Sara nicht mehr raus. Sonst würde man noch am anderen Ende der Welt über sie lachen.

Dann war es so weit: Sara saß in der Rettungsweste im Kanu. Neben ihr in seinem Boot Guide Freddi, der ihr mit seinem Paddel die Fortbewegungstechnik erklärte und wie sie den richtigen Eintauchwinkel fand.

Hastig zückte ich zur Dokumentation mein Smartphone. Unterdessen wandte sich Martin auf Englisch an die Koreaner, die nun alle in Habachtstellung standen und gebannt seinen Anweisungen folgten. Ich knipste die ganze Versammlung. So dick weiß eingecremt und von Neopren und roten Schwimmwesten umhüllt, erinnerten sie an Maki-Röllchen im Algenmantel.

Wenig später saßen wir in den Booten und paddelten um die Saarschleife. Herrlich. Die Plastikgefährte glitten mühelos übers Wasser. Sara und zwei Koreanerinnen, die auch etwas unsicher wirkten, fuhren mit Freddi vornweg, der sie in breitestem Saar-Englisch zum Lachen brachte.

Martin hielt die Gruppe dazu an, das andere Ufer anzusteuern, wo Enten und Schwäne mit ihrem Nachwuchs unterwegs waren. So bemerkten wir das nahende Unglück auch erst, als uns die Wellen ins Ufergestrüpp trieben und sich die Entlein und Schwänlein in die Binsen schlugen.

»O mein Gott!«, fiepte Sara und wies mit dem ausgestreckten Arm zu einem herannahenden Kohleschiff mit AIDA-Ausmaßen, das einen Tsunami vor sich herschob.

»Heads up!«, blaffte Martin unnötigerweise, denn jeder glotzte doch schon mit Maulsperre dorthin. »Let’s go fast over there!« Er deutete zur Riedbewachsung und machte ein Zeichen, dass wir hintereinander bleiben sollten. Die Plastikboote schaukelten wild auf und ab, als das Schiff an uns vorbeirauschte, und ich sah bange zu Sara, die unkontrolliert mit ihrem Paddel herumfuchtelte. Freddi zog den Kopf ein. Doch zu spät. Die Breit­seite klatschte ihm mit voller Wucht gegen die Stirn und er kippte aus dem Boot. Sara bekam einen Schreikrampf, der erst abriss, als sie selbst über Bord ging. Martin machte die Eskimorolle und kraulte zu ihr. Zwei Koreaner stürzten sich in die Fluten, um den mit dem Gesicht nach unten treibenden Freddi ins Ried zu ziehen, wo die Schwäne fauchend ihr Revier verteidigten.

Ich gab mir einen Ruck und warf mich in den modrigen Fischsud, schließlich wollte ich nicht der Underdog sein. So krochen wir schlammverdreckt an Land, bargen die Kanus und saßen wenig später auf unseren Handtüchern im Gras.

Sara kühlte Freddis Stirn mit einem Handtuchzipfel und quatschte ihn mit Ratschlägen zur Beulenbehandlung voll.

Die Koreaner legten Sonnenschutz nach und ich kramte die Prosecco-Dosen aus meinem pitschnassen Rucksack. Die Klappschmieren taugten allenfalls noch als Entenfutter. Also beförderte ich sie im hohen Bogen ins Gestrüpp und stakste durchs Gras zu Sara, den Finger unter der Aufreißlasche – klack, zisch –, der Prosecco schäumte mir über die Hand. Ich kniete mich neben sie und reichte ihr die Dose. »Prost, Sara, auf deine Aquaphobie und den armen Freddi, der sie ausbaden durfte.« Ich beugte mich an ihr Ohr. »Gut gemacht, man soll draufhauen, solange der Fang noch zappelt«, raunte ich, wobei ich Freddi zuzwinkerte. Abermals ließ ich es zischen und schäumen und erhob die überlaufende Dose auf Martin, der gequält im Selfie-Schwitzkasten von zwei Koreanerinnen grinste. »Prost, Martin, wenn du Sara die Cloef hinaufgetragen hast, geht die Runde Pfannkuchen auf mich!«

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